MESOP : OBAMA’S TATSÄCHLICHES KALKÜL – (LESENSWERT!) Kampf gegen den „Islamischen Staat“ – Das Kalkül des Präsidenten / Erdogan nimmt sich ein Beispiel an Obama

Andreas Ross – FAZ – 12-10-2014 – Barack Obama will nicht die selben Fehler wie sein Vorgänger George W. Bush machen. Um Amerika aus dem Konflikt in Syrien und im Irak zu halten, geht er merkwürdige Koalitionen ein. Im Weißen Haus rechnet niemand mit einer schnellen Lösung.

Die türkische Regierung erklärt Obamas Syrien-Strategie für dumm. „Tyrannei und Massaker“ würden die Region so lange prägen, wie Assads Regime nicht beseitigt sei, dozierte Außenminister Cavusoglu. Doch seine Belehrungen gingen ins Leere. Denn nie hat Obama behauptet, Amerikas Militär werde das Leiden der Syrer und ihrer bedrängten Nachbarvölker beenden. Schon im Sommer 2013, als er die Assad zugeschriebenen Giftgasattacken noch mit Raketen bestrafen wollte, hatte der Oberbefehlshaber verkündet, seine Streitkräfte würden sich nicht in den „Krieg anderer Leute“ einmischen.

Als er in diesem Sommer den Amerikanern erklärte, dass Hunderte Soldaten in den Irak zurückkehren würden, verwies Obama zwar gern auf dankbare Yeziden, die Amerika vor der Ausrottung bewahrt habe. Aber auch da beschrieb er humanitäre Missionen nie als Ziel, sondern eher als möglichen Mitnahmeeffekt. Rettungsaktionen wie die am Berg Sindschar dürften Amerikaner weder gefährden noch von ihrer eigentlichen Aufgabe ablenken: den Irak in die Lage zu versetzen, dem „Islamischen Staat“ entgegenzutreten.

Seit Tagen werden die Amerikaner ungläubig gefragt, wie sie es zulassen könnten, dass der IS die Kurdenstadt Kobane attackiert, einen Steinwurf vom Nato-Staat Türkei entfernt. Das zeigt, dass kaum jemand Obama beim Wort genommen hat. Sowohl die Gegner als auch die Befürworter einer massiven Syrien-Intervention haben seine Bedingungen überhört. Sie wollten nur verstehen, dass sich der angebliche Anti-Bush doch noch in einen Interventionisten verwandelt habe. Obamas Auftrag an die Generale ist aber eng gefasst.

Ist der IS Amerikas neues Al Qaida?

Der Öffentlichkeit, die dank Live-Schaltungen aus der Türkei mit den kurdischen Verteidigern Kobanes mitfiebert, erklärte das Pentagon, dass die Schlacht kaum strategische Bedeutung habe. Das stimmt zwar nicht ganz, denn jeder sichtbare Erfolg des „Islamischen Staats“ verstärkt dessen Anziehungskraft auf die Dschihadisten der Welt. Aber die Amerikaner, die sich in Syrien nur am Beginn einer jahrelangen Antiterrormission sehen, haben andere Prioritäten.

Ihre Kampfflugzeuge und Drohnen zerstörten Einrichtungen, von denen aus der IS seine Offensiven im Irak geplant oder unterstützt haben soll. Syrien selbst ist, mangels Partnern „am Boden“, noch nicht an der Reihe. Anders als im Irak setzen die Amerikaner dort nicht einmal Kampfhubschrauber ein. Die könnten viel besser agile Dschihadisten verfolgen. Aber sie könnten auch abgeschossen werden.

Konsequent bleiben die Amerikaner bei der Sprachregelung, die Terrormiliz solle „geschwächt und letztendlich zerstört“ werden. Obama zieht den Vergleich zum zähen Kampf gegen Al Qaida in Pakistan, im Jemen und in Somalia. Das soll keine Beruhigungspille fürs Volk sein, sondern ist ernst gemeint.

Obama will kein zweiter Bush werden

Der Präsident wirkt, als habe es ihn selbst überrascht, wie sehr die Enthauptungsvideos des IS den Appetit vieler kriegsmüder Amerikaner auf einen großen militärischen Schlag angeregt haben. Doch der kühle Analytiker im Weißen Haus wird sich von keiner Nachrichten-Dynamik anstecken und bewegen lassen, doch Bodentruppen in den Krieg zu schicken.

