MESOP FOCUS : RAZAN ZEITOUNEH / Entführte syrische Journalistin : Ein Hashtag für die Freiheit
…. Was andere bestürzt + mit Protest zur Kenntnis nahmen, deutsche Menschenrechts- und Hilfsorganisationen aber nicht:
Die syrische Journalistin Razan Zeitouneh wurde von Islamisten entführt. Jetzt haben ihre Unterstützer eine Facebook-Kampagne gestartet, um sie zu befreien. Dem Westen machen sie schwere Vorwürfe.
03.06.2014, von Markus Bickel, Kairo – FAZ – Rami Nakhla kann es nicht fassen. „Fünfundvierzig Menschenrechtsorganisationen haben den Aufruf zur Freilassung Razan Zeitounehs unterzeichnet, doch im Westen hat kein einziges Medium darüber berichtet“, sagt der syrische Koordinator der Kampagne #Douma4. Ein halbes Jahr nach der Entführung der prominenten syrischen Demokratieaktivistin aus dem Damaszener Vorort Duma waren die Angehörigen Razan Zeitounehs vergangene Woche an die Öffentlichkeit gegangen, um den Druck auf die Kidnapper zu erhöhen.
Amnesty International, Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen schlossen sich der Aufforderung an, die 37 Jahre alte Syrerin, ihren Mann und zwei weitere Mitarbeiter des syrischen Violations and Documentations Center (VDL), die im Dezember verschleppt worden waren, bedingungslos freizulassen.
Gezögert, die Namen der mutmaßlichen Täter zu nennen
Die Twitter-Kampagne unter dem Hashtag #Douma4 sei nur der Anfang, sagt Rami Nakhla, der in der Hochburg der syrischen Exilopposition im türkischen Gaziantep die Bemühungen zur Freilassung Zeitounehs, Wael Hamadehs von den Lokalen Koordinierungskomitees, der Oppositionellen Samira al Khalil und des Rechtsanwalts Nazem Hamadi koordiniert. Lange habe man überlegt, die Namen der mutmaßlichen Täter überhaupt öffentlich zu machen, um eine Verhandlungslösung nicht zu gefährden. Doch nach zähen Wochen erfolgloser direkter und indirekter Gespräche mit der Islamischen Armee Zahran Alloushs, der mächtigsten Miliz im von der Opposition gehaltenen Duma, habe man sich zu diesem Schritt entschlossen. „Wir werden den Druck so lange erhöhen, bis der politische Preis, sie gefangen zu halten höher wird als der für ihre Freilassung.“
Anders als die Terrororganisation Islamischer Staat im Irak und (Groß-)Syrien (Isis) setzt Alloushs Islamische Armee auf ein „nationales Projekt“ zum Sturz der Diktatur Baschar al Assads. Entführungen zählen eigentlich nicht zu ihrem Repertoire, weshalb die Demokratieaktivisten bis zuletzt hofften, dass die als moderat auftretende Islamistenmiliz einlenken – und die Entführung Zeitounehs, die 2011 vom Europaparlament mit dem Sakharov-Preis für Gedankenfreiheit ausgezeichnet wurde, als Fehler betrachten würde. Vergeblich: Das mangelnde Interesse westlicher Medien für den prominenten Fall zeige, dass „die Sorge um die Einhaltung von Menschenrechten in Syrien nach drei Jahren Krieg irrelevant“ geworden seien, beklagt Nakhla. Auf allen Seiten.
Eine missliebige Kritikerin mundtot machen
Aus diesem Desinteresse speist sich die Rückkehr von Kidnappen als Kriegstaktik. Allen voran ausländische Berichterstatter sind zum Ziel bewaffneter islamistischer Gruppen geworden, die seit vergangenem Jahr vermehrt dazu aufrufen, „vom Westen besoldeten Spione“ gefangenen zu nehmen. Reporter ohne Grenzen stuft Syrien inzwischen als gefährlichstes Land der Welt für Journalisten ein. Erst im Mai nahmen Freischärler den erfahrenen britischen Kriegsreporter Anthony Loyd gefangen. Sein syrischer Mitarbeiter, dem er zweieinhalb Jahre lang vertraute, hatte ihn verraten. Nur der Aufmerksamkeit seines Übersetzers war es zu verdanken, dass der „Times“-Journalist und sein Fotograf sich in einem unbeobachteten Moment befreien und fliehen konnten.
