MESOP : Lage der Pressefreiheit in der Türkei – Demokratisches Türkeiforum (DTF)

Meldungen im September 2015 – Die folgenden Nachrichten wurden im September 2015 vom DTF in der türkischen Presse erfasst und zusammenfassend übersetzt.

Am 2. September 2015 berichtete das unabhängige Internetnetzwerk Bianet unter dem Titel „In 40 Days, 20 Journalists Dismissed, 21 Journalists Sentenced to 157,5 Years in Prison“ über Untersuchungen des Solidaritäts-Netzwerkes gegen Zensur: In 40 Tagen wurden 20 Journalisten entlassen, in einem Medienunternehmen wurde eine Polizeirazzia durchgeführt, 103 Webseiten wurden blockiert und 10 Journalisten angegriffen, 3 Journalisten wurden von der Polizei bedroht. Die Tageszeitungen Evrensel und Sol wurden von den Türkischen Rachebrigaden (TIT) bedroht. Gegen 21 Journalisten gab es Gerichtsverfahren, zwei Journalisten wurden inhaftiert.

Am 14. Juli 2015 hatte Bianet unter dem Titel „News and Journalists Under the ‚Control‘ of Erdoğan/AKP are at Risk, dass 23 Journalisten und 9 Zeitungsverteiler, die meisten von ihnen Mitarbeiter kurdischer Medien, im Gefängnis seien.

Razzien, Ermittlungen und Angriffe gegen kritische Zeitungsverlage

Am 2. September berichtete Hürriyet unter der Überschrift „Erdoğan’s ‘silence the opponents’ campaign has been launched“, dass umfangreiche Polizeirazzien in den Zeitungen und Fernsehstationen der Koza Ipek Holding, von der angenommen wird, dass sie Beziehungen zur Gemeinde von Fethullah Gülen hat, bei den Fernsehsendern Bugün TV und Kanaltürk sowie den Zeitungen Bugün (Laut Al Monitor veröffentlichte Bugün am Tag der Razzia eine Dokumentation über Waffenlieferungen von der Türkei an den IS in Syrien mit Wissen des örtlichen Direktor des Zollamts) und Millet durchgeführt wurden. Dies wird von den Oppositionsparteien und unabhängigen Medien als Versuch angesehen, die oppositionellen Medien vor den Neuwahlen zum Schweigen zu bringen mit dem Ziel, die Einparteienregierung wieder herzustellen, die im Juni verloren wurde. Es besteht Besorgnis, dass die Razzien auf andere oppositionelle und unabhängige Medien ausgedehnt wird unter der Beschuldigung, terroristische Organisationen zu unterstützen.

Am 15. September berichtete Bianet unter dem Titel „Doğan Medya Grubu Hakkında Soruşturma“

über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die regierungskritische Mediengruppe Doğan wegen „terroristischer Propaganda“. Der Doğan-Mediengruppe gehören unter anderem die gleichnamige Nachrichtenagentur, die auflagenstarke Tageszeitung „Hürriyet“ und der Fernsehsender „CNN-Türk“.

Am 9. September berichtete Bianet über einen Angriff von jungen AKP-Anhängern auf die Zeitung “Hürriyet”, die versuchten, das Gebäude der Zeitung zu stürmen. Die Mitarbeiter fürchteten um ihr Leben. Hürriyet erstattete Anzeige gegen die Jugendorganisation der AKP und den AKP-Parlamentsabgeordneten Abdurrahim Boynukalın.

Am 14. September berichtete bianet unter dem Titel „Nokta Dergisi’ne Polis Baskını“, dass in der Nacht eine Razzia bei der Zeitschrift Nokta durchgeführt worden sei. Die Auflage, die an diesem Tag herausgegeben werden sollte, sei beschlagnahmt worden.

Am 29. September berichtete Bianet unter dem Titel „DİHA ya Polis Baskınına Tepki: Biz Varsak Gerçekler Gizlenemeyecek“ über Razzien am Vortag in den Büros von Dicle Haber (DİHA) und Azadiya Welat in Diyarbakir durchgeführt habe. Die Internet-Seite von DIHA wurde zum 21. Mal gesperrt. Von 32 festgenommenen Journalisten wurden 31 am Abend freigelassen.

