MENSCHENRECHTSREPORT TÜRKEI FEBRUAR 2014 – Demokratisches Türkeiforum (DTF)

Die folgenden Nachrichten wurden im Februar 2014 vom DTF in der türkischen Presse erfasst  und meist zusammenfassend übersetzt.

Verfahren wegen Aktionen zum Gezi Park

Aufgrund von Plänen der Regierung, den neben dem Taksim Platz in Istanbul gelegenen Gezi Park in ein Einkaufszentrum zu verwandeln, war es zwischen Mai und August 2013 zu vielfachen Protesten gegen die Regierung gekommen, die sich nicht auf Istanbul beschränkten.[1] Es kam zu Toten und Verletzten. Angeklagt wurden jedoch vor allem TeilnehmerInnen an den Demonstrationen. Das DTF hat aus den täglich in Türkisch und Englisch erscheinenden Berichten der Stiftung für Menschenrechte in der Türkei (TIHV) zu Menschenrechtsverletzungen im Monat Februar 2014 entsprechende Nachrichten übersetzt.[2]

3. Februar 2014: Das Amtsgericht in Kırşehir sprach 23 Personen vom Vorwurf eines Verstoßes gegen das Gesetz 2911 zu Kundgebungen und Demonstrationen frei, ohne die Hauptverhandlung eröffnet zu haben.

4. Februar 2014: Gegen die Anwälte Mehmet Ümit Erdem und Osman Zeki Erdoğan wurde eine Anklageschrift erstellt, in der ihnen ein Verstoß gegen das Gesetz 2911 zu Kundgebungen und Demonstrationen vorgeworfen wird, weil sie sich am 4. Juni 2013 an einer Aktion vor dem Gerichtsgebäude Anadolu (Istanbul) beteiligt hatten. Das Verfahren wird am 6. März 2014 vor dem Amtsgericht 15 in Anadolu beginnen.

4. Februar 2014: Gegen 26 Personen wurde eine Anklageschrift erstellt, weil sie sich an einer Protestaktion auf dem Taksim-Platz am 8. Juli 2013 beteiligt hatten. Ihnen wird ein Verstoß gegen das Gesetz 2911 zu Kundgebungen und Demonstrationen vorgeworfen. Das Verfahren wird beginnen, wenn das Amtsgericht 33 in Istanbul die Anklageschrift angenommen hat. Nach einer Meldung vom 10. Februar 2014 hat das Gericht die Anklageschrift an die Staatsanwaltschaft zurück geschickt um zu klären, ob es sich bei der Gruppierung “Widerstand von Taksim” um eine illegale Organisation handelt oder nicht.

7. Februar 2014: In Izmir begann ein Verfahren gegen 13 Personen, die sich an einem Protest gegen die Vorfälle zum Gezi Park am 9. Juli 2013 beteiligt hatten. Sie waren danach unter dem Vorwurf, gegen das Gesetz 2911 zu Kundgebungen und Demonstrationen verstoßen, öffentliche Gebäude beschädigt und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben, in U-Haft gekommen. In dem Verfahren ordnete die 8. Kammer für schwere Straftaten in Izmir die Haftentlassung von Serdar Gür, Abdullah Yüksel, Erol Özdemir, Soner İnan und Yunus Kızıltaş an, während die Haftbefehle gegen 8 Angeklagte aufrecht erhalten wurden.

8. Februar 2014: In Kocaeli wurden 7 Ermittlungsverfahren gegen 238 Beschuldigte, die sich an Protesten wegen der Vorfälle zum Gezi Park beteiligt hatten, zusammengelegt. Ihnen wird vorgeworfen, gegen das Gesetz 2911 zu Kundgebungen und Demonstrationen verstoßen, öffentliche Gebäude beschädigt und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben. Das Amtsgericht 2 in Kocaeli hat den Beginn des Verfahrens auf den 2. Juni 2014 festgelegt.

10. Februar 2014: Vor der 4. Kammer für schwere Straftaten in Erzurum begann ein Verfahren gegen 8 Personen, die nach einer Protestaktion gegen die Vorfälle zum Gezi Park am 27. Juni 2013 in Erzincan unter dem Vorfwurf, der TKP/ML Konferenz Organisation anzugehören in U-Haft gekommen waren. Das Gericht ordnete die Haftentlassung von Çetin Kirsiz, Can Koçak, Dağlar Delen, Mukamet Çelik, Özgün Kaya, Özcan Kaya, Ali Sağlık und Ahmet Doğan an und vertagte sich.

