Kann Macron nach den Gelbwesten dann auch den IS in Syrien besiegen ? / Ein höchst mittelmässiges Interview

MESOPOTAMIA NEWS : PYD CHEF SALIH MUSLIM “ETWAS BEUNRUHIGT!”

FAZ 2. Januar 2019 – Rainer Hermann Interview

Herr Muslim, Sie sind derzeit in Qamishli, im kurdischen Norden Syriens. Mit welcher Stimmung gehen die Menschen dort in das neue Jahr?

 

Die Menschen sind wegen der türkischen Drohungen etwas beunruhigt. Es ist nicht klar, was geschehen wird. Sie vertrauen darauf, dass sie sich selbst gegen jegliche Angriffe und jedwede Invasion verteidigen können, und befestigen daher ihre Verteidigungsanlagen.

 

Beobachten Sie Bewegungen der türkischen Armee?

 

Ja, die Türkei bringt mehr Truppen und militärisches Gerät über die Grenze nach Syrien. Vor allem in die Gegend nördlich der Stadt Manbidsch, aber auch in andere Regionen.

Nach der Ankündigung von Präsident Donald Trump, die amerikanischen Soldaten aus Syrien abzuziehen, baten die syrischen Kurden das syrische Regime in Damaskus, vorsorglich Truppen nach Manbidsch zu entsenden, um die Stadt gemeinsam mit den Syrischen Verteidigungskräften (SDF) zu verteidigen.

 

Wie ist die Lage in der Stadt?

Eine Vereinbarung besteht zwischen dem Militärrat von Manbidsch und der syrischen Regierung, zwischen Manbidsch und der Grenze zur Türkei Kontrollpunkte einzurichten. Das übernimmt nun die syrische Armee. Der Militärrat kontrolliert aber weiterhin die Stadt. Das ist die Lage, und nun warten alle Seiten ab.

 

Im vergangenen Jahr hatte es in Damaskus Gespräche zwischen dem syrischen Regime und der kurdischen Selbstverwaltung über die politische Zukunft Syriens gegeben. Wie viel Vertrauen besteht zwischen beiden Seiten?

 

Es war nicht mehr als ein Dialog in zwei Treffen. Es wird aber mehr gebraucht, um Vertrauen zu schaffen. Bislang gibt es kein Ergebnis. Auf unserer Seite hatte der Syrische Demokratische Rat (SDC), in dem alle Gruppen im Norden und Osten Syriens vertreten sind —Kurden, Christen, Araber —, die Gespräche geführt. Wenn Damaskus bereit ist, die Gespräche fortzusetzen, werden wir das tun. Konkret hat sich aber noch nichts ergeben.

 

Welche Rolle kann Russland spielen?

 

Russland hat Einfluss auf das Regime. So hatte Moskau einen Kontakt zwischen dem syrischen Regime auf der einen Seite und den bewaffneten Gruppen und der Türkei auf der anderen Seite hergestellt. Russland kann Druck auf Damaskus ausüben. Offenbar tut es das nun, damit Damaskus mit uns Gespräche über unser Projekt im Norden und Osten Syriens führt.

 

Trifft es zu, dass arabische Stämme im Norden Syriens, die bisher Teil des SDC waren, sich aus Protest gegen die Zusammenarbeit mit Damaskus der oppositionellen Freien Syrischen Armee anschließen?

 

Nein, das trifft nicht zu. Es kann sein, dass ein paar einzelne Araber das tun, die bereits in der Türkei leben. Die arabischen Stämme koordinieren ihre Angelegenheiten weiterhin mit den lokalen zivilen Räten.

 

Präsident Trump hat nun seine Entscheidung korrigiert und will die amerikanischen Truppen nur noch „langsam” aus Syrien abziehen. Was bedeutet das für die syrischen Kurden?

 

Sie werden also Schritt für Schritt abgezogen. Wir kennen die genaue Planung aber nicht. Die Entscheidung war überraschend gekommen. Präsident Trump sagte, der IS sei „fertig”. Der IS ist in Wirklichkeit aber nicht besiegt. Es gibt nach wie vor heftige Kämpfe.

 

Wie groß ist noch die Gefahr, die vom IS ausgeht?

 

Der Krieg gegen den IS hat sich abgeschwächt. Noch immer halten sich aber in Enklaven 4000 erfahrene IS-Kämpfer auf. Zudem ist das Gebiet, das Damaskus und russische Einheiten kontrollieren, nicht vom IS gesäubert, vor allem in Dörfern und Tälern. Auch die irakischen Streitkräfte haben Teile des Iraks noch nicht vollständig gesäubert. Der IS kann sich also reorganisieren, vor allem entlang des Euphrats. Es wird geschätzt, dass es in Syrien und im Irak weiterhin 30 000 IS-Kämpfer gibt. Organisierten sie sich wieder, würden sie stark sein.

 

Ist Trumps Entscheidung das Ende der Anti-IS-Koalition?

 

Nein, alles geht bisher unverändert weiter. Es wurde noch kein amerikanischer Soldat abgezogen. Die Zusammenarbeit zwischen unseren SDF und der Koalition funktioniert weiter, wir kämpfen weiter gemeinsam. Die SDF mussten bislang nicht zur Verstärkung an die nördliche Front, also Richtung Türkei, verlegt werden.

 

Es gibt Berichte, wonach die amerikanischen Einheiten durch arabische ersetzt werden könnten, etwa aus Ägypten oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Trifft dies zu?

 

An der Anti-IS-Koalition beteiligen sich ja viele arabische Staaten, und sie könnten ihre Präsenz als Mitglieder der Koalition ausbauen.

 

Füllt Frankreich das Vakuum, das der amerikanische Abzug hinterlässt?

 

Frankreich ist als Mitglied der Anti-IS-Koalition hier ja bereits präsent und kann in der Zukunft eine größere Rolle spielen.

 

Frankreich engagiert sich auch über das Militärische hinaus.

 

Die französische Regierung baut in Amuda, dem Verwaltungszentrum im Norden Syriens, auf einem Gelände, das zur Verfügung gestellt wurde, ein Kulturinstitut. Wir würden es begrüßen, wenn andere Länder dem folgen würden und beispielsweise Schulen gründen, etwa Deutschland.

 

Gibt es beim Wiederaufbau Fortschritte?

 

Kaum. Zudem sorgt die Türkei dafür, dass Hilfen etwa nach Deir al Zor gelangen, aber nicht in unsere Gegenden.

 

Vor einem Jahr haben türkische Truppen in Syrien die kurdische Provinz Afrin besetzt, Wie sieht es dort heute aus?

 

Die Lage ist sehr schlecht. Die ethnische Säuberung wird fortgesetzt, es gibt weiter Tötungen. Als Reaktion hat ein Guerrillakrieg begonnen, und mehr als 120 000 Vertriebene warten auf eine Gelegenheit, zurückzukehren.

 

Was ist das Ziel der Türkei in Syrien?

 

Die Türkei will in Syrien bleiben, was ja bereits ein Ziel der türkischen Unabhängigkeitsbewegung in den 1920er Jahre gewesen war. Sie will ihr Territorium erweitern. Daher greift sie nicht nur die Kurden an, die sich in der PYD oder PKK zusammenschließen, sondern alle Kurden.

Die Fragen stellte Rainer Hermann.

Salih Muslim war von 2010 bis 2017 Ko-Vorsitzender der PYD, der größten syrisch-kurdischen Partei. Seit 2017 vertritt er die Region Rojava im Ausland.

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