MESOP DOKUMENTATIONEN : DTF MENSCHENRECHTSREPORT TÜRKEI JULI 2014

Demokratisches Türkeiforum (DTF) – Meldungen im Juli 2014 – Die folgenden Nachrichten wurden im Juli 2014 vom DTF in der türkischen Presse erfasst  und meist zusammenfassend übersetzt.

Alle Angeklagte im KCK Verfahren von Diyarbakır entlassen – Im zentralen Verfahren gegen die KCK Koma Civakên Kurdistan (de: Union der Gemeinschaften Kurdistan) in Diyarbakır hat die 2. Kammer für schwere Straftaten in Diyarbakır am 1. Juli 2014 die Entlassung von 30 der bis dahin in Untersuchungshaft verbliebenen 32 von 175 Angeklagten angeordnet.[1] Unter den Entlassenen waren der ehemalige Bürgermeister von Batman, Nejdet Atalay und der Bürgermeister im Kreis Kayapınar von Diyarbakır, Zülküf Karatekin. Die Angeklagten Hasan Hüseyin Ebem und Abdullah Aflatun blieben in Haft bis zur Verhandlung vom 11. Juli 2014 in Haft.[2] Am 28. Juni 2014 waren der ehemalige Abgeordnete der Demokratiepartei, Hatip Dicle und der ehemalige stellvertretende Bürgermeister im Kreis Bağlar (Diyarbakır), Hüsamettin Çiçek aus der U-Haft entlassen worden.[3]

General Musa Çitil wegen 13-fachen Mordes freigesprochen

Die 2. Kammer für schwere Straftaten in Çorum hat im Verfahren gegen General Musa Çitil, der wegen 13 ungeklärten Morden im Kreis Derik (Provinz Mardin) in den Jahren 1992 bis 1994 angeklagt war,[4] das begründete Urteil erstellt.[5] In dem Urteil wurde behauptet, dass keine konkreten Beweise zu finden sein. Die Geschädigten hätten abstrakte Vorwürfe erhoben, die sich gegenseitig widersprochen hätten. Nach einem Urteil des Kassationshofs aus dem Jahre 1993 gelte der Grundsatz “im Zweifel für den Angeklagten” und daher sei ein Freispruch erfolgt.

Das Verfahren, das auf einer Anklageschrift vom Juli 2012 beruhte, hatte im Oktober 2012 vor einem Gericht in Mardin begonnen und war nach der 2. Verhandlung im Dezember 2012 “aus Sicherheitsgründen” nach Çorum verlegt worden.[6]

 

23 Haftentlassungen im KCK Verfahren von Şırnak

Nach einer Meldung in der Tageszeitung Taraf vom 15. Juli 2014 unter dem Titel „KCK Şırnak davasında 23 tahliye” wurde das Verfahren gegen 67 Angeklagte aus Şırnak, die der illegalen Struktur

KCK angehören sollen, am 15. Juli 2014 fortgeführt. Dies war die erste Verhandlung vor der 1. Kammer für schwere Straftaten in Şırnak. Bis dahin war das Verfahren vor der mit Sonderbefugnissen ausgestatteten 6. Kammer für schwere Straftaten in Diyarbakır geführt worden. Das Gericht in Şırnak folgte dem Antrag der Verteidigung und ordnete die Haftentlassung von 23 in U-Haft verbliebenen Angeklagten an. Damit befindet sich keiner der 67 Angeklagten mehr in Haft.

EGMR verurteilt die Türkei wegen Einsatz von Tränengas

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 22. Juli 2014 seine Entscheidung zur Beschwerde der Angehörigen von Tarık Ataykaya gefällt. Er war bei einer unangemeldeten Demonstration in Diyarbakır am 29. März 1996 von einem Geschoss mit Tränengas getroffen worden und verstorben.[7] Bei der Autopsie war festgestellt worden, dass der Tod durch den Beschuss mit einer Gaskapsel verursacht wurde, aber die Verantwortlichen waren weder in den strafrechtlichen noch den disziplinarischen Ermittlungen identifiziert worden.

Der EGMR kritisierte, dass es keine sinnvollen Ermittlungen gab, um den Täter zu identifizieren und stellte auch den Einsatz dieser Art von Gewalt in Frage. Er verwies auf frühere Urteile wie Abdullah Yaşa and Others v. Turkey und Izci v. Turkey und ermahnte die Türkei, strikte Regulierungen für den Einstz von Tränengas zu erlassen. Es wurde eine Verletzung des Artikels 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowohl in substantieller als auch in prozessualer Hinsicht festgestellt und die Türkei wurde verpflichtet, den Antragstellern 65.000 Euro an Entschädigung und 5.000 Euro an Prozesskosten zu zahlen.

