MESOP INSIGHT SYRIEN : DIE GELD- & FINANZLAGE DER SYRISCHEN OPPOSITION / DIE GELDZUSAGEN DER BUNDESREGIERUNG
Khaled Malik würde die Exilregierung gerne unterstützen. Der junge Oppositionelle arbeitet im Lokalrat der nordsyrischen Stadt Aleppo, am Wochenende ist er über die grüne Grenze ins nahe türkische Gaziantep gekommen, um an einem Workshop zum Aufbau lokaler Strukturen teilzunehmen. Doch was er am Standort der Oppositionsführung miterlebt, gefällt ihm nicht: „Ich fühle mich ungerecht behandelt”, sagt Malik. „Wie kann es sein, dass Mitarbeiter der Exilregierung im sicheren Ausland zwanzigmal so viel verdienen, obwohl ich mitten im Kriegsgebiet arbeite?”
Die Klage des Oppositionellen über mangelnde Bezahlung ist nicht die einzige Kritik, die er an der im Winter eingesetzten Gegenregierung Ahmad Tohmes übt. „Sie reden viel, koordinieren sich untereinander, und passieren tut doch nichts”, sagt er und schüttelt den Kopf. Seit November ist die von der Syrischen Nationalen Koalition eingesetzte Exilexekutive im Amt, doch an der Lage in Aleppo, Idlib und anderen hinzugewonnenen Gebieten hat sich dadurch für die fleißig arbeitenden lokalen Räte nichts geändert.
Dabei wird die Lage immer verzweifelter. Syrien im Jahr vier nach Beginn des Aufstands gegen Diktator Baschar al Assad, das sind bald 150 000 Tote, mehr als neun Millionen Vertriebene inner- sowie außerhalb der Grenzen und ein Land in Trümmern. Fast schlimmer noch für diejenigen, die ausharren unter Assads Bomben und zwischen den Fronten der gespal tenen Oppositionsmilizen: Statt zügig zu helfen, verzetteln sich syrische und internationale Hilfsorganisationen in langwierigen Genehmigungsverfahren. „Oft kommt die Unterstützung viel zu spät”, sagt Malik, der in seiner Heimatstadt Wasser- und Krankenversorgung organisiert, sich um Stromleitungen kümmert und den Wiederaufbau zerstörter Bäckereien.
Auf sechzig bis achtzig Milliarden Dollar beziffern Fachleute der Wirtschaftsund Sozialkommission für Westasien der Vereinten Nationen (Escwa) in Beirut die durch den Krieg erlittenen Schäden. Der Wert der an der Börse von Damaskus gehandelten Aktien ist seit Beginn der Proteste gegen Assad um mehr als achtzig Prozent gefallen. Mehr als 2000 Fabriken sollen zerstört worden sein; in der einstigen Handelsmetropole Aleppo arbeitet nur noch jeder Vierte.
Eigentlich ist die Exilregierung in Gaziantep angetreten, etwas dagegen zu tun. In den von Assads Einheiten gewonnenen Gebieten arbeiten mehrere tausend ihrer Mitarbeiter. Doch das wild zusammengewürfelte Kabinett des Ministerpräsidenten Tomeh in der Exilhauptstadt Gaziantep kommt den Entwicklungen kaum hinterher. Vergangene Woche fiel mit Jabrud an der libanesischen Grenze eine der Hochburgen der Opposition, die Zivilbevölkerung Aleppos wird seit Monaten von Assads Luftwaffe bombardiert. Kein Wunder, dass sich die lokalen Räte von der Exilexekutive abwenden. Denn auch über Geld verfügt diese kaum. Gerade einmal fünfzig Millionen Euro stehen der Regierung zur Verfügung, um die nötigsten Bedürfnisse der rund fünf Millionen in den von der Opposition kontrollierten Gebieten zu decken. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, räumt Wirtschafts- und Finanzminister Ibrahim Miro im Gespräch mit dieser Zeitung ein. Den eigentlichen Bedarf schätzt der in den Niederlanden ausgebildete Ökonom auf 200 Millionen Dollar im Monat.
Bis Ende März steht Miro noch dem SyHa Recovery Trust Fonds vor, den die Bun-desregierung gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgebaut hat. Projekte zum Wiederaufbau der Infrastruktur stehen im Mittelpunkt des Fonds, der aus internationalen Geldern gespeist wird. Miro lobt ihn, weil er zeige, dass das lose Staatenbündnis der „Freunde Syriens” in der Lage sei, unabhängig von den Vereinten Nationen Hilfe zu leisten. Die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos hatte auf einer Geberkonferenz im Januar 6,5 Milliarden Dollar für die Versorgung der Flüchtlinge in diesem Jahr verlangt. Zugesagt allerdings wurden nur 1,8 Milliarden, davon knapp 93 Millionen Dollar aus Berlin.
Gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten leitet Deutschland die Arbeitsgruppe für wirtschaftlichen Wiederaufbau und Entwicklung der „Freunde Syriens”. Vergangene Woche eröffnete das zur Abstimmung mit der Übergangsregierung eingerichtete Sekretariat ein Büro in Gaziantep, das nur sechzig Kilometer vom Kriegsgebiet entfernt liegt. Doch gegenüber den Anstrengungen Russlands und Irans, das Assad-Regime im Amt zu halten, verpufft die Arbeit des Sekretariats. „Wir können hier nichts ausrichten”, sagt der Mitarbeiter einer UN-Organisation.
Hinzu kommt das Zögern des Westens, sich mit Macht auf die Seite der Regimegegner zu schlagen. „Die Unterstützung muss erheblich intensiviert werden, sonst wird sich der Konflikt über Jahrzehnte fortsetzen”, sagt Miro. Doch auch die Bundesregierung hat die Verbindungen zu Stützen des alten Regimes nie gekappt. Der kurz nach Beginn der Revolution 2011 von Assad entlassene stellvertretende Ministerpräsident für Wirtschafts-fragen, Abdallah Dardari, gehört zu den sogenannten Reformern, die von Berlin bis heute hofiert werden. In seiner ersten Amtszeit als Außenminister traf Frank-Walter Steinmeier dreimal mit ihm zusammen.
Bei der UN-Wirtschafts- und Sozialkommission Escwa in Beirut wartet Dardari auf das Ende des Konflikts und reist wie andere der sogenannten „Golden Boys”, die nach dem Amtsantritt Assads 2000 auf die neoliberale Erneuerung des Landes setzen, weiter problemlos zu Treffen nach Damaskus. Für Wirtschaftsminister Miro ist die „gescheiterte Wirtschaftspolitik” des einstigen Shootingstars der Assad-Regierung einer der Gründe, weshalb die Bevölkerung gegen den Diktator aufbegehrte. Ganze Landstriche seien verarmt, während sich die Eliten be-reichern konnten. Dass der Aufstand in der von Landflucht gebeutelten einstigen Kornkammer des Landes Huran begann, sei Folge der katastrophalen ökonomischen Direktiven Dardaris gewesen.
Markus Bickel – FAZ 29.3.2014