11. Februar 2014: In Mersin wurde ein Verfahren gegen 54 Personen unter dem Vorwurf eines Verstoßes gegen das Gesetz 2911 zu Kundgebungen und Demonstrationen, öffentliche Gebäude beschädigt und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben, fortgeführt. Sie hatten sich an einem Protest zum Gezi Park am 1. Juni 2013 beteiligt. Das Gericht verurteilte 6 Angeklagte, die Polizisten mit Steinen beworfen haben sollen, zu 6 Monaten Haft. Die Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Die anderen 51 Angeklagten wurden freigesprochen.

11. Februar 2014: Vor dem Amtsgericht 9 in Istanbul wurde ein Verfahren gegen 20 Personen fortgesetzt, denen vorgeworfen wird, gegen das Gesetz 2911 zu Kundgebungen und Demonstrationen verstoßen, öffentliche Gebäude beschädigt und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben. Das Gericht vertagte sich auf den 14. Mai 2014.

13. Februar 2014: Vor der 12. Kammer für schwere Straftaten in Izmir wurde gegen 6 Personen verhandelt, die sich als Mitglieder der “Volksfront” an den Protesten zum Gezi Park beteiligt haben sollen und denen vorgeworfen wird, gegen das Gesetz 2911 zu Kundgebungen und Demonstrationen verstoßen, öffentliche Gebäude beschädigt und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben. Das Gericht hörte die Angeklagten an, ordnete das Ende der U-Haft für alle Angeklagten an und vertagte sich auf dem 8. Mai 2014.

13. Februar 2014: Das gleiche Gericht verhandelte auch im Falle von fünf Personen, die sich als Mitglieder der Front für Arbeit und Freiheit an den Protesten zum Gezi Park beteiligt haben sollen und denen vorgeworfen wird, gegen das Gesetz 2911 zu Kundgebungen und Demonstrationen verstoßen, öffentliche Gebäude beschädigt und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben. Das Gericht hörte die Angeklagten an, ordnete das Ende der U-Haft für die sich in Haft befindlichen drei Angeklagten an und vertagte sich auf dem 8. Mai 2014.

13. Februar 2014: Vor dem Amtsgericht 26 in Istanbul begann ein Verfahren gegen 36 Personen, darunter 7 Ausländer, die sich an Protesten zum Gezi Park am 5. August 2013 beteiligt haben sollen und denen vorgeworfen wird, gegen das Gesetz 2911 zu Kundgebungen und Demonstrationen verstoßen, öffentliche Gebäude beschädigt und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben. Einige Angeklagte wurden angehört. Das Gericht vertagte sich, um weitere Angeklagte anzuhören.

14. Februar 2014: Das Amtsgericht in Sinop sprach im Verfahren gegen 7 Gewerkschafter, die bei einer Protestveranstaltung zum Gezi Park in Sinop am 4. Juni 2013 den Premierminister Recep Tayyip Erdoğan beleidigt haben sollen das Urteil. Die Angeklagten Seyfi Çelebi, Uğur Karslı, Derya Kırmızıtoprak, Mustafa Koç, Erkam Kabal, Kayhan Konukçu und Bülent Eroğlu wurden zu einer Geldstrafe von je 7.080 TL (ca 2.300 Euro) verurteilt.

21. Februar 2014: Vor dem Amtsgericht Kırklareli begann ein Verfahren gegen 1238 Personen, die sich (teilweise mehrfach) an Aktionen zum Gezi Park zwischen dem 1. und 17. Juni 2013 beteiligt haben sollen und denen ein Verstoß gegen das Gesetz 2911 zu Kundgebungen und Demonstrationen vorgeworfen wird.[3] Unter den Angeklagten befinden sich auch Halil Muhacir, Vorsitzender der Ärztekammer Kırklareli (AKK), Taner Pehlivan, Generalsekretär der AKK, das Vorstandsmitglied Bahadır Tunçol und der Angestellte Süleyman Edesan.[4]

Die Tageszeitung Evrensel vom 21. Februar 2014 nannte die Zahl von 1309 Angeklagten, gegen die Strafen von 1-3 Jahren Haft gefordert werden. Das Gericht verhandelte anscheinend Gruppenweise. In der ersten Gruppe soll es um 122 Angeklagte gegangen sein. Hier wurde der Prozess auf den 10. April 2014 vertagt. Das Verfahren gegen die zweite Gruppe wurde auf den 24. März 2014 vertagt.

24. Februar 2014: Vor dem Friedensgericht in Izmir begann ein Verfahren gegen 29 Personen, die zur Unterstützung der Aktionen zum Gezi Park Botschaften in sozialen Medien verfasst hatten. Sie werden nach Artikel 216 des türkischen Strafgesetzes beschuldigt, die Bevölkerung aufgewiegelt zu haben. Das Gericht vertagte sich, um den Geschädigten, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan anzuhören.

