MESOP : “Die irakische Armee gibt es nicht einmal mehr in der Hauptstadt”
ARBIL. 21.6.2014 – Nachrichten Österreich – Michael Wrase – Interview mit Fuad Hussein, Kabinettschef des Präsidenten der Republik Kurdistan im Nordirak.
OÖN: Die Autonome Republik Kurdistan im Nordirak hat mit den ISIL-Truppen nun neue Nachbarn. Wie geht Ihre Regierung mit der neuen Situation um?
Fuad Hussein: Die Situation hat sich durch die ISIL-Offensive fundamental verändert. Es ist unsere Pflicht, alle Bevölkerungsgruppen in der Region – also nicht nur die Kurden, sondern auch Christen und Assyrer – zu schützen, und unsere Grenzen zu verteidigen.
Weil die irakische Armee dazu nicht mehr in der Lage ist?
Richtig. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur die irakische Armee kollabiert ist, sondern auch die Strukturen des irakischen Regimes im Norden und Osten des Irak zusammengebrochen sind.
Deshalb haben die kurdischen Peschmerga-Milizen jetzt die Ölstadt Kirkuk besetzt?
Unsere Kämpfer gingen nach Kirkuk, um das militärische Vakuum ausfüllen. Anderenfalls wären die ISIL-Terroristen gekommen. Auf diese Bedrohung mussten wir reagieren. Schließlich haben die Kurden, deren Schutz unsere Pflicht ist, in dieser Region die Mehrheit.
Werden die kurdischen Truppen in Kirkuk bleiben?
Natürlich. Weil es die irakische Armee nicht mehr gibt. In dieser Region gab es vier Armeedivisionen und zwei Divisionen der Polizei. Diese haben sich aufgelöst. Tatsächlich gibt es die irakische Armee nicht einmal mehr in Bagdad. Die schiitischen Parteien mobilisieren jetzt junge Freiwillige, um die ISIL aufzuhalten.
Premier Nuri al-Maliki feiert aber weiterhin seine Armee?
Welche Armee denn? Tatsächlich handelt es sich bei den Soldaten um Unterstützer der schiitischen Politikerklasse. Die Strukturen der Armee gibt es nicht mehr. Die Soldaten sind einfach weggerannt. Wo es uns Kurden möglich ist, müssen wir jetzt die Menschen beschützen.
Eine Armee von 800.000 Soldaten bricht einfach so zusammen?
Auf dem Papier bestand die Armee sogar aus 1,2 Millionen Mann. Es war al-Malikis Armee, nicht die Armee des irakischen Staates. Ist nach der Eroberung der Stadt Mossul durch die ISIL und der Übernahme von Kirkuk durch Ihre Peschmergas nun bald mit der vollständigen Unabhängigkeit von Kurdistan, also der Proklamation eines eigenen Staates, zu rechnen? Fast alle Medien bezeichnen die Kurden als die großen Gewinner der Krise im Irak?
Wir haben immer an das Recht auf Selbstbestimmung geglaubt. Auch als wir noch in den Bergen waren. Das ist unser Recht. 2003, nach dem Sturz von Saddam Hussein, entschieden wir uns, im irakischen Staatenverbund zu bleiben. Unsere Hoffnung war, in einem föderalen irakischen Staat zu leben. Unglücklicherweise hat die Regierung von al-Maliki in den vergangenen acht Jahren den falschen Weg eingeschlagen und die Grundfesten der Verfassung – Föderalismus und Demokratie – ignoriert. http://www.nachrichten.at/nachrichten/politik/aussenpolitik/Die-irakische-Armee-gibt-es-nicht-einmal-mehr-in-der-Hauptstadt;art391,1419575