Meinungsfreiheit – «Die Linke macht den Menschen wieder zum Gefangenen seines Stands» – Jörg Baberowski (Berlin) & die Trotzkisten
MESOP NEWS CULTURE : DIE POLITISCHE LINKE PRODUZIERT HEUTE UNENTGELTLICH DIE DEFINITIONSHOHEIT DES KAPITALS
Interview von René Scheu 20.5.2017, 05:30 Uhr – NZZ – Jörg Baberowski ist ein Verfechter des freien Disputs und eckt damit in Deutschland an. Eine trotzkistische Splittergruppe an der Humboldt-Universität in Berlin will den Geschichtsprofessor mundtot machen. Doch hält er dagegen und wirft linken Intellektuellen seinerseits vor, voraufklärerische Zustände zu zementieren.
Auf Stippvisite in Zürich, im Komiteezimmer der NZZ: Der deutsche Historiker Jörg Baberowski spricht scharf.
Herr Baberowski, was ist ein Rassist?
Das ist jemand, der davon überzeugt ist, dass Menschen unterschiedlichen, biologisch definierten Rassen angehören. Rassisten glauben auch, dass es eine Hierarchie der Rassen gibt und dass die biologische Ausstattung von Rassen-Kollektiven handlungsleitend ist. Zugespitzt formuliert: Rassisten schliessen von der Hautfarbe auf das Verhalten der Individuen.
Also kann es so etwas wie kulturellen Rassismus eigentlich gar nicht geben?
Doch, den gibt es. In der Sowjetunion der Stalinzeit dominierte diese Form der Stigmatisierung. Der Kultur-Rassist schreibt Menschen aufgrund ihrer kulturellen Herkunft Eigenschaften zu, die er für verwerflich hält. Wie der biologische Rassist auch, glaubt er daran, dass die kulturelle Determinierung handlungsleitend ist. So gab es in der Sowjetunion eine Hierarchie der Nationen, die kulturell begründet wurde. Muslime galten als rückständig, europäische Nationen als modern. Die Verfolgung und Deportation der Tschetschenen oder Krimtataren war zweifellos eine Praxis des kulturellen Rassismus.
Der Kultur-Rassist hält aber im Gegensatz zum biologischen Rassisten gewissermassen am Bildungspostulat fest – die kulturelle Determination lässt sich überwinden, während die biologische unveränderbar ist?
Davon waren die Kommunisten überzeugt. Kulturen werden nicht als ewig vorgestellt. Menschen können ihre Sitten und Gebräuche ändern. Man kann sie dazu bringen, ihrer Religion abzuschwören. Die Kommunisten wollten deshalb Menschen verändern, formen und umerziehen. Darin unterschieden sie sich von den Nationalsozialisten, denen es auf die Vernichtung ihrer Opfer, nicht auf Umerziehung ankam.
Rassismus zeichnet sich durch feste, unverrückbare Zuschreibungen aus. In Europa ist gegenwärtig oft von «dem» Islam die Rede, der das Denken und Handeln «der» Muslime bestimme. Beruhen solche Pauschalisierungen folglich auf rassistischem Denken?
Wer unterstellte, die Religionszugehörigkeit determiniere das Verhalten von Menschen, wäre zweifellos ein Kultur-Rassist. Die Behauptung, alle Muslime seien rückständig, ist insofern kulturrassistisch. Dagegen liesse sich einwenden, dass es keine Religion ohne die Menschen geben kann, die sie pflegen. Deshalb ist der Glaube so vielfältig wie die Lebensweisen von Menschen, die ihn angenommen haben. Es gibt keinen Islam, der das Denken und Handeln von Menschen anleitet. Es gibt immer nur Individuen, die von sich sagen, sie seien vom Glauben geleitet. Gott ist jemand, der nicht einfach da ist, sondern erkannt werden will.
Es kommt immer darauf an, wie sich das Individuum zu seiner Religion verhält.
Genau. Hierzulande beruht die Zugehörigkeit zu einer Religion auf einer individuellen Entscheidung, so wie auch die Hinwendung zum Atheismus ein Handeln aus Selbstbestimmung und Freiheit ist. Paradoxerweise pflegen aber besonders viele Muslime die Vorstellung kulturell determinierten Handelns und bestreiten, dass auch Traditionen ergriffen und bewahrt werden müssen: durch die selbstbestimmte Entscheidung freier Menschen. Sie projizieren ihre Auffassung auf die scheinbar haltlose Welt der Ungläubigen in ihrer Umgebung und behaupten dann, dass die westliche Kultur unheilbar verdorben sei.
