KOMMENTAR – PKK VERBOT : Eine Frage deutscher Sicherheit

Vor 20 Jahren wurde die PKK in Deutschland verboten. Auf dieser Grundlage werden bis heute die Bürgerrechte von Kurden und ihren Unterstützern beschnitten.

von Hans Wolf –  jungle world – 22.11.2013 – Ende 1995 besuchte ich meine erste Demonstration. Sie fand in Köln statt. Die Veranstalter, unter anderem die Informationsstelle Kurdistan und die Aktion 3. Welt Saar, forderten die Aufhebung des seit 1993 bestehenden Verbots der Partiya Karke­rên Kurdistan (PKK).

Wenige Tage zuvor war die Demonstration verboten worden. Ich handelte mir gleich auf dem Kölner Hauptbahnhof einen Platzverweis ein. Diesen ignorierte ich und folgte den Polizeihubschraubern, um die Demonstration zu finden. Ich landete auf dem Domvorplatz, wo Hunderte Demonstrierende über mehrere Stunden in einem Polizeikessel festgesetzt wurden. Ich wurde erkannt und landete mit etlichen anderen im Polizeigewahrsam. Nach einigen Stunden Aufenthalt in der Polizeischule Brühl wurde ich dann nachts irgendwo in Köln von der Polizei abgesetzt. Das Verbot der Demonstration wurde nachträglich aufgehoben. Ich legte Widerspruch gegen die erkennungsdienstliche Behandlung ein und so war die Angelegenheit für mich erledigt.

Weniger Glück haben Tausende Kurden und Kurdinnen in Deutschland, die seit 20 Jahren bei ihrer politischen Betätigung einem Generalverdacht ausgesetzt sind. Am 26. November 1993 wurde die PKK in Deutschland verboten, der damalige Innenminister Manfred Kanther (CDU) hatte die Maßnahme durchgesetzt. Als Anlass für das Verbot diente eine Serie von Gewalttaten von Anhängern der PKK gegen türkische Einrichtungen und Unternehmen in Deutschland, die im Juni begonnen hatte. Am 4. November 1993 forderte ein Brandanschlag auf eine türkische Gaststätte in Wiesbaden ein Todesopfer. »Eine weitere Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland würde die deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert gelegt wird, untergraben. Darüber hinaus werden dadurch diejenigen Kräfte in der Türkei gestärkt, die die Bindung an Europa und an die westliche Welt lockern wollen«, hieß es in der Verbotsverfügung. Bereits Monate vorher hat­­te die damalige türkische Regierung auf Maßnahmen gegen die PKK in Deutschland gedrängt, nun hatte sie ihr Ziel erreicht.

»Die mediale Hetzkampagne gegen die »Terror-Kurden« lief auf Hochtouren. Dass der Grund des Verbots aber nicht das Vorgehen der PKK in Deutschland war, zeigten Äußerungen des damaligen Außenministers Klaus Kinkel (FDP). »Die Türkei ist weiterhin ein wichtiger Nato-Partner. Bildete sie früher die Südflanke der Nato gegenüber dem Warschauer Pakt, so vertritt sie heute die Nato im Mittleren Osten, sowohl gegenüber den arabischen als auch gegenüber den Nachfolgestaaten der UdSSR. Sie trägt damit zu unser aller Sicherheit bei. Als Nato-Partner müssen wir sie militärisch und politisch unterstützen«, formulierte Kinkel die geostrategischen Interessen. Er fuhr fort: »Unsere Sicherheit braucht eine stabile Türkei, daher müssen wir der Türkei bei der Lösung des kurdischen Problems und der Bekämpfung terroristischer Organisationen wie der PKK helfen.«

Die militärische Unterstützung war dabei nicht gering: Zwischen 1964 und 1994 wurden kostenlose Rüstungshilfen im Gesamtvolumen von umgerechnet 3,2 Milliarden Euro geliefert. Das Land war damit der größte Waffenabnehmer der Bundesrepublik. Diese Waffen wurden auch in der militärischen Auseinandersetzung im türkisch-kurdischen Konflikt benutzt, der besonders in den neunziger Jahren wütete: Über 40 000 Menschen starben, die türkische Armee zerstörte 8 000 Siedlungen und Dörfer und vertrieb mehr als eine Million Menschen.

