MESOP NEWS SPECIAL : ERDOGAN’S CRIMES / ERDOGAN’S VERBRECHEN IN YÜKSEKOVA – Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) und Menschenrechtsvereins (IHD)
Bericht über die 79 Tage dauernde Ausgangssperre in Yüksekova (Hakkari) – vom 13.03.2016 bis zum 30.05.2016 – Übersetzung durch das Demokratische Türkeiforum
- Juni 2016 – Am 13. März 2016 verhängte das Gouverneursamt von Hakkari eine Ausgangssperre für das Zentrum des Kreises Yüksekova und am 30. März 2016 auch für das Dorf Vezirli und den Weiler Çimenli ab dem 30. März 2016 bis auf weiteres. Insgesamt dauerten die Ausgangsperren 79 Tage, in denen der Kreis Yüksekova in der Provinz Hakkari vollständig von der Außenwelt abgeschnitten warObwohl in dieser Zeit eine Vielzahl von Berichten über Menschenrechtsverletzungen bei der TIHV einging, war es nicht möglich, das Gebiet zu besuchen und eigene Feststellungen zu treffen. Am 30. Mai 2016 wurden die Ausgangssperren teilweise, für die Tagesstunden, aufgehoben. Zur Begründung hieß es: „Um sicherzustellen, dass die Maßnahmen unserer Sicherheitskräfte zur öffentlichen Ordnung in wirkungsvoller Weise fortgesetzt werden können und zur Verhinderung der Störung der öffentlichen Ordnung werden die Ausgangssperren für Yüksekova, das Dorf Vezirli und den Weiler Çimenli ab Montag, dem 30. Mai 2016 täglich von morgens 6:00 Uhr bis abends 20:00 Uhr teilweise aufgehoben…“ Für den Ramadan wurde die Zeit ab 5.6.2016 bis 22:00 Uhr erweitert.
- Ziel der Delegation
Nach teilweiser Aufhebung der Ausgangssperre begab sich eine Delegation aus Mitgliedern des Menschenrechtsvereins (IHD) und der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) in das Gebiet, um die Berichte über Menschenrechtsverletzungen aufzunehmen, Aussagen aufzuzeichnen, Unterstützungsbedarf festzustellen und zukünftig zu treffende weitere Maßnahmen vorzubereiten.
- Teilnehmer der Delegation
- Öztürk Türkdoğan – Vorsitzender des IHD
- Hasan Anlar – Generalsekretär des IHD
- Raci Bilici – stellvertr. Vorsitzender des IHD und Vorsitzender der Geschäftsstelle Diyarbakır des IHD
- İsmail Akbulut – Mitglied des Exekutivkomitees des und Vorsitzender der Geschäftsstelle Hakkari
- Muhterem Süren – Geschäftsstelle Diyarbakır des IHD
- Ümit Efe – Vertreterin des TİHV İstanbul
- Serkan Delidere- Sachverständiger des TİHV
- Murat Melet – Vorsitzender des IHD Van
- Tayyip Temel – Vertreter des IHD Yüksekova
- Cüneyt Caniş – Aktivist des IHD Van
- Hintergrund der Ausgangssperren
Festzustellen ist, dass in der Erklärung zur Verhängung der Ausgangssperren keine Aussagen darüber gemacht wurden, „wie die Bedürfnisse der Bürger gedeckt werden, wie die Ernährung und die grund-legenden Lebensbedürfnisse sichergestellt, wie eine sichere Evakuierung durchgeführt werden würde, wie das Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung sichergestellt werden sollte und ob und auf welche Weise die Häuser der evakuierten Bewohner*innen geschützt werden würden“.
Die Rechtmäßigkeit der Verhängung von Ausgangssperren ist auf dem Hintergrund internationaler Menschenrechtsvereinbarungen und auch der türkischen Verfassung fragwürdig. Die Möglichkeit der Verhängung von Ausgangssperren ist durch die Gesetze auf ganz bestimmte Ausnahmesituationen beschränkt, eine tagelange ununterbrochene Ausgangssperre ist gesetzlich überhaupt nicht vorgese-hen, wird aber umfassend angewandt. Dies bedeutet auch, dass die Regierung mittels der Gouver-neure und Landräte sich ihren Verpflichtungen nach Artikel 15 der Europäischen Menschenrechts-konvention entzieht.
- Rahmen der Untersuchung
Die Untersuchung umfasst Gespräche und Beobachtungen in allen erreichbaren Ortsteilen des Ge-bietes, in dem die Ausgangssperren verhängt waren, Gespräche mit Menschen, die während der Ausgangssperren Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen wurden, mit Zeugen und Beschwer-deführern sowie mit sämtlichen offiziellen zuständigen Behörden und Einrichtungen.
- Feststellungen und Beobachtungen in den Ortsteilen
A: Die Delegation traf um 10:10 Uhr in Yeniköprü ein, wo sie von Polizeibarrikaden angehalten wurde. Es war zu beobachten, dass sich hier lange Schlangen von Menschen gebildet hatten, die nach der Aufhebung der Ausgangssperre in ihre Häuser zurückkehren wollten.
B: Am Ortseingang Yüksekova befand sich ein zweiter Polizeikontrollposten. Auch hier gab es Warte-schlangen. Alle Personen wurden durchsucht und registriert, bevor ihnen der Zutritt in die Stadt ge-stattet wurde.
Ein rotes, mit Werbeplakaten beklebtes Coca-Cola-Fahrzeug wurde ohne jede Kontrolle eingelassen.
Die Rückkehrenden berichteten, dass diejenigen, die bis zum Beginn der teilweisen Ausgangssperre ab 20:00 Uhr nicht eingelassen worden waren, umkehren mussten. Es wurden entsprechende Beobachtungen gemacht.
C: Die Polizisten waren in Zivil, einige waren durch die Aufschrift „Polizei, SEK“ auf ihrer schusssicheren Weste oder dem T-Shirt als solche zu erkennen, aber im Allgemeinen trugen sie lediglich schuss-sichere Westen. Sie trugen automatsche Gewehre in den nackten Händen und Pistolen am Gürtel. Sie alle erschienen unrasiert und schmutzig. Es gab keine Beschriftungen oder Nummern, die darauf hinwiesen, dass es sich um Polizisten handelte. Bei Rechtsverstößen konnte so nicht sofort festgestellt werde, ob es sich um Polizisten handelte.
D: An den mit Polizeibarrikaden abgesperrten Übergangsstellen und entlang der Wege fanden sich keinerlei Einrichtungen zur Deckung der sozialen oder gesundheitlichen Bedürfnisse der Bevölkerung. Es war sogar schwierig, Trinkwasser zu finden. Die Bevölkerung wurde mit stundenlangem Warten bei Temperaturen von 23 Grad ziemlich schikaniert.