Die aufgeklärten Eliten wittern notorisch in medialen und akademischen Diskursen kulturellen Rassismus. Sehen Sie im besten Fall die eine Hälfte – und blenden die andere aus?
Die meisten Menschen in West- und Mitteleuropa sind tolerant und weltoffen, und diese Wirklichkeit erleben wir schon seit langem als eine Errungenschaft. Mit der Einwanderergesellschaft haben sie längst ihren Frieden gemacht und sehen auch die Vorteile, die sich daraus ergeben haben. Aber viele Menschen begreifen nicht, dass es auch Einwanderer gibt, die das Projekt der offenen Gesellschaft ablehnen. Gerade in geschlossenen Gesellschaften ist der Kultur-Rassismus weit verbreitet.
Offenheit kann sich nur leisten, wer in Sicherheit und Wohlstand lebt und nichts zu verlieren hat. Wer keine Wahlmöglichkeiten hat, begegnet dem Wandel und den Fremden mit Skepsis. Wenn Menschen, die in engen, repressiven Verhältnissen leben, in den Westen kommen, erleben sie einen Kulturschock. Sie müssen erst einmal lernen, dass Juden und Christen Menschen mit gleichen Rechten sind.
Bassam Tibi, selbst Muslim und lange Zeit Professor für internationale Beziehungen in Göttingen, hat in seinen Büchern diesen Lernprozess beschrieben, den er selbst durchgemacht hat. Längst nicht alle Einwanderer überwinden ihren Rassismus, und nicht jedem gefällt, was ihm die offene Gesellschaft anzubieten hat. Die Anwälte ungesteuerter und unkontrollierter Einwanderung in den westlichen Gesellschaften weigern sich, diese Wirklichkeit überhaupt wahrzunehmen.
Was ist ein Rechtsradikaler?
Die Antwort hängt wohl vom Standpunkt ab. Vor dreissig Jahren war ein Rechtsradikaler noch ein Faschist oder ein Nationalsozialist. Wähler der NPD galten als rechtsradikal. Später galten alle Menschen als rechtsradikal, die sich rechts von der CDU verorteten. Heute ist der Begriff inhaltsleer. Potenziell rechtsradikal ist jeder, der sich nicht selbst als links bezeichnen mag.
Rüdiger Safranski sprach in diesen Spalten von deutschen Gleichsetzungsdelirien: rechts gleich rechtsradikal gleich rechtsextremistisch gleich Schmuddelecke. Teilen Sie seine Einschätzung?
In Deutschland ist das in der Tat so. Die Koordinaten haben sich in den letzten Jahrzehnten verschoben. Wer wagt es heute noch, von sich zu behaupten, er sei rechts? Ein Rechter, nun ja, das ist so jemand wie ein Pädophiler oder ein Kinderschänder. Der Begriff dient in erster Linie als Diffamierungsvokabel, um Andersdenkende aus dem demokratischen Diskurs auszuschliessen.
Woran machen Sie diese Verschiebung fest – und wie genau ging sie vonstatten?
Es gibt keine Konservativen mehr. Franz Josef Strauss hat von sich mit Stolz gesagt, er sei ein Konservativer und Rechter – das ist heute undenkbar. Wer sich dem sozialdemokratisch-ökologisch-dirigistischen Konsens verweigert, bezeichnet sich im besten Fall als Mensch der politischen Mitte. Diese Verschiebung der Koordinaten konnte nur gelingen, weil die Linke die Deutungshoheit errungen hat und allein darüber befinden kann, wer als links und wer als rechts zu gelten hat. Dumm nur, dass Liberale und Konservative sich diesen Spielregeln unterworfen haben, deren Geltung sie nicht einfach wieder aufkündigen können.
Was ist denn heute eigentlich links?
Vor Jahrzehnten galt als links, wer in der sozialen Frage als Anwalt der Schwachen auftrat. Heute gilt als links, was eine Wohlstandselite der Gesellschaft verordnet: staatliche Bevormundung der Bürger, Selbstbestimmung auf Kosten anderer, die Tribalisierung und Ethnisierung der Gesellschaft, offene Grenzen und die Verteufelung des Nationalstaats, die Anbetung der Globalisierung, die Moralisierung aller politischen Fragen und die Rehabilitierung der Religion gegenüber der Aufklärung.
