MESOP „CONTRA-UNTERWERFUNG“ : LAUDATIO DER GROSSARTIGEN NECLA KELEK FÜR MICHEL HOUELLEBECQ

„Lieber Michel Houellebecq, bleiben Sie anstrengend“

Michel Houellebecq fantasiert im Roman „Unterwerfung“, wie Frankreich unter islamischer Regierung aussehen könnte. Dafür erhält er den Frank-Schirrmacher-Preis. Die Laudatio von Necla Kelek.

Lieber Michel Houellebecq,

ich gehe nicht davon aus, dass Sie mich kennen, denn wenige meiner Bücher sind in Ihre Sprache übersetzt worden. Ich bin keine Prosaschriftstellerin, keine Literaturkritikerin, sondern zunächst einmal eine Ihrer Leserinnen. Darüber hinaus bin ich Soziologin, die sich mit gesellschaftlichen Erscheinungen, vor allem mit Einwanderung und Islam auseinandersetzt.

Ich bin, im Gegensatz zu den Protagonisten Ihrer Romane, eine politische Figur. Ihr – man kann ihn schwerlich als Helden bezeichnen – also Ihr Protagonist im Roman „Unterwerfung“, der Literaturwissenschaftler François, würde mich sicher in die Kategorie der „Kassandras“ einsortieren. Selbst Redakteure haben uns „Kassandras“ mit Bezeichnungen wie „Panikmacherin“ oder „Fundamentalisten der Aufklärung“ versehen, um zu erreichen, was Ihr François beklagt, nämlich das Thema „Islam“ zu beerdigen.

François sagt: „Die Menschen waren das Thema leid – und in den Kreisen, in denen ich verkehrte, war man es noch mehr leid als anderswo.“ Doch das Thema steht immer wieder auf der Tagesordnung, ganz ohne unser Zutun. Und wird wohl noch lange dort bleiben.

Ich bin mir sicher, dass Frank Schirrmacher sein Vergnügen daran gehabt hätte, dass nun die „Kassandra“ Kelek auf Sie eine Lobrede hält. Nehmen Sie Folgendes, lieber Michel Houellebecq, nicht als Kritik an Ihrem Werk, sondern als den Versuch, über Inhalte, Disposition, Struktur und Wirkung ihres Romans „Unterwerfung“ zu sprechen. Ich möchte versuchen, Ihnen die Parallelen oder Unterschiede der Ereignisse in Frankreich und Deutschland zu beschreiben.

Die Fiktion wurde von der Realität eingeholt

Die Wirkung Ihres Romans „Unterwerfung“ setzte ein, bevor er überhaupt gelesen werden konnte. Der mörderische Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ und den jüdischen Supermarkt war einerseits zufällig mit einer Karikatur von Ihnen auf der Titelseite verbunden, andererseits illustrierte das Zusammentreffen von Erscheinen des Romans mit den Morden das ganze Dilemma. Die Fiktion wurde von der Realität eingeholt, aus ihrem Roman wurde ein Buch Hiob.

 

Sie selbst ungewollt (?) der Überbringer schlechter Botschaft, wobei sie doch – wenn ich die Disposition Ihrer Bücher und der Charaktere richtig gelesen habe – ein Autor der Gemeinschaft der Einsamen sind. Ihr François und auch die Figuren der anderen Bücher erscheinen als verlassene, unpolitische Kreaturen, die weder Täter noch Opfer, sondern eher gefühlsarme Gestalten sind. Sie agieren wie Crashtest-Zombies – ganz wie in ihrem Buch „Die Möglichkeit einer Insel“ – sozusagen als Klone Ihrer selbst.Sie haben sich richtigerweise von dem unterstellten Wirkungszusammenhang von Fiktion und Realität distanziert und die Verantwortung als Schriftsteller dafür abgelehnt. Der Schriftsteller hat Verantwortung für seine Wahrnehmung und Wiedergabe, nicht für den Gegenstand. Er ist Überwachungskamera oder Alarmmelder und so wenig für den Sturm verantwortlich wie die Windmühle, die Geschwindigkeit in Kraft oder Korn in Mehl verwandelt, aus dem andere Brot backen.

Ihr Werk folgt weder den formalen Sprachexperimenten und der gehäckselten Realität des Nouveau roman, der Agitprop-Prosa oder des Bad-Acting-Staatstheaters oder dem Politkitsch des Agitationstheaters von einer „Neomigrantin“, das mit Hilfe von Raubtiernummern zum „Theater des Jahres“ emporrezensiert wird.

Kritisiert und geschreddert

Während in diesen intellektuellen Versuchen auf der Bühne und im Buch die westliche Welt und deren Lebensentwürfe und Traditionen erbarmungslos kritisiert und geschreddert werden und die bürgerliche Identität gar als grundlegend verdächtig, schuldig angesehen wird, steht denselben Leuten die „fremde Kultur“ unter Beleidigungsschutz. Moralische Hybris inszeniert Opferhöllen. Die Bühne als Ort der Realitätsverweigerung, die sich bis heute nicht wirklich mit den verschiedenen Facetten des Migrantenseins beschäftigt.

Die Kulturbeamten verhalten sich damit nicht anders als die muslimisch-orientalische Community selbst, die die Debatte nicht kennt. Debatten um Burka, Kopftuch, Kinderehen, Zwangsheirat, Ehrenmord, Parallelgesellschaften werden von Muslimen höchst selten geführt. Weder in einer Moschee von organisierten Muslimen noch in der Theaterwelt. Es gibt Dissidenten wie mich – und ein paar andere, die diese Themen immer wieder sezieren, aber eine Debatte innerhalb der muslimischen Community findet nicht statt. Man mischt sich nicht in die eigenen Dinge ein, begreift vielmehr jede Einmischung als Angriff. Die Muslime selbst haben ihre Chancen, in der Freiheit anzukommen und sich dabei der Kunst zu bedienen, ungenutzt gelassen.Dass die Bühnenfassung Ihres Romans „Unterwerfung“ ein so großer Erfolg in Deutschland ist, hat einerseits mit der schauspielerischen Leistung eines Edgar Selge zu tun, aber auch mit einer Sehnsucht des Publikums, das sich wünscht, dass im Theater so ein wichtiges Thema vorkommt.

Ihre Beschreibung in „Unterwerfung“, wie Frankreich islamisiert wird, ist nachvollziehbar, und ich könnte eine Reihe vergleichbarer Beispiele sowohl aus Deutschland wie aus aller Welt anführen. Die „ideologische Liederlichkeit“ (Dalrymple) der Intellektuellen, die alles abschätzig behandelt, was nicht ins eigene Weltbild passt, kommt einer kulturellen Demontage gleich. Die Arroganz und Ignoranz gescheiter Dandys macht Schule und Politik – bis die Wirklichkeit in Form von Wahlniederlagen dieses Konzept zerstört. Wer eine Gefahr von fremden Kulturen ausgehen sieht, gilt in ihren Augen als Brandstifter.

Als Brandstifter, die anprangern, dass die Migrantenpolitik aus Bequemlichkeit oder wider besseres Wissen von den politisch Verantwortlichen den Migranten selbst überlassen wird. Probleme wie Parallelgesellschaften oder Familiengewalt werden solange unter kulturellen Vorbehalt gestellt, bis es knallt. Salafisten können Indoktrination unter dem Schutz der Religionsfreiheit betreiben, bis es knallt. Wir haben Islamwissenschaften, die keine Untersuchungen zum Koran oder zu den Hadithen zulassen. Der Koran gilt an europäischen Universitäten als heiliges Buch und ist sakrosankt. Wie mit den 200 Gewaltstellen im Koran umgegangen werden soll, ist kaum ein Seminar wert.

Dass die Integration in Deutschland – vor allem der muslimischen Migranten – in erheblichem Maße gescheitert ist, ist auch dem Wirken der Migrationsforschung anzulasten. Dieses Wissenschaftsversagen ist eine Folge der ideologisierten Herangehensweise der Migrationsforschung. In Deutschland wie in Frankreich. Dies nur am Rande, um einzugrenzen, vor welcher gesellschaftlichen Kulisse das aktuelle Stück „Unterwerfung“ aufgeführt wird.Für mich stellt in „Unterwerfung“ der Islam aber nur die Versuchsanordnung dar. Er ist nicht das eigentliche Thema. Sie beschreiben in „Unterwerfung“ eine Gesellschaft, die ihre Mitte verloren hat. Bei Ihren Figuren ist dieser Verlust greifbar, nämlich vor allem die Abwesenheit von Familie.

Bindungslos, einsam und verlassen

In ihrer Versuchsanordnung erscheint deshalb alles so hoffnungslos, weil die Figuren in der französischen Gesellschaft so bindungslos, einsam und verlassen sind und Partnerschaft wenn, dann nur als Geschlechtsverkehr praktiziert wird. Da erscheint das Gegenmodell einer islamischen Sozialordnung mit verordneter Unterwerfung selbst für den „Sozialdummy“ François reizvoll.

Für mich stellt sich die französische Gesellschaft, wenn ich Ihrem Blick folge, als hoffnungsloser Fall dar. Um Ihnen das mit einem Bild zu verdeutlichen: Frankreich ist bei Ihnen nicht das Land, in dem Milch und Honig fließen, sondern eine Ödnis mit Universität und sozialer Zusatzversicherung.

Sie beschreiben den Islam als eine mögliche, aber nicht als die einzige Form, die die Gesellschaft unterwirft oder verwandelt. Sie beschreiben in beklemmender Weise die Selbstaufgabe und schleichende Konversion einer sich immer noch als groß empfindenden Nation. Sie zeigen, wie aus individuellen Nöten, Versorgungsängsten, realer Gewalt, Korruption, Karrieredenken, Sinnlosigkeit, Überdruss ein Zustand depressiver Zustimmung entsteht. Das zentrale Thema Ihres Werks erscheint mir die Einsamkeit der Seele und die Fühllosigkeit einer Gesellschaft, die ihre innere Heimat verloren hat. In einem Interview erzählten sie von der Überlegung, dass die Konversion ihres François genauso gut in Richtung Katholizismus hätte gehen können. Nur habe Ihnen das konkrete Anschauungsmaterial gefehlt.

