MESOP FLASH : Kämpfen russische Soldaten bald für Assads Regime?
2 Sept 2015 – DIE WELT – Laut israelischen Berichten sollen bald Tausende russische Soldaten in Syrien für Baschar al-Assad kämpfen. Experten haben Zweifel, sprechen aber trotzdem von einem Gezeitenwechsel im Bürgerkrieg. Von Gil Yaron, Tel Aviv
Schon seit Jahren erhält Russland das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad mit regelmäßigen Waffen- und Munitionslieferungen am Leben. Dennoch erleiden dessen Truppen fortwährend Rückschläge. Deswegen will Moskau angeblich schon bald “Tausende” russische Soldaten nach Syrien entsenden, um aktiv in die blutigen Kämpfe einzugreifen. Dies berichtete die israelische Nachrichtenseite “Ynet” unter Berufung auf anonyme “westliche Diplomaten”.
Eine Vorhut befinde sich bereits vor Ort, um einen Luftwaffenstützpunkt in der Nähe der Hauptstadt Damaskus für das russische Expeditionscorps vorzubereiten. Außer Beratern, technischem Personal und Kampfpiloten sollen sich auch neue Kampfbomber und Kampfhubschrauber auf dem Weg nach Syrien befinden. Ihre Hauptaufgabe sei es, an der Seite syrischer Soldaten die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu bekämpfen.
Dennoch sind dessen Truppen gezwungen, sich immer weiter zurückzuziehen. So macht der IS (Link: http://www.welt.de/themen/islamischer-staat) selbst in Vororten von Damaskus Fortschritte: “Noch nie war der IS dem Herzen der Hauptstadt so nah”, sagte Rami Abdel Rahman, Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, einer Menschenrechtsorganisation, die mithilfe von Freiwilligen die Kämpfe vor Ort dokumentiert. Gleichzeitig brachte eine Koalition islamistischer Kräfte fast die gesamte Provinz Idlib im Nordwesten des Landes in ihre Gewalt und löste neue Flüchtlingsströme aus. Denn nicht nur Damaskus, auch die Rebellen erhalten Hilfe von außen.
Sunnitische Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien, betrachteten die Wirren in Syrien lange als Gelegenheit, ihren schiitischen Erzrivalen Iran zu schwächen. So wurde Syriens Bürgerkrieg zu einem scheinbar unlösbaren regionalen Stellvertreterkrieg.Vor diesem Hintergrund sollen der Iran und Russland unlängst beschlossen haben, “alle notwendigen Mittel einzusetzen, um Assads Macht zu erhalten” und den “Vormarsch der Islamisten zu stoppen”, berichtet “Ynet”. Moskau befürchte vor allem, ein Fall des Regimes und ein Erstarken des IS könnten die eigene muslimische Bevölkerung radikalisieren und mehrheitlich muslimische Nachbarstaaten destabilisieren.
Ente oder Indiz?
Dennoch raten israelische Experten dazu, den Bericht über das Eintreffen russischer Truppen in Syrien mit Vorsicht zu genießen: “Ich halte es durchaus für wahrscheinlich, dass Moskau seine Unterstützung intensiviert, schließlich geht es Assads Regime dauernd schlechter. Aber sich direkt einzumischen und Soldaten für ihn kämpfen zu lassen widerspräche Russlands Weltanschauung und bisheriger Politik vollkommen”, sagt Schlomo Brom, ehemaliger Brigadegeneral im israelischen Militärgeheimdienst und leitender Wissenschaftler im Institut für Strategische Studien in Tel Aviv, der “Welt”.
Bislang sei es Russland weitgehend gelungen, nicht zum Ziel radikal-islamischer Terrororganisationen zu werden. “Moskau ist darauf bedacht, dass das so bleibt”, so Brom. Auch der Syrien-Experte Professor Eyal Zisser von der Universität Tel Aviv ist überzeugt, dass “die Russen und die Iraner bereit sind, bis zum letzten Syrer zu kämpfen. Aber sie werden Assad eher fallen lassen, als eigene Truppen in diesen Krieg zu entsenden.” So bezweifeln beide Experten den Wahrheitsgehalt der Meldung.
Assad wartet auf Wunder
Und dennoch sei sie ein wichtiges Indiz für Wandel: “Assads Lage ist schlecht, er wartet auf Wunder, die ihm beim Überleben helfen. Und genau die ereignen sich gerade”, sagt Zisser. Das habe der Diktator dem Aufstieg des IS zu verdanken, der nicht nur die Region, sondern die ganze Welt in Schrecken versetze. Infolgedessen würden Assads wichtigste Widersacher beginnen umzudenken. Schon lange hätten die USA nicht mehr Assads Sturz gefordert. Stattdessen koordinieren sie ihren Kampf gegen den IS im Irak mit ihrem ehemaligen Erzfeind Iran.Die Türkei flöge Angriffe auf den IS, nachdem Ankara diesen lange insgeheim unterstützt habe, um Assad zu Fall zu bringen. Selbst Todfeinde wie Saudi-Arabien und Ägypten tauen ihre eisigen Beziehungen zu Damaskus langsam auf, weil sie den IS mehr fürchten als Assad. Brom meint deswegen: “Der Artikel über die Entsendung russischer Truppen nach Syrien ist entweder eine Ente, die entstand, weil irgendwelche westlichen Diplomaten geheimdienstliche Berichte missverstanden haben. Oder er ist ein Testballon, der ausloten soll, wie westliche Quellen auf einen derartigen Vorstoß reagieren.”
Zisser sieht ihn indes als Hinweis dafür, dass man “zumindest vorübergehend eine zunehmende Deckung der Interessen der internationalen Akteure in Syrien ausmachen kann”. Schließlich zögen im Kampf gegen den IS inzwischen alle internationalen Akteure am selben Strang.