MESOP CULTUR : PROLETARIER ALLER LÄNDER – IHR SOLLT GÄNZLICH VERDUMMEN!

„Wer es aber gut mit einem meint, macht es ihm schwierig“ /Th. W. Adorno – Vorlesungen (1968)  –

MESOP KRITIK : DAS MENSCHENRECHT AUF DUMMHEIT ! –  DIE SYSTEMATISCHE  INFANTILISIERUNG DER SUBJEKTIVEN RESTEXISTENZEN IN DER ZEIT DER FEMNISTISCHEN LBGT-KULTUR

Das sagt sich so leicht!  / Von Sandra Kegel (FAZ) – 22 Dec 2016

Sprache soll nicht nur gerecht, sondern jetzt auch noch einfach sein. Über den unheimlichen, schädlichen Erfolg eines wahrscheinlich „gutgemeinten“ Projekts.

Längst nicht nur die Zielgruppe schaut „Logo!”. Die Nachrichtensendung für Kinder, in der das Wichtigste vom Tage verständlich, einprägsam und ohne Fremdwörter, dafür mit bunten Illustrationen präsentiert wird, schätzen insgeheim auch viele Erwachsene. Inzwischen aber müssen sie sich nicht mehr heimlich vor den Kinderkanal schleichen, um Weltpolitik basal erklärt zu bekommen: Eine neue Sprache hält Einzug in Deutschland, die sich nicht anders als „Logo!” anschickt, unsere komplizierte Welt in leichte Syntax zu zerlegen. Inzwischen ist sie in aller Munde.

Ob Ministerien oder Kommunen, Behörden oder Rundfunkanstalten — überall übt man sich neuerdings in leichter oder einfacher Sprache. Eigentlich dazu gedacht, Erwachsenen mit Lese- und Schreibschwäche, aber auch Nichtmuttersprachlern die Teilhabe am öffentlichen Diskurs zu ermöglichen, wird sie vom Bund gefördert. Das hat auch seinen Grund: Studien zufolge gelten hierzulande 7,5 Millionen Erwachsene, also fast jeder Sechste, als funktionale Analphabeten. Sie können einzelne Sätze lesen und schreiben, nicht jedoch ganze Texte erfassen. Weitere 13,3 Millionen haben Schwierigkeiten mit Lesen und Schreiben. Für sie wurde die neue „Leichte Sprache” samt umfangreichem Regelwerk denn auch erstellt. auf Zahlen bleibt nicht folgenlos. Ob 14 375 Menschen wirklich „viele” sind, geht ja doch erst aus dem Kontext hervor. “Viel” ist relativ. Ob man will oder nicht: Vereinfachung verändert unweigerlich den Charakter von Texten.

Wie anfällig Leichte Sprache für Unschärfen ist, zeigt auch folgendes Beispiel: Statt „Morgen ist die Wahl” zu schreiben, empfiehlt das Netzwerk, den Leser direkt an-zusprechen: „Sie dürfen morgen wählen.” Was keinesfalls den Tatsachen entsprechen muss: Denn nicht jeder, der das liest, ist auch wahlberechtigt.

Trotzdem finden die Verfechter der guten Sache immer größeren Zulauf: Der Rundfunk sendet Nachrichten in simpler Sprache, Museen richten Audioguides neu ein, Städte überarbeiten ihre Internetauftritte, auch Literaturhäuser wie jetzt in Frankfurt entwerfen neue Reihen mit namhaften Schriftstellern, die das Feld erproben. Verlage haben die Marktlücke schon vor einiger Zeit erkannt. „Spaß am Lesen” in Münster etwa hat mehr als drei Dutzend Bücher im Angebot, von Shakespeare bis Jules Verne, einfach nacherzählt. Das Programm richtet sich nicht etwa an Kinder — Weltliteratur, aufbereitet für die Kleinsten, gibt es längst zuhauf —, sondern an „die Millionen Mitbürger, denen das Lesen schwerfällt”, wie es in der Eigenbeschreibung heißt. „Wir sorgen dafür, dass diesen Menschen das Lesen Spaß macht.”

