MESOP : INGA ROGG (NZZ) – KRITIK AN PKK Nach dem Massaker von Suruç – Die PKK zündelt an der Lunte des Kriegs

Das Massaker von Suruç hat die Gräben zwischen Ankara und den Kurden vertieft. Daran hat offenbar nicht nur der IS ein Interesse, sondern auch die PKK-Rebellen.

von Inga Rogg, Istanbul22.7.2015 – Während die Angehörigen der Opfer von Suruç um den Verlust ihrer Liebsten trauern und sich das Regierungslager und die Kurden mit gegenseitigen Verdächtigungen überschütten, haben die Kämpfer von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zusätzliches Öl in das schwelende Feuer gegossen. Nach eigenen Angaben hat die PKK in der türkisch-syrischen Grenzstadt Ceylanpinar zwei Polizisten ermordet.

Die beiden Beamten waren am Mittwochmorgen tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Sie seien mit Kopfschüssen getötet worden, teilte der Gouverneur der umliegenden Provinz Sanliurfa mit. Einen terroristischen Hintergrund schloss er zunächst aus. Am Mittwochnachmittag veröffentlichte die PKK dann jedoch eine Erklärung, in der sie den Mord als Vergeltungsaktion für das Massaker von Suruç bezeichnete. Die beiden Polizisten hätten mit den Extremisten des Islamischen Staats (IS) kollaboriert, heisst es in der online verbreiteten Erklärung.

Täter identifiziert

In Suruç, das rund 200 Kilometer östlich von Ceylanpinar liegt, hatte ein Selbstmordattentäter am Montag 32 prokurdische Aktivisten in den Tod gerissen. Inzwischen ist der Täter zweifelsfrei identifiziert. Das Verbrechen wurde offenbar von einem zwanzigjährigen Kurden aus Adiyaman verübt. Laut einem Bericht der Tageszeitung «Radikal» hatte Seyh Abdurrahman Alagöz ein Studium abgebrochen und als Maler gearbeitet. Gemeinsam mit seinem 25-jährigen Bruder sei er vor etwa sechs Monaten ins Ausland gegangen, sagte die Mutter dem Blatt. Wohin sie gegangen seien und was machten, hätten sie ihr aber nicht gesagt, sondern nur, dass es ihnen gut gehe. «Sie sind beide gute Jungen, sie würden niemals jemandem etwas antun», sagte die Mutter.

Die Regierung geht davon aus, dass sich die beiden dem IS in Syrien angeschlossen hatten. Kurden aus der Türkei wie dem Irak kämpfen seit langem nicht nur in den Reihen des syrischen PKK-Ablegers, sondern auch in den Reihen des IS. Laut türkischen Medienberichten stand der Selbstmordattentäter auch in Verbindung mit dem Tatverdächtigen hinter dem Doppelanschlag auf eine kurdische Wahlkampfveranstaltung in Diyarbakir, die im Juni vier Tote und Hunderte von Verletzten forderte. Darüber hinaus ermittelt die Polizei noch, ob an dem Anschlag in Suruç eine Frau beteiligt war.

Viele Kurden machen Präsident Recep Tayyip Erdogan und die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) für das Massaker verantwortlich. Unter AKP-Anhängern und der Partei nahestehenden Medien werden dagegen die Kurden für die jüngste Gewalt verantwortlich gemacht. Hartnäckig werden Gerüchte verbreitet, der Selbstmordanschlag gehe auf das Konto der PKK. Der Co-Vorsitzende der Partei der Demokratie der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, wird beschuldigt, er agiere wie die PKK. Das geht so weit, dass er online als Mörder beschimpft wird. Seine Partei hat im Osten des Landes die Sicherheitsvorkehrungen vor ihren Parteibüros verstärkt. Aber auch die HDP ist verbal wenig zimperlich. Die eigentliche Verantwortung für das Massaker von Suruç liege bei der Regierung, weil sie keine probaten Massnahmen gegen den Islamischen Staat ergreife, erklärte die Partei am Mittwoch.

Twitter-Sperrung

In Istanbul, Ankara und vor allem in Städten im mehrheitlich kurdischen Südosten des Landes protestierten in den letzten Tagen Tausende von Personen gegen die angeblich laxe Haltung der Regierung gegenüber dem IS. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Demonstranten vor. Dutzende von Personen wurden festgenommen. Aber auch vonseiten der Protestierenden kam es zu Gewaltakten. In Istanbul feuerten Demonstranten mit Leuchtmunition auf die Polizei. In den Gebieten um Sirnak an der türkisch-irakischen Grenze kam es in der Nacht auf Mittwoch zu stundenlangen Strassenschlachten. Die Regierung verhängte am Mittwoch eine Urlaubssperre für die Polizei. Zugleich verlangte ein Gericht von Facebook, Twitter und Youtube die Sperrung von 107 Websites, die angeblich grausame Aufnahmen von Suruç verbreitet, aber auch zu Protesten aufgerufen hatten. Während Facebook und Youtube der Anordnung sofort Folge leisteten, blieb Twitter über Stunden hinweg komplett gesperrt.

Die Morde an den Polizisten deuten darauf hin, dass auch die PKK auf Eskalation setzt. Damit unterminieren die Rebellen die HDP. Demirtas hat die Morde am Mittwochabend verurteilt. Er teile den Schmerz der Familien, sagte er. Die Polizisten und der am Montag von der PKK getötete Soldat seien ebenfalls Söhne des Volkes.