Das ist ein ziemlich heterogener Cocktail.
Zugegeben: Niemand hätte vor vierzig Jahren für möglich gehalten, dass solche Standpunkte einmal für links gehalten werden würden. Das Programm der Grünen ist mittlerweile der Massstab, an dem sich die Wählbarkeit von Parteien bemessen lassen muss. Solange die meisten Bürger in den europäischen Ländern den Staat als Instrument verstehen, das für die Verwirklichung des Menschenglücks verantwortlich ist, wird sich daran auch nichts ändern.
Die Linken haben also die Macht an sich gerissen? Das klingt nach Verschwörungstheorie.
Die Linken haben die kulturelle Hegemonie im Sinne Antonio Gramscis angestrebt und durchgesetzt. Dieser Kampf um Hegemonie wird nicht in der Politik ausgefochten, denn Politik reagiert nur, sie vollzieht, was der Deutung schon unterworfen worden ist. Die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien sprechen nur noch eine Sprache und unterscheiden sich nicht mehr voneinander. Die eigentlichen Auseinandersetzungen vollziehen sich in den zivilgesellschaftlichen Institutionen, in den Medien, im Bildungswesen, an den Universitäten. Dort aber ist die kulturelle Hegemonie der Linken auf eine Weise strukturell gesichert worden, dass Widerstand zwecklos ist.
Halt, das ist zu defaitistisch gedacht. Die Leute, die das Geld haben, ticken tendenziell bürgerlich, ihre Organisationen ebenfalls, viele Bürger setzen weiterhin lieber auf Eigenverantwortung statt auf staatliche Unterstützung. Wie kommen Sie darauf, dass linke Ideologen das Zepter übernommen haben?
Achten Sie auf den Sprachgebrauch. Gerade im bürgerlichen Milieu sprechen die meisten Menschen dieselbe genormte Sprache und geben sich Mühe, gegen die Auflagen des Tugenddiktats nicht zu verstossen. Denn wer etwas kann und etwas ist, kann auch vieles wieder verlieren. Die Gegenwehr fällt auch deshalb so schwach aus, weil Liberale und Liberalkonservative es gar nicht darauf abgesehen haben, andere Menschen zu erziehen. Sie wollen sie einfach nur gewähren lassen. Ihnen kommt es gar nicht darauf an, dass alle das Gleiche sagen, weil sie im Wettbewerb einen Freiheitsgewinn sehen.
In der Tat. Das ist ja gerade die Stärke des Liberalismus.
Ja, aber es ist zugleich seine grösste Schwäche – er kann mit intoleranten Eiferern nicht umgehen, die die Welt zum Besseren bekehren wollen. Von Heinrich Popitz, dem grossen Soziologen der Machttheorie, wissen wir: Entschlossene Minderheiten, die genau wissen, was sie wollen, verfügen über einen Informations- und Organisationsvorteil gegenüber all den vielen, die nicht organisiert sind.
Sie verbünden und verbinden sich in Institutionen und Interessengruppen, vernetzen sich in den Medien und in der politischen Sphäre, tauschen Wissen aus, unterstützen einander. So entsteht ein dicht gewobenes Geflecht von Theorien, Programmen, Begriffen und Initiativen, die den Eindruck erzeugen, als sei, was die Minderheit denkt, die Meinung aller Menschen. Ist dieser Eindruck erst einmal erzeugt, treiben jene, die die Meinungen machen, alle anderen vor sich her. Niemand will jetzt noch abweichen. Und wenn am Ende alle dieselbe Sprache sprechen, ist bald auch das Denken gleichgeschaltet.
Einspruch. Wirtschaft und Gewerbe unterhalten doch die mächtigsten Verbände – sie haben Einfluss auf den Diskurs.
Die Wirtschaftsverbände müssen die Interessen ihrer Mitglieder nach aussen vertreten und im Inneren Zusammenhalt stiften. Das gelingt nicht, wenn sie Opposition spielen. Im kleinen Kreis sagt man einander noch, was man denkt. Im öffentlichen Raum präsentieren die Verbände das Image ihrer Mitglieder und vertreten, was zum guten Ton gehört.
