MESOP NEWS ECONOMY : DER BANKROTTEUR IST STETS AM UNANGREIFBARSTEN ! – EUROPA VOR DER GESAMTPLEITE
Auch langjährige Verbündete von Matteo Renzi wie der frühere Industrieminister Pierluigi Bersani oder der amtierende Außenminister Angelino Alfano bezeichnen Renzis Streben nach vorzeitigen Wahlen als unverantwortlich, manche sprechen sogar von einem „immer schnelleren Rennen in Richtung Abgrund“.
Gefährdet Renzi die finanzielle Stabilität des Landes? Tobias Piller (FAZ) 6 Juni 2017
Der ehemalige Ministerpräsident macht sich für eine rasche Neuwahl stark. Kritiker werfen ihm vor, so die Zustimmung zum Haushalt zu gefährden. Der Finanzminister bittet schon um ein höheres Defizit.Italiens ehemaliger Ministerpräsident Matteo Renzi sieht sich immer mehr dem Vorwurf ausgesetzt, mit seinem Einsatz nach schnellen Neuwahlen im September oder Oktober die finanzielle Stabilität Italiens aufs Spiel zu setzen. Bei Wahlen im Herbst wird es aus der Sicht von Renzis Kritikern nahezu unmöglich, fristgerecht den italienischen Staatshaushalt für 2018 zu beschließen. Später gebe es womöglich keine handlungsfähige Regierung.
Ausgerechnet im kommenden Jahr könnte aber der Schutzschild der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Zinsen der italienischen Staatsschulden wegfallen, weil 2018 die Programme für den Kauf von Staatstiteln auslaufen sollen. Daher hat allein die Diskussion um Neuwahlen ohne Rücksicht auf den Staatshaushalt zu einem Ausschlag der Zinsen und des Risikozuschlags für italienische Zinsen nach oben geführt.
Ohne die Titelkäufe der EZB könnte der Risikozuschlag („Spread“) für italienische Staatstitel wieder kräftig steigen und Spekulationen über die hohen Staatsschulden Italiens auslösen. Dieses Szenario hatte die Finanzwelt bisher ausgeschlossen: Die Wahlperiode und damit die Amtsperiode des gegenwärtigen demokratischen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni dauert noch bis Februar 2018, daher wurde erwartet, dass vor dem Wahlkampf noch ein Haushalt beschlossen würde.
„Das würde Blut und Tränen bedeuten, und das lehnen wir ab“
Doch Renzi ist gerade zum Vorsitzenden der größten Regierungspartei, der Demokraten, wiedergewählt worden. Er war im Dezember als Ministerpräsident zurückgetreten, nachdem seine Kampagne für eine Erneuerung des politischen Systems in Italien bei einer Volksabstimmung gescheitert war. Nun wird Renzi vorgehalten, er wolle zurück an die Macht, ohne Rücksicht auf Verluste, vor allem aber unter Umgehung schwieriger Entscheidungen über einen Sparhaushalt für 2018.
Für die Fünf-Sterne-Partei des Komikers Beppe Grillo sagt deren möglicher Spitzenkandidat Luigi Di Maio: „Renzi will so schnell wie möglich wählen, damit er unpopulären Entscheidungen über den nächsten Haushalt entgeht und auch einem Gesichtsverlust mit einer bevorstehenden Wahlniederlage im November in der Region Sizilien.“ Doch auch Di Maio will seine Partei für die Zeit nach den Wahlen nicht auf den Sparhaushalt festlegen, der mit der Europäischen Union vereinbart wurde: „Das würde Blut und Tränen bedeuten, und das lehnen wir ab.“
Italiens Regierung hat noch vor wenigen Wochen in seiner offiziellen Finanzplanung versprochen, das Haushaltsdefizit für 2018 auf 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu senken, nach einem geplanten Fehlbetrag von 2,1 Prozent des BIP für 2017.
Neue Flexibilität für Italien?
