MESOP MIDEAST WATCH: DER NÄCHSTE KONFLIKT – Türkei &Griechenland :Es kann schnell außer Kontrolle geraten

Der Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland hat sich zum Kalten Krieg in der Ägäis ausgewachsen. Und die USA spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Von Marion Sendker, DIE ZEIT 5 Juni 2022

– Dafür, dass der griechische Premierminister für den türkischen Staatspräsidenten nicht mehr existiert, dürfte sich Recep Tayyip Erdoğan gerade ziemlich über Kyriakos Mitsotakis ärgern. Denn der lässt sich einfach nicht von ihm ärgern. Wenigstens zeigt er es nicht und verkündete Anfang der Woche selbstbewusst vor Journalisten: “Die Beziehungen können weitergehen, aber auf der Grundlage internationalen Rechts.” Auf ein Spiel persönlicher Beleidigungen werde er sich jedenfalls nicht einlassen.

Dabei gibt Erdoğan sich gerade so viel Mühe, die Regierung in Athen auch verbal zu provozieren. Vor einer Woche wetterte er, dass es für ihn keinen Mitsotakis mehr gebe: diplomatischer Affront Nummer eins. Einen Tag später erklärte der türkische Präsident dann die kompletten bilateralen Beziehungen mit Griechenland für beendet. Erst Mitte März hatte Erdoğan nach einem Treffen mit Mitsotakis der Weltöffentlichkeit eine neue Ära des griechisch-türkischen Verhältnisses verkündet. Die einseitige Aufkündigung nun wäre damit der diplomatische Affront Nummer zwei.

Bisher bringt der türkische Zickzackkurs die Athener Regierung aber nicht aus der Ruhe. Die politischen Stimmungsschwankungen der Nachbarregierung kennt Griechenland schon lange. Für viele Griechen ist die harte Wortwahl Erdoğans mittlerweile sogar zu einem türkischen Kompliment geworden, nach dem Motto: Je wüster Erdoğan schimpft, desto mehr machen wir wohl richtig.

Neuer mächtiger Partner

Echte Freunde sind die Türkei und Griechenland nie gewesen. Sie waren immer nur Nachbarn und deswegen auch Rivalen. Mit der Zeit ist aus den Streitereien eine Art Kalter Krieg in der Ägäis geworden. Der Hauptgrund der meisten Probleme der letzten Jahre liegt auf dem Grund des Meeres, das die Länder geografisch trennt und politisch für wahrscheinlich immer vereint: Erdgasreserven. Verbunden damit ist ein Konflikt um Territorien und maritime Wirtschaftszonen, deren bisherige Grenzziehung der türkische Präsident seit einigen Jahren infrage stellt.

Erdoğan geht so weit, Teile des Vertrags von Lausanne aus dem Jahr 1923 anzuzweifeln, in dem vor fast 100 Jahren die Grenzen zwischen den beiden Ländern geregelt wurden. Demnach gehören die meisten Inseln in der Ägäis zu Griechenland, selbst die, die sich in unmittelbarer Nähe zum türkischen Festland befinden. In der Ostägäis sind etliche dieser Inseln militarisiert, was nach türkischer Lesart ein Verstoß gegen Lausanne und den später abgeschlossenen Vertrag von Paris aus dem Jahr 1947 darstellt. Für Griechenland hingegen ist die Bewaffnung eine notwendige Vorsorgemaßnahme gegen die Bedrohung durch Landungsboote an der türkischen Westküste.

Da jetzt einfach die Beziehungen zu beenden und den Nachbarn zu ignorieren, wie Erdoğan ankündigte, ist praktisch unmöglich. Für einen effektiven Beziehungsabbruch müsste einer von beiden schon umziehen. Stattdessen sind die Regierungen in Ankara und Athen nach wie vor gezwungen, sich irgendwie zu arrangieren. Der Türkei fällt genau das gerade so schwer, weil der griechische Nachbar einen sehr mächtigen neuen Partner gefunden zu haben scheint. Und genau den hätte man in Ankara aber gern für sich selbst: die USA.

Militärhilfe an Ukraine läuft über griechischen Hafen

Die US-Amerikaner sind im Rahmen einer sicherheitspolitischen Partnerschaft schon seit vielen Jahren in Griechenland aktiv, haben ihr Engagement dort aber zuletzt deutlich ausgebaut. Wie eine Mauer ziehen sich verschiedene Militärstützpunkte entlang der griechischen Ostküste hoch. Eine wichtige Station ist etwa die Hafenstadt Alexandroupoli. Von dort aus wickeln die USA einen Großteil ihrer Militärhilfe an die Ukraine ab.

Kurz hinter der Grenze, in der Türkei, werden die militärischen Bewegungen von Anfang an nervös beobachtet. Man fürchtet, dass der Nachbar einem nun den Rang als sicherheitspolitisches Schlüsselland nicht nur im Ukraine-Krieg, sondern auch allgemein in der Beziehung zu den USA abläuft. Ifantis Kostas, früher Professor für Internationale Beziehungen in der Türkei, heute an der Panteion-Universität in Athen, sagt: Die USA würden sich auf Griechenland fokussieren, um eine territoriale Abhängigkeit vom Standort Türkei zu reduzieren. “Ankara war in der Vergangenheit eben kein verlässlicher Partner, weder in Syrien noch im Schwarzen Meer”, erklärt der Wissenschaftler.

Ein Machtwort gegenüber den USA kann sich Erdoğan nicht leisten. Mit Griechenland sieht das anders aus. Seit Wochen beschweren sich die Griechen, dass türkische Jets mehrfach in den griechischen Luftraum eindringen und über den ägäischen Inseln oder Alexandroupoli zu sehen sind. Das Außenministerium in Athen sprach von einer Verletzung der “nationalen Souveränität”. Ankara erhebt seinerseits ähnliche Vorwürfe: Die griechische Luftwaffe überfliege türkisches Territorium.

Griechenlands Forderung: mit Ankara keine Rüstungsgeschäfte mehr

Dass diese Provokationen von türkischer Seite aus auch etwas mit dem Verhältnis Griechenlands zu den USA zu tun haben könnten, deutete Erdoğan an, als er sich Mitte Mai erstmals gegen den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands äußerte. Da spielte er auch auf eine Geschichte von vor mehr als 40 Jahren an. Im Jahr 1980 war die Türkei in Sachen Bündniserweiterung nämlich schon einmal das Zünglein an der Waage. Damals drohte ein Wiedereintritt der Griechen – zwischenzeitlich aus der Nato ausgetreten – am Veto der Türken zu scheitern.

Es lag an den USA, dass die Regierung in Ankara schließlich doch zustimmte: Nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 in der Türkei soll es eine Zusicherung aus Washington gegeben haben: “Gebt das Veto auf und wir sorgen dafür, dass es in Zukunft keine Probleme mit Griechenland mehr geben wird.” Aus Erdoğans Sicht war der Deal, wie er jetzt sagt, ein “Fehler”, der sich mit Schweden und Finnland heute nicht wiederholen dürfe.

Aus den USA gab es darauf keine Reaktion. Stattdessen ergriff zwei Tage nach Erdoğans Aussage der griechische Regierungschef Mitsotakis vor dem Kongress in Washington das Wort. Die Türkei nannte er nicht beim Namen, bat aber unmissverständlich darum, mit der Regierung in Ankara keine Rüstungsgeschäfte mehr zu machen. “Natürlich war das ein Wink Richtung Türkei”, sagt Kostas. “Wir versuchen, die Geschwindigkeit ihrer Beziehungen zu kontrollieren.” Das sei eine natürliche Antwort auf die Provokationen der letzten Wochen aus Ankara.

Ende der leichten türkischen Überlegenheit

In der Türkei war man nach der Rede von Mitsotakis alarmiert. Der US-Kongress blockiert bisher einen Deal mit Ankara über eine Aufrüstung bestehender F16-Jets. Griechenland dagegen hat gute Chancen, die F16-Flieger bald zu bekommen. Das wäre das Ende der leichten Überlegenheit der türkischen Luftwaffe. Da kann die sonst gut aufgestellte und tüchtige türkische Rüstungsindustrie beim besten Willen nicht mithalten.

Mitsotakis’ Aussage in Washington weckte in Ankara aber auch Eifersüchteleien. Erdoğan warf dem griechischen Premierminister vor, rechtswidrig gegen die Türkei zu lobbyieren. Dahinter steckt auch die Sorge, dass sich die USA und Griechenland schon so gut verstehen könnten, dass sie sich am Ende gemeinsam gegen die Türkei wenden.

Was Erdoğan den US-Amerikanern nicht direkt sagen kann, ließ er immerhin die Deutschen wissen, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz die Türkei eindringlich zur Zurückhaltung aufgerufen hatte. “Es ist nicht akzeptabel, dass sich Deutschland einmischt und sich an der Schmutzkampagne gegen die Türkei beteiligt”, hieß es in einem Schreiben aus dem Außenministerium. Deutschlands “unqualifizierte Aussage” werde entschieden zurückgewiesen.