Gerade in der Wirtschaftswelt hat sich eine Anpassung an den hegemonialen Diskurs vollzogen, der vor Jahrzehnten nicht denkbar gewesen wäre. Die Selbstbeschreibungen der Verbände und Unternehmen sind entlarvend. Aber auch im wirklichen Leben selbst gibt es Übereinstimmungen zwischen Wirtschaftsliberalen und linken Weltverbesserungsromantikern. Beide beklatschen aus unterschiedlichen Gründen die Öffnung der Grenzen für jedermann. Die einen wollen grenzenlos Gewinne machen, die anderen träumen von der Weltgesellschaft.
Eine solche Interessenkongruenz kommt immer wieder vor, klar. Sie aber sprechen so, als würde jemand im Hintergrund die Fäden ziehen. Wer soll denn das sein – die Sozialistische Internationale?
Zöge jemand die Fäden, wäre es einfach, sie ihm auch wieder aus der Hand zu nehmen. Die Wirkung der kulturellen Hegemonie und ihrer politisch korrekten Sprache besteht ja gerade darin, dass es keinen Urheber mehr gibt, dass sich die repressiven Strukturen verselbständigt und von benennbaren Personen emanzipiert haben. Niemand verordnet etwas, aber alle glauben, sie müssten etwas tun, weil es alle anderen auch tun. Wie wirkmächtig die Hegemonie des politisch Korrekten ist, können Sie jederzeit an sich selbst erproben, und zwar genau in jenem Moment, in dem der Sprachautomat in Ihnen das Sprechen übernimmt.
Nun argumentieren Sie deterministisch.
Sie sind selbstverständlich frei, den Sprachautomaten in Ihnen abzuschalten. Nur machen Sie sich dann unbeliebt. In einem Sitzungsraum, in dem alle formelhaft sprechen, sagen Sie einfach das Gegenteil, wenn es um Fragen der Einwanderung, um Muslime, Trump, Gender oder die grüne Ideologie geht. Was wird geschehen? Niemand wird Ihnen sagen, dass Ihr Argument nicht plausibel sei. Vielmehr werden alle betreten auf den Tisch schauen und im besten Fall vorgeben, gar nicht gehört zu haben, was gesagt worden ist. Niemand wird Ihren Einwand für diskussionswürdig halten. Die Botschaft ist klar: «So etwas» sagt man nicht – und wer es dennoch tut, muss damit rechnen, aus dem Diskurs ausgeschlossen zu werden.
Auf die politische Korrektheit wird seit einiger Zeit lustvoll eingedroschen. Aber eine überlegte, angepasste Wahl der Sprache ist ja auch Ausdruck von Respekt. Können Sie dies nachvollziehen?
Sie dürfen einen weissen, ungebildeten Mann aus der Unterschicht nach Herzenslust beleidigen. Kein Tugendwächter würde sich darüber empören. Höflichkeit und Respekt im Umgang miteinander sind unabdingbar für eine offene, liberale Gesellschaft – aber Respekt heisst auch: dem Gesprächspartner freies Denken und Sprechen zuzumuten. Die Tabuisierung ist ein Akt der Respektlosigkeit, weil sie dem anderen unterstellt, er sei zu dumm zu verstehen, was gesagt wird. Die Achtundsechziger haben anfangs selbst gegen die Tabuisierung aufbegehrt – gegen das Schweigen ihrer Eltern, die Nazis gewesen waren, sie geduldet oder sich ihnen unterworfen hatten.
Die Achtundsechziger setzten sich mit den Schrecken der Vergangenheit auseinander, aber sie legten zugleich den Grundstein für die Moralisierung des Politischen, indem sie entschieden, worüber und wie über die Vergangenheit noch gesprochen werden konnte. Seither ist der Widerstand gegen einen toten Diktator Legitimation genug, um sich moralisch über andere Menschen zu erheben. Alle anderen Bevormundungsstrategien folgen dem gleichen Muster. Wer über Rassismus, Kolonialismus, über Krieg und Frieden oder das Verhältnis der Geschlechter anders urteilt, als es der hegemoniale Diskurs erlaubt, wird moralisch diskreditiert.
Sie beschreiben eine Tendenz, die ich ebenfalls beobachte: Die Zugehörigkeit zu einer Peer-Group wird wichtiger als die gemeinsame Orientierung an so etwas wie der Wahrheit. Dies führt zu einer Verarmung des öffentlichen Diskurses.
