MESOP CULTURE : IN POSTHEROISCHEN ZEITEN DIE VAGINA ALS ORDEN & „EHRENZEICHEN“ / (ERRUNGENSCHAFTEN DER LBGT KULTUR)
Vagina-Dialoge – Von ANNA PRIZKAU (FAZ)
12.12.2016 · Gwyneth Paltrow tut es, Kim Kardashian tut es, Pussy Riot tun es auch. Und viele andere. Aber müssen wirklich alle Körperteile diskursiviert, optimiert und in Lifestyle-Accessoires verwandelt werden? Gibt es da nicht vielleicht noch ein paar andere Themen? Eine Nachfrage
Es ist die Haut, sie muss perfekt sein, glatt. Es ist der Bauch, er muss perfekt sein, straff. Es sind die Haare, Hände, Füße. Und jetzt ist es auch noch die Vagina. Bösartig und berechnend bewerben Halbberühmte und Berühmte Dinge, die den verborgensten und letzten Teil des Frauenkörpers optimieren sollen. Und wenn die Halbberühmten und Berühmten mal keine Werbebotschaften aufsagen, sagen sie trotzdem „Pussy, Pussy, Pussy“. Die Vagina ist überall. Und nein, das hat nichts mit dem Pussy-Grabbing-Gate zu tun, diesem Verbrecher-Satz des designierten Präsidenten der Vereinigten Staaten. Denn es geht darum: Die Vagina wird zu einem Lifestyle-Attribut. Und alles, was zum Lifestyle wird, hat dann nichts mehr zu tun mit echtem, schönem und unfairem Leben, ist dort nur Accessoire. Und deshalb droht jetzt auch eine Banalisierung der Vagina, ein Ausverkauf vielleicht.
Wie konnte es so weit kommen?, denkt man, während auf dem iPhone-Display eine Folge von „Keeping up With the Kardashians“ läuft, in der Kim von ihrer Vagina erzählt, sie sei ganz „gorgeous“. Und dann denkt man ans Damals: damals, als die Welt härter war und schöner, grauer, weil es noch keine Filter gab, kein Instagram. Man denkt an Simone de Beauvoir, an ihren berühmten Haarturban und an ihre Gedanken, an „Das andere Geschlecht“ selbstverständlich. Dieses Buch ist eine Bibel, sogar für jene, die sich an das Vor-Instagram-Zeitalter nicht erinnern. Und ja, das liegt an Simone de Beauvoirs kaputtzitiertem Satz, der sagt, dass man zur Frau werde und nicht als Frau geboren. Was sie schrieb, war etwas Noch-nicht-Gedachtes, und es war auch eine sehr neue Offenheit, mit der sie beispielsweise die Entjungferung oder den Sex aus Sicht der Frau beschrieb, oder wie klinisch sie die Vulva und die Klitoris erklärte.
Als dieses Buch erschien, schrieb der Schriftsteller und Nobelpreisträger François Mauriac hämisch in einem Brief, dass er jetzt alles wisse über die Vagina von Simone de Beauvoir. Wie schrecklich und wie schön. Denn damals war das weibliche Geschlecht noch eine elitäre Sache, die Sache Intellektueller. Und es gab auch intellektuelle Besserwisser wie Mauriac. Doch die Vagina-Dialoge fanden nicht statt in der Kultur der Masse, in der Sinn ausgetauscht wird durch Konsum, so muss man adornomäßig denken. Heute hört, sieht man nicht mehr Intellektuelle, die durch Auslotung der Sexualität der Frauen diese befreien wollen und trennen von eigener Passivität wie Simone de Beauvoir. Man hört, sieht heute nur noch Werbungen für Öle und für Cremes. Man hört, sieht den Kardashian-Clan, und dann dreht sich der Kopf, weil dort nur noch die grellsten Appelle zum Kaufen, Konsumieren leuchten.
