MESOP NEWS : DER PUTIN & NETANJAHU PAKT – Der seltsame Stillhalte-Pakt von Putin und Netanjahu

 Von Gil Yaron, Jerusalem | Stand: 09.12.2016 | DIE WELT

Israel greift Ziele in Syrien an – und Russland schweigt. Obwohl der Kreml der Verbündete von Diktator Assad ist. Israel und Russland haben sich arrangiert. Auf den zweiten Blick ergibt das Sinn.

 Die Menschen in Syrien sind Explosionen gewohnt, fünf Jahre dauert der Bürgerkrieg nun. Doch die Explosionen, die die Bewohner des Damaszener Vororts Mezze in dieser Woche um vier Uhr aus dem Schlaf schreckten, waren ungewöhnlich laut. Nicht nur die Wucht war ungewöhnlich, sondern auch deren angebliche Ursache. Laut Syriens offizieller Nachrichtenagentur Sana handelte es sich um einen israelischen Angriff: Israel habe „mehrere Boden-Boden-Raketen aus den besetzten Gebieten“ in den Golanhöhen abgeschossen.Sie trafen den Militärflughafen in Mezze in der Nähe des Palastes von Syriens Präsident Baschar al-Assad. Es ist der angeblich zweite Angriff innerhalb von zwei Wochen. Wenn Israel hinter dem Angriff steckt, waren sein Ziel höchstwahrscheinlich strategisch bedeutsame Waffen, die am Flughafen auf dem Weg zur Hisbollah zwischengelagert wurden.

Das syrische Regime reagierte mit scharfen Worten. Der „israelische Feind“ wolle mit dem Angriff „Terrororganisationen unterstützen“, zitierte Sana aus Militärquellen. Aber es bleibt bei Worten. Und bei Schweigen aus Moskau. Die Angriffe der Israelis auf regierungsnahe Ziele müsste der Kreml als Provokation auffassen – schließlich kämpft Russland an der Seite des syrischen Diktators Assad. Aber aus Russland kommt keine Reaktion.Warum? Wohl schlicht, weil Russland und Israel ihre Spannungen reduziert und zu einer Art pragmatischer Koexistenz gefunden haben. Das war vor rund einem Jahr noch anders: Als die Russen im September 2015 Kampfjets in Syrien stationierten, um das Assad-Regime zu stützen, war Israel besorgt. Besonders wegen des Luftabwehrsystems S-400. „Damit können die Russen jedes Flugzeug sehen, das in Israel abhebt“, sagt Alex Tenzer, Experte für russisch-israelische Beziehungen. Für die Israelis ein gewaltiges Problem.

Die roten Linien Israels

Denn in Israel hält man seit dem Zweiten Libanonkrieg 2006, in dem die libanesische Hisbollahmiliz Israel mit Tausenden Raketen beschoss, an einer klaren roten Linie fest, die Premier Benjamin Netanjahu vergangenen April erstmals öffentlich definierte: „Wir werden nicht zulassen, dass die Hisbollah modernste Waffen über Syrien oder Libanon erhält.“

Russland unterstützt syrische Regierungstruppen bei der Rückeroberung der ehemaligen Handelsmetropole Aleppo. Dabei erhebt die Schutzmacht schwere Vorwürfe: Es gäbe Hinrichtungen und Unterdrückung.Die Stationierung des russischen Luftabwehrsystems stellt Israels rote Linie infrage. Aber statt Konfrontation mit dem mächtigen Moskau wählte Israel die vorsichtige Kooperation. Netanjahu machte sich deshalb 2015 umgehend auf den Weg zu Wladimir Putin. Während der Westen Sanktionen gegen Moskau verhängte, eröffneten die Israelis Gespräche über eine engere Koordination. Die Regierungschefs telefonieren seither monatlich miteinander und haben sich dreimal getroffen: „Die Beziehungen zwischen Moskau und Jerusalem werden besser und besser“, sagt Tenzer.

Auch zwischen den beiden Armeen. Amir Eshel, Kommandeur der israelischen Luftwaffe, reiste nach Moskau und richtete einen Mechanismus ein, um die Militäraktionen in Syrien abzustimmen: „Beide Seiten haben ein strategisches Interesse daran, sich nicht in die Quere zu kommen“, erklärt Tenzer. Wie das genau funktioniert, ist ein Geheimnis.

Im Fall Israel gelten andere Regeln

Tal Inbar, Leiter des Fisher Institute für Luftstrategien der israelischen Luftwaffe, meint wie die meisten Experten, dass „Israel den Russen bestimmt nicht im Vorfeld bekannt gibt, dass man vorhat, irgendwo anzugreifen“. Stattdessen sollen die Mechanismen helfen, Zusammenstöße in der Luft zu vermeiden. Ähnlich, wie das in der zivilen Luftfahrt funktioniere.

Das gelinge über Zwischenmänner: „Piloten verschiedener Luftwaffen reden direkt nie miteinander“, so Inbar. Der Mechanismus wurde schon erfolgreich getestet, etwa vor mehreren Monaten, als ein russischer Kampfjet in israelischen Luftraum eindrang und wieder unbeschadet verließ – ganz im Gegensatz zur Türkei, wo der Abschuss eines russischen Flugzeugs zu einer tiefen Krise führte.

So sollte es nicht verwundern, dass Moskau schweigt, obwohl Israel seinen engen Verbündeten immer wieder angreift. Noch im Oktober hatte der russische Armeesprecher Igor Konaschenkow die USA gewarnt, alle Schläge auf das vom Regime kontrollierte Territorium würden als Gefahr für russische Soldaten gewertet. Doch im Fall von Israel gelten andere Regeln. „Russland verfolgt in Syrien geostrategische Interessen. Dabei will es keine regionale Großmacht wie Israel gegen sich aufbringen“, erklärt Tenzer.

 Israel habe Putins Interessen in Syrien anerkannt, obwohl das für Jerusalem durchaus negative Konsequenzen hat. Russland hat Assad gerettet, der ein Partner der Iraner und der Hisbollah ist, die sich der Vernichtung Israels verschrieben haben. Doch im Gegenzug lässt Russland Israel in Syrien gewähren: Man verhindert Waffenlieferungen an die Hisbollah zwar nicht aktiv, schweigt aber, wenn Israel auf syrischem Territorium agiert, um sie selbst zu unterbinden.

Mitarbeit: Julia Smirnova https://www.welt.de/politik/ausland/article160109355/Der-seltsame-Stillhalte-Pakt-von-Putin-und-Netanjahu.html