MESOP : Gastbeitrag von EVRIM SOMMER – BERLIN – LINKSPARTEI

»Wir sind keine Friedenspartei, wenn wir streiten, während andere sterben«

13-8-2014 – Evrim Sommer zur Debatte über der Linkspartei über Waffenlieferungen an die Kurden und Hilfe für die von der Terrormiliz Islamischer Staat bedrohten Jesiden

Seit einigen Wochen ermorden islamistische Terror-Milizen im Norden Irak unzählige Menschen – vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen. Das Ziel der Milizen ist die Errichtung eines »Gottesstaates«, in dem es nur Anhänger ihres Glaubens geben darf. Alle anderen sollen sterben: Christen, Juden, Jesiden und Alewiten. Die Grausamkeit übertrifft unsere Vorstellungen: Enthauptungen vor den Augen anderer Familienmitglieder, das Begraben lebender Menschen, Massenexekutionen, Verstümmelungen und Vergewaltigungen von Frauen.

Der Übermacht der gut ausgebildeten, von Saudi-Arabien und Katar mit Waffen ausgestatten Kämpfer können die Menschen im Norden Iraks nichts entgegensetzen. So bleibt die Flucht in die schwer zugänglichen Berge des Sindschar-Gebirges. Wer nicht mehr flüchten kann, den erwartet ein grausamer Tod. Die Menschen, die es im Nord-Irak betrifft, sind Kurden: Ein Volk von über 40 Millionen Menschen, die in der Türkei, im Iran, in Syrien und dem Irak leben. Ihre kulturellen Wurzeln liegen in den alt-iranischen und alt-indischen Zivilisationen. Ihre religiösen Anschauungen basieren auf der Verehrung der Naturelemente. Erst durch die Zwangsislamisierung im siebten Jahrhundert übernahmen Teile der kurdischen Bevölkerung den muslimischen Glauben. Kurdische Jesiden, Alewiten, Christen und Juden jedoch taten dies nicht. Viele Kurden leben noch nach den alten Grundsätzen, wie der Gleichheit von Mann und Frau. Auch wird der Islam sehr locker ausgelegt. Deswegen sind sie radikalen Muslimen ein Dorn im Auge.

Während stündlich Menschen im Nordirak ermordet werden oder durch Hunger und Durst sterben, debattiert unsere Partei DIE LINKE über ethische Grundsätze. Ist diese Partei wirklich die FRIEDENSPARTEI, in die ich eingetreten bin? Ich selbst habe kurdische Wurzeln. Seit meiner Geburt im Osten der Türkei habe ich immer wieder Gewalt erfahren. Da war das Verbot, meine Sprache zu sprechen. Da waren Bombenanschläge auf unsere Wohnung, Attentate auf meinen Vater, der Tod von Familienangehörigen. Dies erst endete 1980 mit unserer Flucht nach West-Berlin, die meiner Familie und mir das Leben rettete. Die Partei DIE LINKE war politisch immer die Heimat der Kurden und somit auch meine politische Heimat.

Ich bin fassungslos über die Debatten in meiner Partei, die der Aufforderung Gregor Gysis nach schneller Hilfe folgten. Hier werden politische Flügelkämpfe auf dem Rücken der Menschen ausgetragen, die dem Tod ins Angesicht blicken. Welches Verständnis einer solidarischen Gesellschaft ist das bitte? Während sich politische Parteien aller Couleur in Deutschland für den Schutz der Menschen in Nord-Irak einsetzen, wird hier gestritten. DIE LINKE hat viele Mitglieder kurdischer Herkunft. Warum reden hier Politiker, die sich mit der Thematik nicht auskennen? Warum stellen sie ihre Meinung über die der Menschen, die es betrifft?

Der Streit muss ein Ende haben! Er kostet Menschenleben! Wir müssen SOFORT helfen, und zwar jeder nach seiner politischen und moralischen Vorstellung. Sei es durch Hilfsgüter, durch Menschen vor Ort oder durch militärischen Schutz. Unsere Ideale sind nichts wert, wenn wir es nicht schaffen, den Menschen zu helfen, die unseren Schutz brauchen! Wir sind keine Friedenspartei, wenn wir streiten, während andere sterben! http://www.neues-deutschland.de/artikel/942302.wir-sind-keine-friedenspartei-wenn-wir-streiten-waehrend-andere-sterben.html