MESOP NEU „ADJEKTIVE VERLEUGNUNG – DER NÄCHSTE ANSCHLAG ABER KOMMT BESTIMMT!
Henryk M. Broder / Feige? Was soll daran feige sein? – LONDON
Nach jedem Terror-Anschlag, von Berlin bis London, von Manchester bis Paris, setzt derselbe Automatismus ein. Politiker aller Couleur und Sprecher der Islamverbände erklären, sie seien „in Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen“ und nennen die Täter „feige Mörder“. Heiko Maas twittert: „Erschütternd. Erneut ist Großbritannien Ziel eines feigen Anschlages geworden. Unsere Gedanken sind bei unseren britischen Freunden.“ Der Londoner Rat der Muslime ist „entrüstet und angeekelt von diesen Feiglingen“.
Nun ergibt ein Adjektiv immer dann keinen Sinn, wenn auch das gegenteilige Adjektiv sinnlos wäre, das gilt für „feige Morde“ ebenso wie für „brutale Vergewaltigungen“. Kein Mensch nennt einen Mord „mutig“ und eine Vergewaltigung „zärtlich“. Würde er es tun, käme er zuerst in die „heute-show“ des ZDF und dann in die Obhut des BKA.
Warum also werden Terroristen immer wieder als „feige“ bezeichnet? Genügt es nicht, sie Mörder zu nennen?
Ich fürchte, wir haben es mit einer Projektion zu tun. Nach jedem Terroranschlag sehen wir Menschen um ihr Leben rennen, die nur eines wollen: sich in Sicherheit bringen. Eine vollkommen richtige und verständliche Reaktion. Es gibt keine Pflicht zum Heldentum, aber es gibt ein Recht auf Feigheit. Zumal in Gesellschaften, in denen das Recht auf Sicherheit vom Staat garantiert wird.
Der Staat und seine Organe müssen Mut und Stärke zeigen, der Bürger darf feige sein. Und je fortgeschrittener eine Gesellschaft ist, desto mehr tendiert sie zur Feigheit, während sie das Heldentum einigen wenigen überlässt, die für ihre „Zivilcourage“ ausgezeichnet werden. Wie der Münchner Bürger, der von drei Jugendlichen an einer S-Bahn-Station zu Tode geprügelt wurde, nachdem er in eine Auseinandersetzung eingegriffen hatte. Hätte er sich feige verhalten, würde er heute noch leben.
Dennoch mag sich niemand damit rühmen, feige zu sein, und überlässt das Attribut den Terroristen. Die aber sind nicht feige, sie sind ausgesprochen mutig, sie setzen ihre Leben ein – nicht obwohl, sondern weil sie genau wissen, dass sie sterben werden. So etwas als „feige“ zu bezeichnen, zeugt von einer völligen Fehleinschätzung der Terroristen, deren Mentalität Osama bin Laden auf einen Satz gebracht hat. „Ihr liebt das Leben, wir aber lieben den Tod.“
Wir aber, die wir das Leben lieben und den Tod fürchten, betreiben weiter „Prävention“ und „Deeskalation“. Und suchen unbeirrt nach den Ursachen des Terrors in unserer Geschichte und unserer Gegenwart, im Imperialismus und Kolonialismus, in der Armut und der Ausgrenzung. bento, zum Beispiel, die Kinderseite des SPIEGEL, fragt: „Warum wird Großbritannien immer wieder Ziel von Anschlägen?” und antwortet:
„In Großbritannien gibt es eine große muslimische Community; viele Mitglieder kämpfen mit Diskriminierung, finden keine Arbeit oder bekommen keinen Zugang zu höherer Bildung – jeder dritte Muslim hat gar keine Ausbildung. Britische Muslime sind zudem im Schnitt deutlich ärmer als Nichtmuslime. Das Ergebnis: Entfremdung, Frust, Wut.“
Der nächste Anschlag kommt bestimmt.