Auch ausländische Journalisten sind von der Repression betroffen

Hürriyet berichtete am 02. September unter dem Titel “British journalists arrested ‘for listing PKK affiliates in a notebook’: Anadolu Agency”, dass am gleichen Tag zwei britische Journalisten, die für VICE News arbeiten, in Diyarbakir inhaftiert wurden unter der Beschuldigung, sich an Terroraktivitäten des Islamischen Staates von Irak und der Levante zu beteiligen. Diese absurde Behauptung wurde später geändert und erklärt, die beiden Journalisten und ihr Übersetzer hätten Verbindung mit der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei.

Bianet berichtete am 7. September unter dem Titel „Journalist Frederike Geerdink Detained in Yüksekova“, dass die holländische Journalistin Frederike Geerdink, die in der Provinz Diyarbakır lebt, im Kreis Yüksekova (Provinz Hakkari) zusammen mit Protestierenden der Gruppe Menschen-Schild festgenommen wurde.

Geerdink war im Januar 2015 unter der Beschuldigung, Propaganda für eine verbotene Organisation zu machen, festgenommen worden. Die 6. Kammer des Gerichtes für schwere Straftaten hatte sie von der Anklage freigesprochen, sie habe in drei ihrer Artikel und in ihren Eingaben in den sozialen Medien Propaganda für eine verbotene Organisation gemacht.

Am 9. September berichtete Sunday‘s Zaman unter dem Titel „Dutch journalist, deported from Turkey, returns home“, dass Geerdink aus der Türkei ausgewiesen worden sei und sich in Holland befinde. Auch die beiden inhaftierten Britischen Vice News Journalisten seien in der letzten Woche ausgewiesen worden, während ihr in der Türkei lebender Assistent weiterhin in Haft sei.

72 militärische Sperrzonen und Sondersicherheitszonen im Osten und Südosten der Türkei

Laut Bianet vom 11.09.2015 haben die Behörden aufgrund der andauernden Auseinandersetzungen mit der PKK in den vergangenen Wochen vermehrt temporäre militärische Sperrzonen und sog. Sondersicherheitszonen ausgerufen. Insgesamt gibt es zurzeit 72 Sperr- und Sonderzonen.

Militärische Sperrzonen werden durch den Generalstab ausgerufen, Sondersicherheitszonen werden auf Antrag des Generalstabs oder des Innenministeriums durch Entscheidung des Kabinetts eingerichtet und ausgerufen.

Insgesamt sind 11 Provinzen betroffen, die meisten Sperr- und Sicherheitszonen befinden sich in der Provinz Diyarbakır, gefolgt von Elazığ, Dersim und Hakkari. Bereits vor der Parlamentswahl am 7. Juni 2015 waren am 31. Mai 2015 in der Provinz Şırnak zwei militärische Sperrzonen ausgerufen worden.

Zwischenzeitlich hatte sich die Zahl der Sperr- und Sondersicherheitszonen am 26. August 2015 auf 130 Zonen in 15 Provinzen erhöht. Die Sperr- und Sondersicherheitszonen in Antep, Kilis, Urfa und Ardahan sind inzwischen ausgelaufen.

Eine aktuelle Übersicht über alle Sperr- und Sondersicherheitszonen hat die Internetzeitung Bianet zusammengestellt unter dem Titel „72 Özel Güvenlik Bölgesinin İnteraktif Haritası“.

Ereignisse in Cizre während der Ausgangssperre

Bianet berichtete am 18. September 2015 unter dem Titel ‚What Happened in Cizre While Governor Says Everything is Okay‘, dass Ali Ihsan Su, der Gouverneur der Provinz Sirnak äußerte, es habe keine Ausfälle öffentlicher Dienstleistungen während der Ausgangssperre vom 4.-12. September in Cizre gegeben. Er habe gesagt, die Ausgangssperre sei verhängt worden, um das Leben und Eigentum der Bevölkerung zu schützen, indem Gräben und Barrikaden, Sprengstoff und Fallen beseitigt worden seien. Bei den Operationen seien 7 Guerillas getötet und 25 Polizisten verletzt worden. Den Tod von Zivilisten habe der Gouverneur nicht erwähnt.