Nicht um die Plausibilität von Argumenten geht es, sondern darum, auf der richtigen Seite zu stehen. Eine sachliche Auseinandersetzung ist unter solchen Umständen unmöglich. Daran sind jene, die die Moral auf ihrer Seite wissen, auch gar nicht interessiert. Wer ein Argument nicht danach beurteilt, ob es plausibel ist, sondern danach, wer es vorträgt, muss seinen Verstand überhaupt nicht mehr bemühen. Man erzielt einen Machtgewinn durch Diskreditierung. Und man nimmt dafür in Kauf, dass die Aufklärung auf dem Altar der wahren Tugendlehre geopfert wird.
Es lassen sich verschiedene Arten und Steigerungsformen der Diffamierung des Sprechenden unterscheiden. Stufe 1, ziemlich harmlos: Der andere ist ein Idiot. Stufe 2: Der andere ist ein schlechter, also ein moralisch minderwertiger Mensch. Stufe 3: Der andere ist krank.
Ja, und dann gibt es noch eine vierte Stufe: Der andere gehört zu einer Gruppe, die das Recht auf freie Meinungsäusserung verwirkt hat und die man diskreditieren darf, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Ein weisser, heterosexueller Mann darf Rassist genannt werden, eine Frau mit passendem Migrationshintergrund darf hingegen sagen, was sie über andere denkt. Über Schuld und Verantwortung müssen Deutsche anders sprechen, als es Türken oder Arabern gestattet ist. Manche glauben auch, Weisse dürften keine Blues-Musik hören, weil sie sich kulturell aneigneten, was ihnen nicht gehöre. Im Grunde gesteht dieser Essenzialismus Menschen gar nicht mehr zu, durch Reflexion klüger zu werden. Alle sollen bleiben, was sie sind.
Die Reflexion über den eigenen Standpunkt gehört zur intellektuellen Redlichkeit. Aber in ihrer Extremform führt diese Art der angeblich progressiven Diskurskritik zu einer Ethnisierung des Sprechens. Wie stehen Sie dazu?
Wer so denkt, denkt vormodern. Die Aufklärung hat uns darüber belehrt, dass Argumente unabhängig von der Person gelten sollen. Die Linke hat sich von dieser Errungenschaft freien Denkens verabschiedet. Sie hat den Menschen wieder zum Gefangenen seines Stammes, seines Standes, seiner ethnischen und religiösen Zugehörigkeit gemacht. In dieser Wirklichkeit kann man Prestigegewinne erzielen, wenn man sich auf Herkunft und Kultur beruft.
Recht hat nicht, wer das bessere Argument auf seiner Seite hat, sondern wer belegen kann, einer diskriminierten Opfergruppe anzugehören. Dieser Verlockung können nur wenige Menschen widerstehen. Inzwischen empfinden sich auch jene, die von den Eliten als «white trash» bezeichnet werden, als Opfer. Und sie haben Erfolg damit, wie die Wahlen in den USA gezeigt haben.
Eine trotzkistische Kleinstpartei hat Sie nun aufgrund Ihrer kritischen Äusserungen gegenüber Angela Merkels Willkommenskultur coram publico als «rassistisch» und «rechtsradikal» diffamiert – und was zuerst nur in den Social Media kursierte, ist in der deutschen Öffentlichkeit plötzlich zu einem «Kasus Baberowski» geworden. Was genau passiert da?
Diese stalinistische Sekte bedient sich der Instrumente des hegemonialen Diskurses, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie sprechen überhaupt nicht darüber, wonach ihnen eigentlich der Sinn steht: über Klassenkampf, Revolution und Diktatur. Sie diskreditieren vielmehr jene, deren Weltbild ihnen nicht gefällt, als Rassisten, Rechtsradikale und Hitler-Verehrer. Das funktioniert in Deutschland immer. Für diesen Aufmerksamkeitsgewinn nehmen die Extremisten sogar in Kauf, dass ihr eigentliches Anliegen, die Verherrlichung der bolschewistischen Gewaltdiktatur, auch für sie selbst aus dem Blick gerät.
Warum haben sie es gerade auf Sie abgesehen?
Ich habe vor einiger Zeit einen bekannten britischen Historiker in mein Doktoranden-Kolloquium eingeladen, den Autor einer Biografie über Trotzki. Diese Einladung empfanden die Sektierer als Beleidigung ihres Religionsstifters und forderten mich auf, meinen Gast wieder auszuladen. Das lehnte ich ab, und seither verfolgen die Extremisten mich mit Verleumdungen.
Ausgangspunkt der gerichtlichen Auseinandersetzung war mitunter ein Beitrag, den Sie in der «FAZ» veröffentlicht hatten. Darin analysierten Sie die Folgen der Flüchtlingskrise und beurteilten die Lage anders als die Bundesregierung. Da könnte man ja einfach sagen: Da übertreibt einer, er setzt auf Panikmache.
Im Urteil steht, dass man sich gefallen lassen müsse, «rechtsradikal» genannt zu werden, unabhängig davon, ob der Vorwurf tatsächlich zutreffe oder nicht. Gegenstand des Urteils war unter anderem die Frage, ob durch die Einwanderung von Millionen der Überlieferungszusammenhang unterbrochen werde, der eine Gesellschaft zusammenhält. Und ob ein solcher Hinweis auf die Bindekräfte sozialer Gruppen rechtsradikal genannt werden dürfe. Wenn nun Begriffe, die im Zentrum der hermeneutischen Philosophie Gadamers stehen, unter Nazi-Verdacht geraten, können wir uns jede kritische Diskussion darüber, was Gesellschaften zusammenhält, ersparen.
Sie nehmen für sich in Anspruch zu sagen, was Sie denken. Das müssen Sie folgerichtig auch anderen zugestehen. Leisten Sie mit Ihrer Klage nicht dem Vorschub, was Sie bekämpfen: der Einschränkung der Meinungsfreiheit?
Natürlich dürfen Sie sagen, was Sie wollen, sofern Sie anderen keinen Schaden zufügen. Die Justiz ist blind für die Bedeutungsverschiebung der Begriffe. Wer im öffentlichen Raum als linksextrem bezeichnet wird, kann mit den Schultern zucken, denn er ist weiterhin satisfaktionsfähig. Rechtsradikal ist hingegen jemand, der aus dem Gespräch ausgeschlossen und stigmatisiert ist. Es handelt sich um einen diffamatorischen Begriff, dessen Verwendung anderen Menschen Schaden zufügt. Gegen ihn muss man sich wehren, wenn man sich von den selbsternannten Tugendwächtern nicht moralisch erledigen lassen will.
Das mag sein. Aber gleichzeitig muss jemand, der rechtsradikal denkt, auch als rechtsradikal bezeichnet werden können. Der Begriff soll ja nicht verboten werden.
Das ist völlig klar. Aber es müsste argumentativ nachgewiesen werden. Denn es ist bekannt, worauf faschistisches und nationalsozialistisches Denken beruht. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass Einwanderung nicht über das Asylrecht gesteuert werden sollte, dass eine Willkommenskultur von der Obrigkeit nicht gegen den Willen der Bürger verordnet werden kann und dass die Einwanderung von Millionen fremder Menschen eine Gesellschaft vor Herausforderungen stellt, denen sie besser gewachsen wäre, wenn sich diese Einwanderung massvoll und verträglich vollzöge. Inzwischen kann sich selbst der Kanzlerwahlverein wieder an Selbstverständliches erinnern.
Fürchten Sie um Ihren guten Ruf als Historiker?
Nein. Zwar verfolgen diese feigen und bösartigen Kampagnen immer das Ziel, dass am Ende etwas am Opfer hängenbleiben möge. Das gelingt den Denunzianten auch. Dennoch kann jeder lesen, was ich geschrieben habe. Darauf vertraue ich. Ich habe das Projekt der Aufklärung nicht aufgegeben.
Der Politikwissenschafter Herfried Münkler wurde ebenfalls in einem Blog angeprangert – die Universitätsleitung agierte ziemlich hilflos. Ist die Freiheit von Forschung und Lehre in Gefahr?
Sie ist in Gefahr, wenn die Universitäten Fanatikern, Eiferern und Tugendaposteln das Feld überlassen. Die Universitäten, an denen einst das wilde Denken zu Hause war, an denen man intellektuell etwas wagen konnte, haben sich in Orte des Konformismus verwandelt. Im Falle Münklers stellte sich am Ende heraus, dass eine einzige Person hinter der Kampagne stand.
