MESOP CULTUR : MANCHE HABEN IHR ÖDIPALES PROBLEM AUCH NATIONAL
Der Linke Vaterlandskomplex – Michael Bröning (Politikanalyst Friedrich Ebert Stiftung)
Das Kommunistische Manifest verkündet: „Die Arbeiter haben kein Vaterland.” Doch Karl Marx und Friedrich Engels mussten nie eine Wahl gewinnen. Für ihre Enkel sieht die Sache anders aus. Nach der Implosion der Demokraten in den Vereinigten Staaten steht die ehemals stolze linke Mitte vor einem Scherbenhaufen — weltweit. Denn Trump ist keine Ausnahme, sondern Höhepunkt einer Niederlagenserie, in denen sich die Wähler von den traditionellen Arbeiterparteien abwenden.
Als Reaktion reißt man in den Partei-zentralen nun das Steuer herum. „Globalisierung einhegen!”, lautet die Devise. Und: „It’s the Economy, stupid.” Strategisch ist das nicht falsch. Doch die Besinnung auf traditionelle Ökonomie beruht zumindest zum Teil auf einer Fehlinterpretation. Denn den Wählern geht es nicht nur um die Wirtschaft. Zwar sind die Proteststimmen durchaus Ausdruck von Abstiegsängsten. Aber zugleich sind sie auch eine Abrechnung mit einer politischen Klasse, von der sich die Menschen moralisch bevormundet fühlen.
Die Ursache: Mitte-links-Parteien haben darauf gesetzt, ihre als alternativlos verkaufte Wirtschaftpolitik durch rigorose Identitätspolitik und moralisierenden Kosmopolitismus auszugleichen. Kultur-krampf statt Klassenkampf. Die Ingredienzien: Postnationalismus als allein ak-zeptable Gruppenidentität und eine gelegentlich aus dem Ruder laufende Obsession mit soziokulturellen Nischenthemen. Ist es wirklich verwunderlich, dass politische Bewegungen zu Spartenparteien verkommen, wenn ihr Wesenskern auf so wohlmeinendes wie elitäres Ein-stehen gegen Homophobie, Sexismus, Rassismus und für grenzenlose Solidarität begrenzt ist? Hierfür bietet die britische Labour Party ein Lehrstück: Unter Parteichef Jeremy Corbyn hat sie jede Aussicht auf Mehrheiten eingebüßt. In befremdlicher symbolischer Abgrenzung gegen die eigene Gesellschaft verweigert der Vorsitzende das „God save the Queen”, schmettert „Die Rote Fahne” und sucht den Dialog mit Venezuela statt mit dem anderen Parteiflügel. Im Resultat dürfte er eher als Sekten- denn als Parteiführer Geschichte schreiben.
Was aus dem Umfragekeller heraushilft? Aufhören, eine Breitseite nach der anderen auf die Alltagsrationalität der Wähler abzufeuern und davon absehen, tradierte Werte und Identitäten durch Er-ziehungsmaßnahmen in Frage zu stellen. Die Umsetzung der Gender Gap dürfte kaum dazu beitragen, den Graben zwischen der linken Mitte und ihren traditionellen Wählern zu schließen. Gleiches gilt für den Kampf gegen das Nikolausfest in den Niederlanden.
Überdies wäre die Linke gut beraten, ihren Frieden mit einem aufgeklärten Patriotismus zu machen. Das Bekenntnis zur Nation bleibt in westlichen Gesellschaften eine zentrale Identitätskategorie. Trump, Brexit, deutsche Landtagswahlen — nichts hat den Rechtspopulisten zuletzt so Wähler zugeführt wie der Versuch, Sorge über ungesteuerte Einwanderung und den Wunsch nach nationalstaatlichen Grenzen als Ursünde zu delegitimieren.
Dabei bleibt die Nation für die meisten Menschen auch die Basis eines starken Sozialstaates. Um das zu verstehen, muss die Linke sich nicht verbiegen, sondern nur erinnern. Denn sie gewann stets dann Mehrheiten, wenn sie Gerechtigkeit und ihr stolzes Erbe des Internationalismus mit einem Bekenntnis zum Nationalstaat verknüpfte. Olof Palme hatte das im schwedischen „Volksheim” ebenso erkannt wie Tony Blair mit „Cool Britannia” und natürlich Willy Brandt, der 1972 mit der Losung „Stolz sein auf unser Land” ins Kanzleramt einzog. Auch in neuerer Zeit haben progressive Kräfte Emanzipation mit dem Sicherheitsversprechen des Nationalstaats verbunden — ohne in Chauvinismus zu verfallen. Nicht zuletzt der scheidende amerikanische Präsident hat nie Zweifel an seiner Heimatliebe aufkommen lassen. Ähnlich präsentiert sich der französische Premierminister Valls, der die Notwendigkeit von Grenzen, regulierter Einwanderung und Gerechtigkeit zu seiner Bilanz der Trump-Wahl erklärte.
Um auf Marx und Engels zurückzukommen: Sicher haben Arbeiter im 21. Jahrhundert kein wilhelminisches Vaterland mehr. Diese Zeiten sind vorbei —und das ist gut so. Aber eine nationalstaatliche Heimat haben sie schon. Und sich zu dieser auch zu bekennen und sie zu schützen sollte gerade für Linke keine Schande sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Michael Bröning leitet das Referat Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung.