Kämpfe im Irak Die Peschmerga sind gekommen, um zu bleiben / Markus Bickel
FAZ 18.6.2014 – In der Provinz Kirkuk ist die Front fest in der Hand kurdischer Kämpfer. Deren Führer sind hocherfreut über die Ausweitung ihrer Einflusszone – doch unter anderen Gruppen herrscht Unmut. Die Männer von General Sarhad Muhammad sind gekommen, um zu bleiben. Ein Dutzend kurdischer Peschmerga-Kämpfer und zwanzig irakische Polizisten kauern unter der Brücke über den Fluss Maschruah, um sich vor der sengenden Sommersonne zu schützen. Seit einer Woche sind sie an der Front, um ein Vorstoßen der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in (Groß-)Syrien (Isis) nach Kirkuk zu verhindern.
Die Stadt mit 400.000 Einwohnern liegt zwanzig Kilometer östlich, in der Ferne lodern die Feuer der Fackeln der Ölfelder. Wie seine Untergebenen hat es sich Kommandeur Muhammad im Schatten bequem gemacht: Auf einem alten Bett sitzt der dicke irakische Polizeichef, die vier Beine des Metallgestells stehen im flachen Wasser. Gerade erst habe es einen Mörserangriff auf seine Einheiten gegeben, behauptet er und zeigt auf eine Stelle ein paar Meter von den Uniformierten entfernt.
Dort dümpeln Badeschlappen im Fluss, leere Plastikflaschen und ein ausrangierter Kühlschrank. Nur einen halben Kilometer entfernt lagerten die Isis-Terroristen, sagt der Brigadegeneral. Immer wieder sei es in den vergangenen Tagen zu Feuergefechten gekommen. Ein grünes Straßenschild auf der anderen Seite des Flusses weist den Weg in die von den Aufständischen gehaltenen Gebiete: Mossul, Fatha, Mulla Abdullah. Den Westen der Provinz Kirkuk haben die Dschihadisten fest unter Kontrolle, bis weit hinter die Hügelkette am Horizont reicht das Territorium der Terrorgruppe.Die Brücke am Maschruah ist die letzte Stellung am Rande der Kampfzone. Militärtransporter stehen oberhalb der Böschung, Palmenwedel bedecken die Lagerstätten der Uniformierten. Ein heißer Wind wirbelt Sand auf, als der Dreisternegeneral Schirku Fatih mit einem Dutzend Soldaten im Schlepptau über die Brücke gelaufen kommt.
Nicht der irakischen Zentralregierung von Ministerpräsident Nuri al Maliki in Bagdad ist der Kommandeur der ersten Peschmerga-Brigade der Provinz Kirkuk unterstellt, sondern Kurdenpräsident Massud Barzani in Arbil. Für ihn verteidigt er die Grenzen nun weit außerhalb der drei ihnen formell zustehenden Provinzen Arbil, Dohuk und Suleimanije. Die Absicht, seine Einheiten bald dorthin zurückzuziehen, hat der hagere Mann nicht. Im Gegenteil: „Für immer“ würden die Peschmerga hier bleiben, sagt der General, der Maschruah bilde die neue Trennlinie Kurdistans zum Restirak.
Eine Woche nach dem Fall Mossuls und dem Blitzvorstoß der Isis-Brigaden den Tigris hinab in Richtung Bagdad sind die kurdischen Kampfeinheiten die großen Gewinner des Konfliktes. Mit der Kampfkraft einer ganzen Division sorgten die aus dem Peschmerga-Ministerium in der Kurdenhauptstadt Arbil bezahlten Truppen nun in der Provinz Kirkuk für Ordnung, sagt Fatih. Dafür, dass die Soldaten der 12. Division der irakischen Armee vor einer Woche kampflos das Weite suchten, hat er nur ein Schulterzucken übrig: Sie seien wohl nicht darauf vorbereitet gewesen, sich zu verteidigen, vermutet er. Genaueres aber müsse man die Zentralregierung in Bagdad fragen.
Die verliert weiter an Boden. Nördlich der Hauptstadt ist es Malikis Truppen trotz Verstärkung durch schiitische Milizen nicht gelungen, Samarra von den Dschihadisten zu befrieden und wie angekündigt Takrit zurückzuerobern. Auch die Stadt Baquda blieb am Dienstag umkämpft. Große Teile Ramadis und ganz Falludscha in der westlichen Unruheprovinz Anbar sind schon seit Jahresbeginn verloren. Und je weiter die Isis-Dschihadisten von Bagdad entfernt ihr Unwesen treiben, desto schwieriger wird es für die Zentrale, den dauerhaften Verlust der Gebiete zu verhindern.
