MESOP NEWS INTEL PKK : YUKSEL KOC – APO OECALANS FINANZBESCHAFFER IN DEUTSCHLAND
Türkischer Geheimdienst: Demonstrant, Reporter – und Agent?
In Hamburg beginnt der Prozess gegen einen mutmaßlichen Spion, der in Deutschland Kurden ausspioniert haben soll. Der Fall zeigt das PKK-Problem der Länder. Von Hasan Gökkaya – 7. September 2017, DIE ZEIT –
2.300 Kilometer Luftlinie liegen zwischen der Gemeinde Elmadağ bei Ankara und der Hansestadt Hamburg. Am einen Ende liegt der Sitz des türkischen Geheimdienstes MİT (Millî İstihbarat Teşkilâtı), am anderen das Oberlandesgericht der Hansestadt. Der Nachrichtendienst in der Türkei, das höchste Gericht in Hamburg – zwei Staatsorgane, die nichts miteinander zu tun hatten, bis Mehmet Fatih S. auftauchte. Die Bundesstaatsanwaltschaft klagt den türkischen Staatsbürger an diesem Donnerstag an, geheimdienstliche Tätigkeiten gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt zu haben.
Insgesamt sind sieben Verhandlungstage im Oberlandesgericht anberaumt. Sollte es am 6. Oktober zu einer Verurteilung kommen, drohen ihm bis zu fünf Jahre Gefängnis. S. soll vor wenigen Jahren nach Deutschland gekommen sein. Er soll sich unter anderem in Bremen und Hamburg aufgehalten haben, bis er im Dezember 2016 in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs festgenommen wurde. Was bis dahin passierte, rekonstruiert die Bundesanwaltschaft so:
Bereits 2013 soll der heute 32-Jährige in den Dienst des türkischen Geheimdienstes MİT eingetreten sein. Und zwei Jahre später, im Herbst, einen besonderen Auftrag erhalten haben: die Ausforschung der kurdischen Szene auf deutschen Boden. Im Januar 2016 zog S. nach Bremen, wo auch Yüksel Koç lebt. Koç ist in der Szene bekannt, der Verfassungsschutz Bremen stuft ihn als einen hochrangigen Funktionär der PKK in Deutschland ein. Koç ist in Vorständen von Dachverbänden aktiv (NAV-DEM, KCDK-E), die als politischer Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) fungieren.
Kurdische Wurzeln als Türöffner
Zurück zu S.: Nach seiner Festnahme im Stadtteil St. Georg berichteten die Lokalzeitungen im großen Stil über den “Spionagethriller”. Dabei wurden auch Fotos gedruckt, die zeigen, wie S. in Bremen an einer kurdische Demonstration teilnimmt. Der Protest richtete sich gegen die Aufhebung der Immunitäten von Abgeordneten der prokurdischen HDP in der Türkei. Dort hat S. laut der Generalbundesanwaltschaft auch selbst Fotos geschossen. Ein weiteres abgedrucktes Bild zeigt, wie S. als TV-Reporter für einen kurdischen Sender arbeitet. Die Theorie: S. soll sich als Journalist getarnt haben, um Kontakte zu Kurdenfunktionären zu knüpfen. Seine kurdischen Wurzeln dienten ihm wohl dabei als Türöffner.
Konkret glaubt die Bundesanwaltschaft, dass der mutmaßliche Agent über das Internet und durch Gespräche mit Verwandten von Koç geheime Informationen über ihn und dessen familiäres Alltagsleben beschafft habe. Zudem soll er sich für Koçs Beziehungen zu einem Beamten der Bremer Polizei interessiert haben. Zeitungsberichte über “Todeslisten” und “Anschlagspläne” gegen Kurden scheint die Bundesanwaltschaft hingegen nicht zu verfolgen. In einer im Vorfeld des Prozesses veröffentlichten Pressemeldung ist zumindest von einem Mordkomplott keine Rede.
Enttarnt durch die Lebensgefährtin
Kontakt zum MİT soll der Angeklagte über E-Mails aufgenommen haben. Im Mai und September 2016 habe der Angeklagte sich in der Türkei aber auch mit seinen Auftraggebern getroffen. Für seine Tätigkeiten soll S. rund 30.000 Euro erhalten haben. Woher die Bundesanwaltschaft diese Informationen hat, ist noch unklar. Vielleicht stammen sie aus Unterlagen, die bei Durchsuchungen den Ermittlern in die Hände fielen. Vielleicht spielt auch aber seine ehemalige Lebensgefährtin eine zentrale Rolle. Als die Frau von S.’ Doppelleben erfuhr, kontaktierte sie einen Journalisten der Tageszeitung Yeni Özgür Politika. Die Zeitung wird in Deutschland herausgegeben und gilt als PKK-Blatt. Über eine linke Bürgerschaftsabgeordnete des Hamburger Senats landete der Fall schließlich beim Bundeskriminalamt und der Generalbundesanwaltschaft.
