MESOP NEWS HUMAN RIGHTS REPORT TURKEY – Meldungen von Menschenrechtsorganisationen im Januar 2018 – Menschenrechtsstiftung der Türkei und Menschenrechtsverein

Demokratisches Türkeiforum –  Presseerklärung vom 4. Januar 2018
Innenminister Süleyman Soylu muss zurücktreten
Innenminister Süleyman Soylu sprach am 3. Januar 2018 auf einer Veranstaltung zum Thema Drogenbekämpfung in Ankara und erklärte öffentlich, jeder Person, die verdächtig erscheine, sollten die Beine gebrochen werden; ein Polizeibeamter, der dies nicht tue, sei nicht in der Lage, seine Aufgabe zu erfüllen. Damit gab der Minister ein typisches Beispiel für sein autoritäres Führungsverständnis. Minister Soylu hat sich strafbar gemacht.
Durch diese Worte und seine derartige Anweisung machte er sich der Anstiftung zu einer Straftat nach Paragraph 214 Türk. Strafgesetzbuch schuldig. Wenn Personen, die im Rahmen von Terror- oder Drogenoperationen verdächtigt und festgenommen werden, die Beine gebrochen werden, so handelt es sich um die Straftat der Folter und um Körperverletzung.


Folter oder Misshandlungen vorzunehmen, ist absolut verboten. Dieses Verbot steht im internationalen Recht ganz oben in der Normenhierarchie oder, anders gesagt, es handelt sich um zwingendes Recht. Dem entsprechend ist eine Ausnahme vom Folterverbot unter keiner Bedingung möglich; es kann keinerlei Vorbehalt zur Lockerung des Folterverbots geben. Auch Mitarbeiter der zuständigen Behörden sind nicht befugt, diesbezüglich Befehle oder Anweisungen zu erteilen.
Schließlich heißt es auch Artikel 2 Abs. 2 der“ UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“: „Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.“ Ähnliche Aussagen werden auch in anderen internationalen Übereinkommen und Dokumenten getroffen, wie in Artikel 15/2 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in Artikel 4/2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Bürgerliche und Politische Rechte oder unter Artikel IV des Leitfadens zur Einhaltung der Menschenrechte bei der Terrorismusbekämpfung vom 11 Juli 2002.
Nicht zuletzt besagt die Verfassung „Niemand darf Folter oder Unterdrückung ausgesetzt werden; niemand darf mit einer mit der menschlichen Würde unvereinbaren Strafe oder Behandlung belegt werden (Artikel 17 Satz 3)“, womit Folter eindeutig verboten wird.
Weiter heißt es in Artikel 5 des UN-Verhaltenskodex für Beamte mit Polizeibefugnis: „Kein Beamter mit Polizeibefugnis darf Folter oder eine andere grausame, unmenschliche oder ehrverletzende Behandlung oder Strafe anwenden, derartige Handlungen fördern oder diese tolerieren. Beamte mit Polizeibefugnis können sich zur Rechtfertigung von Folter oder einer anderen grausamen, unmenschlichen oder ehrverletzenden Behandlung oder Strafe nicht auf den Befehl eines Vorgesetzten, auf Krieg oder Kriegsgefahr, Bedrohung der nationalen
Sicherheit, innenpolitische Instabilität oder eine andere Ausnahmesituation berufen“; hier
wird auf das absolute Folterverbot Bezug genommen. Es wird unterstrichen, dass jede
Amtsperson, sei sie ernannt oder gewählt, bei der Ausübung von Befugnissen wie
Festnahme oder Verhaftung im Rahmen dieses Verhaltenskodex zu beurteilen ist und dass
derartige Begründungen absolut inakzeptabel sind. Eine Berufung auf derartige
außergewöhnliche Situationen stellt selbst eine Straftat dar und widerspricht den
grundlegenden Menschenrechtsübereinkommen.
Die Begründung des das Folterverbot beinhaltenden Artikel 94 des Türkischen
Strafgesetzbuches Nr. 5237 besagt: „Die Türkei erkennt das Folterverbot in den von ihr
unterzeichneten internationalen Abkommen an und garantiert die Einführung der
notwendigen Maßnahmen zur Verhinderung von Folter“, womit einmal mehr unterstrichen
wird, dass es sich bei dem Folterverbot um eine gesetzlich zwingende Vorschrift handelt.