E: Bei den in langen Schlangen wartenden Fahrzeugen handelte es sich meist um kleinere Lastwagen, die mit Haushaltsgegenständen beladen waren. Sie wurden nach dem Einlass oberflächlich von Sicherheitskräften durchsucht.
F: Beim Eintritt in die Stadt Yüksekova wurden Beschädigungen an den Plätzen und Gebäuden festge-stellt. An den Wänden der Selahattin-Eyübi-Schule waren Einschussspuren zu sehen.
G: Der Anblick beim weiteren Vordringen in die Stadt glich einem Anblick aus dem Krieg. Man kann sagen, dass man mit einer vollkommen verbrannten und zerstörten Stadt konfrontiert war. Die Häuser, insbesondere die Läden von Kleinhändlern, Schulen, Moscheen etc. – fast alles war zerstört. An den Außenfassaden der Gebäude fanden sich im Allgemeinen keine Spuren von Schüssen oder von bewaffneten Kämpfen. Zwar waren an einigen Gebäuden Spuren von Projektilen zu sehen, aber bei der Mehrzahl der Gebäude waren Spuren festzustellen, die unserem Eindruck nach von Waffen, wie Mörsergranaten, Raketenwerfern oder Bombenwerfern stammten; meist war das Innere der Gebäu-de verbrannt, manche Gebäude waren völlig niedergebrannt, in jedem Haus waren alle Gegenstände, die einen gewissen Wert darstellen, wie etwa Fernseher, Kühlschrank, Waschmaschine, Computer etc. durch Schläge mit einem Vorschlaghammer oder durch Tritte zerstört. Hausbesitzer berichteten, dass wertvolle Gegenstände aus den Häusern weggetragen worden seien. In einigen Häusern, die wir betraten, waren an den Innenwänden Spuren von Projektilen zu sehen. Die Räume, in denen derartige Spuren festzustellen waren, waren völlig verbrannt.
H: Es war festzustellen, dass nur ein geringer Teil der Bevölkerung in der Stadt geblieben war. Bei den Gesprächen erklärten die Bewohner, sie hätten über Durchsagen über die Moscheelautspecher von der Ausgangssperre erfahren und hätten dann die Stadt verlassen. Allgemein gaben sie an, sie hätten aufgrund früherer Erfahrungen mit Ausgangssperren gedacht, sie hätten keine Sicherheit für ihre Ehre und ihr Leben und hätten deshalb die Stadt verlassen, um nach Aufhebung der Sperren zurück-zukehren.
I: Die Delegation berücksichtigte bei der Analyse der Zerstörung alle Möglichkeiten. In verbrannten und zerstören Häusern und Läden waren drei Halbmonde an die Wände gezeichnet. Aussagen, wie „Die T(ürkische) R(epublik) ist gekommen, wo seid ihr Kleidertragende?“ „Grüße von der Gruppe Yüksekova“, „Ort Kırşehir Çiçekdağı“, „Izmir’er in Yüksekova“, „Die Hähne von Denizli“, „Grüße aus Yüksekova in der TR“, „Kommando“, „Die Enkel der Çepni (ein Oghusen-Volksstamm; d. Übers.) in Yüksekova“, „Dereli, Sungurlu 19“ waren an Wände im Inneren von Häusern, an Straßenmauern und Ladenwände geschrieben. Der Spruch „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Liebling“ an der Wand eines völlig niedergebrannten, zerstörten Hauses weist darauf hin, wer diese Zerstörungen bewirkt hat und stimmt hinsichtlich Art und Weise, kultureller Haltung und Stil mit dem Verhalten überein, das wir bei den seit Längerem von uns beobachteten Kräften, wie PÖH, JÖH, ÇÖH und allen mit diesen gemeinsam handelnden militärischen und paramilitärischen Kräften überein. Derartige Bilder wurden auch auf den Kommunikationsplattformen dieser Gruppen in den sozialen Medien wie Twitter geteilt. Darüber hinaus machte die Art dieser Beschriftungen deutlich Eindruck, als ob sie die Unterschrift derjenigen seien, die sich zu dieser Aktion bekannten, und fast alle wiesen darauf hin, dass es Mitglieder der Sicherheitskräfte waren, die diese Beschriftungen angebracht haben.
İ: Es gibt eine starke Polizeipräsenz in Yüksekova. Wir konnten sehen, wie Polizisten bei Öfen, die sie aus den Häusern auf die Straße geholt hatten, Tee tranken. Den Angaben zufolge kann trotz der massiven Polizeipräsenz nicht von einer schnellen und effektiven Arbeit der zuständigen Behörden zur Lösung der Probleme gesprochen werden. Die HDP-Abgeordnete Selma Irmak wies darauf hin, dass es immer noch Hinterlassenschaften aus den Kämpfen gebe, die eine Gefahr für das Lebensumfeld der Bewohner darstellen. Sie sprach davon, dass diesbezügliche Eingaben an das Gouverneursamt nicht schnell genug bearbeitet würden und diese Abfälle eine Bedrohung darstellten, dass sie einige Materialien, wie Handgranaten, gemeldet hätten, jedoch keinerlei Maßnahmen getroffen worden seien. Während der Arbeit unserer Delegation war der Lärm von vier kontrollierten Sprengungen zu hören; ein Teil der Delegation konnte deswegen eine Zeitlang den Ort nicht verlassen. Unsere Dele-gation hat auch Projektile und explodierte Raketen gefunden, jedoch keine aktiven derartigen Ge-genstände festgestellt.
J: Die Menschen, die unter außerordentlich ungesunden und unmöglichen Bedingungen in die Stadt zurückkehren, um ihr Leben erneut zu beginnen, werden sozusagen gezwungen, wieder zu gehen. Den Familien, die ihre Häuser zerstört vorfinden, wird nicht erlaubt, Zelte vor ihren eigenen Häusern aufzubauen; dies wurde durch das Gouverneursamt verboten.
BESUCH BEI DER STADTVERWALTUNG
Es wurde festgestellt, dass der Co-Bürgermeister Tacettin Safa, gegen den ein Festnahmebefehl vorliegt, nicht im Amt war; die Co-Bürgermeisterin Adile Kuzey empfing die Delegation jedoch und er-klärte: „Zu sehen, dass sich jemand um uns sorgt, macht uns Hoffnung für den Wiederaufbau“.