Zwar kann das Kaufen und Konsumieren schön sein, doch kann es auch überfordern, weil es so viel zu kaufen und konsumieren gibt. Jeder Tag besteht aus Kaufentscheidungen, und jeder Frauentag oft aus einer Entscheidung, wie man das Körperkapital erfolgreich optimiert. Es ist, mit anderen Worten, absolut antiemanzipatorisch, weil man den Körper so nur präpariert für Partner, Job, Erfolg. Du bist, was du kaufst, brüllt die Werbung einen an. Und im Geschrei denkt man dann wieder an das Damals – als es noch mehr Freiheit, weil weniger Entscheidungen im Leben gab – und an die Vagina von damals, die nicht verbessert werden musste. Lil Johnson machte Blues aus ihr. Anaïs Nin Erotika. Valie Export Performance. Und viele einen Feminismus. In Büchern wurde herumgestritten, was wichtiger und besser sei: Klitoris oder Vagina. In Essays ging es immer wieder um Sex, die Lust der Frau, um Pornos, ums Mechanische. Die Forschung überschlug sich. Und irgendwann lief „The Vagina Monologues“ auf einer Bühne in New York. Und wieder sprach eine Elite über das weibliche Geschlecht, beschrieb, beleidigte, zensierte es. Das war vor zwanzig Jahren.
Und auch am Anfang des 21. Jahrhunderts war Vagina noch Thema Intellektueller und Sexualität schon so sehr Sache von Frauen geworden, dass eine Frau sie wieder mit den Männern teilen wollte: Naomi Wolf. In ihrem Buch „Vagina. A New Biography“ erklärte sie, dass man nur eine glückliche und kreative und selbstbewusste Frau sein könne, wenn man einen Mann habe, der im Bett befriedige. Denn ohne Sex: kein Selbstbewusstsein und kein Glück und keine Kreativität. Diese These Naomi Wolfs war ein weiterer Schritt des emanzipatorischen Diskurses und zugleich die Vorstufe der Vagina-Apokalypse.
Deren erste Welle beginnt mit Gwyneth Paltrow, beginnt auf ihrem Blog. Und da ist alles eigentlich in Ordnung, in einer schönen Reiche-Leute-Ordnung. Harmlos bis zur Empfehlung dieses „Mugworth-Steams“: eine Dampfbadbehandlung, in der der Uterus mit Wermutkraut gereinigt werden soll. Das geht auf einem Mini-Thron, geht in Los Angeles, im Tikkun Spa. „Ihr müsst da hin“, sagt Gwyneths Blog. Doch Ärzte sagen etwas anderes, sagen, dass dieses Dampfbad sinnlos sei, sogar gefährlich.
Dieselben Ärzte raten auch, einen anderen Ratschlag zu vergessen: Khloé Kardashians Vagina-Empfehlung, denn die könne zu Allergien führen. Kims kleine Schwester hat, wie Gwyneth, einen Blog. „Kein Witz“, schreibt Khloé da, „Vitamin E kann die vaginale Flora stärken.“ Deshalb empfiehlt sie jeder Leserin, ein Öl nachts vor dem Schlafen aufzutragen. Schlaflos machte der Khloé-Rat vermutlich viele Frauen – auf Instagram folgen ihr beinah sechzig Millionen.
In Hollywood die hemmungslosen Kommerzialisierer. In Deutschland hemmungslose Heuchler: „die Biologin“ beispielsweise. „Huch, hat sie Vagina gesagt?“, schreibt dieses Pseudonym in einem bekannten deutschen Online-Magazin für Frauen. „Die Biologin“ meint nicht Khloé, meint nicht Gwyneth, sie meint sich selbst und fordert: „Die Vagina muss positiv besetzt werden.“ Von wem? Durch was? Wozu? Denkt man – und dann nur: Bitte nicht! Und weil im Biologinnen-Text alles so sinnleer bleibt, geht es vermutlich nur um Klicks, so wie es Khloé, wie es Gwyneth nur um Klicks geht.
Vielleicht denkt diese Biologin aber, dass sie tatsächlich mutig denke. Denn sie schreibt dann, dass das Wort Vagina in der Gesellschaft angeblich unaussprechlich sei. Und das erinnert wieder an dieses „Man wird ja noch sagen dürfen“, das Populisten gerne benutzen, die alles sagen, was sie glauben, aber das Gesagte für verboten halten. Von den Eliten. Vom Mainstream. Von einer Macht, die es nicht gibt. Denn alles wird gesagt.
Deshalb geht auch Vagina-Sagen, Vagina-Singen, sogar im prüden Land Amerika, wo es den Synonymen von Penis schlechter geht. Anspielungen auf das Glied werden aus den Texten von Katy Perry bis Lady Gaga herausgeschnitten. Doch Vagina bleibt unzensiert, auch in dem neuen Song von Nadja Tolokonnikowa – die ist jetzt sehr alleine Pussy Riot. Mit schönem, stechend-russischem Akzent singt sie: „Vagina gonna top the charts / Vaginas fill your shopping carts“. Obwohl die Nadja-One-Girl-Band es nicht so meint, hat sie wortwörtlich recht: Es geht um einen vollen Einkaufswagen, wenn es ums weibliche Geschlechtsteil geht. War es einmal Antrieb für neues Denken, für Befreiung, für den Kampf der Frau, auch einen mit sich selbst, produziert es im Jetzt nur neues Geld.
Falsch!, könnten Pussy-Riot-Fanaten rufen, es gehe ja um eine Message. Und ja, das stimmt, die sogenannte Message heißt: „Der Besitzer von Vaginas ist nicht ein narzisstischer, dummer, orangefarbener Affe, der behauptete, dass er Frauen leicht an ihre Pussy greifen könne. Der Besitzer einer Vagina ist eine Frau, die ihre Vagina als Ehrenzeichen trägt.“ Und das tut weh, auch denen, die einen Penis „als Ehrenzeichen“ tragen müssen.
Aber um einen Penis geht es nicht, es geht noch immer um die Vagina und um ihr Ende als Ort der Transzendenz und der Emanzipation. Wie schlimm ist es in Wahrheit, dass sie benutzt wird – von Frauen wie Nadja, Khloé, Gwyneth oder der deutschen „Biologin“ –, um noch mehr Likes und noch mehr Blog-Abonnements zu bekommen, um noch mehr zu verdienen? Ist es nur Prüderie, die aus einem spricht, wenn man laut ausspricht, dass diese Frauen aufhören sollen, die Vagina ins Licht des offenen Laptops zu zerren? Was ist schon übel daran, wenn alle über sie in einfachen und schlichten Worten reden? Ist die Ablehnung einfacher und schlichter Worte nur Zeugin eines Denkens, das die geistige Leistung erst bewundert, wenn sie nicht ganz verständlich ist? Vielleicht ist ja die Forschung an der Vagina jetzt abgeschlossen. Und vielleicht kann deshalb auch ein Diskurs von Intellektuellen über das weibliche Geschlecht nichts Neues mehr ergeben. Vielleicht haben die Intellektuellen nun neue Aufgaben und Themen.
Doch ist die Kommerzialisierung der Vagina tatsächlich so egal? Und was würde – und diese Frage ist sehr ernst gemeint – Simone de Beauvoir jetzt dazu sagen? So kommt man wieder zu dem Damals, man will es sehen und hören und schaut sich deshalb die Beauvoir in Youtube-Filmen an. Sie sitzt auf einem braunen Sofa und erklärt ihren kaputtzitierten Satz. Auf dem Bildschirm rechts daneben leuchten mehr Filme, mehr Simone de Beauvoir. Und irgendwann dann dieses Video, der Titel „Simone de Beauvoir on beauty“. Eine Brünette sitzt auf einem Stuhl, und sie erklärt, wie man sich schminkt und seine Haare macht im Stil von Simone de Beauvoir. Der Look heißt, so sagt es die Brünette: „Ich bin heute mehr zum Zuhören als zum Reden hier.“ Und auf einmal verschwindet die Vagina aus den Gedanken, denn man denkt nur: Wo, bitte, gibt es diesen matten, schönen Lippenstift zu kaufen? http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/karriere-eines-koerperteils-die-vagina-dialoge-14563185.html?utm_medium=email&xtor=EREC-7-%5BDer_Tag_am_Mittag%5D-20161212&utm_campaign=Newsletter_FAZ_Der_Tag_am_Mittag&utm_source=FAZnewsletter