MESOP : ALEWITEN GEGEN ASSAD – Syrien & der Assad-Clan Der mordende Jüngling von Latakia
Der Vetter des syrischen Präsidenten, der wegen eines Streits im Straßenverkehr einen Oberst erschossen hat, zeigt keine Reue. Stattdessen beschimpft er seine Kritiker. Die Ausfälle des Jünglings bringen Assad in die Bredouille. 11.08.2015, von Christoph Ehrhardt, Beirut – FAZ – Reue hat er nicht gezeigt. Als „Hunde“ und „Verräter“, beschimpfte Sulaiman Hilal al Assad im Internet seine aufgebrachten Landsleute, die sich über den Mord an einem Oberst der syrischen Armee empören. Einen Mord, den er mutmaßlich selbst begangen hat, und der in Latakia, einer Bastion des Assad-Regimes, am Wochenende so seltene wie wütende Proteste hervorgerufen hatte. Die Demonstranten würden nur den Terroristen helfen, gegen die seine Familie kämpft, schimpfte Sulaiman.
Der Cousin des syrischen Gewaltherrschers Baschar al Assad, so berichtete der Bruder des Mordopfers, der die Tat mit eigenen Augen gesehen haben will, habe den Offizier auf offener Straße mit einem Sturmgewehr niedergestreckt. Doch der Spross des Herrscherclans ließ keinen Zweifel daran, dass er ungeschoren davonkommen werde. „Ihr wollt mich zur Rechenschaft ziehen?“, höhnte er am Sonntag. Er sei unschuldig, die Wahrheit werde ans Licht kommen.
Am Montag meldete die amtliche Nachrichtenagentur Sana, Sulaiman Hilal al Assad sei festgenommen worden, was auch örtliche Aktivisten gegenüber der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte bestätigten. Die regimetreue Zeitung „Al Watan“ zitierte die Witwe des ermordeten Oberst mit den Worten, der Präsident habe ihr versprochen, dass der Täter bestraft werde – egal, wer er auch ist. Der Gouverneur der Provinz Latakia hatte sich am Wochenende beeilt, die aufgebrachten Bürger mit den Worten zu beschwichtigen: „Niemand steht über dem Gesetz.“
Dass Baschar al Assads jugendlicher Vetter, der erst im Abiturientenalter ist, tatsächlich für Jahre im Kerker landet oder gar hingerichtet wird, glaubt allerdings kaum jemand. Aber der Mord verschärft die Probleme des Regimes in Damaskus. Denn zum einen erregen die Exzesse, Ausfälle und Verbrechen der Herrscherfamilie zunehmend Anstoß auch unter den Alawiten, der Bevölkerungsgruppe des syrischen Diktators.Vor allem aber trifft der Mord von Latakia Baschar al Assad an einem empfindlichen Punkt: Sulaimam wird zu den „Schabiha“ gezählt, den „Geistermilizen“ des Regimes. Die marodierenden Milizionäre schüren den Unmut unter den Alawiten, die sich von ihnen bedroht fühlen. Damit schwächen sie das Haus Assad, denn die Herrscherfamilie hat sich die Gefolgschaft der Alawiten stets dadurch gesichert, dass sie diese Glauben machte, ihr einzig wahrer Schutzherr zu sein. Andererseits ist das Damaszener Regime in seinem Überlebenskampf auf die alawitischen Milizen angewiesen.
Zunehmende Zweifel an Assads Schutz
Der Angehörige einer alawitischen Familie, die mit den Assads bekannt und mit hohen syrischen Militärs verschwägert ist, hatte schon 2013 in der Orientzeitschrift „Zenith“ die Alawiten aufgefordert, „aus der Hypnose“ zu erwachen und sich vom Clan an der Staatsspitze zu emanzipieren, weil der die Alawiten bewusst in einen Schicksalspakt getrieben habe. Die Familie an der Spitze des zerfallenden Staates beherrsche derart raffinierte Herrschaftstechniken, dass selbst ein Machiavelli davon lernen könnte, schrieb der Mann. „Nur selten gelang es einem Herrscher, seine eigene Religionsgemeinschaft derart zu unterdrücken und zugleich dafür zu sorgen, dass sie ihm auf Knien dankte.“ Die Assads hätten die Gesellschaft verrohen lassen und den Hass auf die Alawiten geschürt, weil er ihnen nutzt. Sie hätten einflussreiche Familien und religiöse Autoritäten geschickt ausgeschaltet.
Alawitische Assad-Gegner versuchen nun ihrerseits, das Regime an seinen empfindlichen Stellen zu treffen. Sie kritisieren die Familie als ungehobelt, roh und brutal. Sie weisen darauf hin, dass die Assads immer wieder Alawiten beleidigt, entführt, vergewaltigt oder ermordet hätten. Sie schüren die zunehmenden Zweifel, dass die Assads Schutz und Segen für die alawitische Gemeinschaft sind.Ein Kritiker erwiderte im Internet die Tiraden, des Sulaiman al Assad mit den Worten „Lasst uns aufhören, zu fluchen, wir sind besser als das. Es ist eine Angewohnheit der Assads, zu fluchen.“ An den Präsidenten gerichtet schrieb der Mann: „Du solltest zwei Dinge wissen, Baschar: Wir haben in der syrischen Armee gekämpft, um unsere Heimat und das syrische Volk zu verteidigen. Und wir hätten nie gedacht, dass unsere Opfer auf diese Weise belohnt werden, indem ein Angehöriger der Assad-Familie kaltblütig einen Offizier ermordet.“ Man müsse Gott dafür danken, dass die Assads ihr wahres Gesicht gezeigt hätten, und dass das Land und die Alawiten erst in Sicherheit leben könnten, wenn der Diktator gestürzt sei.
