MESOP „AUFRUF ZUR GRÜNDUNG DER GESELLSCHAFT DER FREUNDE VON GIANNIS VAROUFAKIS“ / STOLZER GRIECHE & FAULE GRILLE

„Die deutsche Ameise muss mit der griechischen Ameise zusammenarbeiten – damit wir alle Grillen werden“

(Ein echter Varoufakis, frei nach ÄSOP)

„Griechenland retten lautet sein Ziel. Und wenn das die große Show vor der Kamera erfordert, dann bitte. Das übt er nun schon seit Jahren. Alle Details klärten wir vorab mit ihm in der Hotellobby gute Vorbereitung ist alles.“ Channel 4 TV-Journalistin Irene Bräuninger

Wahrscheinlich hätte ich den Mann längst vergessen, wenn er mir nicht seit Wochen Tag für Tag in den 20UhrNachrichten begegnen würde: Giannis Varoufakis, der neue Finanzminister Griechenlands.

Moment Mal, das markant geschnittene Gesicht kenne ich doch, dachte ich, als ich ihn zum ersten Mal in der neu ernannten Ministerrunde des griechischen Linksbündnisses entdeckte. Mit dem habe ich doch schon eine knappe Woche zusammengearbeitet. Damals, im Februar 2012, kurz vor der Ratifizierung des zweiten Hilfspakets für Griechenland. Wir haben ein Feature für den britischen Nachrichtensender Channel 4 mit ihm gedreht.

Als Producerin arbeite ich regelmäßig auch für englische Sender. Wir recherchieren für die ausländischen Kollegen vorab Interviewpartner in Deutschland, suchen geeignete Drehorte, holen Drehgenehmigungen ein, erstellen einen Ablaufplan und führen später dann mit den englischsprachigen Reportern die Dreharbeiten durch, interviewen und übersetzen, wenn nötig.

Diesmal liegen fünf arbeitsreiche und vor allem eisig kalte Drehtage im Februar in Frankfurt vor uns. Das Vorhaben: Der bekannteste griechische Professor der Ökonomie namens Giannis Varoufakis soll seine persönliche Bestandsaufnahme des hoch verschuldeten griechischen Staates liefern. Wege aus der Krise möchte er aufzeigen, Lösungsvorschläge unterbreiten. Aber wer kannte damals schon einen griechischen Ökonomen?

Gleich bei der Begrüßung im Hotel wird klar: Varoufakis ist ein cooler Typ. Ein durchtrainierter Endvierziger in Jeans und Lederjacke, der perfekt Englisch spricht, allerdings mit hörbar griechischem Akzent. Alles andere als der langweilige Typ bebrillter Professor in Anzug und Krawatte. Schon beim Smalltalk kommt er zur Sache. Wegen Sturm war sein Flug in Athen gestrichen worden, erzählt er. Aber nicht nur das Wetter schlage Kapriolen in seiner Hauptstadt, auch bei der leidenden Bevölkerung stünden die Zeichen auf Sturm, fügt er grimmig hinzu. Das ist sein Thema, damals wie heute.

Und jetzt ist er also griechischer Finanzminister! Der Mann, der die Troika des Landes verweist, sich mit seinem deutschen Widersacher Wolfgang Schäuble und der ganzen restlichen Eurozone anlegt Vergangene Woche ist es zwischen Schäuble und ihm mal wieder eskaliert, der Grieche schickte gar seine Diplomaten zur Beschwerde nach Berlin. Der deutsche Minister soll den Kollegen als „dümmlich naiv” bezeichnet haben (was dieser bestreitet). Zudem hat Schäuble bemängelt, daß Varoufakis das Vertrauen der Deutschen verspielt habe. Das kommentierte der Grieche auf seine für Polit-Technokraten ungewohnt freche Art: Das Vertrauen der Deutschen habe er nie besessen. Das der Griechen aber habe er.