Gibt es ein Menschenrecht auf Vereinfachung?

Gerade die Literatur aber bezieht ihren Reiz ja eben nicht aus Vereinfachung. „Romeo und Julia” lässt sich nicht auf den simplen Plot „boy meets girl” reduzieren. Sprache, zumal die der Belletristik, atmet; sie ist lebendig, ein Reich der Vielfalt und der Widersprüche, das sich in kein Schema pressen lässt. Das hat auch die jüngste Rechtschreibreform unterschlagen.

Die Verkündigungsszene  in der leicht übersetzten  Bibel liest sich dann zum Beispiel söhuln Israel gibt es eine Stadt, die heißt Nazareth. Dort lebt eine junge Frau. Die Frau heißt Maria. Maria hat einen Freund. Der heißt Joseph. Joseph Ist Zimmermann. Er baut Häuser und Dinge aus Holz. Eines Tages wird es hell in Marias Zimmer. Da steht ein Engel vor Maria. Der Engel heißt Gabriel. Engel Gabriel sagt: Maria, du bekommst bald ein Kind. Maria wundert sich. Sie sagt: Wie ‚kann ich ein Kind bekommen? Ich schlafe doch nicht mit Joseph.”

So funktioniert Leichte Sprache: Die Sätze sind. kurz und transportieren jeweils nur eine Aussage. Es gibt weder Passivkonstruktionen noch Fremdwörter, weder Konjunktiv noch Genitiv. Auch Metaphern und Redewendungen sind tabu. Negationen werden stets positiv gewendet, Zahlen sind zu meiden. Ein Satz wie „1789 begann die Französische Revolution” enthielte demnach gleich mehrere verbotene Ausdrücke. Einfach gesagt, würde er heißen: „Vor langer Zeit waren die Franzosen böse auf ihren König.”

Gegen Hilfestellungen für Menschen mit kognitiven Schwierigkeiten ist nichts einzuwenden, im Gegenteil. Gegen die Infantilisierung von Sprache und ihren Gebrauch nach dem Baukastenprinzip dagegen schon. Zumal der unheimliche Erfolg des Idioms längst über die Zielgruppe hin-ausgewachsen ist. Das zeigt sich schon allein darin, dass Leichte Sprache, ein ungeschützter Begriff, der sich von der „Einfachen Sprache” in Nuancen noch einmal unterscheidet, zum florierenden Geschäftszweig geworden ist. Allerorts haben sich Netzwerke und Organisationen gegründet, neue Fachbereiche an den Universitäten wurden etabliert, um das Feld für Forschung und Lehre zu beackern. Gefragt sind vor allem Übersetzer. Sie übertragen nicht mehr eine Sprache in eine andere, sondern Deutsch in Deutsch. Ihr Auftrag: vereinfachen. Auch bei Kongressen sind die Neusprecher inzwischen anzutreffen, die wie Simultanübersetzer in gläsernen Kabinen sitzen, um für ihre Zuhörer Bandwurmsätze in einzelne Aussagen umzuwandeln, Fachbegriffe zu entschlüsseln und Komposita zu zerlegen.

Erlaubt sind jetzt nur noch positive Aussagen

Sie sagen „Arbeits-Gruppe” statt „Workshop”, „Bus und Bahn” statt „öffentlicher Nahverkehr” und „viele Menschen” statt „14 795 Menschen”. So steht es im Leitfaden des Vereins „Netzwerk Leichte Sprache”, der sich 2006 in Münster gegründet hat und mit Einrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in Italien und Luxemburg heute zu den maßgeblichen Instanzen auf dem Gebiet zählt.