Am Montag fiel die von vielen Turkmenen besiedelte Stadt Tal Afar im Nordwesten des Landes zwischen Mossul und der syrischen Grenze. Den Korridor hinüber ins Nachbarland, den die Extremisten mit ihrer Offensive schufen, ist nun noch breiter. Militärischen Nachschub aus ihren syrischen Stützpunkten entlang des Euphrats in den Irak zu bringen, ist für die Dschihadisten künftig wesentlich einfacher.150 Kilometer sind es von Mossul bis Kirkuk, die Grenze zwischen dem Isis-Areal und den von Peschmerga-Einheiten gehaltenen Gebieten verläuft mitten durch die Provinz, die seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 zwischen der Kurdenführung in Arbil und der Regierung in Bagdad umstritten ist.
Erinnerung an ein Massaker
Die Straße führt jenseits des Flusses Maschruah weiter nach Hawidscha. Auch diese sunnitische Gemeinde haben Isis-Kämpfer vor einer Woche im Handstreich eingenommen. Im April 2013 hatten Regierungschef Maliki unterstellte Sondereinheiten hier ein Massaker an Demonstranten verübt: 42 Menschen wurden getötet, danach radikalisierte sich die Protestbewegung, der anfangs friedliche Widerstand gegen die schiitische Führung in Bagdad wandelte sich zum bewaffneten Aufstand. Profitiert davon haben die Isis-Terroristen: Gemeinsam mit entmachteten Angehörigen der Baath-Partei und deren Miliz, desertierten Soldaten und bewaffneten Islamistengruppen wie Ansar al Sunna halten sie nun auch viele Dörfer rund um das fünfzig Kilometer westlich von Kirkuk gelegene Hawidscha.
Eine geteilte Provinz
Turan Hassan, der Vorsitzende des Provinzrates, steht plötzlich auf verlorenem Posten. „Natürlich kann ich nicht glücklich darüber sein, was passiert ist“, sagt der turkmenische Politiker. Er stehe jetzt einer geteilten Provinz vor, seufzt er. Ein hektisches Kommen und Gehen herrscht in seinem großen Büro im Gouverneurssitz in Kirkuk, der Provinzhauptstadt. Den Chef der Sondereinheiten zum Schutz der Öl- und Gasfelder hat Hassan gerade empfangen, draußen im Vorzimmer wartet der Leiter der städtischen Elektrizitätswerke. Überall stehen und sitzen Uniformierte.
Die permanente Aufrüstung der vergangenen Dekade ist ein Grund dafür, weshalb der Konflikt so schnell eskalieren konnte. Wie in den Tagen des Bürgerkriegs der Jahre 2005 bis 2007, als Todesschwadronen das Land in Angst und Schrecken versetzten, scheint es tief in der Abwärtsspirale der Gewalt festzustecken. Monate, wenn nicht Jahre werde der Krieg dauern, dessen ist sich Turan Hassan sicher – auch in seiner Provinz, obwohl in Kirkuk der sunnitisch-schiitische Konflikt, der die Region um Bagdad in den Abgrund zu reißen droht, keine große Rolle spielt. Eine Hälfte der Provinz kontrollierten „die Terroristen“, sagt Hassan, den Rest die Peschmerga, die sich – anders als von der kurdischen Führung in Arbil behauptet – nicht nur zum Schutz der Bewohner in Kirkuk breitgemacht hätten.
Die Turkmenen als Opfer
Hier in Kirkuk ist es nicht wie in den Zentren der Isis-Herrschaft die Bevormundung durch den schiitischen Machthaber Maliki, die den Unmut schürt. Es ist die Marginalisierung durch Arbil. Eigentlich hätte es schon längst eine Volksabstimmung über die Zukunft der zwischen der kurdischen Autonomieregion und Bagdad umstrittenen Provinz geben sollen. Doch weil sich seit 2003 ganz gezielt mehr und mehr Kurden in und um Kirkuk ansiedelten, kam es dazu nie. In den Dörfern rund um das „kurdische Jerusalem“ stellen sie neunzig Prozent der Bevölkerung, in der Stadt fast zwei Drittel. 1970 waren hier noch die Turkmenen in der die Mehrheit. Die würden nun ein zweites Mal zu Opfern, sagt der Provinzratsvorsitzende Hassan. Auf Saddam Husseins Arabisierungspolitik folge nun die schleichende Kurdisierung.
