MESOP CULTUR : EINE STANFORD DEBATTE – Die Majakovski/Marinettischen Maschinenmenschen der 1920er Jahre vollenden heute auf szientistischer Basis die Stalino-Faschistische Human-Exsistence

Technologiefragen: Peter Sloterdijk diskutiert in Stanford mit Evgeny Morozow  / Von Sarah Pines

5 Dec 2016 – STANFORD, im Dezember Technologie beschleunigt die menschliche Evolution, ist die Evolution, irreversibel und unbeherrschbar, wir wählen sie nicht, sie wählt uns. So oder so ähnlich sah es Niklas Luhmann. In Stanford ist es Abend, es nieselt, die Luft riecht nach Eukalyptusbaum und in dem kleinen schürfwundenfarbenen Hörsaal ist Peter Sloterdijk umringt von pragmatischen Coding Class Freshmen, vornehmlich aus Asien, und mit dem sehr forschen Evgeny Morozow zum Diskussionspartner.

Er spricht mit leiser, feiner Stimme von Europa, dem Hippokratischen Eid, alten Buchkulturen und der Frage nach den Auswirkungen der Technologischen Revolution auf die Menschheit. An einem bestimmten Punkt der Geschichte müssten bestimmte Dinge eben gedacht werden, sagte Heidegger, sagt Sloterdijk, eben auch die Technik, Ort unverborgener Seinswahrheit. Warum dann also nicht heute an der Universität Stanford, Schöpferin des Silicon Valley, Gründungsort des ersten Artificial Intelligence Laboratory der Vereinigten Staaten, das siebzehn Turing-Medaillen-Gewinner hervorbrachte, der „Nobelpreis“ in den Computerwissenschaften.

Absolventen, Studenten und Dozenten der Universität arbeiten eng mit den Firmen des Silicon Valley zusammen, die für ihre Forschung die besten Neuronenforscher, Programmierer, Computertechnologen aus Stanford anheuern. Über die „electronic condition“, über Beherrschbarkeit und Gefahren der Technologischen Revolution nachzudenken ist hier eine beliebte Denkübung.

Was offenbart die Technologie? Ist sie beherrschbar, abstellbar wie ein Küchenmixer, oder zerstört sie das Menschliche? Was passiert mit der Welt, dem hinter Touchscreens ausgelöschten Raum? Sloterdijk trägt sachte vor, als würde er ein zu volles Tablett abstellen. Es dräue die Neueinteilung der Gesellschaft in Kodierer und Benutzer, ähnlich der einstigen Aufteilung der Menschheit in Lesenkönnende und Analphabeten. Eine gefährliche, Revolutionen bergende Spaltung, fügt er hinzu, und kurz denkt man an das mondsichelförmige Weltraumhabitat des Science-FictionFilms „Elysium“ (2013), Ort von Technologiebeherrschern, der dem künftigen, neuen Apple Headquarter ähnelt, herrlich hell und voller Wissen, und an unten auf der Erde dröge stapfende Massen ausgebeuteter Amazon-Kaufsüchtiger in matschfarbener Kleidung.

Gegenüber der Technologie, sagt Sloterdijk, sei der Mensch gottartig und hilflos zugleich wie einst gegenüber Magie und Metaphysik. Der Benutzer von Internet oder iPhones steuere die Welt, lässt sie schrappend und wischend hinter dem Touchscreen verschwinden, verstehe aber gar nicht, was hier geschehe. Der Mensch als hilfloser Miniaturgott: ähnlich verhalte es sich mit Europa. Irgendwo wissendes Auflachen im Publikum, Sloterdijk weiter: Europa imaginiere symbolische Größe, wolle aber keine Handlungsmacht, der bröckelnde Wohlfahrtsstaat sei derartig präsent, dass er im Bürger den Willen zur Abhängigkeit schüre.

Das sähe man zum Beispiel an der Kultivierung des Sonntages, an dem Gott und Miniaturgott (der Bürger) gleichermaßen ausruhten. Amerika hingegen habe die Woche nach Schöpfung und Ruhetag begonnen. Die deutsche Autoindustrie, altmodisches Zahnrad, und dann Elon Musk, nach Steve Jobs neuer Visionär des Silicon Valley, der das Angebot von Mercedes Benz von fünfzig Milliarden Dollar zur Übernahme von Tesla ausschlug, um den Wagen weiterzuentwickeln und zu perfektionieren — über haupt trügen die individuellen Lebensentwürfe in den Vereinigten Staaten, so Sloterdijk, stärkere Signaturen als in Europa. Das sei „Hacking“, raunt Morozow; was Sloterdijk ja meine, sei das amerikanische Leben ohne Wohlfahrtsstaat, manche müssten tagsüber Uber fahren —ja genau, ein UberAuto mit junger Studentin hat auch die Berichterstatterin auf den Campus gebracht —, nachmittags bei Amazon stapeln, vielleicht dazwischen studieren und schreiben.

Seit Tesla dräut das unbemannte Auto. Kodierer und Programmierer, fährt Sloterdijk fort, verleihen der Materie Intelligenz, wiederholten die biblische Schöpfung. Draußen vor dem Hörsaal irgendwo im Dunklen surren Google und Apple Cars, kleine pastillenförmige Gefährte, vielleicht schon ohne den Menschen. Sloterdijk schweigt kurz, dann der Gedankensprung: „Wenn Roboter dann einmal unsere Jobs wegnehmen, dann sollten sie auch Steuern zahlen, auch diejenigen bezahlen, deren Jobs sie antreten.“ Schweigen im Publikum.

Gegen Ende der Diskussion wirkt alles blassmatt, obwohl kaum einer auf dem iPhone rumkratzt wie sonst, alle sind still schauend, götterhaft verunsichert. Wie die Kontrolle behalten? Sloterdijk klingt noch leiser, sitzt sehr gerade mit Händen eingefaltet wie Papier und wird dann rätselhaft wie Kafka. Diese Aufteilung in Vermögen und Vermögenslosigkeit, in Welt und Weltarmut, von der er eben gesprochen habe, raunzt er, sei auch eine innere, sie finde in uns statt. In einer Passage des vierten Buches der „Politeia“ sagte Sokrates ja auch, er sei sich selbst zugleich überlegen und unterlegen. Sokrates war gebildet, konnte aber nicht schreiben, in ihm war Aristokrat und unterworfener Mob zugleich. Beide, sagt Sloterdijk, ließen sich eventuell demokratisieren. SARAH PINES

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