So hält der Neuling im Politbetrieb die Welt mit immer neuen Provokationen in Atem; im Gezerre um Schulden, Reparationsforderungen und Pfändungsdrohungen. Fast noch mehr Aufsehen erregt er wegen seines attraktiven Aussehens und unkonventionellen Auftretens. Überschriften wie “Halbstarker”, „Rocker in Lederjacke”, „Athens Rüpel-Minister” hat er sich inzwischen verdient. Habe ich den Griechen vor drei Jahren so empfunden? Hatte er keine Manieren? War er ungestüm, ein Querdenker, Rebell?

Nein, mein Bild war damals ein anderes: Sympathisch wirkte dieser Professor, ungewöhnlich. Sehr wache Augen, ein heller Kopf, der genau weiß, was er will. Mit großem Ego, das ganz bestimmt, von sich überzeugt, ein stolzer Grieche, aber auch kollegial, ein Teamworker, der für sein Projekt brennt.

Griechenland retten lautet sein Ziel. Und wenn das die große Show vor der Kamera erfordert, dann bitte. Das übt er nun schon seit Jahren. Alle Details klärten wir vorab mit ihm in der Hotellobby gute Vorbereitung ist alles. Müssen wir die Drachmen im Geldmuseum der Bundesbank wirklich filmen? Brauchen wir einen deutschen Immobilienmakler, der in Griechenland profitable Geschäfte macht? Und wie widerlegt er am besten das gerne verwendete und ihm so verhasste Stereotyp von den „faulen Griechen” und „fleißigen Deutschen”? Da hat er eine Parabel von Asop parat. Die emsige Ameise in der Fabel war so fleißig, dass sie Vorräte für den Winter anlegte, während die Grille sich den ganzen Sommer nur amüsierte und sang. Im Winter musste die faule Grille dann die fleißige Ameise um Almosen anbetteln. Auf Nationen aber lasse sich die Fabel nicht übertragen, sagt Varoufakis. Nicht alle Griechen seien faul, genauso wenig alle Deutschen fleißig.

In fast jedem seiner zahlreichen Interviews gibt er die Fabel seither zum Besten, um die Klischees über die „gierigen Griechen” zu widerlegen, die „um Hilfe betteln”, obwohl sie alle „reingelegt haben” und „Luxus-Renten” kassieren. Dabei, so enden die Ausführungen regelmäßig, müssten die fleißigen Ameisen auf beiden Seiten auf deutscher und griechischer für die Finanzkrise bezahlen. Und die ist vor allen Dingen den Banken geschuldet. Die Leidtragenden sind die Griechen.

Für den Part in Deutschland haben wir Frankfurt als Drehort gewählt. Varoufakis will Bilder mit den Bankentürmen im Hintergrund. Bei klirrender Kälte sagt er zigmal seine Zwischenmoderation für das Feature auf. Ohne zu murren, immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Es ist wie verhext: Mal fällt ihm sein weißroter Ringelschal unpassend auf die Jacke, mal versteckt sich die Sonne hinter einer Wolke, mal hat der Kameramann nicht sauber mitgeschwenkt. Der Grieche ist geduldig. Auch, als wir eine Taxifahrt beim Filmen viermal wiederholen müssen. Eine Diva mit Starallüren ist er wahrlich nicht! Das schwierige Unterfangen: Der Bildausschnitt soll Varoufakis auf dem Taxi-Beifahrersitz im Anschnitt zeigen und dazu die Skulptur des „Hammermanns” vor der Messe, genau in dem Moment, wenn der den Hammer nach unten fällt. Reines Glücksspiel vom Timing her, aber beim vierten Mal ist das symbolträchtige Bild endlich im Kasten. Auf die Baustelle des EZBNeubaus dagegen müssen wir verzichten. Emsige Betriebsamkeit hatten wir dort zeigen wollen, nun ruhen die Bauarbeiten allerdings an dem Tag. Ohne Bewegung kein Bild. „Die Deutschen sind eben auch nicht immer fleißig”, scherzt der Wirtschaftswissenschaftler.

Privater wird es dann am Abend in einer Apfelweinwirtschaft. Frankfurt gefällt dem Ökonomen gut, auf der „Zeil” sei so viel Leben (anders als in Athen) und das Mainufer bestimmt eine schöne Joggingstrecke. Der gebürtige Athener ist viel herumgekommen. Studiert hat er Mathematik und Wirtschaft in Essex, Birmingham und Cambridge. Dann lehrte er in Sydney an der Universität. Nach Braten und Bier kommt Varoufakis ins Schwärmen von seiner zweiten Ehefrau, einer Künstlern. Tja, da sei allen Verehrerinnen gesagt (auch wenn es sie enttäuscht): Er hat wirklich ständig mit seiner Frau telefoniert.

Varoufakis und die Frauen , das ist eh ein Kapitel für sich. Wenn ich heute Freunden erzähle, dass ich mit dem griechischen Finanzminister gedreht habe, reagieren die Frauen begeistert: „Ach, der attraktive Drahtige mit den Stoppelhaaren? Den kennst du?” Dann wollen sie unbedingt Fotos sehen. Und starren verzückt auf mein Smartphone. So was ist mir noch nie passiert!

Eins der Bilder zeigt ihn vor den Doppeltürmen der Deutschen Bank. Da bewies der Südländer echten Biss: Während die Banker vor Kälte zittern, setzt sich der sonnenverwöhnte Grieche, ohne mit der Wimper zu zucken, auf einen kalten Stein und spricht in die Kamera, wieder und wieder. Bis es passt. Und das bei Minusgraden.

Was er sich vornimmt, zieht er professionell durch.

Ist es diese Coolness, die Schäuble und andere so auf die Palme bringt? Die mangelnde Demut des Bittstellers? Sind es die provokanten Sprüche, die er vom Stapel lässt? Vielleicht kommt der Wirbel um den Minister gerade daher, dass eine „bettelnde, faule Grille” nicht so selbstbewusst und fröhlich grinsend auftreten sollte, wie es nur einer „fleißigen Ameise” zusteht.

Zu Fuße der Deutschen Bank verkündet der Ökonom mit der von ihm gern zur Schau gestellten Selbstsicherheit kurz und knapp seinen Rettungsplan in die Kamera. Erstens: Den europäischen Bankensektor vereinigen und notleidende Banken rekapitalisieren. Zweitens: Die EZB soll einen Teil der Anleihen der Krisenländer umschulden. Drittens: Die Europäische Investitionsbank EIB soll ungenutzte Rücklagen produktiv in die EuroKrisenländer investieren.

So weit der Theoretiker und Wirtschaftsprofessor Giannis Varoufakis im Jahr 2012. Und heute? Wie will er als Athens Kassenhüter sein Land retten? Immer noch mit seinem DreiPunktePlan, den er im Feature vorgeschlagen hat. Der erscheint gerade als dünnes Buch auf Deutsch. Titel: „Ein bescheidener Vorschlag zur Lösung der EuroKrise”. Das Vorwort schrieb Varoufakis neulich erst auf dem Heimflug von Berlin nach Athen nach einem Treffen mit Schäuble.

Stur ist er also. Und eigensinnig. Das bekamen wir bereits bei den Filmaufnahmen zu spüren. Am Abend vor dem letzten Drehtag fällt ihm eine großartige Bereicherung für den Film ein: Ein Karikaturist sollte eine fleißige deutsche Ameise und eine faule griechische Grille live vor der Kameralinse zeichnen. Tolle Idee. Nur woher einen Karikaturisten nehmen, der am nächsten Morgen Zeit hat und das ungewöhnliche Motiv aus dem Handgelenk schüttelt? Die Kollegen von „Channel 4″ winken gleich ab, zu kurzfristig, unmöglich! Aber so leicht kommt man bei Varoufakis nicht davon. „Try your best, you’ll make it”, sagt er lächelnd. Und tatsächlich, die Suppe wird kalt, der Wein bleibt stehen, aber noch in der Nacht ist ein Zeichner gefunden. Die Szene wird ein Glanzstück der Reportage.

Giannis Varoufakis im Film (in echt und als Satire): www.faz.net/filml, www.faz.net/ filmt, www.faz.net/film3