Er ist entschlossen, sich von niemandem tiefer in den Konflikt hineinziehen zu lassen – nicht von republikanischen Falken, nicht von den Türken und erst recht nicht vom „Islamischen Staat“, dem bei vielen Sunniten nichts mehr Legitimität verschüfe als tägliche Gefechte gegen amerikanische „Besatzer“. Obama rechnet nicht damit, dass er einen Sieg über den „Islamischen Staat“ verkünden kann, bevor er im Januar 2017 das Weiße Haus verlässt. Zu seinem Vermächtnis soll aber zählen, dass er George W. Bushs Fehler vermieden hat

Erdogan nimmt sich ein Beispiel an Obama

Obama weiß, dass der Erfolg nicht sicher ist. Ein Scheitern scheint unausweichlich, sollte es den Amerikanern nicht gelingen, ihre wacklige Koalition zu festigen. Für die meisten Partner in der Region ist die Zerstörung des „Islamischen Staats“ zwar wichtig, aber nicht so wichtig wie Assads Sturz. Während die Golf-Monarchien dennoch fürs Erste an Bord sind, stellt die Türkei Forderungen. Washington ärgert sich darüber, dass Ankara dem Bündnis gegen den IS selbst dann nicht beitrat, als die knapp 50 türkischen IS-Geiseln heimgekehrt waren.

Doch letztlich bedient sich Präsident Erdogan nur Obamas Taktik. Monatelang hatte der amerikanische Präsident dem IS-Vormarsch fast tatenlos zugesehen, um den irakischen Ministerpräsidenten Maliki gefügig zu machen. Dabei hat Washington zwar die Gefahr unterschätzt, die von den Dschihadisten ausging. Aber der Plan ging insofern auf, als Iran den Schiiten Maliki aus Angst vor dem IS fallenließ. So konnten im Irak wenigstens rudimentäre Bedingungen für einen politischen Neuanfang geschaffen werden. Nun sind es die Türken, die sich bitten lassen, den Dschihadisten buchstäblich ihre Grenzen aufzuzeigen. So will Erdogan Obama einen Einsatz gegen Assad abpressen.

Die Vereinigten Staaten brauchen die Türkei als Partner

Washington weiß: Ohne die Türkei geht es nicht. Deshalb bleiben die Amerikaner öffentlich zahm. Vizepräsident Joe Biden hat sich brav bei Erdogan dafür entschuldigt, dass er die Wahrheit ausgesprochen hatte – dass nämlich auch Ankara militante Islamisten aufgepäppelt hat. Eine weitere Geste an die Türkei ist es, dass die Amerikaner in ihren Verlautbarungen inzwischen sagen, dass die zunächst rund 5000 Kämpfer der „moderaten“ syrischen Regimegegner, die vom nächsten Jahr an in Saudi-Arabien für den Einsatz gegen die Dschihadisten ausgebildet werden sollen, „gegen den IS und das Assad-Regime kämpfen“.

Noch vor kurzem hatten amerikanische Diplomaten herumgedruckst und den Rebellen allenfalls zugebilligt, dass sie „natürlich ihr Leben verteidigen müssen, wenn sie vom Assad-Regime angegriffen werden“. Zähneknirschend beschäftigen sich amerikanische Diplomaten und Militärs auch mit Erdogans alter Forderung, eine Flugverbotszone in Nordsyrien einzurichten. Doch gesucht wird wohl eher nach einem gesichtswahrenden Ausweg für Erdogan als nach einer neuen Militärstrategie, die zunächst Angriffe auf die Luftabwehr des Assad-Regimes vorsehen müsste und Amerika in die Kämpfe rund um Aleppo hineinzöge.

Massaker in der Nachbarschaft – ein Problem der Türken

In Washington lästern manche über Obamas „Koalition der Merkwürdigen“. Statt einer kampfentschlossenen „Koalition der Willigen“, wie sie George W. Bush ohne Rücksicht auf diplomatische Verluste für den Einmarsch im Irak geschmiedet hatte, bringe Obama eine geradezu groteske Ansammlung sunnitischer Despoten, kurdischer Terroristen und westlicher Mächte zusammen, auf deren Seite auch noch Iran, das Assad-Regime und allerlei Islamisten stünden.

Zu den schönen Reden des frühen Obama passt es tatsächlich kaum, wenn er heute von wahhabitischen Religionsgelehrten klare Worte gegen den IS verlangt, kurdische Separatisten mit Waffen versorgt und zugleich die Iraner auf Abstand hält, weil ihm sonst Saudis und Emiratis von der Fahne gingen. Doch lieber lässt sich der Präsident auf die Widersprüche des Mittleren Ostens ein, als das ganze Elend der Region zu Amerikas Problem zu erklären. Seine Botschaft an die Türken ist klar: Wenn sie keine Massaker in ihrer Nachbarschaft dulden wollen, dann sollen sie etwas dagegen tun. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/obama-plant-mit-einem-jahrelangen-kampf-gegen-den-is-13203052.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2