MESOP MIDEAST WATCH: SHAME & TROUBLE IN THE FAMILY – THOMAS VON DER OSTEN SACKEN DISTANZIERT SICH VON DER “BEDINGUNGSLOSEN ISRAELSOLIDARITÄT“ (PAULETTE GENSLER)

Thomas Osten-Sacken, dessen Facebook-Seite inzwischen der wohl beliebteste Kotzkübel für verbitterte Antideutsche ist, behauptet in einer jüngeren Jammertirade, er sei in der aktuellen Bahamas einer gemeinen Zitatfälschung zum Opfer gefallen. Das stimmt zwar nicht, weil kein Zitat gefälscht wurde, aber was Paulette Gensler zu diesem Fall zu sagen hat, sollte man dennoch gelesen haben.

„Lieber Stefan Laurin, lieber Thomas von der Osten-Sacken,

erst einmal ein kleiner Vorbehalt: ich finde die Formulierung Martin Stobbes vom „Wunsch“ nicht ganz geschickt, da sie zum einen mir persönlich zu überspitzt ist, und zum anderen ihre eigene Entkontextualisierung nicht antizipierte. Dies letzte wiederum ist meine eigene Kapitulation vor der doch recht kreativen Lese- und Urteils“fähigkeit“ der Leserschaft; und damit meine ich eine Leserschaft, die bloß auf Zitate wartet, über die man sich empören kann, ohne den betreffenden Artikel auch nur gelesen zu haben.

 

Nun handelt es sich aber, anders als kolportiert, wahrlich nicht um eine Zitatfälschung, da es sich ziemlich offensichtlich um eine dem Zitat vorangestellte Deutung handelt, über die man streiten kann. Aber ich möchte doch einwenden, dass der Fokus hier ganz ordentlich verrutscht, und genau darin wird es symptomatisch, wenn alle möglichen publizistischen Geschütze aufgefahren werden, um die Ehre des kritisierten Herren wiederherzustellen. Denn „Rufschädigung“ hat Thomas von der Osten-Sacken ganz selbstständig in eigener Sache betrieben, was Martin Stobbe in seinem Artikel wiederum hervorhob.

 

Thomas von der Osten-Sacken betont nun also im Interview: „Nun, ich habe keinerlei Streit angefangen und bin seit je her der Ansicht, dass linke Grabenkämpfe nicht besonders fruchtbar sind, außer es geht wirklich um ganz existentielle Fragen. Die zur Haltung gegenüber Israel war (!!) so eine weshalb es in den 90er Jahren und vor allem nach Ausbruch der so genannten Al Aqsa Intifada und dann 9/11 enorm wichtig gewesen ist, linken Antisemitismus, der sich als Antizionismus oder Israelkritik verkleidet, anzugreifen, zu entlarven und eben auch zu spalten.“

 

Das heißt, die Frage „zur Haltung gegenüber Israel“ ist (!) jetzt Geschichte, wer sich vor einiger Zeit auf die Seite Israels schlug, entzog sich damit für alle Zeit der Kritik und Spaltung. Man kann demnach schreiben, was man will. Nur wenn es jemand kritisiert, hat dieser jemand den „Streit angefangen“. Keineswegs aber ging und geht es bloß um die sich sachlich gebende Frage, „ob gewaltfreier Protest nicht langfristig für Israel gefährlicher werden könnte, als die Ausschreitungen während des so genannten March of Return.“ Die Frage, so wie im Interview formuliert, wäre völlig in Ordnung und ist eine wichtige. Aber von der Osten-Sacken unterschlägt die zahlreichen Prämissen, moralischen Verschiebungen etc, die er zur Beantwortung jener Frage auffuhr.

 

Statt eines reinen Gefälligkeitsinterviews hätte man sich also durchaus die betreffenden Texte – von Stobbe und Osten-Sacken – durchlesen können, um zu prüfen, inwieweit etwas dran ist an dem Vorwurf der Aufkündigung der Israelsolidarität, zumal wenn Letztere TOS „ganz wichtig gewesen ist“.