Der Vorsitzende des IHD, Öztürk Türkdoğan, formulierte das Ziel der Delegation mit den Worten: „Wir waren schon während der noch anhaltenden Ausgangssperre hier und wollten in die Stadt, was uns aber nicht gelang. Nun sind wir hier, um die Ereignisse zu dokumentieren, die Fotos, die die Wahrheit abbilden, aufzunehmen und dies der nationalen und internationalen Öffentlichkeit zu be-richten.“
Adile Kuzey (stellvertretende Bürgermeisterin von Yüksekova) berichtete der Delegation mit fol-genden Worten über die Ereignisse:
„Über Twitter meldeten sie: „Wir erfüllen die Anordnung unseres Staatspräsidenten“. Dann begannen sie mit der Zerstörung und Plünderung. In dieser Zeit wurden ein stellvertretender Vorsitzender und ein Mitglied des Gemeinderates inhaftiert. Wir haben ca. 79 Tote festgestellt. Während der Blockade verblieb im Ortsteil Esenyurt in jedem Haus eine Person. Die Operation dauerte 30 Tage an. Da die Ausgangssperre auch nach der Operation andauerte, konnte die Bevölkerung nicht nach draußen.
Die Öffentlichkeit hat sich nicht um Yüksekova gekümmert. Die Ausgangssperre wurde neben dem Stadtzentrum auch für zwei Dörfer verhängt. Nach dem Ende der Operation begannen die „Sicher-heitskräfte“, die Häuser abzubrennen, einzureißen und zu plündern. In den Ortsteilen Esenyurt und Ipekyolu gab es während der Blockade keinen Strom und kein Wasser. Noch immer werden 8 Ortsteile nicht mit Strom und Wasser versorgt. Die Trinkwasserversorgung wird durch Tanklaster der Stadt-verwaltung sichergestellt. Auch in Ortsteilen, in denen es keine Gräben und Barrikaden gab, kam es zu Brandschatzungen und Zerstörungen durch die Sicherheitskräfte.
Es gibt eine ernstzunehmende Abwanderung. Nahezu drei Viertel der Bewohner des Ortsteils Cumhu-riyet haben Yüksekova verlassen, das sind bis zu 7-8 Tausend Einwohner. Wir warten auf Unterstüt-zung, um diese Stadt wieder aufzubauen und das Leben zu beginnen…“
Selma Irmak (Abgeordnete der HDP Hakkari in der 25. Periode) berichtete über die Ereignisse:
„Man muss feststellen, dass die Unterstützung, die den Bewohnern von Yüksekova gewährt wird, um wieder auf die Beine zu kommen, unzureichend ist. Die schmerzvollen Erlebnisse müssen ans Tages-licht gebracht werden, damit die Traumata schneller überwunden werden können. Den Feststellungen zufolge wurden 5.000 Gebäude unbenutzbar gemacht und 15.000 Gebäude beschädigt. Es ist möglich, dass diese Zahlen mit weiteren Feststellungen noch steigen. Die Zerstörungen machen eine Rück-kehr unmöglich, Wasser- und Stromversorgung wurden schwer beschädigt, bei einigen Häusern wur-den die tragenden Pfeiler und Balken zerstört.
Insbesondere in den Ortsteilen Cumhuriyet und Güngör wurden nach dem Ende Operation Häuser von innen her angezündet. In einigen Wohnungen wurden die Kleider der Frauen zerrissen und zerschnit-ten vorgefunden, traditionelle Kleidung war verbrannt worden. An manchen Orten wurden Gegen-stände, die aus dem einen Haus stammten, in einem anderen Haus gefunden. Von zwei nebeneinan-der stehenden Häusern ist das eine verbrannt, das andere nicht. Das dient der Aufhetzung der Men-schen gegeneinander. An den Kontrollpunkten sollen Soldaten gerufen haben: „Dies hier ist nicht mehr Yüksekova, dies ist jetzt ‚Yeşilova‘, dies gehört jetzt uns.“
Es gibt Befürchtungen, dass an einigen Orten chemische Waffen eingesetzt wurden. Einige Leichen waren schwarz. Hier werden Fachkräfte benötigt, um das zu untersuchen.
In der Gerichtsmedizin von Erzurum liegen 79 Leichen. 3 dieser Körper sind unvollständig, bei zwei weiblichen Leichen ist der Kopf vom Körper getrennt, 1 Leiche wurde von einem Panzerfahrzeug mit Ketten überfahren. Darüber hinaus wurden 52 Tote auf dem Friedhof für Menschen ohne Angehörige bestattet. In der Presse wurde ein Foto veröffentlicht, auf dem eine Katze zu sehen ist, die an einer Leiche frisst. Die Identität dieser Leiche konnte nicht festgestellt werden. Es finden sich an diesem Körper keinerlei Verletzungsspuren. Das lässt auf eine Hinrichtung schließen.
Die Leiche eines Schuldirektors ist nicht aufzufinden; man weiß nicht, wo sie ist. In den Straßen befin-den sich immer noch Sprengstoffe, es wurden diesbezüglich keinerlei Vorkehrungen getroffen. Es ist nicht möglich, die Sicherheitsdirektion, Abgeordnete oder Bürgermeister telefonisch zu erreichen.
Unter den Kindern ist eine Windpockenepidemie ausgebrochen, da wird medizinische Versorgung gebraucht. Beim Vieh sind Milzbrand und Maul- und Klauenseuche ausgebrochen; auch hier muss eingriffen werden.
