MESOP : DIE HEUTIGE LINKE IST RECHTS !
Manischer Montag – Mahnwachen ziehen Antisemiten an
26.06.2014 – von Elke Wittich- Auch in Leipzig gibt es wieder Montagsdemos, wenngleich sie dort neuerdings sonntags stattfinden. Und auch in der Stadt, in der mit dieser Protestform das Ende der DDR begann, fühlen sich die Aktivisten bei ihren »Mahnwachen für den Frieden« von bösen Mächten verfolgt.
Wie stark ausgeprägt diese Vorstellung ist, offenbarte sich vor zwei Wochen: Auf dem zentralen Georgiring in Leipzig brannte ein Auto, nur wenige Hundert Meter von der Kundgebung entfernt. Der Wagen gehörte einem Berliner Mahnwachen-Aktivisten, und prompt kam das Gerücht auf, Linke hätten den Wagen in Brand gesetzt. Internettypisch kursierte bald sogar eine angebliche Zeugenaussage, wonach vermummte Autonome gesehen worden seien.
Ermittlungen Einer der Propagandisten der neuen Bewegung auf deutschen Straßen, der Publizist Jürgen Elsässer, schrieb umgehend: »Eine solche Gewalttat gedeiht in einer NATO-geheimdienstlich gesteuerten Grauzone, zu der die antideutsche Antifa passt wie der Arsch auf den Eimer.« So bedeutend wähnt man sich, dass gleich die gesamte NATO hinter den Friedensmahnern her sei. Pech nur, dass die Leipziger Polizei schon einen Tag später die Ergebnisse ihrer Ermittlungen vorstellte: Es war ein simpler Motorbrand, ein bekanntes Problem bei diesem Wagentyp, der deswegen in den USA bereits zurückgerufen worden sei.
Für viele Mahnwachen-Anhänger ist das jedoch kein Grund, ihre Thesen zu korrigieren. Schließlich geht es um nichts Geringeres als die Verhinderung eines Dritten Weltkriegs, der angeblich um die Ukraine geführt werden soll. Zwar ist dieses Ziel den Veranstaltern mittlerweile ein wenig aus dem Blick geraten, doch immer noch beteiligen sich Tausende Menschen in mehr als 100 Städten jede Woche an den Mahnwachen.
rothschild Die dort von den Rednern angesprochenen Themen reichen von Klagen über eine angeblich gleichgeschaltete deutsche Presse über Kritik am sogenannten Finanzsystem bis hin zu Verschwörungstheorien über die Macht der US-Bundesbank Federal Reserve (FED), der USA oder der Familie Rothschild. Auch esoterische Beiträge sind beliebt.
Das waren bereits die Themen, mit denen Mitte März in Berlin die Mahnwachenbewegung begann. Deren Initiator, ein Profifallschirmspringer namens Lars Mährholz, rief zum Protest gegen die FED und ihren angeblichen Einfluss auf die Weltpolitik auf.
Er verwies auf eine im Internet kursierende Karikatur, die ausdrückte, was er sagen wollte: Sie zeigt das Bild eines Mannes, der zwar seit 1980 nicht mehr für die Bank tätig ist – was aber niemanden stört –, und ein Bild des Simpson«-Zeichentrickbösewichts Mr. Burns. Darunter steht: »Mein Name ist Jacob Rothschild, meine Familie ist 500 Trillionen Dollar schwer. Uns gehört praktisch jede Zentralbank der Welt. Seit Napoleon haben wir in jedem Krieg beide Seiten finanziert. Uns gehören die Medien, das Öl und eure Regierungen.« Mährholz hatte diese Karikatur in sozialen Medien veröffentlicht und erst nach heftiger Kritik entfernt.
linke Erfolglos sind die Montagsdemonstrationen nicht, auch wenn zu ihnen nicht gerade die Massen strömen. Obwohl die Partei Die Linke ihre Mitglieder vor der Teilnahme an der als »neurechts« eingestuften Bewegung warnte, ließen sich Ende Mai mit Diether Dehm und Andrej Hunko gleich zwei Bundestagsabgeordnete dafür gewinnen, für eine »solidarische Auseinandersetzung mit den Montagsmahnwachen« zu plädieren. Wie die aussieht, führte Dehm, ein früherer Schlagersänger, vor, als er bei der Berliner Kundgebung auftrat und Brechts »Ballade von der Judenhure Marie Sanders« vortrug.