Nach Artikel 137 der Verfassung stellt ein ungesetzlicher Befehl eine Straftat dar. Kein
Polizeibeamter und kein Angehöriger der Gendarmerie darf den Anordnungen von Minister
Soylu Folge leisten. Andernfalls macht er sich durch die Befolgung eines ungesetzlichen
Befehls selbst strafbar.
Diese Anordnung des Ministers Soylu ist ein Beispiel dafür, wie weit die Straflosigkeit in der
Türkei schon gekommen ist. Deutlich sichtbar wird der Zustand der absoluten Straflosigkeit
vollkommen öffentlich fortgesetzt. Die Erklärung des Ministers, anstelle von Polizeibeamten,
die seine Anordnung ausführen, er werde etwaige Strafen auf sich nehmen, bedeutet, dass
Polizeibeamte, die Straftaten begehen, geschützt werden. Daher sprechen wir von
Straflosigkeit.
Nach all dem ist gegen den Minister ein Ermittlungsverfahren wegen Anstiftung zu einer
Straftat einzuleiten, das Parlament hat die notwendige Untersuchung einzuleiten, und das
Verfassungsgericht hat gegen ihn zu verhandeln.
Minister Soylu, der Amtsträger zur Straftat der Verletzung des absoluten Folterverbots
aufrief, muss umgehend zurücktreten.
Menschenrechtsstiftung der Türkei
Menschenrechtsverein
(Übersetzung aus dem Türkischen durch das Demokratische Türkeiforum)
Presseerklärung von Menschenrechtsverein und Menschenrechtsstiftung der Türkei
21.01.2018
Türkei: Krieg tötet! Nein zum Krieg! Wir wollen Frieden!
Die Verlautbarungen der türkischen Regierung zu einer Intervention in Afrin in Syrien
wurden am 20. Januar zu einem heißen Krieg. Nach den Erklärungen des Präsidenten und
des Generalstabes setzten Luftangriffe gegen Afrin ein. Zudem lässt sich anhand der
Pressebilder sehen, dass die Bodenoffensive auch unter Beteiligung der Freien Syrischen
Armee (FSA) stattfindet, die aus nicht näher bestimmten paramilitärischen Einheiten
besteht, die über die Türkei auf syrisches Gebiet gebracht wurden. In früheren Erklärungen
hatten wir die Regierung bereits davor gewarnt, zu solch einem heißen Krieg auszurücken.
Obwohl versucht wird, einige offensichtliche Fakten über den Krieg zu beschönigen,
möchten wir hier grundlegende und einfache Wahrheiten wiederholen:
Krieg tötet, verstümmelt, verursacht Einwanderung, betrifft vor allem Kinder, Frauen,
LGBTI+s und ist Quelle schwerer Menschenrechtsverletzungen, insbesondere von Folter.
Krieg führt über Generationen zu schweren emotionalen Traumata. Krieg bedeutet
ökologische Zerstörung und die Vernichtung von wirtschaftlichen Quellen.
Insbesondere möchten wir der Öffentlichkeit mitteilen, dass es in der Erklärung des
Generalstabes vom 20. Januar 2018 Punkte gibt, die der demokratischen öffentlichen
Meinung entgegenstehen und die gegen Recht und Legitimität verstoßen.
Damit die Türkei eine militärische Intervention in Syrien und auf irakischem Gebiet
durchführen darf, das ist allgemein bekannt, ist eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrates
erforderlich. Artikel 91 der türkischen Verfassung verweist ausdrücklich darauf. Die von der
Regierung erteilte Ermächtigung zur Anwendung von Gewalt reicht nicht aus, um den Einsatz
zu begründen.
In der Erklärung verweist der Generalstab zwar auf die Entscheidungen des UNSicherheitsrates
zur Bekämpfung des Terrorismus. Die nun aber angeführten Organisationen,
gegen die Krieg geführt wird, sind von dem UN-Sicherheitsrat nicht als Terrororganisationen
benannt worden. Wie auch dem Generalstab bekannt, wurde die Daesh zur Begründung
herangeführt, diese ist jedoch, wie die ganze Welt weiß, nicht in Afrin aktiv.
Unter diesen Umständen, mit dem Verweis auf Organisationen, die nicht vom UNSicherheitsrat
ausdrücklich benannt wurden, ist ein militärischer Angriff eines Landes nach
öffentlicher wie auch nach Ansicht der UN unberechtigt.
