MESOP CULTUR : DIE ATEMBERAUBENDE KARRIERE EINES BEGRIFFS DES GELIEBTEN UNKORREKTEN

Fraktur Nafris – Von Timo Frasch – Die Karriere von „Nafris“ ist wahrlich atemberaubend. Vor einer Woche kannte den Begriff noch so gut wie keiner, wenige Stunden später war er das Symbol für den Alltagsrassismus unserer Zeit, um heute schon wieder so hoffähig zu sein, dass sich viele in der AfD angewidert von ihm abwenden.

Abkürzungen haben mitunter ihre Tücken und führen zu medialen Erregungszuständen – wie der vor Silvester nur Polizisten bekannte Gebrauch einer Buchstabenfolge zeigt.

Da ist zum Beispiel Ralf Stegner.

Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende (das ist nicht abwertend gemeint) hatte offenbar keinerlei Hemmungen, ausgerechnet in der Zeitung, die Alexander Dobrindt das Forum geboten hatte, ungestraft „Nafris“ zu sagen, zu mahnen: Der CSU-Politiker solle „sich lieber um seine Themen als Verkehrsminister kümmern. Dazu gehört nicht, mit aufgeladenen Begriffen zu zündeln, um Ressentiments zu schüren“. Noch weiter ging – in derselben Zeitung! – die Bundesvorsitzende der Linkspartei Katja Kipping. Sie sagte, dass Dobrindt „als Sicherheitspolitiker ein rassistischer Hetzer“ sei, was die Frage aufwarf, ob er das „als Verkehrspolitiker“, der er ja hauptsächlich ist, nicht ist. Aber das kann eigentlich nicht sein, denn, so fuhr Kipping fort, für Dobrindt komme „alles Böse aus dem Ausland“ (deswegen ja auch die Ausländer-Maut!), und er mache „abwertende Begriffe politisch hoffähig“.

Die Karriere von „Nafris“ ist wahrlich atemberaubend. Vor einer Woche kannte den Begriff noch so gut wie keiner, wenige Stunden später war er das Symbol für den Alltagsrassismus unserer Zeit, um heute schon wieder so hoffähig zu sein, dass sich viele in der AfD angewidert von ihm abwenden. Die Frage ist allerdings, ob der Begriff aus sich heraus oder wenigstens in dem Kontext, in dem er verwendet wurde (Tweet der Kölner Polizei in der Silvesternacht), rassistisch ist, oder ob er erst durch Leute rassistisch aufgeladen wurde, die behaupteten, er sei rassistisch.

Eine Interpretationsschule ist offenbar der Auffassung, der Begriff sei schon als solcher eine „herabwürdigende Gruppenbezeichnung“ (Simone Peter). Nun sind „Gruppenbezeichnungen“ in der Sprache nicht unüblich, man könnte sogar sagen, sie sind der Sprache wesenhaft (vgl. etwa „Politiker“), das heißt also: nicht per se herabwürdigend. Vermutlich hätte die Grüne Simone Peter aus sprachlicher Sicht auch nichts gegen die ausgeschriebenen Begriffe „Nordafrikaner“ (sie glaubte, das bedeute „Nafris“) oder „Nordafrikanische Intensivtäter“ einzuwenden gehabt. Ist also die Abkürzung das Problem? Das kann es auch nicht sein, Abkürzungen werden ja ständig gebraucht, ohne dass sie als solche beanstandet würden: Lageso, Bamf, HBF, Dr. Ralf Stegner, CSU, usw. Bleibt der Klang: Nafris. Hört sich, wenn man es deutsch ausspricht, zwar nicht ganz so gut an wie etwa das Polizeiwort für „linksmotivierte Straftäter“ (Limo), aber ein bisschen nach Erfrischungsgetränk eben doch (vgl. Afri-Cola, kommt von „Afrikanische Cola-Bohne“). Jedenfalls besser als „MuFl“ für „Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge“, was doch allzu sehr an „Morgenmuffel“ erinnert. Aber auch da gehen die Meinungen auseinander. Die Zeitung „Die Welt“ zum Beispiel schrieb mal, „MuFl“ klinge „sogar etwas niedlich“, vermutlich nach verstrubbelten Haaren und süß-verklebten Äuglein.

Unbestritten ist, dass man durch Abkürzungen auch Sachverhalte verkürzt darstellen und andere Leute beleidigen kann; das ist das Geschäftsmodell von Twitter. Unbestritten ist aber auch, dass manche Abkürzungen weichzeichnen. Ein „Knacki“ hat gefühlt weniger auf dem Kerbholz als der „Insasse einer Haftanstalt“. Die Frage ist aber immer, wie werden Begriffe von den durch sie Bezeichneten aufgenommen? Der Komiker Benaissa Lamroubal, ein Deutscher mit marokkanischen Wurzeln, sagte im Interview mit Faz.net, er finde die Bezeichnung „Nafri“ „ganz schrecklich“. Gefragt, wo er es einordnen würde, bei „Ami“, „Ossi“ oder „Neger“, sagte er: „Neger ist ein bisschen schlimmer, die Kategorie Ossi trifft es besser.“ Als Wessi denkt man da: Dann geht’s ja noch.

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