MESOP NEWS: da capo al fine – wer hat kein Déja-vu-Gefühl gehabt in den letzten Wochen?

2-12-2021 – DIE WELT –  Die Corona-Zahlen „explodieren“, die Krankenhäuser stehen „vor dem Kollaps“, aus dem Ausland taucht eine „gefährliche Mutation“ auf, die Talkshows fordern „schärfere Maßnahmen“ – und die Politiker erklären, die Lage sei „so ernst wie nie“, es sei „fünf nach zwölf“, man müsse „das ganze Land herunterfahren“, um „die Welle zu brechen“.

All das ist schon einmal dagewesen: Es ist das Drehbuch für den Lockdown. Wir kennen den Text, wir kennen die Protagonisten, wir kennen die irren Wendungen des Plots – und wir wissen vor allem, wie es sich anfühlt, hilflose Statisten in diesem Film zu sein. Zuletzt haben wir denselben Zyklus im Frühjahr 2021 durchlebt. Das Ergebnis war die „Bundesnotbremse“, mit der fast alles geschlossen wurde, was man schließen kann – von den Kinos über die Restaurants bis hin zu den Schulen.

Als diese schlimme Zeit vorbei war, wurde vieles infrage gestellt und in Ruhe diskutiert: Waren die Horrorszenarien übertrieben? Stand das deutsche Gesundheitssystem, das zweifellos an vielen Orten angespannt war, wirklich vor dem Zusammenbruch? Haben auch die Medien ein Klima der Hysterie erzeugt? Hat die Corona-Politik ihre Kollateralschäden aus dem Blick verloren? Und vor allem: Trat die Entspannung der Lage auf den Intensivstationen nicht schon vor der Verhängung des Lockdowns ein – sodass dieser radikale Einschnitt womöglich gar nicht notwendig war?

All das scheint vergessen, seit die herbstliche Infektionskurve wieder ansteigt. Obwohl wir durch Impfung und Testen deutlich bessere Voraussetzungen haben, ist die Paranoia ähnlich groß wie beim letzten Mal. Viele der Akteure scheinen sogar bereit, das ganze Lockdown-Drama noch einmal durchzuspielen. Kein Wunder: Traumatische Erfahrungen prägen sich ein – und bestimmen auch die Art, wie wir auf zukünftige Situationen reagieren. Die Psychologie nennt das Wiederholungszwang.

Sind wir also verdammt zur ewigen Wiederkehr des Gleichen, bei jeder neuen Welle, wenn die Booster-Wirkung wieder nachlässt, dann mit Pi-, Rho- oder Sigma-Variante? Nein. Dass sich die CDU-Coronapolitiker mit ihrer zwanghaften Forderung nach einer erneuten „Bundesnotbremse“ nicht durchgesetzt haben, ist ein Hoffnungszeichen – und ein Sieg der Vernunft. Denn die Dynamik der „vierten Welle“ scheint bereits gebrochen: Das Robert-Koch-Institut verzeichnete am Mittwoch rund 2.500 Neuinfektionen weniger innerhalb von 24 Stunden als noch vor einer Woche. Seit drei Tagen sinkt nun sogar die 7-Tage-Inzidenz, und am Donnerstag lag der bundesweite 7-Tage-R-Wert bei 0,92.

Diese Entwicklung widerspricht dem Dogma, nur mit harten und flächendeckenden Einschränkungen ließe sich diese Pandemie bewältigen – ganz zu schweigen davon, dass die immer wieder prophezeite „Apokalypse“ in keinem jener europäischen Länder, die auf nationale Lockdowns verzichten, jemals eingetreten ist. Dazu gehört auch die Schweiz, die eine mit Deutschland vergleichbare Impfquote hat.

Traut sich auch unsere Politik, die Lockdown-Dynamik samt ihrem Zwang zur Verschärfung zu durchbrechen – und in Zukunft mit reduzierten und regionalen Instrumenten auf das Krankheitsgeschehen zu reagieren? Wer an die Zukunft denkt, dem muss dringend daran gelegen sein. Wenn wir nicht immer wieder denselben schlechten Film erleben wollen, müssen wir manches wieder verlernen, was wir in der Pandemie gelernt haben.