Was die Unterdrückung von Meinungs- und Medienfreiheit anbelangt, stehen sich das Regime in Damaskus und seine islamistischen Gegner in nichts nach. Noch vor Ausbruch des Aufstands 2011 stuften Menschenrechtsorganisation die Baath-Diktatur ganz oben auf den Ranglisten der Feinde der Pressefreiheit ein. An diesem Dienstag will Assad sich bei einer von der Opposition boykottierten Wahl eine dritte Amtszeit sichern. Weil westliche Reporter zu willkommener Beute geworden sind, wird die Arbeit aber auch in den vom Regime befreiten Gegenden immer schwieriger. Kamerateams, die dieser Tage über die Präsidentenwahl berichten, ziehen es deshalb vor, mehrmals die grüne Grenze aus der Türkei zu überqueren, statt über Nacht in den Oppositionsgebieten zu bleiben.
Weit mehr als hundert Berichterstatter sind seit Beginn der Revolution 2011 getötet und Dutzende inhaftiert worden – in den Gefängnissen Assads, vor allem aber in den Kellern der Terrororganisation Isis. Von mehr als tausend syrischen Gefangenen in den Zellen der Dschihadisten geht Razan Zeitounehs Violations and Documentations Center (VDL) aus, darunter Kämpfer verfeindeter Gruppen, Medien- und Menschenrechtsaktivisten, Rechtsanwälte und humanitäre Helfer. Die Entführungsindustrie blüht vor allem in den Provinzen Idlib, Aleppo und Raqqa, wo die Isis-Terroristen besonders stark sind.
Ging es Razan Zeitounehs Kidnappern darum, eine missliebige Kritikerin mundtot zu machen, so sind die meisten Entführungen ausländischer Journalisten finanziell motiviert, heißt es bei der Samir-Kassir-Stiftung in Beirut, die sich für verschwundene Berichterstatter einsetzt. Ein Lösegeld von 18 Millionen Dollar etwa soll die Regierung in Paris im April für die Freilassung von vier französischen Reportern bezahlt haben, die im Juni 2013 im Norden Syriens in die Gewalt einer islamistischen Gruppe kamen. Nach langen Monaten, die sie angekettet in einem Kellerverlies in Aleppo verbrachten, wurden die Geiseln am Ostersonntag nahe der türkischen Grenzstadt Akçakale ausgesetzt.
Ein Entführungsfall eigener Art
Auch für die Freilassung der beiden spanischen Kriegsreporter Javier Espinosa und Ricardo García Vilanova sollen hohe Summen geflossen sein. Sie waren im September vergangenen Jahres in Aleppo von Isis entführt worden, nach dem Beschuss ihres Verstecks durch rivalisierende Einheiten im Januar aber nach Raqqa gebracht worden. Die Stadt ist fest in der Hand der Dschihadisten. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Priester zählen dort ebenso zu den Gefangenen wie liberale Aktivisten und Journalisten.
Die Entführung Razan Zeitounehs sei deshalb einzigartig, weil die Entführer nichts für sie verlangt hätten, sagt der Demokratieaktivist Nakhla von der Kampagne #Douma4 – weder Lösegeld noch die Freilassung eigener Kämpfer. Gegenüber der Türkei und Qatar, die die Islamische Armee unterstützen, habe der mächtige Milizenführer Zahran Alloush stets bestritten, etwas mit der Verschleppung zu tun zu haben, obwohl seine Untergebenen das von Assads Einheiten belagerte Duma kontrollieren. Außerdem zeigten die wütenden Reaktionen des Medienbüros der Islamischen Armee, dass die Kampagne die Gruppe treffe.
Einschüchterungen und Bedrohungen der rastlosen Rechtsanwältin Zeitouneh, die Menschenrechtsverletzungen des Regimes ebenso dokumentierte wie der Oppositionsmilizen, hatten lange vor ihrer Entführung begonnen. Sollte die Islamische Armee dem Druck nicht nachgeben, planen ihre Angehörigen über Anwälte in den Vereinigten Staaten und Europa bereits den nächsten Schritt: Man werde dafür sorgen, dass die Gruppe auf die Liste terroristischer Organisationen gesetzt werde, sagt Nakhla. Dann wäre der Ruf als gemäßigte Alternative zum Assad-Regime dahin, und die Unterstützung aus Doha und Istanbul wahrscheinlich auch. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/entfuehrte-syrische-journalistin-ein-hashtag-fuer-die-freiheit-12970810.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2