Beobachtungsbericht der Medien für das 2. Quartal 2014

Der vom unabhängigen Netzwerk BIA herausgegebene Beobachtungsbericht der Medien für das 2. Quartal 2014 wurde am 23. Juli 2014 bei Bianet mit dem Titel BİA Medya Gözlem Raporu – Tam Metin veröffentlicht. Demzufolge befanden sich im Juli 20134 23 Journalisten und 14 Verteiler von Zeitungen im Gefängnis. Im Vorjahr waren es 66 Journalisten und 27 Verteiler gewesen. 14 der 23 Journalisten und alle Verteiler sind der pro-kurdischen Presse zuzuordnen. Im 2. Quartal 2014 wurden etliche Journalisten aus der Haft entlassen. Dazu gehören: Ahmet Birsin (Gün TV), Ertuş Bozkurt (ANF), Hasan Özgüneş (Azadiya Welat), Nurettin Fırat (Özgür Gündem), Ramazan Pekgöz (DİHA), Turabi Kişin (Özgür Gündem), Yüksel Genç (Özgür Gündem), Abdullah Çetin (DİHA), Kaan Ünsal (Yürüyüş), Gamze Keşkek (Tavır), Naciye Yavuz (Yürüyüş), Füsun Erdoğan (Özgür Radyo), Bayram Namaz (Atılım) und Özgür Boğatekin (Adıyaman Gerger Fırat).

Gesundheitsminister nennt Zahlen zu Verletzten bei den Gezi-Protesten

Als Antwort auf die Anfrage des stellvertretenden Vorsitzenden der CHP, Sezgin Tanrıkulu hat der Gesundheitsminister Mehmet Müezzinoğlu geantwortet, dass sich im Verlauf der Proteste gegen Umbauten des Gezi-Parks bis zum 21. Juni 2013 insgesamt 4.072 Personen bei Krankenhäusern gemeldet hätte. Von ihnen hätten 905 sich über eine Beeinträchtigung durch Pfeffergas beschwert. In allen Krankenhäusern der Türkei hätten sich in der Zeit 767 Personen wegen eines Traumas gemeldet. Es seien 4.141 Personen ambulant und 110 Personen stationär behandelt worden.[8]

 

Lehrer verbüßt zweifelhafte Haftstrafe von 12,5 Jahren

Am 28. Juli 2014 veröffentlichte Radikal den Brief eines Lehrers unter dem Titel Eğitim-Sen üyeliğim ‘örgütsel faaliyet’ olarak görüldü (de: Meine Mitgliedschaft bei Eğitim-Sen wurde als organisatorische Aktivität angesehen). Bei dem Lehrer, der ein Mitglied der Lehrergewerkschaft Eğitim Sen ist, handelt es sich um Yusuf Demir, der in Istanbul unterrichtet. Er war im Oktober 2012 in einer Polizeioperation gegen die illegale Organisation TKP/ML TIKKO festgenommen worden. In einem Verfahren, das von Februar bis Dezember 2013 andauerte, war er von der 23. Kammer für schwere Straftaten in Istanbul wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beschaffung von Sprengstoff zu 12,5 Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil wurde mittlerweile durch den Kassationshof bestätigt. Seine Strafe verbüßt er im F-Typ Gefängnis von Tekirdağ. Sein Brief anlässlich des Ramadan Festes setzt sich in erster Linie mit seinem Verfahren auseinander. Er schreibt darin u.a.:

Am 16. Oktober (2012) wurde die Wohnung eines Bekannten von mir aufgrund eines anonymen Hinweises durchsucht. Dabei soll eine Tasche gefunden worden sein, von der der Bekannte bei der Polizei angab, dass sie mir gehöre. Auf dieser Grundlage wurde ich verhaftet. Vor Gericht sagte mein Bekannter, warum er angegeben hatte, dass ich die Tasche (mit Sprengstoff) gebracht habe.[9]

Des Weiteren wurde ein Telefonat mit meinem Bruder Muharrem, der in unserer Familie Taylan genannt wird, als organisatorische Anweisung ausgelegt. Wir sprachen dabei über Bücher, die ich einem Cafebesitzer zum Verkauf überlassen hatte, Der Cafebesitzer bestätigte das vor Gericht und mein mit mir angeklagter Bruder wurde freigesprochen. Vor Gericht wurde aber weder das abgehörte Telefonat abgespielt, noch wurden Bilder einer in der Nähe der Wohnung befindlichen Überwachungskamera überprüft.

In meiner Wohnung wurden Bücher von İbrahim Kaypakkaya, Murat Karayılan und Nihat Behram beschlagnahmt und zu Organisations-Material deklariert. Ein ebenfalls beschlagnahmter Fotoapparat und mein Computer wurden mir wieder ausgehändigt, aber aufgrund der Bücher wurde im Urteil vermutet, dass ich Sympathie für die Organisation empfinden könne. Mir wurde zur Last gelegt, dass ich eine sozialistische Überzeugung habe, Mitglied von Eğitim-Sen bin und mich an Aktionen der Gewerkschaft beteiligt habe. Das waren aber alles legale Aktionen. Dieses ungerechte Urteil wurde vom Kassationshof bestätigt.