Für den Fall, dass die Regierung nicht zusätzliche Einnahmen oder Ausgabenkürzungen von rund 15 Milliarden Euro erzielt, wurde schon eine automatische Mehrwertsteuererhöhung von 22 auf 25 Prozent beschlossen. Renzi wurde vor Monaten nachgesagt, er wolle noch eine Menge Wahlgeschenke für 2018 verteilen, doch nun heißt es, das sei viel zu mühsam, weil gleichzeitig Steuererhöhungen oder Haushaltskürzungen nötig wären.
Doch nun hat Schatz- und Finanzminister Pier Carlo Padoan mit einem Brief in Brüssel um neue Flexibilität für Italiens Haushaltsziele gebeten. Padoan bietet nun Haushaltskorrekturen von nur noch 0,3 Prozent des BIP und will ein Haushaltsdefizit von 1,8 Prozent des BIP anstreben.
Damit sollte es Italien leichter gemacht werden, einen vorgezogenen Haushalt zu beschließen. Der EU-Haushaltskommissar Pierre Moscovici hat schon in einem Zeitungsgespräch auf Padoan geantwortet, dass die Kommission auf „außerordentliche Umstände“ Rücksicht nehmen wolle, und dazu gehören aus der Sicht von Moscovici offenbar die Wahlen.
„Es gibt keinen einzigen Grund, die Wahlen vorzuziehen“
Bisher gibt es allerdings noch keine Anzeichen dafür, dass die scheidende Regierung Gentiloni vor der Auflösung des Parlaments im Sommer einen Haushaltsentwurf für 2018 vorlegen könnte und dafür auch noch bis zur Sommerpause die Zustimmung des Parlaments erhalten könnte. Die Haushaltspflichten einer neuen Regierung zu übertragen würde auf jeden Fall zu Verzögerungen gegenüber der europaweit festgelegten Frist für die Haushaltsvorlage bis zum 15. Oktober führen.
Vor allem aber fürchten derzeit viele italienische Kommentatoren, dass es nach der Wahl gar keine handlungsfähige Regierung geben wird. Das gegenwärtig diskutierte neue Wahlgesetz wird nach den Voraussagen der Demoskopen kaum zu einer regierungsfähigen Mehrheit führen. Erfahrene italienische Kommentatoren erwarten für 2018 ein Patt wie zuletzt in Spanien mit mehreren Neuwahlen in Folge.
„Italien wird während des gesamten Wahlkampfes unter spezieller Beobachtung der Europäischen Kommission und der Finanzmärkte stehen“, sagte dazu der frühere Ministerpräsident und Wirtschaftsprofessor Mario Monti. „Es gibt keinen einzigen Grund, die Wahlen vorzuziehen“, lautet sein Urteil.
Selbst Verbündete gegen vorzeitige Wahlen
Der Umstand, dass Matteo Renzi Eile habe, wieder selbst in das Amt des Ministerpräsidenten zurückzukehren, sei jedenfalls kein triftiger Grund. „Ein Abbruch der Legislaturperiode wäre bizarr“, sagt der ehemalige Ministerpräsident und nunmehr in Paris als Politikprofessor arbeitende Enrico Letta. „Eine Wahl am Ende der Wahlperiode würde der Europäischen Union zeigen, dass Italien ein normales Land ist, ansonsten würden wir den Eindruck erwecken, dass das Land noch immer in politische Spielchen verwickelt ist und dabei ohne Staatshaushalt bleibt.“
Auch langjährige Verbündete von Matteo Renzi wie der frühere Industrieminister Pierluigi Bersani oder der amtierende Außenminister Angelino Alfano bezeichnen Renzis Streben nach vorzeitigen Wahlen als unverantwortlich, manche sprechen sogar von einem „immer schnelleren Rennen in Richtung Abgrund“.
Doch aus Sicht von Renzi und seinen Gefolgsleuten steckt hinter dieser Einstellung allein die Furcht kleiner Koalitionspartner, bei den Wahlen aus dem Parlament zu fliegen. Renzi sucht nun den Eindruck zu erwecken, es sei gar kein Problem, mit Ministerpräsident Gentiloni einen Haushalt zu erarbeiten.