 

Begonnen hat es nicht zuletzt als Thomas von der Osten Sacken, der aus dem berechtigten und löblichen Motiv heraus sich gegen „hämische Kommentare“ angesichts getöteter Palästinenser zu wenden, dies vermischte zu einem Protest gegen „Leute, die, wie ich, in der behüteten Bundesrepublik groß wurden, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne ein Wort zumindest des Bedauerns, über die Toten und Verletzten schreiben, die selbst schuld seien und warum man eben Grenzen mit Gewalt verteidigen müsse, lese Jubelberichte über die Botschaftseinweihung am selben Tag.“ Selbst dies wäre noch verständlich als spontane Reaktion auf gewisse Kommentare, die ja schließlich, selbst wenn sie in der Sache Recht gehabt hätten, scheinbar oder wirklich im Ton Genugtuung, Befriedigung oder Ähnliches mitgegeschleppt haben können.

 

Ich weiß es nicht, er zitiert das Kritisierte nicht. Schon hier aber kommen mit den „Jubelberichten über die Botschaftseinweihung am selben Tag“, also den Ausdruck einer Freude über einen endlich erfolgten und erheblichen Schritt im us-amerikanisch-israelischen Verhältnis, Dinge ins Feuer der Kritik, die sich so einfach nicht mehr erklären lassen, weshalb der ominöse Verweis auf ebenso ominöse Freunde herangezogen werden muss – dabei soll wahrlich nicht unterstellt werden, es gäbe sie nicht.

 

Nur wissen alle Beteiligten, dass man sich aus Israel von der Uganda Bar über Mea Shearim oder Schwulenbars bis hin zu Siedlungen so gut wie jede Stimme abholen kann, die man für was auch immer benötigt. Ominös ist er deshalb, weil mit keinem Wort gesagt wird, was jene Freunde denn zu so wertvollen Stimmen machen würde, außer, dass sie Israelis sind. Wir alle sollten doch wissen, dass Stimmen aus Israel, die ohne jede weitere Verortung herangezogen werden, um etwas zu untermauern, nicht mehr wert sind, als die Position desjenigen, der sie zitiert. Aus diesem Grund spielen sie als Verweis auch nur die Rolle, dass Thomas von der Osten Sacken sich ihre Zitat vollumfänglich aneignet; Achtung: das ist eine Deutung, aber er schreibt: „Ich verstehe und sympathisiere zugleich aus vollem Herzen mit Freunden in Israel, die völlig entsetzt sind – einige haben sogar an einer Friedensdemonstration in Tel Aviv teilgenommen-, die mir schreiben […]“

 

Jene Aussagen, die sich TOS „aus vollem Herzen“ zu eigen machte, lauten: „Montag sei der wohl schwärzeste Tage in der israelischen Geschichte gewesen und sie hätten es nicht ertragen, einerseits die Bilder von der Feier in Jerusalem anlässlich der Botschaftseröffnung zu sehen und andererseits die von all den Toten und Verletzten am Gazazaun.“

 

Oder: „Montag sei die finale Bankrotterklärung des Zionismus gewesen, meint ein Freund angesichts der christlich-evangelikalen Prediger, die bei dem Event in Jerusalem sprachen.“ Nicht die Kriege, nicht die Intifadas oder die zahllosen anderen Anschläge seien also das, woraus „der wohl schwärzeste Tage in der israelischen Geschichte“ zu wählen sei. Bis hierin hätte man das alles mit viel, vermutlich schon zu viel gutem Willen noch als gegenideologische Kundgabe auffassen können, die aber im Versuch, darzustellen, dass die Israelis auch ganz menschlich ticken, wiederum schon in oberflächig philosemitischer, doch zutiefst antisemitischer Manier die Botschaft aufgehoben hätten, dass die Juden doch aus ihrer Geschichte gelernt hätten. Aber es lief letztlich auf den Satz heraus:

 