Unterwerfung als Heilung der Gesellschaft

Da könnte ich Ihnen helfen, denn die europäischen Neoreligiösen sehen ebenfalls in der Unterwerfung eine Heilung der Gesellschaft. Und damit komme ich auf einen Satz, den Sie in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ geäußert haben. Der Satz hat mich irritiert.

Auf die Frage, warum der Mensch Religion brauche, sagen Sie: „Das Leben ist ohne Religion einfach so über alle Maßen traurig.“ Ihr François konvertiert am Ende des Romans zum Islam. Nicht aus spirituellen oder philosophischen Gründen, sondern aus Opportunismus. Sie sagen dazu: „Ursprünglich wollte ich, dass er Katholik wird. Aber ich habe mehrfach versucht, die Szene zu schreiben, und es fühlte sich immer falsch an. Da kam mir die Idee mit dem Islam.“

Aber was ist Religion? Religion zielt ja darauf, um es verkürzt zu sagen, eine Stimmungslage über das gesellschaftliche und persönliche Sein zu schaffen, so dass sie als unverrückbare Wirklichkeit erscheint. Traditionen, Sitten, Mythen werden mit religiöser Bedeutung aufgeladen, sakralisiert und legitimiert.Lassen wir einmal den schicksalsgläubigen Hinduismus und die organisierte Leere des Buddhismus außen vor und wenden uns den Buchreligionen zu. Nun besteht unter den von mir so genannten Neoreligiösen die vorherrschende Meinung, dass sich die sogenannten abrahamitischen Religionen an einen, gar denselben, Gott wenden. Die Unterschiede gelten als marginal.

„Das Knien verlernt“

Das Judentum ist die Religion des Zweifels und der Fragen, das Christentum die der Antworten und der Islam die der Hingabe oder Unterwerfung. Unterschiede werden eingeebnet, und Religion wird zu einer Sache des allgemein menschlich Erhabenen, des Konsens und der Mystik.

Ein Journalist vergleicht in der „Süddeutschen“ den Kulturkampf des 19. Jahrhunderts um die Säkularisierung der katholischen Kirche im Deutschen Reich mit der Auseinandersetzung um die Islamverbände heute. Man möchte ihm zurufen: „Ja, die katholische Kirche hat sich nicht selbst säkularisiert, sie wurde dazu genötigt. Und wir sollten dies mit den Islamverbänden auch tun.“

Ein Schriftsteller wünscht sich die lateinische Messe zurück und klagt: „In der westlichen Welt haben die Menschen das Knien verlernt.“ Und sein muslimischer Freund fügt hinzu: „Heute gilt die heiligste Handlung, die ein Mensch vollbringen kann, nämlich sich selbst zu opfern, als lächerlich und pathologisch.“ Das steht im Zusammenhang mit der Märtyrersure aus dem Koran aber in einem anderen Licht. Sure 9, Vers 112: „Denen gehört das Paradies, die auf dem Wege Allahs streiten, die töten und getötet werden. Ihnen gehört die wahre Verheißung.“

Das sind Stimmen der einflussreichen, intellektuellen Neoreligiösen, die versuchen, über die Propagierung religiöser Hingabe die Gesellschaft zu heilen. Unterwerfung unter Religionen als Sinnspende und universale Lösung? Dabei, das entnehmen wir Ihren Büchern, lieber Michel Houellebecq, ist Religion, gleich welche, auch nur Ideologie und vergebene Liebesmüh.

„Ich bin zu nichts nutze“

Die eigentliche Tragik von François ist denn auch nicht die Religion, sondern sie wird bereits in einem Zitat auf der ersten Seite ihres Romans deutlich. Sie zitieren Huysmans: „Im Grunde ist mein Herz durch das lockere Leben verhärtet und vertrocknet, ich bin zu nichts nutze.“

François beendet seine Forschungsarbeit und fühlt sich bereits nach der Abgabe leer. Nur das wissenschaftliche Denken scheint ihn am Leben gehalten zu haben. Womit wir bei einem Franzosen, dem Wegbereiter der Aufklärung René Descartes, angekommen wären. „Ich denke, also bin ich“ als Roman geschrieben. Wer aufhört zu denken, wird sich irgendwann und wem auch immer unterwerfen.

Lieber Michel Houellebecq, Sie haben uns eine anstrengende Aufgabe hinterlassen.

Wir brauchen Sie. Lassen Sie uns „Einzeltäter“ bleiben. Bleiben Sie anstrengend. Herzlichen Glückwunsch!

Die islamkritische Publizistin Necla Kelek hielt diese Laudatio am 26. September in Berlin. Der Frank-Schirrmacher-Preis für „herausragende Leistungen zum Verständnis des Zeitgeschehens“ wird hiermit zum zweiten Mal verliehen. Er ist mit 20.000 Schweizer Franken dotiert.

https://www.welt.de/article158387371/Lieber-Michel-Houellebecq-bleiben-Sie-anstrengend.html