PKK ist in Deutschland aktiv
Wie viele Verfahren es in Deutschland gegen Personen wie Mehmet Fatih S. bereits gegeben hat, ist unklar. Weder das Bundesjustizministerium noch die Generalbundesanwaltschaft veröffentlichen Statistiken. Dass der MİT aber weiterhin Agenten in Deutschland einsetzt, ist wahrscheinlich – genauso wie der Einsatz von Agenten anderer ausländischer Geheimdienste auf deutschem Boden Normalität ist. So führt die Spur des letzten spektakulären Falls nach Vietnam. Dabei wurde ein Mann in Berlin gekidnappt und verschleppt. Anders als Vietnams Geheimdienst hat der türkische allerdings ein besonderes Interesse an Deutschland. Denn die Bundesrepublik wird nach wie vor intensiv von der PKK genutzt, um sich organisatorisch und finanziell zu strukturieren.
Die PKK sammelte vergangenes Jahr 13 Millionen Euro in Deutschland
Die Türkei wirft der Bundesregierung vehement vor, nicht entschieden genug gegen die PKK vorzugehen, ihr stattdessen einen “sicheren Anlaufhafen” zu bieten. Politiker und auch Journalisten schmettern diese Vorwürfe meistens ab, in dem sie darauf hinweisen, dass es Tausende Verurteilungen von PKK-Funktionären durch deutsche Gerichte gebe. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel und Bundesjustizminister Heiko Maas erwähnten jüngst in einem gemeinsamen Gastbeitrag, dass Deutschland die PKK ohne Zweifel bekämpfe. Mehr als einen Satz war die Angelegenheit den Politikern aber nicht wert.
Tatsächlich kann von einer Förderung der PKK in Deutschland keine Rede sein. Die Untergrundorganisation ist in Deutschland seit 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt. Der Bundesgerichtshof hat 2010 in seiner Rechtsprechung sogar festgestellt, dass es sich bei der PKK um eine terroristische Vereinigung im Ausland handelt. Seitdem wurden hochrangige Funktionäre in Deutschland zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt – allerdings selten zu mehr als vier Jahren. So wurden bisher etwa 100 hochrangige Funktionäre durch deutsche Gerichte verurteilt. Außerdem hat es 4.400 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder, Aktivisten oder Sympathisanten der PKK wegen Einzeldelikten gegeben.
Dennoch operiert die PKK weiter intensiv in Deutschland, das belegen Berichte des Bundesverfassungsschutzes. Demnach hat die PKK in Deutschland über 14.000 Anhänger. Der Verfassungsschutz resümiert: “Sie ist weiterhin die mitgliederstärkste und schlagkräftigste ausländerextremistische Organisation in Deutschland.” Zahlreiche Vereine in Deutschland sind Dachverbänden untergeordnet, die hiesige Sicherheitsbehörden als politischen Arm der PKK sehen. Denn unabhängig sind sie nicht: “Politisch-ideologische Zielsetzungen werden von der PKK-Führungsspitze vorgegeben und sind für Strukturen der Organisation im Ausland verbindlich”, heißt es im aktuellen Bericht des Bundesverfassungsschutzes.
2016 wurden 13 Millionen Euro in Deutschland generiert
Die PKK sieht die Bundesrepublik nicht als Staat mit 16 Bundesländern. Sondern als Fläche mit 31 Gebieten. Die wiederum sind in neun Regionen mit einem jeweiligen Führungsfunktionär aufgeteilt. Wie erfolgreich diese Spitzen sind, misst sich am Geldfluss: 2016 konnte die PKK laut Verfassungsschutz in Deutschland mindestens 13 Millionen Euro durch Spendenkampagnen generieren. Dazu gehören auch Hausbesuche bei kurdischen Familien, bei denen Tee getrunken wird und Souvenirs verkauft werden. Der Gesamtspendenerlös in Europa lag bei 25 Millionen Euro. Obwohl der Druck durch die Türkei zunimmt und auch viele Deutschtürken das Vorgehen der Bundesregierung gegen die PKK in Deutschland als zu lasch sehen, konnte die Untergrundorganisation ihre Einnahmen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppeln.
Wie viel Einfluss die PKK in Deutschland hat, zeigt der Bericht des Verfassungsschutzes auch in Bezug auf Rekrutierungen. In Deutschland angeworbene Kämpfer werden gegen den Erzfeind Türkei oder den “Islamischen Staat” (IS) eingesetzt. Allein um für die PKK gegen den IS zu kämpfen, haben bisher mindestens 180 Frauen und Männer Deutschland verlassen. Vergangenes Jahr kamen mindestens drei von ihnen bei Gefechten ums Leben.
Unabhängig davon, wie der Prozess für Mehmet Fatih S. ausgehen wird: Solange der Einfluss der PKK in Deutschland nicht abnimmt, geht sicher auch das Interesse des türkischen Geheimdienstes an der Bundesrepublik nicht zurück.