Menschen, die ihre Häuser verloren haben, bauen Zelte an der Straße oder in ihren Gärten auf. Das Gouverneursamt drohte jedoch Zeltbauern mit Maßnahmen, die Sicherheitskräfte greifen ein, wenn Zelte aufgebaut werden.Gesundheitsdienste und Schulunterricht müssen schnellstens wieder aufgenommen werden. Dafür müssen die zu Kommandozentralen umfunktionierten Schulen und Gesundheitszentren renoviert wer-den.“
AUGENZEUGENBERICHTE AUS DEN ORTSTEILEN:
Ortsteil Cumhuriyet
- Interview: 50 Jahre alt, männlich
(in den eigenen Worten der Person)
“Wir lebten im Ortsteil Cumhuriyet, Kaniheyder Caddesi 24. Einen Tag vor der Ausgangssperre waren wir ins Dorf Esendere gegangen. Vor ein paar Tagen kam ich hierher, um zu schauen, wie unser Haus aussieht. Wie Sie sehen, ist das Haus völlig zerstört. Die Wohnung befand sich in der zweiten Etage, unten befand sich unser Lebensmittelladen. Jetzt ist nichts mehr da. Wir sind bei Bekannten im Dorf untergekommen. Meine Frau und unsere fünf Kinder sind immer noch dort. Ich bin hergekommen, um nach dem Haus zu sehen. Ich werde wieder dorthin gehen. Gestern wurde der Unterricht in den Grundschulen wieder aufgenommen, aber meine Kinder können nicht hingehen. Denn sie sind immer noch hier registriert. Für das Haus und den Laden haben wir einen Rechtswalt beauftragt. Eine Klage wird vorbereitet, ist aber noch nicht eingereicht.“
- Interview: 51 Jahre alt, weiblich
(in den eigenen Worten der Person)
„“Wir lebten im Ortsteil Cumhuriyet, Kaniheyder Caddesi 22. Am Tag des Beginns der Ausgangssperre verließen wir den Ort und kamen bei meiner Schwägerin im Dorf Güvenli unter. Ich habe 3 Kinder. Ich lebte mit meiner 25-jährigen Tochter zusammen. Mein Mann ist vor einigen Jahren verstorben. Meine Tochter ist jetzt im Dorf, zusammen mit den Kindern meiner Schwägerin. Ich bin hergekommen, um nach dem Haus zu sehen. Ich dachte, vielleicht finde ich ein paar Sachen, die heil geblieben sind, die ich mitnehmen kann, aber Sie sehen ja, ist hier noch etwas Heilgebliebenes zu finden?“
- Interview: Zeuge / Zeugin möchte den Namen nicht nennen
(in den eigenen Worten der Person)
„Wir wohnten im Ortsteil Cumhuriyet, 703. Straße Nr. 11. Wir sind schon früh weggegangen. Besser gesagt, Ich habe meine Kinder Ende Januar nach Van gebracht. Wir haben eine Wohnung in Van ge-mietet, aber ich bin nach Beginn der Ausgangssperre noch eine Zeitlang hier geblieben. Solange ich hier war, habe ich keinerlei Lärm von bewaffneten Auseinandersetzungen gehört. Es gab nur intensi-ven Lärm von Granatwerfern. Unser Haus ist nicht eingerissen worden, aber die Gegenstände darin wurden beschädigt. Zum Beispiel war noch ein Laptop da, den haben sie zerstört. Eine Klage ist in Vorbereitung. Wir werden Klage einreichen. Zur Schadensfeststellung wird auch seitens des Landrats-amtes gearbeitet, aber das Landratsamt verlangt unter anderem auch einen „Auszug aus dem Straf-register“. Also, wenn du einen Eintrag im Strafregister hast, wird der Schaden an deinem Haus nicht aufgenommen. Nachdem wir nach Van gezogen sind, haben wir eine einmalige Mietbeihilfe in Höhe von 500 TL von der Stiftung für soziale Unterstützung und Solidarität bekommen.“
- Interview: Zeuge / Zeugin möchte den Namen nicht nennen
(in den eigenen Worten der Person)
„Wir wohnten im Ortsteil Cumhuriyet, 703. Straße Nr. 13. Ein paar Stunden vor Beginn der Ausgangs-sperre sind wir gegangen. Wir sind nach Van gezogen und haben ein zweistöckiges Haus gemietet. In diesen zwei Stockwerken wohnen wir mit 11 Personen. Wir haben eine einmalige Mietbeihilfe in Höhe von 500 TL von der Stiftung für soziale Unterstützung und Solidarität bekommen.“
- Interview: 60 Jahre alt, männlich
(in den eigenen Worten der Person)
“Wir lebten im Ortsteil Cumhuriyet, Kaniheyder Caddesi 113. Am Tag, als die Ausgangssperre begann, sind wir nach Van gegangen. Noch als wir noch zu Hause waren, die Ausgangssperre noch nicht be-gonnen hatte, wurde vom Militärbataillon mit Mörsern geschossen. Es traf das Haus unseres Nach-barn. Unter dieser Angst sind wir weggegangen. Mit meiner Frau und unseren sieben Kindern haben
wir eine Wohnung genommen. Die Kinder haben in Van ihre Schule fortgesetzt. Von der Stiftung für soziale Unterstützung und Solidarität haben wir eine einmalige Mietbeihilfe in Höhe von 500 TL be-kommen. In Van zahlen wir 600 TL Miete. Hinzu kommen die Ausgaben.“
An der nahe bei liegenden Melle-Murat-Moschee wurden Teile von Panzermunition und Einschuss-spuren festgestellt.
- Interview: Zeuge / Zeugin möchte den Namen nicht nennen
(in den eigenen Worten der Person)
„Wir wohnten im Ortsteil Cumhuriyet, 714. Straße Nr. 15. Einen Tag vor Beginn der Ausgangssperren sind wir nach Van ausgewandert. Wir sind acht Brüder und sind alle mit unseren Frauen und Kindern fort gegangen. Wir haben in Van-Edremit 3 Wohnungen in den Sozialbauten gemietet, wo wir mit 6 Familien eingezogen sind. In dieser Zeit ist einer unserer Brüder zum Arbeiten nach Istanbul und einer zum Arbeiten in den Irak gegangen. Wir haben eine einmalige Mietbeihilfe in Höhe von 500 TL be-kommen. Die Metropolverwaltung Van hat uns zweimal Lebensmittelpakete gebracht.“
Ortsteil Güngör
Die Delegation begann die Besichtigung im Ortsteil Güngör auf der Straße 23 Nisan Caddesi.
An den ersten drei Häusern, denen wir uns gegenüber sahen, waren an den Außenwänden keinerlei Einschussspuren o.ä. zu sehen, jedoch waren die Zwischengeschosse verbrannt worden. An einigen waren Löcher von großem Durchmesser in den Wänden festzustellen, die von einem Beschuss mit Waffen, wie Granaten oder Raketen verursacht wurden. Wir betraten den an der Straße gelegenen Laden ‚Jiyan Market‘. Nach Sprengung der Rückwand war der Laden betreten worden. Die Fenster-scheiben an der Straßenfront des Gebäudes waren völlig zerstört, die Scherben lagen im Laden. Die in den Regalen befindlichen Waren waren auf dem Boden verstreut, Gegenstände, wie Computer und automaische Kasse waren zerstört worden. Die zerbrechlichen Gegenstände, die sich in den Re-galen der Haushaltswarenabteilung im Obergeschoss befunden hatten, waren zerbrochen und auf den Boden geworfen worden und durch Darübergehen in kleinste Scherben zerbrochen. An die Wand der Haushaltswarenabteilung im dritten Stock waren drei Halbmonde gezeichnet worden.
Waren, wie Cracker, Kekse, Schokolade, Zahnpasta und –bürsten, Herren-Unterwäsche. Parfum, Damenunterwäsche und Erfrischungsgetränke waren weggenommen, geplündert worden. Auch Münz-geld in Höhe von nahezu 300 TL war gestohlen worden. Ein Computer ist weg. Gegenstände, die zum Laden gehörten, waren in andere Häuser gebracht worden, wo sie später gefunden wurden.