27. Februar 2014: Vor dem Amtsgericht 4 in Sakarya wurde ein Verfahren gegen 24 Personen fortgeführt, die sich an Demonstrationen in Sakarya zur Unterstützung der Aktionen zum Gezi Park in Istanbul beteiligt hatten. Das Gericht hörte Angeklagte an und vertagte sich.

 

 

Verfahren gegen die Ärztekammer Ankara

 

Das Gesundheitsministerium hat eine Klage gegen den Vorstand und die Organe der Ärztekammer Ankara (ATO) auf Amtsenthebung mit der Begründung erhoben, dass sie im Verlauf der Ereignisse von Gezi “unter dem Namen Krankenstation gesetzwidrig, unbefugt und unkontrolliert Gesundheitsdienste geleistet und Aktivitäten jenseits ihrer Ziele entfaltet haben”.

In der Klageschrift wird darauf verwiesen, dass die Aufgaben der Ärztekammern durch das Gesetz 6023 zur türkischen Ärztevereinigung (Türk Tabipleri Birliği) bestimmt werden und es nicht zu den Aufgaben gehöre, Einheiten für das Gesundheitswesen zu eröffnen und zu betreiben. Mit der Begründung, dass “ohne Erlaubnis des Ministeriums einzuholen und ohne unter einer öffentlichen Autorität zu stehen als Einmischung in die Ereignisse in Ankara Einheiten für das Gesundheitswesen eröffnet und betrieben wurden”, wurde gefordert, dass der Vorstand der ATO und sein Ehrenrat, der die ihm durch das Gesetz zugewiesenen Aufgaben nicht erfüllt habe, von seinen Aufgaben entbunden und an ihre Stelle neue (Mitglieder) zu wählen sind.

Zu diesem Thema wurde am 13. Februar 2014 bei der Ärztekammer Ankara eine Pressekonferenz abgehalten.[5] Die Pressekonferenz wurde vom Vorsitzenden des Zentralrates der türkischen Ärztevereinigung (TTB) Prof. Dr. Özdemir Aktan und den Mitgliedern des Zentralrates unterstützt. Der Vorsitzende des Zentralrates des TTB Dr. Özdemir Aktan drückte seine Reaktion auf die Klageergebung in einer Rede, die er auf der Pressekonferenz hielt, mit folgenden Worten aus: “Es ist offenkundig, dass der Gesundheitsminister vergessen hat, dass er Arzt ist und was die universellen Werte des Ärztewesens sind. Wo auf der Welt ist es ein Verbrechen, dass Ärzte Kranken helfen? Wir haben es schwer, dies uns selber und der internationalen Gemeinde der Mediziner zu erklären.”

Aktan erklärte, dass man es nicht geschafft habe, die Ärztekammern zu einer im modernen Sprachgebrauch “Leitung von Hallo Fatih”[6] zu machen und man daher bemüht sei, Druck auf sie auszuüben und fuhr fort: “Kein Gesetz kann uns davon abhalten, bei den Patienten zu sein. Uns binden nicht die Gesetze, sondern die universellen medizinischen Regeln und die Ethik.”

Danach ergriff der Generalsekretär der TTB, Dr. Bayazıt İlhan, das Wort und erinnerte daran, dass die Aktivisten befürchteten, durch das Ministerium aufgelistet zu werden und sich daher scheuten in die Krankenhäuser zu gehen. Er sagte, dass mit dem kürzlich verabschiedeten “Beutelgesetz”[7] und durch diese Klage gegen ATO der Versuch gemacht werde, den Gesundheitsdienst zu kriminalisieren.

Schon im Januar 2014 hatte der Weltärztebund, die Bundesärztekammer der Ständige Ausschuss der Europäischen Ärzte, der Britische Ärzteverband, die „Physicians for Human Rights“ und andere Organisationen gegen ein Gesetz protestiert, mit dem in der Türkei die Notfallversorgung durch Ärzte kriminalisiert werden und Ärzte bei Zuwiderhandlung bestraft werden sollen.[8]

 

 

Regierungssprecher Bülent Arınç zum Abhörskandal

 

Nach einer Meldung in Radikal vom 25. Februar 2014 hat sich der Regierungssprecher Bülent Arınç zu dem in einigen Zeitungen erhobenen Vorwurf geäußert, dass 7.000 Personen abgehört wurden. Bislang seien dazu 107 Akten durchsucht worden, aus denen hervorgehe, dass 2280 Personen abgehört wurden. Insgesamt gehe es um 125 Akten, so dass sich die Zahl der Abgehörten noch steigern könne. Bülent Arınç bezeichnete die auf Antrag von Staatsanwälten an Gerichten, die nach dem Artikel 10 des Anti-Terror Gesetzes zuständig sind, ergangenen richterlichen Anordnungen zum Abhören als ungesetzlich.

