MESOP MEINUNG : Gülen als einen friedlichen Gelehrten zu sehen, ist eine ungeheure Fehleinschätzung

Von EZGİ BAŞARAN

Ich bin immer wieder verwundert über die Fehleinschätzung der Gülen Bewegung durch westliche Akademiker, Journalisten und Politiker. Ihr Wissen kommt sehr oft von der intensiven Lobbyarbeit, die die Gülen Bewegung in den USA und Großbritannien betreibt. Nicht nur sind sie nicht informiert, sondern weigern sich auch zuzuhören. Die Berichterstattung westlicher Medien nach dem Putschversuch zeigt Tendenzen, die die Aufmerksamkeit und berechtigte Kritik vieler glaubwürdiger türkischer Journalisten nach sich zog.

Kritik an der Regierung zu der Einhaltung der Menschenrechte oder den immer noch anhaltenden Säuberungsaktionen darf nicht über die Beteiligung der Gülen Bewegung an allen möglichen kriminellen Aktivitäten, bis hin zu dem jüngsten Putschversuch, hinwegsehen. Die Türkei und die türkische Regierung sahen sich mit einem ungeheuren Angriff des tiefen Staates konfrontiert, gegründet von der Gülen Bewegung. Zum besseren Verständnis möchte ich daher insgesamt 11 Punkte zu der Gülen Bewegung aufführen:

  1. Die Gülen Bewegung unter ihrem islamischen Gelehrten Fethullah Gülen, wird von westlichen Medien und Politikern als Unterstützer des Friedens und eines interreligiösen Dialoges angesehen. Er verließ die Türkei 1999 nach einem Gerichtsverfahren, in dem er eines versuchten Umsturzes des säkularen Staates angeklagt wurde. Nach 9/11 wurde er vom Westen unterstützt, weil dieser in ihm ein Gegenmittel zu einem anwachsenden radikalen Islamismus sah. Sein erster Visumsantrag für die Vereinigten Staaten für ein Sondervisum als „herausragender Ausländer auf dem Gebiet des Bildungswesens“ wurde abgelehnt mit der Begründung, dass er kein Erzieher bzw. Pädagoge ist. Es wurde festgestellt, dass er hauptsächlich das Oberhaupt einer großen und einflussreichen politischen und religiösen Bewegung ist, mit unermesslichen Besitztümern. Er bekam die Green Card aufgrund der Empfehlungsschreiben von drei amerikanischen Amtspersonen: dem ehemaligen Botschafter der USA in der Türkei, Morton Abromovotiz, sowie George Fidas und Graham Fuller, beide ehemalige CIA Mitarbeiter.
  2. Die Gülen Bewegung ist in zwei Bereiche unterteilt. Der erste besteht aus seinen Schülern, die ihn ihm den Mahdi sehen, die islamische Version eines Messias. Der zweite Bereich besteht in einer Führungsriege, die mit einem geheimen Netzwerk arbeitet, das sich hauptsächlich im Sicherheitsapparat und der Justiz bewegt. Seine Gefolgschaft unter den Staatsbeamten, der Justiz und der Polizei – und wie jüngst gerade bewiesen – in der Armee ist ihm mehr zur Loyalität verpflichtet als den Institutionen, in denen sie arbeiten.
  3. Fethullah Gülen glaubt an eine geheime und allmähliche Übernahme von innen und dass der Wechsel von unten nach oben verlaufen sollte. Eine seiner früheren Predigten, die auch in der Anklageschrift von 1999 aufgeführt war, verkörpert diesen Glauben: „Ihr müsst Euch in allen Arterien des Systems bewegen ohne dass irgendjemand eure Anwesenheit bemerkt, bis ihr die Machtzentrale erreicht habt …. bis die Zeit reif ist, müssen die Anhänger so weitermachen … Ihr müsst die Zeit abwarten, bis ihr vollständig seid und die Bedingungen reif sind, bis wir die gesamte Welt schultern und tragen können … Ihr müsst warten, bis ihr die gesamte Staatsmacht unter Kontrolle habt mit allen rechtsstaatlichen Institutionen in der Türkei … bis zu dem Zeitpunkt würde jeder andere Schritt zu früh sein … als wenn man ein Ei vor Ablauf der 40 tägigen Brutzeit zerbricht und damit das Küken im Ei tötet.“
  4. Die Gülen Bewegung hat in den USA mit den besten Presseagenturen gearbeitet und so eine starke Lobbymaschine in USA, Großbritannien und der Türkei aufgebaut. Laut der amerikanischen Regierung hat die Bewegung ein finanzielles Vermögen zwischen 25 und 50 Milliarden Dollar mit Schulen und Wohltätigkeitsorganisationen in über 150 Ländern.
  5. Die Gülen Bewegung begann die Infiltration des türkischen Staates in den späten 1980er Jahren. Die Anwesenheit der Anhänger wurde schweigend von den Regierungen Bülent Ecevit, Süleyman Demirel und Tansu Çiller geduldet, während das kemalistische Establishment und die Armee sie als eine Bedrohung ansahen.
  6. Die goldenen Jahre der Gülen Bewegung waren in der ersten Dekade der AKP Regierung. Die AKP bildete zunächst eine Allianz mit der Bewegung, um die Macht der Armee in der Politik zu eliminieren. Diese Allianz wurde sehr deutlich 2007, als ein Memorandum der Armee bekannt wurde, die gegen die Präsidentschaft von Abdullah Gül war. 46 Tage später startete der Ergenekon-Fall, gefolgt von dem sogenannten Vorschlaghammer-Fall 2010. In all diesen Fällen wurden Armeefunktionäre, Oppositionelle im Parlament und Journalisten beschuldigt, einen Putsch gegen die AKP Regierung zu planen. Alle diese Anschuldigungen basierten auf erfundenen Beweisen der Gülenisten und der Polizei. Alle Angeklagten wurden 2016 frei gesprochen. Recep Tayyıp Erdoğan gab später an, dass er von Gülen Anhängern in die Irre geführt worden sei. Und der 15. Juli hat gezeigt, dass tatsächlich die Gülen Anhänger Putschpläne hatten.
  7. Der Hürriyet Chef-Redakteur Sedat Ergin hat in einem Artikel bestätigt, dass die Täter des Putsches Militäroffiziere waren, die zu wichtigen Positionen nach dem Vorschlaghammer-Fall aufgestiegen waren. Dadurch wurden Kemalisten durch Gülenisten ersetzt.
  8. Journalisten, die über die Gülen Bewegung in diesen Prozessen berichtet hatten, wurden verleumdet und mit Verhaftungen bedroht. Barış Terkoğlu, Barış Pehlivan, Soner Yalçın, Nedim Şener und Ahmet Şık erhielten Haftstrafen, weil sie Gülens Infiltration in den Staatsapparat aufdeckten. Şık schrieb ein Buch über die Gülen Präsenz im Polizeiapparat, während Şener die Verbindungen der Gülen Anhänger an der Ermordung 2007 von Hrant Dink untersuchte. Jetzt stehen Gülen Offiziere in dem Dink-Mord vor Gericht.
  9. In einem Artikel für die New York Times erwähnte Fethullah Gülen unlängst die AKP Razzien gegen die Kurden. Dieser Artikel mutet sehr scheinheilig an. Viele, auch ich, haben die AKP in Bezug auf den Friedensprozess kritisiert. Die Gülen Bewegung gehörte mit zu den treibenden Kräften, die gegen den Friedensprozess arbeiteten. 2009 starteten sie eine Kampagne, in der fast 8000 Aktivisten – Bürgermeister, Akademiker und Journalisten – verhaftet wurden. Diese Aktion wurde bekannt als die KCK (Kurdistan Communities Union) Verhaftungen. Der kurdische Politiker Hatip Dicle bestätigte „der Kopf hinter diesen Operationen waren die Gülen Anhänger in Polizei und Justiz … nach unseren Wahlerfolgen 2009 in den Kommunalwahlen erfanden sie diese Operationen, nur um uns zu terrorisieren.“ Auch die AKP bestätigte, dass die Gülen Bewegung hinter den KCK Verhaftungen stand. Der zweite Schlag war die Verbreitung der Berichte der Oslo Gespräche, in denen Hakan Fidan, der Chef des Geheimdienstes (MİT), Verhandlungen mit der verbotenen PKK führte. Nur die Gülenisten in dem Sicherheitsapparat hatten die Möglichkeiten, an so geheime Dokumente zu kommen. Und der dritte Schlag war der Versuch, Fidan und ehemalige Direktoren des Geheimdienstes am 7. Februar 2012 aufgrund dieser Verhandlungen zu verhaften, unterstützt durch Gülenisten in der Justiz.
  10. Die Anschuldigungen, dass der versuchte Putsch von Generälen der Gülen Bewegung geleitet wurde, basieren auf harten Fakten, die seit Jahren im Umlauf sind. Ahmet Zeki Üçok, ein militärischer Ankläger, führte 2009 umfangreiche Untersuchungen zu der Gülen Bewegung in der Armee durch. Er konnte diese Untersuchungen nicht zu Ende führen, da er verhaftet wurde mit der Begründung, er habe einige Zeugen gefoltert, indem er sie hypnotisiert habe. Er blieb fast fünf Jahre inhaftiert. Im April dieses Jahres gab er Ahmet Hakan ein Interview in dem er sagte, dass er alle Gülenisten namentlich kenne. Unmittelbar nach dem Putschversuch erklärte er, dass die Anführer des Putsches mit seiner Namensliste übereinstimmten. Im Zusammenhang mit der F-16, die das türkische Parlament bombardierte, erinnerte er sich aus Gerichtsakten an die Worte von Oberst Selçuk Başyiğit, jetzt im Ruhestand: „Wir sind jetzt sehr stark. Wir haben F-16 und F-4, die auf Befehl von Fethullah Gülen losfliegen werden.“
  11. Alle politischen Parteien im Parlament, die AKP, CHP, MHP und HDP sind sich einig, dass der Putschversuch vom 15. Juli von Gülenisten durchgeführt wurde. Ein Flügeladjutant von General Hulusi Akar gestand Verbindungen zu Gülen und wie er den früheren Befehlshaber der Streitkräfte, Necdet Özel, abgehört habe. Er berichtete auch, dass Generalmajor Hakan Evrim ihm sagte, er könne ein Telefonat mit Gülen arrangieren, dem „intellektuellen Anführer“ in der Nacht des Putsches.

Aufgrund dieser Informationen dürfte es eine ungeheure Fehleinschätzung sein, Gülen lediglich als friedlichen Islamgelehrten und Prediger zu sehen.

Hürriyet Daily News, 28. Juli 2016

http://www.hurriyetdailynews.com/thinking-gulen-is-a-peaceful-scholar-is-a-huge-mischaracterization.aspx?pageID=449&nID=102173&NewsCatID=548