Fragwürdiger wird das Regelwerk, wenn darin etwa der Ausschluss des Genitivs verlangt wird, ohnehin der Deutschen ungeliebtes Kind. „Das Haus des Lehrers” durch „Das Haus von dem Lehrer” zu ersetzen, zwickt nicht nur im Ohr, auch der Mehrwert erschließt sich nicht unbedingt. Gravierend aber wird es dann, wenn die syntaktischen Eingriffe den Inhalt beeinflussen. Wenn das Primat des Positiven beispielsweise dazu führt, nicht „Peter ist nicht arm” zu schreiben, sondern „Peter ist reich”. Denn damit ist nicht dasselbe gesagt.  (…)

„Als erstes ist da Geruch von Blut und Kaffee . Die Kaffeemaschine steht drüben auf dem Tisch und das Blut ist in meinen Schuhen. Um ehrlich zu sein, es ist nicht nur Blut.” So fabelhaft überraschend liest sich der Beginn von Wolfgang Herrndorfs Roman „Tschick”. „Spaß am Lesen” macht daraus: „Hi! Ich bin Maik. Maik Klingenberg. Ich bin 14 und wohne in Berlin.”

Zurückverfolgen lässt sich die neue Einfachheit bis in die siebziger Jahre, als in Finnland der Hochsprache ein leichteres Idiom zur Seite gestellt wurde und in Amerika die „People First”-Bewegung entstand. Von dort kam die Idee nach Deutschland und wurde spätestens durch die 2008 verabschiedete UN-Behindertenrechtskonvention noch einmal befeuert. Darin ist ein „barrierefreier Zugang” zu allen Informationen nicht nur räumlich, sondern auch kommunikativ festgeschrieben.

Sicherlich kann man am Deutschen gelegentlich verzweifeln, an seinen Schachtelkonstruktionen, am Behördenjargon. Deshalb rief die Vizepräsidentin des Bundestags Ulla Schmidt Einfache Sprache kürzlich in einem Zeitungsartikel zur „Alternative zum Amtsdeutsch” aus. Doch geht es wirklich nur um Bürokratenverlautbarungen? Gibt es ein Menschenrecht auf Vereinfachung? Und hilft diese wirklich dabei, die Welt besser zu verstehen? Denn was sagt es aus, wenn beim Nachrichtenportal „Einfach Heidelberg” über den Staat zu erfahren ist: „In einem Staat leben mehrere Menschen zusammen. In einem Staat gibt es Politiker, Regeln und Gesetze. Deutschland ist auch ein Staat.” Zweifellos kann Vereinfachung dazu beitragen, die Worthülsen und rhetorischen Nebelkerzen von Politikern zu entzaubern. Anderseits sind komplizierte Wendungen und Fachbegriffe nicht unbedingt verbale Schikane, sondern die angemessene Form, bestimmte Gedanken möglichst präzise auszudrücken. Lieber sollte man überlegen, wie man den Deutschunterricht verbessern kann — weil es ja eben nicht nur einen Zusammenhang zwischen sprachlicher Vielfalt und Bildung gibt, sondern weil Sprache unsere Art zu denken prägt.

Es ist sinnvoll, den Alltag für so viele Menschen wie möglich zu erleichtern, barrierefreier zu machen; dafür sind auch sprachliche Vereinfachungen von Gebrauchstexten in Kauf zu nehmen. Aber wer vereinfacht, nimmt Verlust in Kauf. Verloren geht dabei, was Sprache reich macht: im Allgemeinen die Komplexität, im Besonderen Stilmittel, Satire, Ironie, Nuancen und wechselnde Perspektiven. All das lässt sich oft erst mit Hilfe eines großen Wortschatzes ausdrücken. In der Leichten Sprache ist ein Widerspruch zwischen Gesagtem und Gemeintem aber gar nicht vorgesehen.

Deswegen lasse man von der (bereits geschriebenen) Literatur auch die Finger. Sie ist es ja eigentlich, welche die Sprache schult. Vereinfachungen vertrüge sie nur, wenn sie rein der Informationsvermittlung diente und ohne ästhetischen Mehrwert auskäme. Deswegen ist es keine gute Idee, auch rein sprachlich jetzt die Standards zu senken und sich damit dem all-gemeinen Trend der Bildungspolitik anzuschließen. Man lernt nie aus — das gilt auch für den Spracherwerb und für das selten an ein Ende kommende Projekt der Sprachbeherrschung. SANDRA KEGEL

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