MESOP NEWS VORAUSSCHAU : DIE WAHRSCHEINLICHEN ERGEBNISSE DES ERDOGAN REFERENDUMS !
MESOP Ressource Experten: Ökonom Yasar Aydin von der Hafencity Universität Hamburg / Digdem Soyaltin, Politikwissenschaftlerin an der privaten Kemerburgaz-Universität in Istanbul / Felix Schmidt, Landesche der Friedrich-Ebert-Stiftung in Istanbul / Günter Seufert, der Türkei-Fachmann der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin / Sinan Goksen, Analyst der Denizbank in Istanbul,
FAZ WIRTSCHAFT – WIEN, 6. April. In der Türkei könnten die steigende Inflation und die wachsende Arbeitslosigkeit die Position von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seiner Regierungspartei AKP gefährden. Darauf weisen Fachleute zehn Tage vor dem Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems hin. „Erdogans Macht und Ansehen basieren auf ökono-mischen Erfolgen. Wenn die jetzt ausbleiben, gibt es ein Legitimationsproblem”, sagt der Sozialwissenschaftler und Ökonom Yasar Aydin von der Hafencity Universität Hamburg.
Ob sich der Niedergang schon in der Volksabstimmung am 16. April zeigen werde, sei unklar, noch ergäben die Umfragen ein Patt zwischen Ja- und Neinstimmen. „Aber sicher ist, dass die hohe Jugendarbeitslosigkeit mittelfristig für die AKP bedrohlich werden kann.” Die Befürworter eines Präsidialsystems wollen mit der Verfassungsänderung die Machtverhältnisse stabilisieren und transparenter machen. Die Gegner befürchten, dass sich die Türkei zu einer Autokratie unter Erdogan entwickelt.
Die jüngsten Wirtschaftsdaten zeichnen ein düsteres Bild. Im vierten Quartal 2016 ist das Bruttoinlandsprodukt im Vorjahresvergleich um 3,5 Prozent gewachsen. Das war mehr als erwartet, aber nicht einmal halb so viel wie im gleichen Zeitraum 2015. Die Inflation ist im März auf den höchsten Stand seit dem Krisenjahr 2008 gestiegen. Die Verbraucherpreise kletterten im Jahresvergleich um 11,3 Prozent. Besonders stark war die Zunahme bei Nahrungsmitteln, in der Gesundheit und im Transport. Die Kerninflation ohne stark volatile Güter wie Essen und Energie wuchs auf 9,5 Prozent.
Die Geldentwertung verläuft inzwischen doppelt so schnell, wie es das Ziel der Zentralbank von 5 Prozent vorsieht. Beschleunigt wird der Preisauftrieb durch den Wertverlust der Landeswährung Lira. Die hat sich zwar seit ihrem Rekordtief im Januar gefangen, doch verteuern die Wechselkursverluste weiterhin die Importe. Die Produzentenpreise sind im März um 16 Prozent gestiegen. Das war die stärkste Zunahme seit neun Jahren.
Die AKP sei auch deshalb gewählt worden, weil sie dem Land ein hohes Wachstum beschert und die Inflation besiegt habe, sagt Digdem Soyaltin, Politikwissenschaftlerin an der privaten Kemerburgaz-Universität in Istanbul. Man dürfe nicht vergessen, dass der Preisauftrieb in den neunziger Jahren 80 Prozent betragen habe. Jetzt kehre das Gespenst der Geldentwertung zurück. Belastend wirkten auch das wachsende Leistungsbilanzdefizit und die steigende Arbeitslosigkeit: „Die Wirtschaftsprobleme könnten die AKP vor Herausforderungen stellen, wenn die nächste Runde der Reformen ausbleibt.”
Jüngsten Daten des Statistikamts in A kara zufolge betrug die Arbeitslosenquote im Zeitraum November bis Januar 12 Prozent. Das waren fast 3 Prozentpunkte mehr als vor Jahresfrist und markiert den höchsten Stand seit annähernd sieben Jahren. Besonders gravierend ist die Jugendarbeitslosigkeit zwischen 15 und 24 Jahren. Hier stieg der Wert von 19, auf 24 Prozent.
„Die teuren Nahrungsmittel und die hohe Arbeitslosigkeit sind ein Riesenproblem”, sagt Felix Schmidt, Landesche der Friedrich-Ebert-Stiftung in Istanbul „Die Regierung versucht gegenzusteuern aber natürlich kratzen die schlechten Zahlen an ihrem Image und kommen vor den Referendum höchst ungelegen.”
Günter Seufert, der Türkei-Fachmann der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, weist darauf hin, dass selbst unter den AKP-Anhängern ein Fünftel die Wirtschaft für „schlecht gemanagt” halte. Die große Mehrheit der Türken glaube auch nicht an das Versprechen, dass wieder alles ins Lot geraten werde, wenn die Bevölkerung mit dem Referendum für klare Machtverhältnisse sorge.
Ob das Regime sicher im Sattel sitzt, habe aber eher mit politischen Fragen zu tun: „Nicht die Wirtschaft ist wahlentscheidend, sondern der Diskurs von der Rettung des Vaterlandes.” Die AKP mache für alle Fehlentwicklungen dunkle Mächte verantwortlich und stilisiere sich als die einzige Kraft, die das Land vor dem Terror, der Spaltung und der Einflussnahme von außen schütze. Allgemein wird erwartet, dass das Referendum fair und transparent ablaufen wird. Der Wahlkampf jedoch sei ungerecht gewesen, da die Opposition nicht dieselben Möglichkeiten gehabt habe. Aydin verweist darauf, dass der Ausnahmezustand andauere, obgleich der Vize-Regierungschef versichert hatte, unter diesen Bedingungen kein Referendum abzuhalten.
Demoskopen erwarten ein Kopf-an-Kopf-Rennen, „wobei der Streit mit Europa Erdogan kräftig geholfen hat”, wie Seufert sagt. Dennoch neigten sogar unter den AKP-Wählern 20 Prozent zu einem „Nein”. Die Meinungsforschungsinstitute seien recht zuverlässig. In ihren Reihen habe es Festnalunen gegeben, weil einige Ergebnisse nicht im Sinne der Staatsführung ausfielen.
Internationale Wirtschaftsvertreter beteuern zwar, dass Erdogans mögliche Ein-Mann-Herrschaft dem Standort schade. Tatsächlich aber scheinen Investoren in erster Linie an Stabilität interessiert zu sein. Sinan Goksen, Analyst der Denizbank in Istanbul, erwartet deshalb, dass die Finanzmärkte auf ein „Ja” positiver reagieren werden als auf ein „Nein”. Denn Letzteres bedeute Unsicherheit und möglicherweise Neuwahlen.