Die PKK ging ebenfalls nicht zimperlich vor, auch bei inneren Konflikten. Wie andere nationale Befreiungsbewegungen trug sie ihre Machtkämpfe bewaffnet aus. Es galt ein streng hierarchisches Führerprinzip, der damalige Vorsitzende Abdullah Öcalan hatte die Befehlsgewalt. Innerparteiliche Kritiker und Rivalen wurden verfolgt oder sogar exekutiert. Selbstmordattentäter wurden zu Märtyrern stilisiert, Selbstverbrennungen galten als legitimes Mittel des Protests. Die PKK war zudem streng nationalistisch und verbreitete antisemitische Verschwörungstheorien, in denen Israel als »geheime herrschende Macht« dargestellt wurde. Das wurde in der deutschen Solidaritätsbewegung meist gar nicht zur Kenntnis genommen, galt es doch, das »kurdische Volk« ohne Wenn und Aber gegen den Aggressor zu unterstützen – was sich bis heute kaum geändert hat. Dem Krieg in der Türkei versuchten viele Menschen zu entfliehen. In Deutschland Asyl zu erhalten, war aber kaum möglich. Zwar konnten deutsche Gerichte die Verfolgung kaum bestreiten, aber die politischen Vorgaben sahen anderes vor. So wurde die »inländische Fluchtalternative Westtürkei« erfunden, wonach dort ein sicheres Leben für Flüchtlinge möglich sei und diese deshalb abgeschoben werden könnten. Zur Beruhigung des Gewissens ließ sich die Bundesrepublik von der Türkei versichern, dass niemand gefoltert werde, auch wenn ein UN-Komitee gegen die Folter in einem Bericht vom 9. November 1993 schrieb: »Die Existenz von sys­tematischer Folter in der Türkei kann nicht geleugnet werden.«

Wer in Deutschland bleiben durfte, hatte es nach dem PKK-Verbot umso schwerer. Von ihm waren unter anderem 29 kurdische Vereine von Aachen bis Ulm betroffen, die für Kurdinnen und Kurden als Treffpunkte von besonderer Bedeutung waren. Im Juni 1994 wurde in Hannover der kurdische Jugendliche Halim Dener von einem deutschen Polizisten hinterrücks erschossen, als er Plakate der ERNK, einer Nebenorganisation der PKK, öffentlich anbringen wollte. Die Trauerfeier in Deutschland wurde verboten, die Eltern durften zu dem Prozess nicht einreisen, der Polizist kam straffrei davon. »Der Angeklagte hat den Schuss unter Stress in einer außergewöhnlichen Situa­tion unabsichtlich abgegeben«, hieß es in der Urteilsverkündung.

Eine weitere Auswirkung des Verbots war es auch, dass die politische Auseinandersetzung mit dem Thema Kurdistan in ganz Deutschland erheblich erschwert und sogar kriminalisiert wurde. Es war für Kurdinnen und Kurden praktisch nicht mehr möglich, öffentlich auf den Krieg in der Türkei aufmerksam zu machen, da deutsche Behörden mit dem Vorwurf der »PKK-Propaganda« schnell Demonstrations- und Veranstaltungsverbote begründeten, was heutzutage immer noch der Fall ist. 2001 gab es deshalb die Kampagne »Auch ich bin PKKler«, in deren Zuge sich europaweit 120 000 Menschen wegen der Zugehörigkeit zur PKK selbst anzeigten, in Deutschland waren es 40 000. Diese Personen und andere, die beispielsweise in kurdischen Vereinen tätig sind, haben nur eine sehr geringe Chance, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen oder verbeamtet zu werden.

Dennoch hat sich die Situation 20 Jahre nach dem PKK-Verbot grundlegend geändert. Öcalan befindet sich seit 1999 auf der Gefängnisinsel İmralı in Haft, seit 2012 verhandelt er offiziell mit Vertretern der türkischen Regierung über eine friedliche Lösung des Konflikts. Die ehemalige PKK heißt nach mehreren Namensänderungen inzwischen Koma Civakên Kurdistan (KCK). Die Organisation tritt für eine »auf Ökologie und Geschlechterbefreiung aufbauende Demokratie« ein und will mit friedlichen Mitteln ihre Ziele erreichen. Einen eigenen kurdischen Staat strebt sie nicht an. Auch das Verhältnis zu Israel hat eine überraschende Wendung genommen, zumindest auf israelischer Seite. Avigdor Lieberman, der israelische Außenminister, sprach sich 2011 angesichts der Spannungen mit der Türkei für die Unterstützung der PKK aus. Und auch die Türkei hat sich gewandelt. Eifrig betreibt Recep Tayyip Erdoğan die Islamisierung des Landes. Dass die türkische »Bindung an Europa und an die westliche Welt« ausgerechnet durch die PKK gefährdet wird, erscheint mehr als zweifelhaft. Dennoch bildet diese Behauptung immer noch die Grundlage dafür, Kurden, Kur­dinnen und ihren Unterstützern Bürgerrechte zu entziehen.

 

Der Autor ist Vorstandsmitglied der Aktion 3. Welt Saar.