„Israel beschenke sich selbst mit Toten und Verletzten zum Geburtstag“, was nichts anderes heißt, als dass Israel durch seine Existenz und dadurch, dass es die Verlegung der us-amerikanischen Botschaft nicht verhindert habe, einen Sturm auf seine Grenzen provoziert habe, um die daran beteiligten Menschen niederschießen zu können. Jene Täter-Opfer-Umkehr, die man sonst völlig zu Recht in aller Schärfe Spiegel, Süddeutsche und Co vorwirft, macht sich TOS zu eigen, ohne, dass Ruhrbarone oder Jungle World eine Stellungnahme verlangt hätten. Jene Umkehr ist nur dann keine Aufkündigung der Israel-Solidarität, wenn man das Lippenbekenntnis jener Solidarität über die konkreten Urteile, die sie erst bilden, stellt. Der Bundesregierung würde man sowas nicht durchgehen lassen. Herr Osten-Sacken hingegen kann noch von einer Aura der vergangenen Urteile zehren.

TOS fordert: „Politische Analyse, die nicht einfach nur eiskalt, ideologisch und zynisch sein will, bewegt sich auf einem schmalen Grad. Sie sollte nie aufhören, verstehen zu wollen, was Menschen subjektiv antreibt und warum sie denken und handeln, wie sie denken und handeln.“

 

Diese aber gelingt gerade nicht durch einen Subjektivismus im Konjunktiv, der sich selbst fragt: „Wie wäre man selbst, wäre man nicht in der gutbehüteten Bundesrepublik aufgewachsen, sondern beispielsweise im Gazastreifen? Würde man dann anders handeln und denken, als die Zehntausende, die versuchten den Grenzzaun zu stürmen? Ich habe keine so hohe Meinung von mir, um diese Frage mit Ja zu beantworten.“ Nicht nur ist diese Frage schlicht und ergreifend nicht zu beantworten, und genau aus jenem Grund ist die angebliche Selbstreflexion bloße Verdopplung der Hamas-Propaganda, die man von jenem Herren niemals erwartet hätte. Anstatt also, wie eine Kommentatorin zu betonen, „Ich würde mich NICHT einem judenhassenden, mordlustigem Mob anschließen. Dessen bin ich mir tatsächlich sicher.“, was genauso hanebüchener Unsinn ist, (während der eine nämlich geschickt kund tut, jetzt schon Verständnis zu haben, sagt die andere nur, dass sie dies nicht hat) wäre die einzige Antwort, dass man so wie man ist und denkt, die angewandte Gewalt zur Grenzsicherung auch gegen ein phantastisches in Gaza geborenes Selbst, das sich dem Mob anschließt, verteidigt, und zwar im selben Maße, wie man beispielsweise niemals mit kompletter Sicherheit sagen kann, dass man selbst niemals zum Selbstjustizler wird, und gerade deshalb, den Kampf gegen Selbstjustiz auch gegen die eigene potenzielle Tat und das sie ausübende Selbst gewandt wissen möchte.

 

Schon der verständnisvolle Fokus auf die Marschierenden ist verräterisch. So schrieb TOS, es “beteiligten sich sogar weniger Menschen, als ursprünglich angenommen“ an dem Marsch, um selbst Verständnis zu erheischen für die Frage „Würde man dann anders handeln und denken, als die Zehntausende, die versuchten den Grenzzaun zu stürmen“, während er doch selbst wissen muss, dass selbst, wenn Zehntausende gegen Israel marschierten, mindestens anderthalb bis zwei Millionen es nicht taten. Über diese aber heißt es dann aus dem Munde Osten-Sackens lapidar: „Wie es aussieht, sind sehr viele Menschen sehr unzufrieden mit der Herrschaft der Hamas, nur, würden sie aufbegehren, erlitten sie das Schicksal der Protestierenden in Syrien oder anderswo.“

 