Auch müssen Bedrohungen und Angriffe aus Afrin gegen die Türkei konkret vorgebracht
werden. Mit Ausnahme von Störfeuern wurde nichts dergleichen gegenüber der
Öffentlichkeit erklärt. Deshalb ist die Grundlage des Artikels 51 der UN-Charta nicht
gegeben. Bemerkenswert ist zudem, dass die Begründung für die Kriegserklärung durch den
Generalstab erfolgte. Parlament und Regierung sind tatsächlich nicht aktiv.
In der Erklärung des Generalstabes wird darauf hingewiesen, dass größtmögliche Vorsicht
ausgeübt wird, um zivile Opfer zu vermeiden. Die Nachrichten und Bilder zeigen jedoch, dass
durch den Angriff Dutzende von Zivilisten verletzt und getötet wurden, was große Besorgnis
auslöst. Die Türkei ist Vertragspartei der Genfer Konventionen und sollte sich der
Verantwortung bei derartigen Maßnahmen bewusst sein. Wir möchten hiermit noch einmal
unsere Besorgnis zum Ausdruck bringen, dass sich die Situation in Afrin, wo
Hunderttausende von Menschen leben, zu einer humanitären Katastrophe entwickeln
könnte.
Wie bereits erwähnt, möchten wir feststellen, dass die für den Angriff auf Afrin notwendige
Voraussetzung einer Bedrohung gegenüber der Türkei nicht konkret vorliegt. Es erweckt den
Eindruck, dass die Türkei kriegstreiberische Aktionen begonnen hat, die zu schwerem Leid
führen können, nur damit die politisch Verantwortlichen in der Türkei die repressive und
autoritäre Regierungspolitik unter dem Ausnahmezustand fortsetzen können. Dass die
Regierung die Gemeinschaften, die Verwandte in der kurdischen und alewitischen
Bevölkerung in der Türkei haben und die hier mit anderen Menschen zusammenleben, als
Bedrohung ansieht, verletzt Demokratie und Menschenrechte. Die Situation kann zu einer
starken Polarisierung zwischen den Völkern führen, die in der Türkei in Frieden miteinander
leben wollen. Das gefährdet den inneren Frieden der Türkei. Wir möchten die Regierung
dazu einladen, die wahnsinnigen kriegstreiberischen Aktionen einzustellen. Wir rufen die
politisch Verantwortlichen erneut dazu auf:
Wendet Euch ab von einer Politik, die auf Krieg und Konflikte in- und außerhalb des Landes
basiert. Es gibt die Möglichkeit, mit allen Völkern und Glaubensgemeinschaften innerhalb
von demokratischen Regeln zusammenzuleben, solange der Wille zur Lösung der
bestehenden Probleme in friedlicher und demokratischer Weise gezeigt wird. Wie viele
andere Beispiele in der Welt zeigen, braucht die Türkei eine echte Konfliktlösung zur Lösung
der kurdischen Frage.
Mit der Wendung des Putschversuchs vom 15. Juli 2016, der erfolgreichen Niederschlagung
und dem Gegenputsch und der Ausrufung des Ausnahmezustandes am 20. Juli 2016 stellte
die Regierung das Land vor vollendete Tatsachen. Nun wird das Land in einen heißen Krieg
hineingezogen, zur Rechtfertigung wird auf die Regierung der syrischen Landesteile
verwiesen. Solange die türkische Regierung an dieser Politik festhält, das ist offensichtlich, so
lange wird die Türkei im Kriegszustand regiert werden. Unter solchen Umständen gibt es
eigentlich nichts mehr zu Menschenrechten und Demokratie zu sagen.
Wir fordern die Öffentlichkeit, insbesondere Menschenrechtsbewegungen und –
institutionen in der Türkei und weltweit auf, diesen Krieg zu beenden, bevor er sich
ausbreitet, Initiativen zu ergreifen und Maßnahmen zur Lösung dieser Probleme mit Dialog
und Verhandlungen zu ergreifen.
Wir verteidigen den Frieden gegen Krieg!
Wir sagen mit Absicht Frieden!
Human Rights Association und Human Rights Foundation Turkey, Erklärung vom 21. Januar
2018. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.):
Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2018.