MESOP HEALTH CULTURE : Krebs ist Pech & genetischer Zufall – Mit Rauchen weniger zu tun l Renommierte Johns Hopkins Forscher (Baltimore)

 „Rauchen ist strikt verboten, es gibt keine Industrie, keine UV – Strahlung; alle trinken Grünkohl-Shakes zum Frühstück, Mittag-und Abendessen – Menschen werden trotzdem Tumoren entwickeln.”

Denn, so der Wissenschaftler von der Johns Hopkins University im amerikanischen Baltimore, nicht für jeden Tumor sind negative Umwelteinflüsse verantwortlich. Und auch die richtigen Gene schützen lange nicht immer vor Krebs. Etwa zwei von drei malignen Mutationen, also Erbgutveränderungen, die normale Zellen in Krebszellen verwandeln, seien weder zu viel Stress, Zigaretten, Fast Food noch einer genetischen Disposition zuzuschreiben, glaubt Vogelstein. Nach seinen Berechnungen haben die meisten, die an Krebs erkranken, einfach Pech gehabt: Ihre Geschwulst ist Schicksal, das einen selbst im Paradies ereilen kann.

Zusammen mit dem Bioinformatiker Cristian Tomasetti stellt er in der aktuellen Ausgabe von Science dar, wie er zu dieser Ansicht gekommen ist. Die beiden haben die Teilungsraten von Stammzellen in den einzelnen Organen des Körpers mit den entsprechenden Krebsraten verglichen. Dabei sind sie auf einen eindeutigen Zusammenhang gestoßen. Je häufiger sich diese Zellen teilen, desto größer ist im Prinzip die Wahrscheinlichkeit, dass aus ihnen ein Tumor entsteht. „Wenn Zellen sich teilen”, so argumentieren die beiden Forscher, „machen sie unvermeidbar Fehler.” Und sie geben ihren Nachkommen eine beschädigte Kopie des Erbguts mit. Je häufiger die Teilung, so die simple Rechnung, desto häufiger auch die Fehler. Da sich die Stammzellen verschiedener Organe sehr unterschiedlich oft teilen, könnte das erklären, warum uns manche Krebsarten viel häufiger heimsuchen als andere. Krebs ist im Dickdarm, wo sich die Stammzellen viel häufiger fortpflanzen, bis zu zwanzigmal häufiger als im Dünndarm, obwohl potentiell krebsfördernde Stoffe in der Nahrung gleichermaßen durch beide Organe transportiert werden.

Tatsächlich könnte die Theorie von Vogelstein und Tomasetti helfen, eines der großen Rätsel in der Onkologie zu lösen: Manchmal scheint sich der Krebs von allen schädlichen Umwelteinflüssen loszulösen. Er attackiert plötzlich Menschen, die gemäß den Gesundheitsratgebern alles richtig gemacht haben. Genauso wenig ließ sich bisher das umgekehrte Phänomen, der Helmut-Schmidt-Effekt, erklären: Warum bekommt eigentlich nur je-der zehnte Raucher Lungenkrebs, obwohl Zigarettenqualm das wohl stärkste krebserregende Umweltgift ist? Allein am Erbe der Eltern, da sind sich die Mediziner einig, kann es nicht liegen. Insgesamt gilt die Schätzung: Nur vier von zehn Tumoren wären durch einen gesünderen Lebenswandel vermeidbar gewesen. Was na-türlich zu der Frage führt: Wie steht es mit den anderen sechs, welcher unbekannten Ursache haben diese Patienten ihre Krankheit zu verdanken?

Schon vor zwei Jahren hatten Vogelstein und Tomasetti behauptet, dass es die zufälligen Fehler sind, die im Erbgut einer sich teilenden Stammzelle zwangsläufig entstehen. Zumindest auf Anhieb gelang es ihnen jedoch nicht, jeden Kollegen zu überzeugen. Eher im Gegenteil. Ein Aufschrei ging durch die Fachwelt. Viele fragten sich, was den mehrfach für den Nobelpreis gehandelten Vogelstein zu solchen kruden Thesen getrieben habe. Gerade Epidemiologen fühlten sich auf den Schlips getreten, weil sie durch die Veröffentlichung Sinn und Zweck ihrer Präventionsmaßnahmen in Frage gestellt sahen.

FAS/FAZ 26 März 2017

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