Ich wurde durch meine Verhaftung von meiner am gleichen Tag geborenen Tochter getrennt. Die letzten drei Monate habe ich in Einzelhaft verbracht, obwohl ich mehrfach beantragte, den Raum für 3 Personen mit anderen zu teilen.

 

 

 

Demokratisches Türkeiforum e. V.
Langenhagen
49, 33671 Bielefeld
E-Mail:
info=at=tuerkeiforum.net, Homepage: www.tuerkeiforum.net

Das Demokratische Türkeiforum e.V. (DTF) setzt sich seit der Gründung 1990 für die Einhaltung der Menschenrechte und für Demokratie in der Türkei ein. Das DTF ist die deutsche Unterstützergruppe der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV). Spenden an das DTF werden praktisch zu 100% an die TIHV weitergeleitet.

Seit ihrer Gründung hat die TIHV mehr als 12.000 Folteropfer kostenlos behandelt. Behandlungszentren existieren in Ankara, Istanbul, Izmir, Adana und Diyarbakir. Das Dokumentationszentrum in Ankara gibt tägliche Berichte über Verletzungen der Menschenrechte in Türkisch und Englisch heraus und erstellt daraus Jahresberichte. Die Homepage des DTF wird als Sicherungskopie vieler dieser Dokumente genutzt.

Wie Unterstützergruppen in einigen anderen europäischen Ländern möchte das Demokratische Türkeiforum (DTF) in Deutschland zu der Finanzierung der TIHV beitragen. Spenden an das DTF e.V. werden in vollem Umfang an die TIHV weitergeleitet; sie sind steuerlich absetzbar.

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Demokratisches Türkeiforum

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Anmerkung: Um eine Spendenbescheinigung am Jahresende zu erhalten, muss die volle Anschrift bekannt sein.

 

 



[1]Darüber berichteten u.a. Taraf vom 1. Juli 2014 KCK ana davasında 31 tahliye und Bianet vom 1. Juli 2014 KCK Diyarbakır’da 30 Tahliye, 2 Ret

[2]Sie wurden nach einer Meldung bei Bianet vom 11. Juli 2014 KCK Ana Davada Tutuklu Kalmadı ebenfalls aus der U-Haft entlassen.

[3]Über die Festnahmen im Dezember 2009 hatte das DTF im Wochenbericht 53/2009 sowie in einer Eilaktion der TIHV zur Festnahme von Muharrem Erbey berichtet. Weitere Meldungen finden sich in den Monatsberichten für Oktober 2012: Meldungen zu mehreren KCK Verfahren, August 2012: Offizielle Zahlen zu den KCK Verfahren, März 2012: Anklage im KCK Verfahren, November 2010: KCK Verfahren und Oktober 2010: KCK Verfahren Kurdisch vor Gericht

[4]Siehe hierzu den Sonderbericht des DTF vom September 2012: General wegen 13-fachen Mordes angeklagt

[5]Über das am 21. Mai 2014 ergangene Urteil hatte die TIHV in den englischen Bulletins unter 22 May 2014 Daily Human Rights Report berichtet. Über die Begründung des Freispruchs berichtete unter anderem Hasan Benli in Radikal vom 4. Juli 2014: Faili meçhule beraat gerekçesi: Kemik var, delil yok!

[6]Details sind unter Musa Çitil Davası auf einer Seite zu finden, die sich mit Verfahren zu vermeintlich ungeklärten Morden befasst und “Täter bekannt” (tr: faili belli) nennt.

[7]Siehe hierzu die Berichte in Bianet vom 22.07.2014 Türkiye Gaz Fişeğiyle Ölümden Mahkum, Radikal vom 22.07-2014 AİHM’den Türkiye’ye ‘biber gazı’ cezası oder auch Hürriyet Daily News vom 22.07.2014 ECHR orders Turkey to regulate use of tear gas, pay compensation to victim. Eine englische Presseerklärung des EGMR ist unter dieser Adresse zu finden. Das Urteil selber ist in Französisch.

[8]Die Angaben sind einem Bericht in Evrensel vom 23.07.2014 unter dem Titel Sağlık Bakanlığının rakamlarıyla Gezi’nin bilançosu entnommen worden.

[9]Aus Angst vor der Organisation hatte er den Namen der Person, die ohne sein Wissen die Tasche bei ihm deponiert hatte, nicht genannt und den Namen des Lehrers genannt, weil die Polizei ihm versprach, dass er dann frei komme. So steht es in einer Meldung bei haperpan.com vom 26. Feburar 2013 unter dem Titel TKP/ML değil Eğitim-Sen üyesiyim