MESOP MIDEAST WATCH: Erdoğan spricht von »wirtschaftlichem Unabhängigkeitskrieg« – Lira bricht ein

Äußerungen des türkischen Präsidenten haben den Kurs der Lira weiter auf Talfahrt geschickt. Die Währung verlor binnen wenigen Stunden mehr als acht Prozent ihres Werts.

23.11.2021, DER SPIEGEL Der türkische Präsident Erdoğan ist in letzter Zeit häufiger Auslöser für massive Kursveränderungen bei der Lira

Für viele Schwellenländer gilt: Der Wert ihrer Währungen ist oft großen Schwankungen ausgesetzt, vor allem Verschiebungen auf den weltweiten Finanzmärkten lösen mitunter rapide Kursveränderungen aus. In der Türkei ist das anders, der wichtigste Einflussfaktor auf die Lira sitzt nicht im Ausland, sondern im Inland, genauer gesagt: im Präsidentenpalast.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat – zum wiederholten Mal – mit umstrittenen Äußerungen einen massiven Kurssturz der eigenen Landeswährung ausgelöst. Die Lira verlor zwischenzeitlich acht Prozent und fiel auf ein neues Rekordtief. Für einen Dollar mussten Investoren am Dienstag bis zu 12,49 Lira bezahlen und damit so viel wie noch nie. Zur Einordnung: Zum Monatsbeginn lag die Lira zum Dollar noch unter der Marke von zehn, zu Anfang des Jahres sogar unter acht.

Erdoğan heizte die Talfahrt der Lira erneut an, indem er am Montagabend die drastischen Zinssenkungen verteidigte und versicherte, seinen »wirtschaftlichen Unabhängigkeitskrieg« trotz der breiten Kritik gewinnen zu wollen. Damit hat die Lira in diesem Jahr bereits 40 Prozent ihres Werts verloren, davon fast 20 Prozent seit Beginn der vergangenen Woche. Erdoğan setzt die Zentralbank unter Druck, damit diese ungeachtet einer Inflation von fast 20 Prozent die Zinsen senkt. Damit will er die Exporte, Investitionen und den Arbeitsmarkt in Schwung bringen.

Der ehemalige stellvertretende Zentralbankchef Semih Tumen, der letzten Monat von Erdoğan entlassen wurde, forderte eine sofortige Rückkehr zu einer Politik, die den Wert der Lira schützt. »Dieses irrationale Experiment, das keine Aussicht auf Erfolg hat, muss sofort aufgegeben werden, und wir müssen zu einer Qualitätspolitik zurückkehren, die den Wert der türkischen Lira und den Wohlstand des türkischen Volkes schützt«, schrieb Tumen auf Twitter.

Die Zentralbank hatte ihren Leitzins vergangene Woche von 16 auf 15 Prozent gesenkt, obwohl die Inflationsrate auf fast 20 Prozent geklettert ist. Zugleich wurde für Dezember eine weitere Lockerung der Geldpolitik in Aussicht gestellt.