MESOP CULTUR : HERMANN LÜBBE – AFTER PARADISE = KOMMUNISMUS IST OPIUM FÜR’S VOLK! / Das 2o. Jahrhundert als Jahrhundert großer Menschheitsreinigungswerke

  • JACOBINISMUS & FASCHISMUS – DAS SIND DIE FEINDE 

„Das hat sich inzwischen mehrfach erwiesen – im Marxismus-Leninismus zum Beispiel an erster historischer Stelle. Religion galt und gilt den Marxisten ja als ein überwindungsbedürftiges Resignationsbeihilfeinstitut. Und in Nutzung des uns postparadiesisch vermeintlich zugefallenen Wissens der letztinstanzlichen Ursachen alles Bösen wurde der zum Fortschritt bereite •Teil der Menschheit zum Endkampf dagegen aufgerufen. So, ungefähr, ließe sich die nie zuvor vernommene politische Selbstermächtigung „Uns ist alles erlaubt” verstehen, die bereits 1919 Lenin publizieren ließ – zur Legitimierung der neuen Kampfformen wider das Böse in seiner kapitalistischen Endgestalt.

Wer solche Kenntnisse des Restbösen wirklich zu besitzen beansprucht, glaubt eben dadurch die Menschheit reinigen zu können. Schon der junge Karl Marx hatte ja geglaubt, über die Theorie zu verfügen, die uns zur Identifikation der Rest-Bösen befähigt – und damit über ein Wissen, das seine verbliebenen Gegner, statt sie akademisch zu widerlegen, politisch zu vernichten bestimmt sei. Entsprechend ist dann auch das 2o. Jahrhundert zum Jahrhundert großer Menschheitsreinigungswerke geworden, die nach Berechnungen französischer Historiker weit über 1oo Millionen Opfer gefordert haben – nicht Opfer von Revolutionen und Kriegen, vielmehr beseitigungsbedürftiger „Menschheitsabschaum”.

Die vielen Millionen Opfer des nationalsozialistischen Terrors sind in dieser Aufsummierung der Polit-Opfer des 2o. Jahrhunderts auch einbezogen. Auch die nationalsozialistische Ideologie berief sich für ihr Menschheitsreinigungsprogramm darauf, der faktische Zustand der Menschheit gemäß biblischer Berichterstattung über unsere postparadiesische Lebenslage sei revisionsfällig. Immerhin widmete Adolf Hitler selbst sein literarisches Hauptwerk “Mein Kampf” dem Dichter und Denker Dietrich Eckhart, der seinerseits in seinem „Zwiegespräch” mit Hitler die „Geschichte des Bolschewismus”, die „von Moses bis Lenin” reiche, auf ihre Quintessenz gebracht hatte. Hitler rekapitulierte das noch gegen Ende des Zweiten Weltkriegs am 3o. November rozi4 und fand, die Religion des zu Christus bekehrten Juden Paulus sei „nichts anderes als Kommunismus”, der sich, wie Hitler schon in seinen „Tischgesprächen” gefunden hatte, wie eine „Wucherung über die ganze Erde hinweg” verbreite und die Kräfte lebensstarker Völker zugunsten des „jüdischen Materialismus” zersetze.

So könnte man fortfahren, von der Kulturrevolution Maos bis zu den Kambodschanischen Volksreinigungswerken auf den „Killing Fields”. Es hat seine Plausibilität, dass nach biblischem Be-richt der Wiedereintritt ins Paradies durch einen bewaffneten Erzengel verhindert wird.

Im modernen Alltag haben wir es zumeist mit bescheideneren und dann auch aussichtsreicheren Versuchen zu tun, mit Scheiternserfahrungen modernen Lebens fertig zu werden. Und diese Versuche sind, wie sich nachlesen läßt, durchaus erfolgreich. Sie sind es zumal dann, wenn darüber nicht vergessen wird, dass auch in diesen Kontexten Realitäten wirksam sind, die sich nicht heilen lassen, uns vielmehr abverlangen, dass wir ihre Unabänderlichkeit anerkennen.

Diese Aufgabe wird im Lauf der Modernisierung paradoxerweise nicht kleiner, sondern eher größer. Es wäre ein Thema für sich, zu beschreiben, dass das und wieso das so ist. Ein Beispiel dafür ist das Faktum, dass die Zukunftsvoraussicht, die wir stets für unsere Handlungen benötigen, abhängig von der Modernisierung und der mit ihr einhergehen den Steigerung der Komplexität schwieri ger und in wohlbestimmter Hinsicht so gar unmöglich wird. Wir wissen ja nicht was wir künftig wissen werden, denn sonst wüssten wir es ja schon jetzt – so daß mit der fortschreitenden Abhängigkeit unseres Tuns vom wissenschaftlichen Wissen die Sicherheit unserer Zukunftsvoraussicht zugleich abnimmt.

Es gibt viele weitere Exempel modernisierungsabhängig zunehmender Schwierigkeiten und entsprechend viele Erfahrungen des Scheiterns. Der unerprobte lebenspraktische Umgang mit Erfahrungen des abnehmenden Grenznutzens des Fortschritts ist ein solcher Aspekt. Ein andere ist unsere zunehmende Unsicherheit in Umgang mit der Erfahrung, dass die Ungleichheit der von jedem Einzelnen erzielten Lebensgewinne nicht geringer wird sondern zunimmt, wenn immer mehr Menschen die Freiheit haben, nach den gleichen Rechten zu handeln. Aber da und anderes mehr sind ja selbst wiederum nur Erweise des Faktums, dass wir nicht mehr im Paradiese sind. Das bringt uns über die Probleme hinaus, die sich mit dem Fortschritt tatsächlich lösen lassen auch noch solche ein, die unabwendbar und bestenfalls kompensierbar bleiben.

FAZ 25 Dec 2016

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