Die behauptete Ausweglosigkeit einer ernsthaften palästinensischen Revolution gegen die Hamas, welche immer die Frage verdeckt, ob es den Willen zu dieser überhaupt in genügendem Ausmaß gibt, weshalb Martin Stobbe zu Recht schrieb, dass „man bis zum Gegenbeweis annehmen muss, dass sie in ihrer übergroßen Mehrheit allen Juden den Tod wünschen”, unterschlägt im Vergleich mit Syrien unter anderem auch sogleich, dass Israel vielleicht ein Wörtchen mitzureden hätte, ob russische und iranische Truppen und deren Material im Gazastreifen in syrischen Ausmaßen partizipieren könnten. Derart wird das „Gefühl“ der Ohnmacht zur reellen und kompletten Ohnmacht rationalisiert, den Bewohner Gazas in diesem Sinne jede Verantwortung abgenommen und -gesprochen; mehr noch: sogar der Sturm auf Israel wird aus diesem Gefühl „verständlich“ gemacht: „Ursprünglich, so scheint es im Rückblick, war der so genannte Rückkehrmarsch nämlich als Versuch gedacht, diesem Dilemma irgendwie zu entkommen. Die großen Verlierer des 14. Mai sind deshalb (!) Menschen wie Ahmed Abu Artima und Hasan al-Kurd, die immerhin, anders als die Hamas, von Frieden und Koexistenz mit ihren israelischen Nachbarn sprechen und deren Ziel zumindest nicht die gewaltsame Auslöschung Israels zu sein scheint. Auch wenn ihre Vorstellungen etwa von einer möglichen Rückkehr so illusorisch sind wie das Gerede von einer Ein-Staaten-Lösung, dürfte man – nach Jahren von Blockade, Krieg, Not und übelster Indoktrination durch Hamas und andere – in Gaza kaum moderatere Ansprechpartner finden.“

 

Schon die Formulierung „deren Ziel zumindest (!) nicht die gewaltsame Auslöschung Israels zu sein scheint(!)“, unterstellt doch schon dass die saubere Trennung von Rückkehr und Einstaatenlösung von der „Auslöschung Israels“ überhaupt einfach möglich wäre. Nicht mehr die Überwindung Israels ist der Gegenstand der Kritik, sondern die Frage, ob dies „gewaltsam“ und „gewaltlos“ vonstattengehen soll. Dagegen schien es vor einiger Zeit noch Konsens zu sein, auf Ansprechpartner zu verzichten, die nicht bereit sind, die Souveränität, die nichts anderes bedeutet als die Existenz, Israels anzuerkennen. Daraus aber folgt, dass man angesichts ihrer Forderungen, froh sein muss, dass „die großen Verlierer“ ebenso Verlierer blieben wie die Hamas; dass man also die „moderaten Ansprechpartner“ als „moderate Antisemiten“ oder zumindest „moderate Feinde Israels“ bezeichnet hätte.

 

Adornos gegen Wagner gerichteter Satz „Ein Deutscher ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben“, ist immer an die Hoffnung geknüpft, dass ein paar Bomben auf den Kopf den Deutschen daran erinnern, dass ihm das eigene Leben doch wichtiger ist als der Tod der Juden. Oder um es mit Golda Meir über die Wiedergänger jenes Geistes zu sagen: „Frieden wird es erst geben, wenn die Araber ihre Kinder mehr lieben, als sie die Juden hassen.“ Und das heißt – tatsächlich eiskalt – , dass Israel den Preis, der von den Palästinensern für die Erstürmung seiner Grenze zu zahlen wäre, höher treiben muss, als jener, der für die Überwindung der Hamas zu zahlen ist. Damit niemand auf den Gedanken kommen möge, zu vergessen, dass die israelischen Militärschläge, als das handfeste Reflexionsangebot, das sie darstellen, nicht vor allem Gewalt ist, die den Ausübenden nicht unberührt lässt, betonte sie an anderer Stelle: „When peace comes we will perhaps in time be able to forgive the Arabs for killing our sons, but it will be harder for us to forgive them for having forced us to kill their sons.“

 

TOS hätte aufgrund gewisser Erkenntnisse schreiben können, dass Thomas Eppinger zu Unrecht davon ausgegangen war, „dass die Hamas eigentlicher Organisator und Triebkraft des so genannten „Marsches der Rückkehr“ gewesen sei“, ohne dass dies das eigentliche Urteil Eppingers – „Dieser Tag (war) vor allem eines: ein Propaganda-Erfolg der Hamas.“ – wirklich in Frage gestellt hätte.