Dehm legitimierte seinen Auftritt mit der Behauptung, die Mahnwachenleute hätten »mittlerweile einen klaren Trennstrich nach rechts gezogen«, und legte sich daraufhin mit seiner Partei an. Dehms Fraktionskollege Stefan Liebich sagte der Jüdischen Allgemeinen, sehr wohl versammelten sich auf diesen Mahnwachen »Rechtspopulisten, Nationalisten, Verschwörungstheoretiker und Antisemiten, die die berechtigte Sorge vor einem Krieg in Europa nutzen, um eine gefährliche ›Querfront‹-Strategie salonfähig zu machen«. Mit solchen Leuten sollte »unsere Partei nicht zusammenarbeiten, und ich bin froh, dass unser Parteivorstand das auch so beschlossen hat. Eine Propagierung von Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus und Homophobie dient nicht dem Frieden.«
»zionistenfreunde« Nur kurze Zeit nach der Erklärung von Dehm und Co. stellte sich heraus, dass der klare Trennstrich keineswegs erfolgt war: In Erfurt etwa hatten sich die lokalen Organisatoren zwar gegen die Präsenz von Rechten auf ihren Kundgebungen gewehrt, aber sie wurden – mit Billigung von Mährholz – abgesetzt.
Die erste Amtshandlung der neuen Verantwortlichen bestand darin, ausgerechnet Jürgen Elsässer als Redner einzuladen. Das ehemalige Mitglied des Kommunistischen Bundes, zwischenzeitlich Autor der Jüdischen Allgemeinen, ist mittlerweile Herausgeber einer rechtsnationalistischen Postille namens »Compact«, wettert gegen »Zionistenfreunde« und eine »irre Israel-Lobby« und schimpft auf »die idiotische Miesmacherei des Zentralrats«. Im Fernsehsender 3sat nannte die frühere Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth Elsässer einen »glühenden Antisemiten«. Dagegen klagt Elsässer nun. Dass vorläufig eine Einstweilige Verfügung Ditfurth die Wiederholung der Bezeichnung untersagt, wird von ihm und seinen Leuten als Erfolg gefeiert. Ditfurth, die als freie Autorin arbeitet, will es allerdings auf einen Prozess ankommen lassen.
Mit ihrem Engagement gegen Judenfeinde und Rechtsextreme bei den Mahnwachen ist Jutta Ditfurth dort zur Hassfigur geworden. Sich selbst sehen die Demonstranten nämlich nicht als Rechte, sondern sie verorten sich eher im linken Spektrum.
Eine Studie von Soziologen der TU Berlin, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, attestiert dem Gros der Demonstranten: »Zum einen gibt es einen deutlichen Wunsch nach Abgrenzung von der extremen Rechten und den Widerspruch zu der Darstellung als ›neurechte Bewegung‹.« Dieser Satz ließ die Mahnwachenfreunde auf Facebook jubeln, doch den folgenden Satz nahm niemand wahr: »Zum anderen bestehen aber auch hohe Zustimmungsraten zu antisemitischen, antiamerikanischen und autoritären Aussagen.«
47 Prozent der befragten Montagsdemonstranten glauben, dass Zionisten »Politik, Börse und auch die Medien nach ihrer Pfeife tanzen« lassen. 24,7 Prozent finden, dass »Juden mehr als andere Menschen mit üblen Tricks arbeiten, um das zu erreichen, was sie wollen«, und 13,2 Prozent sind zumindest teilweise der Meinung, der Nationalsozialismus habe »auch seine guten Seiten« gehabt. In ihrer Auswertung dieser empirischen Befunde, notieren die Soziologen, dass die Rede von einer »Querfront« von Linken und Rechten »durchaus plausibel« sei.
Die Organisatoren des montäglichen Spektakels arbeiten derzeit sehr intensiv daran, dass ihre Bewegung während der Fußball-WM nicht versandet. Anfang Juni lud Cheforganisator Lars Mährholz 250 lokale Mahnwachenorganisatoren zu einem Wochenende ins brandenburgische Senftenberg ein, um Strategien zu diskutieren. Für den 19. Juli ist in Berlin eine Großdemonstration geplant. Das Motto für diesen verzweifelten Versuch, der Bewegung zu Größe zu verhelfen, hat Montagsdemo-Redner Ken Jebsen in einer ersten Ankündigung als »Marsch auf Berlin« bezeichnet. Jebsen, zusammen mit Elsässer und Mährholz eines der Gesichter der Mahnwachenbewegung, war früher Radiomoderator. Als bekannt wurde, dass er eine Mail verschickt hatte, in der er über eine Verwendung des Holocaust zu PR-Zwecken schwadronierte, trennte sich der RBB von ihm.
Seine Formulierung »Marsch auf Berlin«, die er in den sozialen Medien schnell wieder löschte, findet sich auch im Aufruf Adolf Hitlers zum gescheiterten Putschversuch von 1923.
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/19517