 

 

Jahresbericht 2013 des IHD

 

Laut Medienberichten hat der Menschenrechtsverein IHD seinen über 500 Seiten umfassenden Bericht über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei im Jahre 2013 Ende Februar herausgegeben.[9] Auf einer Pressekonferenz machte der Vorsitzende des IHD, Öztürk Türkdoğan auf einzelne Punkte des Berichts aufmerksam. Einige Zahlen sind wie folgt:

Folter und Misshandlung

in Polizeihaft 233

außerhalb von Polizei- und Gendarmeriestationen 307

durch Dorfschützer 6

in Gefängnissen 843, darunter 39 Jugendliche

Weitere Zahlen

Es gab 9 Tote bei den Protesten zum Gezi Park (auch als Juni-Widerstand bezeichnet): Bei den Todesfällen von Ethem Sarısülük, Mehmet Ayvalıtaş, Abdulah Cömert, Ali İsmail Korkmaz, Ahmet Atakan, Medeni Yıldırım und Hasan Ferit Gedik handelt es sich dem IHD zufolge um extra-legale Hinrichtungen. Bei 774 Demonstrationen wurden 9,564 Personen verletzt und 6.977 Personen festgenommen. Von ihnen kamen 187 in U-Haft. Es wurden mindestens 78 Verfahren mit 3.276 Angeklagten eröffnet. Nach Informationen des IHD befinden sich 554 Kranke unter den Gefangenen, 162 von ihnen sind schwer erkrankt. Im Jahr 2013 starben 61 Soldaten auf zweifelhafte Weise.

 

Demokratisches Türkeiforum e. V.
Langenhagen 49, 33671 Bielefeld
E-Mail: info=at=tuerkeiforum.net, Homepage: www.tuerkeiforum.net

Das Demokratische Türkeiforum e.V. (DTF) setzt sich seit der Gründung 1990 für die Einhaltung der Menschenrechte und für Demokratie in der Türkei ein. Das DTF ist die deutsche Unterstützergruppe der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV). Spenden an das DTF werden praktisch zu 100% an die TIHV weitergeleitet.

Seit ihrer Gründung hat die TIHV mehr als 12.000 Folteropfer kostenlos behandelt. Behandlungszentren existieren in Ankara, Istanbul, Izmir, Adana und Diyarbakir. Das Dokumentationszentrum in Ankara gibt tägliche Berichte über Verletzungen der Menschenrechte in Türkisch und Englisch heraus und erstellt daraus Jahresberichte. Die Homepage des DTF wird als Sicherungskopie vieler dieser Dokumente genutzt.

Wie Unterstützergruppen in einigen anderen europäischen Ländern möchte das Demokratische Türkeiforum (DTF) in Deutschland zu der Finanzierung der TIHV beitragen. Spenden an das DTF e.V. werden in vollem Umfang an die TIHV weitergeleitet; sie sind steuerlich absetzbar.

Bitte spenden Sie an das

Demokratisches Türkeiforum

Postbank Hamburg

BLZ 200 100 20

Konto-Nr. 0741 864 205

Anmerkung: Um eine Spendenbescheinigung am Jahresende zu erhalten, muss die volle Anschrift bekannt sein.



[2]Die Tagesberichte der TIHV sind auch auf den türkischen und englischen Seiten des DTF zu finden.

[5]Die entsprechende Meldung ist in Türkisch auf den Seiten der Ärztevereinigung der Türkei zu finden.

[6]Sinngemäß: “Hole Rat bei der Regierung”, DTF

[7]Der Begriff “Beutelgesetz” ist entstanden, weil durch ein Gesetz gleich mehrere Gesetze und Richtlinien sowohl zu Sozialversicherungen als auch andere Bereiche geändert wurden.

[8]Siehe hierzu eine Presseerklärung der Bundesärztekammer vom 22. Februar 2014 oder auch die Erklärung der Physicians for Human Rights vom 17. Januar 2014 Turkish President Signs Bill that Criminalizes Emergency Medical Care

[9]Siehe z.B. eine Meldung in Evrensel vom 27.02.2014 oder eine Meldung der Nachrichtenagentur ANF. Hier können Sie einen Link zu den Jahresberichten des IHD finden. Den 6,4MB umfassenden Bericht in Türkisch können Sie unter dieser Adressen herunterladen.