MESOP NEWS „APARTE PARANOIDIE“ : DEUTSCHE BANK & JUDEN SIND SCHULD / Erdogans Verschwörungstheorie appelliert an antiwestliche & antiimperialistische Ängste vor der Zerschlagung des Landes
Türkei sucht Schuldige für Lira Krise
Der Präsident formuliert Verschwörungstheorien zu Banken-Komplott und Zinslobby. Seine Regierung verbreitet Wachstumsoptimismus.
itzippl. WIEN/FRANKFURT, 13. Januar. Die Türkei redet sich ihre wirtschaftliche Lage schön und bemüht dafür auch krude Verschwörungstheorien. Teile der Führung machen internationale Banken und eine nicht näher genannte „Zinslobby” dafür verantwortlich, dass die Landeswährung Lira stark an Wert verliert, däss die Inflation steigt und dass generell die Wirtschaft an Fahrt einbüßt. Diese Rhetorik hat auch eine antisemitische Spitze, wonach jüdische Finanzgruppen versuchten, die Türkei in die Knie zu zwingen.
Am Freitag versprühte die Regierung Optimismus, indem sie überraschend gute Wachstumserwartungen für 2016 verbreitete. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sei vermutlich um real 3 Prozent gewachsen, sagte Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci. Damit wäre der Zuwachs zwar um ein Viertel geringer als 2015, übersteige aber4deutlich die Prognosen von Analysten. So erwartet die Deniz Bank in Istanbul für 2016 nur 2,3 Prozent. Im dritten Quartal war das BIP um 1,8 Prozent geschrumpft, das erste Mal seit dem Krisenjahr 2009.
In dieser Woche ist der Kurs der Lira auf immer neue Tiefstände gefallen. Am Freitag hat sich der Wechselkurs zwar etwas gefangen, der Kurs zum Dollar liegt aber noch immer um mehr als 20 Prozent unter dem Stand vor dem Putschversuch im Juli. Schuld an der Kapitalflucht ist nach Ansicht von Ökonomen das schwindende Vertrauen in den Standort. Dieses habe mit den Attentaten, dem Putsch, den Gegenschlägen des Regimes und dem wachsenden Autoritarismus zu tun. Dazu zählten die Verfolgung von Opposition, unabhängiger Justiz und Presse sowie der Versuch Staatschefs Recep Tayyip Erdogans, ein Präsidialsystem zu etablieren. In der Nacht zum Freitag hat das Parlament weitere Elemente der dafür nötigen Verfassungsreform gebilligt.
Indes sieht die politische Führung in der Wirtschaftseintrübung dunkle auswärtige Mächte am Werk. Die regierungsnahe Zeitung „Yeni Safak” schreibt, dass die Deutsche Bank und andere Institute Fremdwährungskredite für türkische Importeure fällig gestellt hätten. Als Folge der kurzfristigen Tilgung sei die Nachfrage nach Devisen gestiegen, was die Lira-Schwäche erkläre. Das Blatt zitiert Industriekammer-Präsident Nurettin Özdebir mit der Ansicht, der Kursverfall sei allein auf Spekulationen zurückzuführen. Übertitelt ist der Text mit: „Terror der Deutschen Bank”. Die Bank wies die Vorwürfe vorzeitiger Kreditkündigungen und eines Komplotts mit anderen Banken am Freitag zurück.
Schon seit längerem bemüht Erdogan das Bild einer „internationalen Zinslobby”, die sich gegen die Türkei verschworen habe. Damit befeuert er antijüdische Ressentiments und beschwört als Gegenentwurf das Zinsverbot im Islam. Auf einer Veranstaltung der Börse Istanbul zu Schariakonformen Anlageprodukten sagte Erdogan: „Ich persönlich habe nie viel von Zinsen gehalten, deshalb überrascht mich die Krise nicht.” Banken seien nur daran interessiert, „Geld aus Geld zu machen”.
Zur Notenbank äußerte er, er müsse deren Unabhängigkeit akzeptieren. „Aber ich kann nicht zulassen, dass die Rechte, Ansprüche und Ressourcen der Nation über hohe Zinsen verschwendet werden.” Erdogan hat die Zenntralbank mehrfach aufgefordert, die Leitzinsen zu senken, um die Wirtschaft anzukurbeln. Damit lasse sich auch eine Inflation bekämpfen, behauptet er im Widerspruch zur Lehrmeinung. Hingegen hat die Notenbank im November den Leitzins erhöht und könnte diesen Schritt am 24. Januar wiederholen. Um die Geldpolitik zu straffen, ohne Erdogan zu brüskieren, verändert sie weitere Refinanzierungssätze und die Mindestreserveanforderungen.
Der Harvard-Ökonom Dani Rodrik, der türkischer Abstammung ist, sagte dieser Zeitung, Erdogan versuche schon seit längerem, „bei Versagen seiner Politik äußere ‚Feinde’ verantwortlich zu machen”. Das habe zur Ablenkung bisher funktioniert. „Aber die sich abzeichnende Wirtschaftskrise ist anders, jetzt ist jedermanns Geldbeutel in Gefahr.” Wenn sich die Krise verschärfe, könnte das für Erdogan gefährlich werden.
Gunter Deuber, leitender Volkswirt bei Raiffeisen Research in Wien, ergänzte: „Wenn Banken jetzt ihre Türkei-Positionen überprüfen, steht dahinter keine böse Zinslobby, sondern die Rationalität.” Um den Lira-Verfall aufzuhalten, sei eine Leitzinserhöhung um mindestens 4 Prozentpunkte nötig. Für den 24. Januar erwartet Deuber aber eher 0,5 Punkte.
Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für Internationale Politik erläuterte, Erdogans Verschwörungstheorie appelliere an antiwestliche und antiimperialistische Ängste vor der Zerschlagung des Landes, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts reichten. Beim Antisemitismus berühre sich der Islamismus der Regierungspartei AKP mit dem Ultranationalismus und der Kapitalismuskritik von ganz links.
FAZ 14 Januar 2017 Wirtschaft