Gedrängelt, gehupt, geschossen
Die Proteste in Latakia dürften Baschar al Assad daher einen Schlag versetzt haben – auch wenn die Demonstranten den Gewaltherrscher in Damaskus nicht direkt kritisierten, sondern sich dem Regime sogar treu ergeben zeigten. Am Freitag, so berichtet ein Anwalt aus Latakia, seien die Proteste in einem alawitischen Viertel ausgebrochen, das als regimetreu gilt. Im Internet sind Videos der Demonstration verbreitet worden. Darin fordern die Leute die Exekution Sulaimans. Sie machen ihrer Wut über die Morde und das Treiben der bewaffneten Banden Luft. „Wir sind nichts wert“, sagt ein Demonstrant. „Wir verteidigen die Ehre des syrischen Offiziers“.
Der Bruder des Ermordeten dankte den Demonstranten am Montag, als er auf einer Kundgebung zu ihnen sprach. Wie die „Terroristen“ der dschihadistischen Nusra-Front oder des „Islamischen Staates“ (IS) solle der Mörder hart bestraft werden. Zuvor hatte er im Radio detailliert geschildert, wie er den Mord erlebte: Am Donnerstagabend gab es einen Verkehrsstau vor einem Kontrollpunkt. Ein schwarzer Geländewagen ohne Kennzeichen habe gehupt, gedrängelt und versucht, das Fahrzeug seines Bruders abzudrängen, in dem auch er saß. Sein erboster Bruder sei ausgestiegen und habe sich als Armeeoberst zu erkennen gegeben. Dann sei ein Schuss gefallen, der Mörder geflohen.
Kurz darauf sei ein Fahrzeug mit getönten Scheiben am Tatort vorgefahren – offenbar, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Als er im Krankenhaus angekommen sei, sei es für seinen Bruder schon zu spät gewesen, sagte der Mann. Den Assad-Cousin habe er später anhand eines Fotos als Mörder identifizieren können.
Vermögen dank Schmuggel
Sulaiman al Assad ist als Unruhestifter in Latakia berüchtigt. Er rase gerne mit seinem protzigen Geländewagen über den Strand und drehe dabei scharfe Kurven, sodass die Leute mit Sand bespritzt werden, lautet eine der weniger unappetitlichen Geschichten, die über ihn kursieren. Er soll auch im Schutze seiner schwer bewaffneten Leibwächter in einem sunnitischen Viertel der Altstadt von Latakia randaliert haben. Im Internet kursieren Fotos, auf denen er in Kampfmontur arrogant mit seinen Männern und mit Waffen posiert.Sulaimans Vater Hilal al Assad, der im März 2014 im Gefecht getötet wurde, häufte ein Vermögen im lukrativen Schmuggelgeschäft in Latakia an. Die „Schabiha“ genannten Schmugglerbanden, die sich dort in den siebziger Jahren formierten, wurden während des Aufstands 2011 zu einem gefürchteten Werkzeug des Regimes. Hilal al Assad kommandierte bis zu seinem Tod die paramilitärischen „Nationalen Verteidigungskräfte“, in die verschiedene irreguläre Milizen eingegliedert wurden.
Pompöse Begräbnisse und Trauerzüge, wie sie Sulaimans Vater zu Ehren noch organisiert worden waren, sind inzwischen äußerst selten geworden. Das Regime beerdigt die getöteten Soldaten diskreter – wohl, um die Alawiten nicht zu stark mit den Opfern zu konfrontieren, die sie für das Regime aufbringen. Doch es gelingt der Führung offenbar immer weniger, den Schein der Sicherheit und Normalität zu wahren. Alawiten in Latakia berichten von Angst angesichts zunehmender Rechtlosigkeit und den bewaffneten Jugendlichen, die durch die Straßen zögen.
„Da rennen Jugendliche mit Sturmgewehren herum, die nicht einmal einen Bart haben“, sagt ein junger Mann, der aus Latakia stammt und zuletzt im Frühjahr seine Verwandten dort besucht hat. „Sie finden sich cool in Tarnkleidung und mit Waffe. Aber wenn es hart auf hart kommt, dann kann man sich nicht auf sie verlassen.“ Er berichtet von einem reichen Stahlunternehmer, der in der Stadt Rekrutierungsbüros für seine eigene Miliz unterhalte. „Milizionär sein wird hier zum Job, viele machen es nur für das Geld.“ Der Mann erzählt, dass manche in der Stadt wie in einer Blase lebten, nachts ausgingen, am Strand Haschisch rauchten, die Realität leugneten. Doch überall klebten die Plakate mit den Namen der Getöteten.Die Islamisten rücken vor
„Viele junge Männer haben sich dem Militärdienst durch Flucht entzogen“, sagt ein junger Mann aus Latakia. Baschar al Assad hat erst Ende Juli in einer Ansprache zugegeben, dass ihm die Männer ausgehen. Davon, dass seine Truppen ganz Syrien verteidigen, war zu diesem Zeitpunkt schon keine Rede mehr. Es soll nur noch um „wichtige“ Regionen gehen. Doch auch die alawitischen Siedlungsgebiete geraten unter Druck. Seit Tagen rückten etwa in der Al-Ghab-Ebene im Nordwesten des Landes Rebellen der Islamistenallianz Dschaisch al Fatah vor.Was Sulaiman al Assad am Wochenende im Internet zu diesen Rückschlägen an die Adresse seiner Kritiker, an die „verräterischen Hunde“, zu sagen hatte, dürfte dem Präsidenten indes kaum gefallen haben. „Wäre es nicht besser gewesen, ihr hättet euch der Armee angeschlossen und die Terroristen in der Al-Ghab-Ebene zurückgeschlagen, anstatt hier zu bellen?“ www.mesop.de