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Thomas Wagner: Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten. –  Thomas Wagner meint, die 68er hätten auf die „Neue Rechte” inspirierend gewirkt

Wer Thomas Wagners Buch liest, fühlt sich an eine Schrift von Claus Leggewie vor 30 Jahren erinnert: „Ausflüge in die Denkfabrik der Wende”, so der Unterti­tel. Wie Wagner hatte Leggewie intellek­tuelle Rechte interviewt: fair und ohne denunziatorischen Entrüstungsgestus. Im Gegensatz zu Leggewie verficht Wag­ner, von 2013 bis 2015 Redakteur der „jungen Welt”, keinen links-libertären, sondern einen dezidiert antiliberal-sozia­listischen Standpunkt. Eine seiner Kern­thesen lautet, die „Neue Rechte” (eine überzeugende Definition dieses schwam­migen Begriffs bleibt aus) sei eine Reak­tion auf die 68er, die inspirierend ge­wirkt hätten, etwa mit Blick auf die un­konventionellen Methoden, zum Teil auch mit Blick auf inhaltliche Prinzipien wie „antiimperialistische” Versatzstü­cke: so die krasse Kritik an der repräsen­tativen Demokratie, an den manipulie­renden Medien und am kalten Kapitalis­mus schlechthin.

Um eine solche Position zu untermau­ern, holt der Autor weit aus. Die Denkwei­se der „Situationisten” um Dieter Kunzel­mann kommt ebenso zur Sprache wie die des „Reaktionärs” Martin Mosebach. Zu Recht geißelt Wagner den primitiv-ener­vierenden „Kampf gegen rechts” mit Dis­kussionsverboten — aber wieso muss dies ein ,Verordnungsliberalismus” sein? Hier schlägt sein antiliberaler Affekt durch. Der Autor hat auch Alain de Benoist inter­viewt, den Protagonisten einer „Kulturre­volution von rechts”, Frank Böckelmann, einen einstigen Aktivisten der „Subversi­ven Aktion”, den Wiener Martin Sellner, wohl den führenden Kopf der „Identitä­ren”, ferner den im Frühjahr 2017 verstor­benen Henning Eichberg, „den” National­revolutionär Anfang der 1970er Jahre, der als Mitglied der Sozialistischen Volks­partei in Dänemark nun die AfD des „Sta­cheldrahtnationalismus” bezichtigt. Dem Autor fällt bei den Interviewten die Kenntnis linker Systemkritik auf, wäh­rend die andere Seite oft nur die rechten Netzwerke anprangere, ohne deren Argu­mente in der Sache zu entkräften.

Wagner, mit der Materie gut vertraut, unterlässt Systematik.

Diese Sprunghaf­tigkeit muss für den Leser nicht unbe­dingt nachteilig sein, wird er doch im­mer wieder zu anderen Schauplätzen ge­führt, nach Frankreich (der Verfasser er­innert an den Nationalisten Dominique Venner, der 2013 in der Kathedrale von Notre-Dame Selbstmord beging, wohl aus Protest gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe) wie nach Ja­pan: Yukio Mishima, ein bekannter Dichter aus einem nationalen Milieu, tö­tete sich 1970 in einem militärischen Hauptquartier auf rituell-spektakuläre Weise mit einem Dolch. Und Antonio Gramsci darf nicht fehlen. Die „Neue Rechte” wurzele im Konzept der kultu­rellen Hegemonie des italienischen Kommunisten. Solche antibürgerlichen Personen stoßen in dem charakterisier­ten Milieu auf Sympathie, wohl selbst bei Wagner.

Heftig attackiert Wagner die Politik der als „neoliberal” geltenden SPD. Sie verliere so einen Teil ihrer Wählerschaft, vor allem den der sozial Benachteiligten. Zur „dunklen Seite des Liberalismus” rechnet er Leistungsträger-Ideologien ebenso wie eine verachtenswerte Hal­tung gegenüber der Arbeiterklasse. Dage­gen ist die Kritik an der als „Neue Rech­te” gekennzeichneten Richtung gerade­zu milde. Rechte Ethnopluralisten und linke Multikulturalisten zeichneten sich jeweils durch die Betonung des Eigenen aus, nicht durch eine des Universalis­mus. Die mehr angedeutete als entfalte­te These, die Erfolge der All) fußten auf derartigen Ideengebern, trifft nicht zu.

Warum, um Himmels willen, ist auch dieser Autor fixiert auf Götz Kubitschek, den Chef des Verlags Antaios, den Mitbe­gründer des Instituts für Staatspolitik und den Hauptverantwortlichen der Zweimonatsschrift „Sezession”? Keiner kommt so häufig zu Wort wie der Ritter­gutsbesitzer im thüringischen Schnellro­da und fast keine Person derart oft wie Ellen Kositza, dessen Gemahlin. Kein Wunder, dass sich die rechte Publizistin über den linken Publizisten regelrecht en­thusiasmiert zeigt. Der Feind meines Feindes, des „Neoliberalismus”, kann so zu einer Art Freund avancieren.

Wagner geht Kubitschek oft auf den Leim, grätscht ihm nicht dazwischen. So sei dessen Position nicht weit von der Karlheinz Weißmanns entfernt. Wenn Kubitschek äußert, er habe „vielleicht ein Zwanzigstel des Lektürepensums von Weißmann erreicht”, bleibt hinzuzufü­gen: auch nur ein Zwanzigstel des Schreibpensums. Weißmann ist ein philo­sophisch geschulter, stark konservativer Intellektueller, Kubitschek ein schwadro­nierender Provokateur, der Querfrontstra­tegien verfolgt, ein Freund-Feind-Ideolo­ge, keineswegs „der geistige Vater der Anti-Einwanderungsbewegung”. Der Bruch zwischen ihnen war nicht nur habi­tuell bedingt, wie behauptet, sondern auch politisch. Mit dem Initiator einer „Konservativ-Subversiven Aktion” konn­te Weißmann ungeachtet aller ideologi­schen Affinitäten immer weniger etwas anfangen.

Des Rezensenten ambivalentes Urteil über dieses ungewöhnliche Buch: Einer­seits gefällt die unvoreingenommene Ge­lassenheit, die jeglicher volkspädagogi­schen Attitüde widerstreitet und kein Verständnis für die Intoleranz aufbringt, mit der viele, so aus dem Theatermilieu, wie Wagner berichtet, auf das neue Phä­nomen reagieren. Auch die Kritik an der political correctness, etwa im Sprachge­brauch, leuchtet ein. Andererseits miss­fällt das mangelnde Nachbohren, erklär­bar wohl durch eine gewisse Sympathie des linken Autors mit rechten antibürger­lichen Impulsen. Claus Leggewie wusste mit Nachfragen und klugem Widerspre­chen zu kontern. Dabei hat Wagner er­kannt, die Richtung, über die er mit viel Empathie schreibt, verfüge „mittlerwei­le über eine Reihe von intelligenten, tak-. tisch versierten und strategisch klugen Köpfen”. Vom demokratischen Verfas­sungsstaat ist weder bei Wagner noch bei den von ihm Interviewten, allen vor­an Götz Kubitschek, die Rede. Berühren sich die Ränder vielleicht doch?

ECKHARD JESSE

Thomas Wagner: Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten. Aufbau Verlag, Ber­lin 2017. 351 S., 18,95 e.