- Haus
Bei der Inaugenscheinnahme beim Betreten des Hauses war festzustellen, dass es vollkommen zer-stört wurde. Die Wände fast aller Etagen waren durchlöchert, so dass man von einem Raum in den nächsten gelangen konnte. Es wurde festgestellt, dass einige Teile des Hauses verbrannt waren und großer Schaden angerichtet worden war. Auch in diesem Haus wurden, Erklärungen zufolge, viele wertvolle Gegenstände zerbrochen, auf den Boden geworfen und unbrauchbar gemacht. An einem auf dem Boden liegenden Plasma-Fernsehgerät waren noch Stiefelspuren zu sehen. Es wurde festge-stellt, dass dieses aus fünf Stockwerken bestehende Gebäude vollkommen unbewohnbar gemacht worden war.
Es war zu sehen, dass in den Ladengeschäften im Erdgeschoss dieses Hauses traditionelle Kleider und Waren zerstört worden waren. Den Angaben der umstehenden Beobachter zufolge waren die Ge-schäfte völlig ausgeräumt worden.
Bei dem dem ‚Jiyan-Market‘ auf der anderen Straßenseite gegenüber liegenden mehrgeschossigen Gebäude war festzustellen, dass sämtliche Etagen völlig verbrannt waren. Die umstehenden Beobachter erklärten unserer Delegation gegenüber, es habe sich um ein Möbelgeschäft gehandelt, das samt Inventar völlig niedergebrannt worden sei.
Es wurde festgestellt, dass der ‚Samsung‘-Laden, der ebenfalls an der Straße liegt, völlig verbrannt wurde.Die Beobachter teilten mit, dass in der 902. Straße an der Hauptstraße 23 Nisan Caddesi sämtliche elektrischen Leitungen der Straße am Boden lägen und sämtliche Trafos verbrannt worden seien.
- Haus
Beim Weitergehen auf der 902. Straße an der Hauptstraße 23 Nisan Caddesi wurde bei einem Haus, das noch Reste des ursprünglich altrosafarbenen Außenanstrichs aufwies, festgestellt, dass die tragenden Pfeiler des dreigeschossigen Hauses zerbrochen waren, das Innere des Hauses zerstört und verbrannt und dadurch unbewohnbar gemacht worden war. Die tragenden Pfeiler dieses Hauses waren in Zick-Zack-Muster gebrochen. Das Innere war völlig verbrannt und zu einem unglaublichen Trümmerhaufen gemacht worden. An den Außenfassaden dieser Häuser waren keine Spuren von Einschüssen zu sehen. Es wurden Brandspuren festgestellt, und die Gegenstände müssen mit Äxten oder Tritten oder auf ähnliche Weise zerstört worden sein. An nahezu keinem der Häuser waren Spu-
ren von Einschüssen zu sehen. Die Zerstörungen an den Häusern müssen durch schwere Waffen her-beigeführt worden sein. Im Allgemeinen waren diese Häuser teilweise verbrannt und völlig zerstört worden. Es war eine Zerstörung zu beobachten, die nahezu überall gleich aussah. Die Einrichtung der Häuser waren geplündert, verstreut und verbrannt worden, die Pfeiler waren zerstört worden. Am Boden fanden sich Projektile und Patronen von automatischen Waffen aus der Herstellung der MKE (Institut für Maschinen- und Chemieindustrie). Es fand sich ebenfalls ein zu diesen Patronen passen-der khakifarbener Patronengürtel, der fotografiert wurde.
- Haus
Von außen war zu sehen, dass dieses Haus vollkommen niedergebrannt war. Es handelte sich um ein aus Lehmziegeln gebautes Haus, an den rückwärtigen Wänden des Hauses fanden sich Einschüsse und Spuren von Mörsergranaten. Es wurde festgestellt, dass in dem Haus zwei Haushalte gewohnt hatten und dass alle Gegenstände völlig verbrannt worden waren. Es wurde ebenfalls festgestellt, dass das Dach dieses Hauses weggesprengt worden war.
- Haus
Es wurde festgestellt, dass dieses fünfstöckige Gebäude von Soldaten als Kommandozentrale benutzt worden war, die Einrichtung aus dem unteren Stockwerk war nach oben gebracht worden, und Sand-säcke waren als Deckung vor Fenstern und auf Balkonen aufgestapelt worden.
ZERSTÖRTE MOSCHEEN
Es wurde festgestellt, dass in dieser Straße sämtliche Häuser, zwei Moscheen sowie zwei Schulen und ein Kindergarten mit Granatwerfern oder ähnlichen Waffen zerstört wurden. Bei einer der Moscheen handelt es sich um die im Ortsteil Cumhuriyet befindliche Hz.-Ömer-Moschee.
WEITERE ZERSTÖRUNGEN
Bei den Untersuchungen wurde festgestellt, dass alle in diesem Bereich befindlichen Häuser, Gebäu-de und Einzelhandelsläden verbrannt und insbesondere die Geschäfte, deren Schaufensterläden ge-schlossen gewesen waren, aufgebrochen und das Innere in Brand gesetzt worden war. Schulen, Moscheen u.ä. waren vollkommen zerstört worden.
Kudret Aksu, die ihren Sohn Süleyman Aksu bei dem Massaker von Suruç verloren hatte, wohnt in Şahintepe im Ortsteil Yeşildere in einem dreistöckigen Haus. Sämtliche Gegenstände und Erinnerungsstücke dieser Mutter wurden zerstört und verbrannt. Ihr blieb kein Erinnerungsstück an ihren Sohn mehr. Es war ein schrecklicher Angriff auf die ideellen Besitztümer einer Mutter.
Feststellungen im Gebäude, das Sitz der IHD-Vertretung Yüksekova ist:
Das Büro der Vertretung der IHD befindet sich in einem achtstöckigen Gebäude, in dem sich Büros von NGOs befinden. Es wurde festgestellt, dass die Fenster des IHD-Büros zerbrochen, das Firmen-schild abgerissen und auf den Boden geworfen, das Büro vollkommen durcheinander gebracht und die Einrichtung beschädigt worden war. Die Bilder der ‚Samstags-Menschen‘ und von im Gewahrsam verschwundenen Menschen waren zerrissen und auf den Boden geworfen, eine Vielzahl von Bildern entwendet worden, ein Teil der Trikots, auf denen ‚IHD‘ stand, waren zerrissen worden und wahllos in dem achtstöckigen Gebäude verteilt worden.
ORTSTEIL KIŞLA
5-6 aneinander gebaute einstöckige Ladengeschäfte am Eingang der Hauptstraße Askerlik Subesi Caddesi waren völlig niedergerissen, lediglich Betonschutt war noch zu sehen. Es liegen keine Infor-mationen über die in den Läden befindlichen Waren und Materialien vor. Ein aus 3 Wohnungen und 5 Ladengeschäften bestehendes zweistöckiges Gebäude ist völlig zerstört. Sämtliche Gebäude neben
dem Volksbildungszentrum sind niedergerissen. Das Gebäude des Familien-Gesundheits-zentrums wurde verbrannt. Die tragenden Pfeiler im 3. und 4. Stockwerk wurden zerschnitten.
