MESOP NEWS BACKGROUNDER : By Valerie Szybala, leitende Direktorin bei „The Syria Institute“ in der US-Hauptstadt Washington D.C.,

Assad setzt gezielt auf Entvölkerung – Perfide Kriegsstrategie soll Einflussbereich ausdehnen – Ziel: eine mehrheitlich alewitisch-sunnitische Population

4,9 Millionen Syrer sind vor dem Krieg im eigenen Land geflüchtet, weitere 7,5 Millionen leben in Flüchtlingslagern innerhalb des Landes – mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung!Diese Menschen seien „Opfer des Krieges“, so hieß es bislang. Doch das sehen immer mehr Experten anders. Nicht „der Krieg“ habe viele der Menschen vertrieben, sondern die Strategie der gezielten Entvölkerung durch das Assad-Regime und seine Verbündeten.

Valerie Szybala ist geschäftsführende Direktorin des „Syrien-Instituts“ in Washington D.C. Im Gespräch mit BILD erklärt sie Assads Strategie des „demographic engineering“, einer erzwungenen Umsiedlung der Bevölkerung, die Millionen heimatlos gemacht hat und die noch nicht abgeschlossen ist.

Aleppo war nur ein Teil der größeren Strategie

In den letzten Monaten sahen viele Menschen das Leid der Zivilbevölkerung in Aleppo. Auf Tausende Tote durch russische und syrische Bomben folgte die Vertreibung der Zivilbevölkerung im Osten der Stadt. Laut Szybala war dies seit Langem absehbar: „Die Katastrophe von Aleppo hat nicht erst im letzten Jahr begonnen. Die syrische Armee hatte jahrelang nicht die Mittel, den Ostteil der Stadt zu erobern, sondern nur teilweise zu belagern. Erst mit Hilfe Russlands und des Irans konnte man die Pläne zur Entvölkerung in die Tat umsetzen.“Auf die Zerstörung von Ost-Aleppo folgte die „Evakuierung“ der Bevölkerung in Richtung Rebellengebiet

Doch Valerie Szybala warnt davor, Aleppo als isolierten Fall zu sehen. Die Entvölkerung von Teilen der Stadt sei weder der Anfang noch das Ende von Assads perfider Strategie. „Die syrische Regierung benutzt Belagerungen von Städten und Landstrichen, um sie am Ende zu entvölkern. Das ist eine gezielte Strategie, um sich aufständischer Bevölkerungsteile zu entledigen.“

Einige Gebiete seien befriedet worden, ohne dass die gesamte Bevölkerung weichen musste. „Nur“ Kämpfer, Journalisten, NGO-Mitarbeiter und alle, die als mögliche Regime-Gegner galten, mussten gehen.Viele für das Regime symbolische und strategisch wichtige Orte seien aber komplett zerstört und von unerwünschten Gruppen „entvölkert“ worden. Daraya, die Altstadt von Homs und Ost-Aleppo seien die drei bekanntesten Beispiele, sagt Syrien-Expertin Szybala.

Vertreibung von Gegnern bewirkt Religionsaustausch

Ziel der Strategie Assads sei es einerseits, seinen Machterhalt im Land zu sichern. Andererseits aber auch, die Zusammensetzung der syrischen Bevölkerung langfristig zu ändern.Szybala betont, dass sich Assads Zorn gegen alle richte, die seinen totalen Machtanspruch infrage stellten. „In Homs wurde zwischen 2012 und 2014 ein mehrheitlich christliches Viertel zerstört. Das wird heute oft vergessen.“ Auch schiitische Aktivisten, die sich gegen Assad aussprachen, mussten das Land verlassen, sagt Szybala.

Um die 40 000 Männer, Frauen und Kinder wurden mit Assads berüchtigten „grünen Bussen“ voraussichtlich für immer vertrieben

Vor allem seien aber Sunniten betroffen, die weiter die Mehrheit der syrischen Bevölkerung ausmachten, obwohl Millionen von ihnen vertrieben wurden. Die entvölkerten Gebiete würden mit Pro-Regierungsgruppen „neu besiedelt“, erklärt Szybala. Da Assad die schiitisch-alawitische Gemeinschaft zu seiner Machtbasis gemacht habe, seien auch diese Gruppen überwiegend schiitisch und alawitisch geprägt.

Ein Zeuge berichtet    „Bei der Evakuierung haben sie Männer erschossen“

    Ein Flüchtling aus Ost-Aleppo berichtet in BILD über den Horror der letzten Tage und Wochen sowie die tödliche „Evakuierung“ der Stadt.„Demographic engineering“ – demographischer Umbau, so lautet der wissenschaftliche Begriff für diese aus früheren Völkermorden bekannte Strategie des Horrors.Der Prozess sei noch nicht beendet: „Heute sind fast eine Million Menschen in Syrien unter Belagerung, der überwiegende Teil davon von der syrischen Regierung. Viele dieser Menschen werden dasselbe Schicksal erleiden wie die Bevölkerung von Ost-Aleppo.“

Die Vereinten Nationen sehen nur zu

Was Syrien-Forscherin Valerie Szybala besonders kritisiert, ist die Rolle der Vereinten Nationen (UN) in Syrien. Die Organisation habe weder die zahlreichen Belagerungen noch die Vertreibung von Millionen Menschen aufhalten können.„Eines der Probleme mit den UN ist, dass sie in Syrien mit humanitären Einrichtungen präsent sind. Aber es gibt keine humanitäre Lösung für die Belagerungen, denn sie sind eine militärische und politische Strategie.“ Hilfslieferungen könnten das Leiden nur mindern, lieferten aber keine Lösung in Syrien, mahnt Szybala. Syrien als bloßes humanitäres Problem zu betrachten, würde der Verantwortung der UN nicht gerecht werden.

Stattdessen müsste der Sicherheitsrat sich mit der Lage beschäftigen und eine politische Lösung anstreben. Danach sehe es aber seit fast sechs Jahren nicht aus.

Szybalas Urteil ist vernichtend: „Zurzeit zahlen die UN der syrischen Regierung Zinsen für ihre Kriegsverbrechen. Damit wird der Konflikt nicht gelöst, sondern verlängert.“

Politik gibt Flüchtlingen keine Chance zur Rückkehr

Die von Assad über die letzten Jahre betriebene Politik, so betont die Forscherin, sei „nach internationalem Recht unrechtmäßig“ und geschehe „systematisch und mit der Unterstützung Russlands und des Irans“.Dabei hätte der Westen und besonders Deutschland mit seiner halben Million syrischer Flüchtlinge ein großes Interesse an einem Ende der Assad-Strategie.

Denn, dass mehrheitlich sunnitische Flüchtlinge in Assads Syrien zurückkehren, sei mehr als ungewiss: „Das ist das größte Problem, das wir sehen. Obwohl die syrische Regierung sagt, Zivilisten können in die eingenommenen Gebiete in Homs und Aleppo zurückkehren, ist dies in Wahrheit nicht der Fall. Die Menschen werden davon abgehalten, eingeschüchtert und verängstigt.“

Das „Syrien-Institut“ habe viele Vertriebene im Westen interviewt: „Für sie ist es keine Option, nach Hause zurückzukehren, denn sie sind sich sicher, dass sie dort getötet werden.“ www.mesop.de