Die Täter brauchen den Schutz der Anonymität, um ihr Vorhaben auszuführen. Sie brauchen nichts anderes zu tun, als die Konventionen des politisch Korrekten zu bedienen, und schon singen alle das gleiche Lied, ganz gleich, von welchem Taktstock sie sich dirigieren lassen. Wenige können im Netz eine Rufmordkampagne ins Werk setzen, die den Anschein erweckt, als werde sie von einer Bewegung getragen. Und so kommt es, dass sie Wirkungen auch dann erzielen, wenn sich dahinter niemand verbirgt.
Sehen Sie sich selbst als Opfer einer Rufmordkampagne?
Ja, zweifellos.
Wie würden Sie die Gewalt definieren, die gegen Sie gerichtet ist?
Der Soziologe Heinrich Popitz hat Gewalt als Machtaktion definiert, die auf die Verletzung oder die Beseitigung des Körpers zielt. Psychische Gewalt erfüllt dieses Kriterium – sie verursacht Schmerzen. Und man kann ihre Urheber benennen. Wer öffentlich ausgestellt, diffamiert und verleumdet wird, soll sich schlecht fühlen. Das ist das Ziel solcher Kampagnen. Wenn man am Ende schweigt, ist das Ziel psychischer Gewalt erreicht. Dagegen kommt man nur an, wenn man sich wehrt.
Sie sind weiterhin in Amt und Würden als ordentlicher Professor für Geschichte an der Humboldt-Universität, Sie schreiben und treten im Fernsehen auf.
Das stimmt alles. Aber in der Öffentlichkeit sind Sie angreifbar, müssen sich dem Druck der Verhältnisse ganz anders aussetzen als jemand, dessen Urteile gar nicht wahrgenommen werden. Ein Hartz-IV-Empfänger ist ohnmächtig, wütend, aber er hat nichts zu verlieren. Wer sich indessen in die Öffentlichkeit begibt und sagt, was nicht gesagt werden darf, riskiert Ruf und Ansehen.
Nun stilisieren Sie sich als Ketzer. Radikalisieren Sie sich innerlich?
Ich gebe mir Mühe, nüchtern zu bleiben und auch meine eigene Situation mit kühlem Blick zu betrachten. Selbstradikalisierung führt in die Isolation. Aber ich will mich nicht beugen, sondern sagen, was der Fall ist.
Sie machen einen Schritt zurück und agieren als Anthropologe Ihrer selbst. Gewinnen Sie dadurch Souveränität zurück?
Ja, das versuche ich. Eigentlich müsste man den Irrsinn ignorieren, der einem zugemutet wird, wenn nicht andere Menschen an ihn glaubten. Jemand setzt eine Verschwörungstheorie in die Welt, und sofort müssen jene, die beschuldigt werden, zu den Anschuldigungen Stellung nehmen. Die Beschuldigten geben also zu, dass Vorwürfe plausibel sind, auf sie selbst aber nicht zutreffen. Mit dem Spiel der Verdächtigung können Menschen vernichtet werden. Ich muss das nicht tun, denn ich bin ein Historiker, dessen Bücher jeder lesen kann und dessen Auffassungen lesenden Menschen bekannt sind. Ich kann auf meine Texte verweisen. In ihnen steht, was ich denke und was ich für plausibel halte.
Nutzen Sie Ihren Opferstatus, um auf sich aufmerksam zu machen?
Wer öffentlich angegriffen wird, muss sich wehren. Man darf Fanatikern und selbsternannten Moralaposteln nicht die Deutungshoheit überlassen. Auch in der linken Szene wird inzwischen erkannt, dass die Überschreitung von Grenzen auf ihre Urheber zurückfällt. Denn die Verleumder bedenken nicht, dass es in der postheroischen Gesellschaft von Vorteil ist, ein Opfer zu sein. Wer als Opfer wahrgenommen wird, kann sich Gehör verschaffen. Wäre ich ein hilfloser und machtloser Hartz-IV-Empfänger, könnte man mich leicht zum Schweigen bringen.
Dann würden wir dieses Gespräch kaum führen.
Und niemand würde überhaupt bemerken, was geschieht. Wer sprechen und schreiben kann, soll aber sagen, was der Fall ist. Genau das tue ich, auch wenn ich lieber an meinem nächsten Buch weiterschreiben würde.