7-8 nebeneinanderliegende Gebäude auf der Kışla-Straße sind völlig niedergerissen, sie sind ver-schwunden. Die Eigentümer dieser Häuser erklärten in unserem Gespräch, ihre Häuser seien seitens des Staates mit Maschinen eingerissen worden. Es sei vonseiten der Behörden nicht gestattet worden, Zelte in den Gärten der Häuser aufzustellen. Die Menschen lagerten auf der Straße, sie hätten kein Trinkwasser, sie nutzten das von der Stadtverwaltung mit Tankwagen verteilte Wasser. Die Einrichtungen dieser Häuser seien unter den Trümmern begraben, ihre Wertgegenstände seien geplündert worden. Ihre Erinnerungen und ihre Vergangenheit lägen unter diesen Trümmern.
Die Bewohner*innen des Stadtteils hätten den Stadtteil am 12. März verlassen, viele ihrer Besitztü-mer seien nicht mehr zu finden, sie seien geplündert worden.
Wie auch auf den Fotografien zu sehen, wurden die tragenden Pfeiler von mehrstöckigen Gebäuden zerschnitten. Auf diese Weise wurden 4-5-stöckige Gebäude unbewohnbar gemacht. Es wurde fest-gestellt, dass diese Gebäude mit großen Maschinen eingerissen worden sind. Der Beton der tragenden Pfeiler dieser Gebäude wurde zunächst mit schwerem Gerät abgeschält und dann die Eisenstreben mit schweren Schneidewerkzeugen zerschnitten. Zeugenaussagen und Erklärungen ist zu ent-nehmen, dass der Abriss mit schweren Maschinen nach dem Ende der Ereignisse durchgeführt wur-de.
Ortsvorsteher erklärten, sie hätten Aktivitäten festgestellt, deren Nutzen sie nicht verstanden hätten.
Die Bewohner*innen des Stadtteils gaben an, nach den Operationen, noch vor Aufhebung der Sperren, seien Beamte des Ministeriums für Umwelt und Stadtentwicklung gemeinsam mit den Ortsvor-stehern durch den Stadtteil gegangen und hätten die Häuser im gesamten Stadtteil mit amtlichen Protokollen als unbewohnbar deklariert.
- Gespräch
(Bewohner*in des Stadtteils)
Nach Ausrufung der Ausgangssperren hätten sie ihre Häuser verlassen. Sie erklären, ihre Häuser sei-en nach den Kämpfen zerstört worden.
Drei einstöckige Häuser, die drei Familien gehörten, seien völlig niedergerissen. Diese Häuser sollen mit als Kettenfahrzeuge bezeichneten Geräten eingerissen worden sein. Das Hab und Gut aller drei Familien liegt unter dem Schutt. Die drei Familien hätten keine Bleibe. Auf die Frage, wo sich diese drei Familien derzeit aufhalten, hieß es, sie lebten zwischen den Trümmern ihrer Häuser. Ihre Kinder hätten sie in nicht zerstörten Häusern von Verwandten untergebracht.
- Gespräch
(Kışla-Hauptstraße, 406. Straße)
Die in dem Haus befindlichen Gegenstände sind völlig unbrauchbar und verbrannt. Es wurde festge-stellt, dass die gesamte Familie in den Trümmern eines eingerissenen Hauses lebt. Sie hätten die Stadt vor den Ausgangssperren verlassen und seien nach Van gegangen.
- Gespräch
(404. Straße)
Die zu dem freistehenden Haus Nr. 12 gehörenden Gegenstände sind vollständig zerstört, verbrannt. In diesem Haus wohnten eigentlich vier Familien, da es jetzt jedoch unbewohnbar sei, wohne nie-mand darin.
- Gespräch
(405. Straße)
Die Einrichtung ist völlig zerstört, verschwunden. Die Familie hat keinen Ort, zu dem sie gehen könn-te. Sie hätten Probleme, irgendwo unterzukommen. Es wird ihnen nicht erlaubt, ein Zelt in ihrem Garten aufzubauen.
- Gespräch
(405. Straße, Eigentümer eines nicht ganz fertiggestellten vierstöckigen Gebäudes mit 12 Wohnun-gen)
In unserem Gespräch erklärte er, man habe nach der Operation die Gebäude mit schwerem Gerät abreißen wollen, die tragenden Pfeiler seien zerbrochen worden. Man habe neue Gebäude abreißen und der Stadterneuerung unterstellen wollen. Sie hätten den Ort sofort nach Verhängung der Aus-gangssperre verlassen. Sie seien gezwungen gewesen, nach Van zu gehen. Hier hätten sie Unterstüt-zung von der Metropolverwaltung Van bekommen.
- Gespräch
(501. Straße)
Das Haus des Anwohners sei zerstört, seine Habe liege unter den Trümmern, er habe keinen Ort, wohin er gehen könne.
- Gespräch
Ortsteil Eski- Kışla, 501. Straße Nr. 13)
Es wurde festgestellt, dass das Gebäude noch steht. Die tragenden Pfeiler sind jedoch mit Hilfe schwerer Geräte zerschnitten. Während der Ausgangssperren sei das Gebäude von Soldaten genutzt worden; den Angaben der Hausbewohner zufolge seien sexistische Sprüche an die Wände der Schlafzimmer geschrieben worden. Die Bewohner hätten diese Sprüche jedoch entfernt, weil sie sie sehr gestört hätten. Die Erdgeschosswohnung des Gebäudes wurde verbrannt. Es liegen weg-geworfene Konservendosen auf dem Boden herum. Haushaltsgeräte, wie beispielsweise Kühlschrän-ke, weisen Einschüsse auf. Viele Gegenstände wurden verbrannt und liegen überall herum.
- Gespräch
(Kocatepe-Straße Nr. 18)
Das zweistöckige Gebäude ist völlig zerstört, die tragenden Pfeiler mit Hilfe schwerer Geräte zer-schnitten, es wurde versucht, schwere Schäden an dem Gebäude hervorzurufen; an diesem Punkt sind keinerlei Kampfspuren festzustellen. Dieses Gebäude soll von Soldaten benutzt worden sein. Die Soldaten sollen das Haus in Brand gesteckt und einzureißen versucht haben, als sie es verließen. Vor der Ausgangssperre sollen in dem Haus 14 Personen gelebt haben. Aktuell sind alle diese Menschen gezwungen, auf der Straße zu leben. Vor der Ausgangssperre hätten sie das Haus verlassen und seien in eine Baustelle in einem nahegelegenen Dorf gezogen. Bei ihrer Rückkehr hätten sie gesehen, dass ihre Habe verbrannt und geplündert worden war. Sie erklärten, man wolle die Häuser verstaatlichen und alle Häuser abreißen. Beamte des Ministeriums für Umwelt und Stadtentwicklung hätten im Stadtteil Untersuchungen gemacht. Die Menschen erklärten, sie seien gegen die Verstaatlichung.
