MESOP CULTUR : DEN DEKONSTRUKTIVISTEN SCHLÄGT DIE STUNDE DER WIRKLICHKEIT / DIE THEORIE-PUBERTÄT LÖST SICH IN KOPFSCHÜTTELN AUF

Donald Trump: Katerstimmung bei den pubertären Theoretikern

Seitdem die Rechte postfaktisch geworden ist, hat die kulturwissenschaftliche Linke ein echtes Problem.

Ein Gastbeitrag von Michael Hampe   – Michael Hampe – Jahrgang 1961, ist Professor für Philosophie an der ETH Zürich. Zuletzt erschien von ihm Die Lehren der Philosophie. Eine Kritik.

Meinen Freunden und Studenten von der KWL geht es gerade schlecht. Die KWL ist die kulturwissenschaftliche Linke. Sie machte zweierlei: historisch dekonstruieren und politisch korrigieren.

Wer etwas über die Entdeckung des Nordpols oder die Wahrheit moralischer Aussagen herausfinden wollte, wurde von ihr als Ewiggestriger müde belächelt. Nahm man etwa an, dass es den Nordpol als Tatsache gebe? Hatte man noch nicht gehört, dass “Nordpol” für ein Konstrukt steht, das durch technische Geräte, Diskurse, Politiken hergestellt worden war? Über die Erfindung des Nordpols, meinte die KWL, könne man wohl noch schreiben, nicht aber über seine Entdeckung. Fragte man zurück “Aber kalt ist es dort doch wirklich?”, zog man sich als Nutzer des Wortes “wirklich” gleich den nächsten Lacher zu. Und wem es um die Wahrheit moralischer Aussagen ging, der war nicht nur hoffnungslos gestrig, weil er noch an “die Wahrheit” glaubte, sondern vermutlich auch ein Authentizitätsfanatiker, der nach überhistorischen moralischen Verbindlichkeiten suchte und noch nicht kapiert hatte, dass auch Moral kulturell konstruiert und historisch bedingt ist.

Nun kann man das Spielchen, dass etwas kulturell konstruiert und historisch bedingt ist, immer spielen. Auch meine Oma ist kulturell konstruiert und historisch bedingt, denn Omas können als hilfserziehungsberechtigte Weihnachtskeksbäckerinnen natürlich nur in bestimmten kulturellen Kontexten entstehen. Und wenn meine Oma nicht 1902, sondern 1972 geboren worden wäre, wäre sie zweifellos eine andere gewesen. Aber gab es deshalb meine Oma nicht wirklich?

Dieses Spielchen hat den Charme der begeisterten Aufsässigkeit von Pubertierenden, die gerade die Philosophie entdecken, sich für den kommenden Sokrates halten und behaupten, alle Motive des Handelns seien egoistisch: “Wenn ich es gut finde, jemandem zu helfen, dann tue ich es eben, weil ich es gut finde, also aus egoistischen Motiven. Auch Jesus am Kreuz war ein Egoist, denn er fand es ja offenbar gut, sich zu opfern.”

Es fällt älteren, philosophisch schon länger hetzenden Hunden, die pädagogische Aufgaben wahrnehmen, in der Regel schwer, darauf zu hoffen, dass die Produzenten solcher geistigen Leerläufer irgendwann das Stadium des Ätschebätsch hinter sich lassen und tatsächlich einen Gedanken fassen. Gegenüber den Mitgliedern der KWL war diese Hoffnung noch geringer, weil sie auch politisch korrigierte und sich dadurch in einer pädagogischen Höchstlage wähnte. Das war ihre vermeintlich kämpferische Seite. Wer seinem Kind die Passage mit der “Negerprinzessin” aus Pippi Langstrumpf vorlas oder es gar zum Einkaufen von Mohrenköpfen schickte, war offenbar ein Rassist. Auch wenn die KWL nichts von moralischen Wahrheiten wissen wollte, hier verstand sie keinen Spaß. Sie schien plötzlich auf tatsächliche und eindeutige Zusammenhänge zwischen Wortäußerungen und Geisteszuständen der sie hervorbringenden Personen zu pochen: Negerprinzessin vorgelesen, also Rassist. So gradlinig schlossen eigentlich sonst nur als naive Essentialisten Einzustufende und als solche zu Geißelnde.

Warum geht es der KWL schlecht? Das liegt nicht an der Ärmlichkeit und Widersprüchlichkeit ihrer theoretischen Praxis. Für die kann sie nichts. Denn die hat sie sich ja nicht selbst ausgedacht, sondern von Nietzsche, Heidegger und Foucault geerbt, die sie nicht recht verdauen konnte, deren Theoreme sie jedoch bei sich geistig auf Dauer gestellt hatte. Das kann nicht gut gehen, so wenig wie ständiges Schnapstrinken. Aber das ist wie gesagt nicht der Grund für die gegenwärtigen Probleme der KWL. Es liegt vielmehr an der politischen Großwetterlage.

Was macht man, wenn rechte Verschwörungstheoretiker, Leute, die Fakten zurechtfabrizieren und schlicht lügen, an die Macht kommen? Was sagt man den Leugnern der Erderwärmung, wenn sie die Tatsachen mit grober Pranke einfach beiseiteschieben und lachend rufen: “Du wirfst mir vor, die Tatsachen zu leugnen? Hast du nicht behauptet, die gäbe es gar nicht? Nun, wenn alles nur konstruiert ist, dann konstruiere ich mir jetzt eben mal mein Klima, ich erfinde es, statt es vorzufinden – so hast du es doch immer gewollt! Und das Narrativ von den Kinderschändern in der Pizzakette läuft doch auch gut, oder?”  

Donald Trump – Tausende US-Bürger demonstrieren gegen Trump In den USA haben Tausende Menschen gegen das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl demonstriert. Sie zweifeln das Wahlmänner-System an, in dem Hillary Clinton zwar 2,5 Millionen Stimmen mehr als Donald Trump gewonnen, aber die Wahl verloren hat.

Die KWL hätte immer schon merken können, dass angesichts von Mordprozessen, Krebserkrankungen und Erdbebenkatastrophen der Kommentar “Alles nur historisch diskursiv konstruiert!” ziemlich närrisch klingt. Doch erst als sich der Konstruktivismus politisch gegen die Linke selbst wandte, geriet sie ins Schwitzen. Da konnte man vielleicht noch hoffen, dass man mit politischem Korrigieren den Gegner aus dem Feld schlägt. Doch jetzt schert sich der Gegner nicht mehr um die Korrekturversuche, sondern sagt: “Wir lassen uns von euch kein schlechtes Gewissen mehr einreden, weil wir diese oder jene Wörter verwenden und damit angeblich Mikroaggressionen ausüben!

Glaubt ihr, euer Versuch, uns zu sagen, wie wir zu sprechen haben, sei keine Aggression? Wer ist hier eigentlich der bully: wir mit unserer ungehobelten Rede oder ihr, die ihr uns als naive Rassisten entlarven und einsortieren wollt? Ihr habt doch bei eurem Hausheiligen Nietzsche ganz genau gelernt, wie Schwache die Starken unterdrücken: indem sie ihnen ein schlechtes Gewissen einreden! So habt ihr uns zu unterdrücken versucht, weil unsere Rede angeblich gewalttätig und unterdrückerisch ist. Aber jetzt lassen wir uns das nicht mehr gefallen. Wir sind euch auf die Schliche gekommen. Und zum Zuschlagen seid ihr Waschlappen ja eh nicht in der Lage. Wir reden ab jetzt, wie uns der Schnabel gewachsen ist!”  

Tja, und nun sitzt bald ein ausführlich lügender Mann im Weißen Haus, der rassistische Sprüche klopft, und man kann nichts machen, er ist schließlich gewählt worden. Und die KWL merkt, dass sie außer ihrer partikularen politischen Meinung nichts, aber auch gar nichts gegen Leute wie Berlusconi und Trump in der Hand hat – keine Theorie, keine Praxis. Statt sich um konkrete Wahrheitspraktiken zu kümmern von Ärzten, Politikern, Wirtschaftsunternehmen, Militärs, die Orientierungen zu geben versuchen bei Fragen wie “krank oder gesund?”, “schuldig oder nicht schuldig?”, “gerecht oder ungerecht?”, “profitabel oder nicht profitabel?”, hat sich die KWL jahrelang nur selbst gefeiert, weil sie von Großonkel Nietzsche gelernt und richtig verstanden hat, dass es keine absolute Wahrheit und keine nicht in historischen Situationen beschriebenen Tatsachen gibt, und den Scherz mit der Erfindung des Nordpols tausendfach zu allen möglichen Themen reproduziert: Erfindung der Krankheit/der Gesundheit/des Krieges … Die oben genannten Professionals haben dazu nur gesagt: “Jaja, schon gut, aber ich muss jetzt wissen, ob ich operieren soll oder nicht, verurteilen oder freisprechen, intervenieren oder nicht intervenieren.”

Und dann hat die KWL über der Feier ihrer Reflexionsvorsprünge auch noch ganz vergessen, ihr eigenes Machtstreben zu reflektieren, ihren Aufstieg in den akademischen und kulturellen Institutionen. Sie hat vergessen, darüber nachzudenken, dass sie nicht mehr subversiver Underdog ist. Sie blieb selbstbezogen, noch als sie glaubte, für andere zu agieren: in der politischen Korrekturarbeit.

Leute, die versucht haben, konkreter politisch zu theoretisieren und zu historisieren als die KWL, aber durchaus mit der Absicht, etwas gegen Ungleichheit, Ausgrenzung und Gewalt zu tun, wie Judith Shklar, Quentin Skinner, Bernard Williams oder Raymond Geuss, gibt es nur noch wenige. Deshalb nimmt jetzt die LGR, die “lügende grobianische Rechte”, die Interessen der “kleinen Leute” wahr.

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