 

„Die Idee, friedlich und unbewaffnet Israels Grenzen zum Gazastreifen, der Westbank und auch den arabischen Nachbarländern zu überschreiten.“ Und gegen diese Unbestimmtheit, welche sich in diesbezüglichen Texten von TOS am laufenden Band zeigt, die nicht unterscheiden kann zwischen „unbewaffnet“ und „friedlich“, muss man doch energisch darauf bestehen, dass „unbewaffnet“ nicht automatisch „friedlich“ ist, worauf nicht zuletzt Walter Benjamin mit Blick auf den Streik verwies. Und plötzlich kommen die Menschen, die dem „Dilemma von Gaza“ entkommen wollen, nicht mehr nur aus Gaza, sondern auch der Westbank, Jordanien, dem Libanon etc. Wenn TOS also sagt, „Wie viele Menschen nun wirklich die Zerstörung Israels wollen, kann man unmöglich sagen“, wäre anscheinend mit ihm noch einmal zu besprechen, ab wann für ihn der Wille zur Zerstörung Israels eigentlich beginnt. Er schreibt: „Sie wissen nämlich sehr genau: Sollte es ihnen je gelingen – ohne dass sie von einem arabischen Nachbarstaat oder einer der palästinensischen Parteien instrumentalisiert würden – könnten solche Aktionen für Israel wesentlich bedrohlicher werden, als das gesamte Raketenarsenal der Hamas. Dann nämlich stünde nicht nur die israelische Regierung, sondern die ganze Gesellschaft vor der Frage, ob man bereit ist, seine Grenzen notfalls mit tödlicher Gewalt gegen friedliche Demonstranten zu verteidigen. Wie lange wären Rekruten der Armee bereit, dies zu tun, bis die ersten den Dienst verweigern? All dies sind Fragen, die sich jeder, dem die Existenz Israel sam Herzen liegt ebenfalls stellen sollte.“ Und genau diese Fragen hat Thomas von der Osten Sacken nicht zuletzt mit seinem Post zur Botschaftseröffnung als für sich (und seine israelischen Freunde) längst beantwortet offenbart. Er, der „nicht einfach nur eiskalt, ideologisch und zynisch sein will“, hat längst suggeriert, dass in einem solchen Fall die „bedingungslose Solidarität“ moralisch gar nicht mehr so einfach sei.

 

„Festzuhalten bleibt: So bedrohlich die Lage am Grenzzaun auch wirkte und so unendlich hässlich viele Szenen waren – angefangen von mit Hakenkreuzen bemalten Flugdrachen bis hin zu Gangs von Jugendlichen die „Khaibar, Khaibar, ya Yahud“ brüllten und dabei Messer schwangen – die Bedrohung Israels und von Israelis doch weitgehend symbolisch blieb. Sicher ist es richtig, sich die Frage zu stellen, was etwa in grenznahen israelischen Dörfern und Kibbuzim hätte passieren können, wäre ein massenhafter Durchbruch gelungen, nur dürfte auch auf der Seite des Gazastreifens bekannt gewesen sein, dass die israelische Armee viel zu professionell und gut ausgebildet ist, um ein Massaker zuzulassen.“ Verhindert hätte und hat die IDF dies jedoch mit Schüssen – und das ist eben nicht nur symbolisch. TOS jedoch legt nahe, dass die reelle gewaltvolle Reaktion der Armee auf eine nur symbolische Bedrohung erfolgt sei, was die Frage mit sich bringt bzw. wieder einmal eher beantwortet, „ob es wirklich nötig war, scharf zu schießen und so viele Menschen an diesem Tag zu töten und zu verletzten.“

 

Übersetzt heißt dies aber nur, dass man bitte nicht an der Grenze hätte schießen sollen, denn dort war die Gefahr nur symbolisch, sondern erst, wenn die Dörfer und Kibbuzim reell angegriffen werden. Der Übergang von der symbolischen zur reellen Bedrohung sind demnach ein paar Kilometer. Wiederum war dies eine Frage, die er sich nicht selbst in den Mund zu legen wagte, sondern sie bloß (indirekt) zitierte. Wenn er aber Donniel Hartmanns Artikel aus der Times of Israel dafür zitiert, hätte er auch erwähnen können, dass dieser im selben Artikel schrieb:

 

„Palestinians have every right to view and experience the formation of Israel as their Nakba (catastrophe). They have every right to view the Six Day War and Israel’s reunification of Jerusalem as a deepening of this Nakba.“ Und genau diesem Aussetzen des Urteilsvermögens scheint sich TOS anzuschließen, solange nur wie bei Hartmann im selben Text gilt: „While Palestinians have every right to their narrative of Nakba, my people have every right to celebrate our independence and our victory in 1967, and to express joy at being home in our country, whose capital is Jerusalem.“ Nur will TOS die Konsequenz daraus, in den Worten Marxens „wo Recht mit Recht streitet, entscheidet die Gewalt“, nicht mittragen, kommt aber auch nicht zu dem Schluss, dass es eben kein Recht auf Nakba gibt, das zu trennen ist, vom „Rückkehr-Recht“.

 

Über dieses „Recht“ heißt es bei TOS bloß, es handle sich um eine „Rückkehr, die es so (!) nicht geben wird“, was munter offenlässt, ob es sie auf andere Weise doch gibt und wie. „Der „Rückkehrmarsch“ war wohl ursprünglich als genau solch eine Form des Protestes geplant und eben keineswegs nur ein taktisches Manöver der Hamas. Sicher, die Hamas war vom ersten Tag an in den Planungskomitees vertreten, (!!) dominierte sie aber nicht.“ Der interessierte Totalfokus auf die Hamas scheint bei Osten-Sacken mit sich zu bringen, dass er nicht mehr erkennen kann, dass auch Palästinenser, die nicht Mitglied der Hamas sind, im Geiste der Hamas handeln (können), weshalb der Marsch auf die Grenze auch weit weniger von der Hamas „instrumentalisiert“ werden musste, als TOS unterstellt, da das Recht auf Rückkehr nicht einfach zu trennen ist von dem Wunsch nach Auslöschung Israels. Letztlich kommen TOS und Hartmann nur zu dem Schluss, „Der Gazastreifen verschlägt mir die Sprache“, um seitenlange Ausführungen über Gazastreifen zu verfassen.

 

„Nun stellt sich die Frage, weshalb die Hamas sich dann die Mühe gemacht hat, in den vergangenen Monaten immer wieder zu betonen, bei dieser Aktion handele es sich in der Tat um eine friedliche und gewaltfreie. Wen wollte sie denn täuschen? Die Menschen in Gaza? Die Israelis? Die westliche Öffentlichkeit? Und warum? Welchen Sinn soll diese Täuschung machen? Israelische Geheimdienste sind, das weiß man bei der Hamas zur Genüge, in der Regel bestens informiert, was in Gaza vor sich geht und was die Hamas plant. Viel zu viele Medien und Politiker in Europa zeigen, auch das ist bekannt, allergrößtes Verständnis für jede Form von „gewaltsamem Widerstand“ seitens der Palästinenser, ja sie erwarten ihn förmlich. Wollte man also die Öffentlichkeit in Gaza täuschen? Nur das machte Sinn.“ Erfolg hatte der „Protest“ nicht zuletzt darin, dass er mit Thomas von der Osten-Sacken einen Teil der westlichen Öffentlichkeit täuschte, die man bis vor kurzem für immun gegenüber solcher Propaganda eingeschätzt hätte. Die Warnung sprach er vor sich und seiner neuen Haltung aus.

„Aus welchen Gründen auch immer die Proteste so eskalierten, sie müssen es das nächste Mal nicht wieder tun. Damit stellt sich erneut die zentrale Frage: Was, wenn eines Tages Zehntausende nur mit Olivenzweigen und Bildern von Gandhi, Mandela und Lind in den Händen auf die Grenzen zumarschieren?

 

Wie werden israelische Sicherheitskräfte und Armee dann regieren? Ich bin überzeugt, ein solches Szenario birgt für Israel eine weit größere Gefahr als ein paar mit Brandsätzen bestückte Flugdrachen. Denn es würde die israelische Gesellschaft vor eine moralische Zerreißprobe stellen.“ Was TOS nicht verstehen kann oder will, ist, dass „wenn eines Tages Zehntausende nur mit Olivenzweigen und Bildern von Gandhi, Mandela und Lind in den Händen auf die Grenzen zumarschieren“ dies anders als er behauptet, eben nicht bedeutet, dass die Proteste nicht eskaliert sind, sondern dass es selbst eine Eskalationsstufe ist, was er mit der Formulierung der „größeren Gefahr“ ja auch selbst irgendwie eingesteht, aber eben nicht zu Greifen bekommt.

 

Auch wenn ich also die Formulierung, dass TOS sich einen friedlichen Protest „wünscht“ in der Tat für überspitzt halte, ist trotzdem genau diese Überspitzung nicht das, was hier für eine Empörung dieser Art sorgen sollte, sondern das, was überspitzt wird, und da sind nun einmal die Ausführungen von Thomas von der Osten-Sacken.

 

Dass dieser selbst nur Stimmen präsentiert, die der Verteidigung am Geburtstag kritisch gegenüberstehen, beweist doch schon, dass er sich vor jener „moralischen Zerreisprobe“ schon entschieden hat, auf welcher Seite der israelischen Gesellschaft er stehen würde, und was er der anderen Seite für moralische Bedenken hinwerfen würde, deswegen fallen jetzt schon wieder einmal auf Freunde verweisende Sätze wie jener: „Ein israelischer Freund, dessen Abneigung gegen das Kabinett Netanjahus so groß ist, dass er gerne zu Übertreibungen neigt, schrieb mir, eigentlich müsse die Regierung der Hamas deshalb dankbar sein. So könne das das Ganze als Angriff von Terroristen auf die Grenze abgehandelt werden, alle, die der festen Überzeugung seien, mit den Palästinensern sei ohnehin kein Frieden zu machen, fühlten sich bestätigt und der unhaltbare Status Quo werde erhalten, bis es zur nächsten Explosion kommt.“ Anstatt nach solch einer Nachricht endlich einmal auf die Idee zu kommen, dass man unter den eigenen Freunden, auch einige Idioten hat, die man aus gewissen Gründen vielleicht trotzdem sympathisch findet, mit denen man also gern ein Bier trinkt, über Musik redet, Sex hat oder was auch immer, deren politischen Ansichten man aber nicht zu einem Platz in der eigenen „politischen Analyse“ verhilft, WEIL SIE FALSCH SIND, heißt es über diese nur, sie „spiegeln in ihrer Radikalität ganz sicher alles andere als die Ansichten der Mehrheit in Israel wieder. Aus ihnen spricht allerdings eine Verzweiflung über die Ausweglosigkeit der Situation“, haben somit also doch irgendwie Recht. Zitiert man so jemanden und gibt im Interview von sich – „Ursprünglich sollten diese Demonstrationen gegen Israel im Frühjahr wohl wirklich gewaltfrei vonstatten gehen und wurden dann von der Hamas übernommen und instrumentalisiert.

Ob bei der in Gaza leider vorherrschenden politischen (Un)-Kultur sich so etwas durchsetzen kann, weiß ich nicht.“ – dann heißt dies, dass das Einzige, was einen „friedlichen“ Sturm auf Israel verhindert, die Herrschaft der Hamas ist, womit der eigene etwas radikale Kumpel, dann doch irgendwie Recht hätte.

So bleibt mir also nur festzuhalten, dass zum einen Gefühlsduselei, oder wie man das auch immer nennen will, was TOS in seinen neusten Texten betreibt, nicht das Gegenteil der „bürgerlichen Kälte“ ist und zum anderen bedingungslose Solidarität mit Israel, aufgekündigt ist, wenn sie an Bedingungen geknüpft wird.

 

Zu all jenen Punkten hätte man durchaus Fragen stellen können und müssen, wäre man am Gegenstand und der Streitfrage im Ansatz interessiert gewesen.“