- Gespräch
(Haus Nr. 24)
Dreistöckiges Gebäude, drei Wohnungen. Man habe es völlig abreißen wollen, die Pfeiler sind zer-schnitten, ihre Habe sei vollkommen verbrannt worden. Einer ihrer Söhne sei in Haft.
BEOBACHTUNGEN IM ORTSTEIL MEZARLIK
Der Gebäudekomplex des als „Volkshaus“ bezeichneten Trauerhauses der Gemeinde, das für Beerdi-gungen und gemeinschaftliche Organisationen genutzt wird, ist vollständig zerstört. Es blieb nur Schutt übrig. Die umliegenden Gebäude sind verbrannt und niedergerissen. Dieser Stadtteil ist zu nahezu 60 % unbewohnbar geworden.
Auf dem Friedhof wurden einige Grabsteine zerbrochen. Die Friedhofsmauern sind vollständig nie-dergerissen.
Zwei dem Friedhof gegenüber liegende jeweils zweistöckige Gebäude, mit deren Eigentümer wir nicht in Kontakt treten konnten, sind verbrannt und niedergerissen; eine große türkische Fahne ist dort angebracht. An den Wänden dieser Häuser sind Aufschriften nationalistischen und die Gesell-schaft spaltenden Inhalts angebracht. In diesen Aufschriften wurden religiöse, nationalistische und sexistische Motive benutzt. Aus dem Inhalt der Aufschriften ist erkennbar, dass es sich um Aufschrif-ten von Soldaten handelt.
Die Moscheen sind vollkommen unbenutzbar gemacht worden, auch hier finden sich ähnliche Auf-schriften.
FESTSTELLUNGEN BEZÜGLICH LEICHEN
Bezüglich der Leichen, die ab dem 13. März 2016 von Hakkari-Yüksekova zur Gerichtsmedizin Erzu-rum gebracht wurden, und zu den Ereignissen seither konnten folgende Information in Erfahrung gebracht werden:
Während der Kämpfe, die mit Beginn der Ausgangssperren in Hakkari-Yüksekova ausbrachen, wur-den insgesamt 78 Leichen in die Gerichtsmedizin Erzurum gebracht.
Nach physikalischer Identifizierung durch Angehörige wurden 25 Leichen von der Gerichtsmedizin an die Familien übergeben.
Die Zahl der auf dem Friedhof für Verstorbene ohne Angehörige bestatteten Leichen beträgt 53.
Drei der bestatteten Leichen, die aufgrund von DNA-Proben identifiziert wurden, wurden den Ange-hörigen übergeben.
Die Namen der den Angehörigen übergebenen Verstorbenen:
- März 2016 Hayat Orhan aus Van Ipekyolu
Zeynel Abidin Oral, Bismil, Mollahüseyin
Yüksel Sümbül, Diyarbakir
Vahit Şahin, Hakkari
- April 2016 Evindar Kılıçaslan, Bitlis, Tatvan
Ferhat Yaşa, Diyarbakır Yeniköy
Mustafa Ekin, Diyarbakır Yeniköy
Tülay Eren, Bitlis Norşin
Habip Akar, Diyarbakır Bağlar, Karacadağ
Kader Çoban, Diyarbakır, Yeniköy
- April 2016 Ferit Salcan, Mardin, Kızıltepe, Pirmir
- April 2016 Altun Yaray, Bitlis, Tatvan
- April 2016 Leyla Dayangaç ,Diyarbakır , Yeniköy
- April 2016 Yusuf Aşan, Hakkari
- April 2016 Mehmet Şerif Akdoğan, Van
- April 2016 Nadir Güneç, Van
- April 2016 Seracettin Menafoğlu ,Yüksekova Tiloran
- April 2016 Jehat Doğma, Van
- April 2016 Veysel Bayram, Van
- April 2016 Serhat Akpolat, Muş ,Kawar
- April 2016 Evin Akçelik Hakkari Yüksekova
- April 2016 Talip Bartin Hakkari Yüksekova Civiyan
- April 2016 Ercan Atar Hakkari
- April 2016 Emre Önver Hakkari ,Yüksekova
- Man 2016 Abdulkadir Çelik ,Diyarbakır. Kulp
Abgegebene DNA-Proben:
Recep Özbay gab eine DNA-Probe für seinen verstorbenen Sohn Bawer Özbay ab, danach wurde ihm die Leiche übergeben.
Makbule Kurt gab eine DNA-Probe für ihren verstorbenen Sohn Davut Kurt ab, danach wurde ihr eine Leiche aus Patnos übergeben, die Bestattungsformalitäten wurden durchgeführt. Sie gab erneut eine Probe ab und wartet noch auf das Ergebnis.
Mahmut Salazer wurde, nachdem er eine DNA-Probe für seinen verstorbenen Sohn Mevlüt Salazer abgegeben hatte, die Leiche einer Frau übergeben. Bei der Leichenwaschung wurde der Fehler er-kannt und die Leiche wieder nach Erzurum gebracht. Am 29. Juni 2016 beantragte er die Aushändi-gung der Leiche seines Angehörigen.
Cafer Kameri, Kudret Ertaş, Şemsihan Yucan, Vedat Çelik und Selahattin Özer gaben DNA-Proben ab und warten weiterhin auf das Ergebnis.
Darüber hinaus wurden 8 weitere Leichen aus dem Dorf Zewkan, Kreis Hakkari-Yüksekova, zur Ge-richtsmedizin Erzurum gebracht. Sieben Personen wurden identifiziert und ihren Angehörigen über-geben. Eine Person wurde auf dem Friedhof für Verstorbene ohne Angehörige bestattet. Eine Familie gab eine DNA-Probe ab.
Am 29. Juni 2016 befanden sich 52 Leichen auf dem Friedhof für Verstorbene ohne Angehörige in Erzurum. Sie wurden in nummerierten Einzelgräbern bestattet. Bei der Übergabe der Leichen an An-gehörige kommt es jedoch zu Verwechslungen von Leichen. Mal werden Angehörigen die Körper anderer Personen übergeben, mal melden sich Familien erst, nachdem die betreffende Person be-reits bestattet wurde, mal wird die Verwechslung erst bei der Leichenwaschung festgestellt. Dies
alles hat seinen Grund darin, dass bei der Exhumierung weder die Anwesenheit von Angehörigen noch von Rechtsanwälten gestattet wird.
Die Formalitäten bezüglich der Aushändigung von Leichen werden von der Staatsanwaltschaft aus-schließlich morgens, nicht nachmittags vorgenommen.