Auch die Mitglieder seines Provinzrats sind wegen Streitigkeiten über die Postenverteilung zwischen Kurden, Turkmenen und Arabern nicht gewählt, sondern ernannt worden. Die Zahl der nichtkurdischen Abgeordneten, die Kirkuk in der Hauptstadt im Parlament vertreten, ist seit der ersten Wahl nach dem Sturz Saddam Husseins stetig zurückgegangen. Entsandten Turkmenen und Araber 2006 noch sieben Parlamentarier nach Bagdad, so sind es seit der vergangenen Wahl vor sechs Wochen nur noch vier. Kein Wunder, dass vom stillen Triumphalismus kurdischer Politiker bei Hassan nichts zu spüren ist: Er fürchtet, dass die Politik des Kurdenführers Mustafa Barzani früher oder später dazu führen wird, dass Kirkuk in die Hände der kurdischen Autonomieregierung fällt.
Peschmerga, überall Peschmerga
Die Streitigkeiten, die das Verhältnis zwischen Barzani und Maliki lange belastet hatten, sind innerhalb einer Woche zugunsten der Kurden gelöst worden – zum Leid der verbliebenen Minderheiten. Tausende Turkmenen, Araber und aramäische Christen haben die einstige Vielvölkerstadt in den vergangen Jahren verlassen. „Peschmerga, Peschmerga, überall sieht man nur noch Peschmerga“, sagt einer. Im Stadtzentrum sind es zwar nicht die Truppen der kurdischen Regionalgarde, die die Kontrolle ausüben.
Doch auch die Mitglieder der Sonderpolizei Asayish, die hier für Sicherheit sorgt, werden aus dem Haushalt in Arbil bezahlt, nicht in Bagdad. „Wir sind das kurdische FBI“, sagt Asyaish-Oberst Idriss Rifat über die berüchtigte Einheit, deren langer Arm weit über die Grenzen der Autonomieregion hinausreicht. Rifat ist einer der beiden für Kirkuk zuständigen Kommandeure. Im Hauptquartier der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) brüstet er sich damit, dass seit dem Rückzug der irakischen Armee die Zahl der Bombenanschläge drastisch zurückgegangen sei. Eine Infiltrierung durch Isis-Terroristen schließt er aus.
Tausende Kämpfer, geordnete Ruhe
Wie ein Feldherr hat sich neben dem Polizeichef der KDP-Vorsitzende, Muhammad Salih, über eine Landkarte gebeugt: Im Süden bis zum Hamrin-Gebirge nahe Saddam Husseins Geburtsstadt Takrit und im Westen bis an die Ufer des Tigris reiche Kurdistan nun – so wie es der Volksgruppe historisch zustehe. Anders als im hektischen Sitz des Provinzrats herrscht im KDP-Hauptquartier geordnete Ruhe, im Hof stehen mehrere Militärtransporter vor einem riesigen Bild des Gründers der Parteimiliz, Mustafa Barzani. Tausend Kämpfer dürften auf dem Gelände stationiert sein, nochmal so viele im Parteisitz der Patriotische Union Kurdistans (PUK) ein paar Straßen weiter.
Im Vorzimmer zu Salihs Büro drängeln sich Männer mit Gewehren und Munitionsgürteln. Auch der Parteichef trägt eine Pistole, versteckt unter dem traditionellen kurdischen Gewand. Politik und bewaffneten Kampf müsse man trennen, sagt er mit einem Schmunzeln und steckt auf der Karte genüsslich die im Zuge die Isis-Offensive geschaffenen neuen Grenzen ab. Gerade sei er von einem Frontbesuch am Ufer des Maschruah-Flusses zurückgekehrt, sagt der Mann mit dem kräftigen Schnauzer und zeigt auf die staubigen Schuhe. Bonbons verteilt und den dort stationierten Peschmerga-Einheiten Mut zugesprochen habe er. Das sei wichtig, denn solange die Regierung in Bagdad es nicht schaffe, rund um die Hauptstadt Sicherheit herzustellen, werde der Krieg weitergehen. Und das könne lange dauern. Sehr lange. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kaempfe-im-irak-die-peschmerga-sind-gekommen-um-zu-bleiben-12996111.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2