Dagegen berichtete Ziya Caliskan, der HDP-Abgeordnete von Urfa, am 10. September, dass die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen während der Ausgangssperre nicht erfüllt wurden, dass Feuerwehrleute, die Feuer löschen wollten, von Polizisten angegriffen wurden und Zivilisten starben bevor sie das Krankenhaus erreichten. Beyazit Ilhan, Präsident der Türkischen Ärztekammer sagte, medizinisches Personal sei angegriffen worden.

Während der Gouverneur sagte, die Bäckereien, Märkte und Apotheken waren geöffnet und für die Menschen zugänglich gewesen, berichtete ein Beamter aus Cizre, in der Stadt seien gepanzerte Fahrzeuge gewesen, man habe sich nicht bewegen können. Niemand habe Brot vom Bäcker kaufen können.

Die Anwaltskammer von Cizre gab laut einem Bericht von Bianet vom 18.09. mit dem Titel „Cizre Report of Diyarbakır Bar Association: Witnesses Tell“ an, dass während des Ausgehverbots in Cizre 21 Menschen getötet worden seien. Eine Menschenrechtsdelegation bestehend aus Vertretern des IHD, TIHV, Mazlum Der und Ärzten, die Cizre besuchten und Interviews führten, veröffentlichte am 15.09.2015 auf der Homepage des Menschenrechtsvereins (IHD) einen Bericht über die Ereignisse in Cizre mit dem Titel: „CİZRE (SOKAĞA ÇIKMA YASAĞI) OLAYLARI İNCELEME RAPORU“. Dem Bericht zufolge wurden 15 Zivilisten von den Sicherheitskräften getötet, darunter Frauen und Kinder, eine 17 jährige Mutter, die ihr 6 Monate altes Baby auf dem Arm hatte und alte Menschen. Fälle willkürlicher Tötung wurden beschrieben. Sieben Menschen sollen ums Leben gekommen sein, weil sie das Krankenhaus nicht erreichen konnten, darunter befanden sich ein 35 Tage altes Baby und vor allem ältere Menschen.

Haftstrafe für Kriegsdienstverweigerer Mehmet Tarhan

 

Bianet berichtet am 17. September 2015 unter dem Titel „Mehmet Tarhan “Sivil Ölüm” Şartıyla Serbest Bırakıldı“ über die Festnahme und bedingte Freilassung des Kriegsdienstverweigerers und LGBT-Aktivisten Mehmet Tarhan in der Provinz Aydin. Mehmet Tarhan sagte hierzu: Der zivile Tod hat für mich begonnen.

  1. Tarhan erzählte Bianet, dass im März 2015 gegen ihn Klage wegen Desertation erhoben und ein Haftbefehl ausgestellt wurde. M. Tarhan wurde zur Staatsanwaltschaft und danach zum Rekrutierungsbüro der Provinz Aydin gebracht.
  2. Tarhan wurde am 27. Oktober 2001 Kriegsdienstverweigerer. Am 8. April 2005 wurde er festgenommen und am 10. April 2005 seiner Militäreinheit in der Provinz Tokat überstellt.
  3. Tarhan weigerte sich, die Militäruniform zu tragen und den verpflichtenden Militärdienst abzuleisten. Daraufhin wurde er in das Militärgefängnis Sivas gebracht. Dort begann er einen Hungerstreik, weil seine Haare und sein Bart gegen seinen Willen abrasiert wurden und er wurde von anderen Soldaten geschlagen, weil er es ablehnte, den Militärdienst abzuleisten. M. Tarhan wandte sich an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR). Der EGMR beschloss eine Geldstrafe für die Türkei von 10.000 Euro.

Im Februar 2015 verurteilte das Strafgericht des Militärs M. Tarhan wegen Gehorsamsverweigerung zu 15 Monaten Haftstrafe und einer Geldstrafe von 2.647 Euro. Tarhan kündigte an, dass er sich an den Kassationshof wenden würde.

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