FESTNAHMEN WÄHREND DER AUSGANGSSPERREN
Bei unserem Gespräch mit dem Vorsitzenden der Rechtsanwaltskammer Hakkari in Yüksekova wurde Folgendes festgestellt:
Bei der polizeilichen Vernehmung von Personen, die in Yüksekova festgenommen wurden, bediente man sich des SEGBIS-Systems. Diese Lösung sei gefunden worden, da die Sicherheit der Rechtsan-wält*innen ansonsten nicht hätte gewährleistet werden können. Die Rechtsanwält*innen seien dabei aus Hakkari-Zentrum mit diesem System verbunden gewesen.
DEKLARATION ALS KATASTROPHENGEBIET/ALLGEMEINE VERSTAATLICHUNG:
Nach den Beobachtungen und Feststellungen wurde am 10. August 2016 ein Beschluss des Minister-rates im Amtsblatt veröffentlicht, mit dem 7 Ortsteile der Kreisstadt Yüksekova, Provinz Hakkari, als risikobehaftet deklariert wurden. Bei dem Gesetz, auf dem der Beschluss des Ministerrates beruht, handelt es sich um das am 16. Mai 2012 verabschiedete Gesetz Nr. 6306 über die Transformation von Gebieten, die unter Katastrophenrisiko stehen. Artikel 1 des Gesetzes besagt, Ziel des Gesetzes sei es, „Verfahren und Grundlagen zur Verbesserung, Beseitigung und Erneuerung für die Schaffung gesunder und sicherer Lebensräume, die physikalischen und handwerklichen Normen und Standards entsprechen, festzulegen“.
Das Gesetz sieht die Transformation und erforderlichenfalls die Verstaatlichung von Wohngebäuden durch das Ministerium für Umwelt und Stadtentwicklung und TOKI (Staatliche Wohnungsbaubehörde) vor. Mit diesem Beschluss wird der Abriss von 7 Ortsteilen von Yüksekova bestätigt.
ALLGEMEINE ERGEBNISSE UND VORSCHLÄGE
In Zeiten, in denen kein gesellschaftlicher Konsens hergestellt werden kann und gesetzliche Regelun-gen und Sicherheiten nicht existieren, ist die Realisierung von Gerechtigkeit unmöglich. In diesem Prozess wurde nationales und internationales Recht mit Füßen getreten, wurden schwere Menschen-rechtsverletzungen und Verstöße gegen humanitäres Recht begangen. Beweise vernichtet und das Prinzip, die grundlegenden Regeln von Ermittlungen und Untersuchungen und wissenschaftliche Me-thoden auch in zeitlich begrenzten Situationen nicht aufzugeben, nicht befolgt. Eine wirksame und unabhängige Ermittlung jedes einzelnen Todesfalls in den durch Ausgangssperren von der Außenwelt abgeschnittenen Gebieten, welche die jeweilige Todesursache aufklärt und feststellt, ob im jeweiligen Fall die Anwendung tödlicher Gewalt das „letzte Mittel“ war, ist unabdingbar. Bei Verdacht auf Menschenrechtsverletzungen, Folter, politischen Mord ist die vollkommen objektive, wissenschaftli-che Durchführung der Ermittlungen unter Gestattung des Zugangs für Fachleute und Beteiligte erfor-derlich. Es ist zwingend notwendig, die Todesermittlungen bei Vorliegen eines derartigen Verdachts nach dem Minnesota-Protokoll für die Autopsie durchzuführen, einem der grundlegenden Doku-mente der Vereinten Nationen. Auch die türkischen Rechtsvorschriften sehen die Durchführung von Todesermittlungen nach dem ‚Minnesota-Protokoll für die Autopsie‘ vor.
Es ist demgegenüber jedoch bekannt, dass seit dem Beginn der Ausgangssperren in Cizre und später auch in Yüksekova dem Minnesota-Protokoll für die Autopsie nicht gefolgt wurde und entsprechende Anträge unbeantwortet blieben. Es wurde weiter festgestellt, dass auch die vom Europäischen Men-schenrechtsgerichtshof im Jordanien-Beschluss als grundlegender Rahmen formulierten Prinzipien missachtet wurden, nach denen „die Ermittlungsbehörden von Amts wegen die Ermittlungen auf-zunehmen haben, unabhängige Ermittler einzusetzen sind, sämtliche Dokumente, Informationen, Schreiben, Berichte in Zusammenhang mit dem Vorfall ordnungsgemäß zu sammeln sind, dass Er-
mittlungen unverzüglich aufzunehmen und die Strafverfolgung unter gesellschaftlicher Kontrolle stattzufinden hat…“ Gesellschaften bedürfen nach traumatischen Ereignissen aufrichtiger und ernst-gemeinter Schritte und Gefühle, welche das Gerechtigkeitsgefühl stärken und die Linderung und Heilung der Verletzungen herstellen. Die Gesellschaft braucht nach derartigen Vorfällen Mechanis-men, welche die Wahrheit ans Tageslicht bringen, die Taten und Täter bestrafen und das Gerechtigkeitsgefühl befriedigen. Das Gerechtigkeitsgefühl wird nicht lediglich über juristische Maßnahmen stabilisiert, vielmehr bedarf das Erlebte einer angemessenen Sprache, der Wahrnehmung der erleb-ten Traumatisierungen und des Schmerzes, Aufrichtigkeit, Authentizität und des Bemühens, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Aufklärung der Wahrheit, die Herstellung von Gerechtigkeit, und die immaterielle Entschädigung der Angehörigen der Opfer ermöglichen eine Wiederannäherung in der Gesellschaft und den Wiederaufbau des gesellschaftlichen Lebens. Voraussetzung für die wirksame Aufklärung und Ermittlung durch den Staat ist die Beteiligung der Angehörigen der Gestorbenen/Getöteten und von unabhängigen Spezialisten. Die Heilung beginnt mit der wissenschaftlichen, objektiven Ermittlung und Untersuchung, die offen für die Beteiligung unabhängiger Fachleute ist.
Die Verletzung humanitärer Rechte und die Menschenrechtsverletzungen müssen wirksam straf-rechtlich verfolgt werden.
Dass Menschen, die in Gebieten unter Ausgangssperre erstmals festgenommen wurden, der Kontakt zu ihren Rechtsanwälten verwehrt wurde und diese gezwungen waren, die Verteidigung über Video- und Sprachsysteme vorzubereiten, stellt einen offenen Verstoß gegen die Strafprozessord-nung dar. Juristische Maßnahmen wurden behindert.
Die Deklaration als Katastrophengebiet und die schnelle Verstaatlichung sind geeignet, der Vernich-tung von Beweismitteln und der Verschleierung der Wahrheit sowie neuen, nicht wieder gut zu ma-chenden Rechtsverletzungen Tür und Tor zu öffnen-