IN DEUTSCHLAND : ERDOGAN GEGEN GUELEN / GUELEN GEGEN ERDOGAN

Wie Erdoğan in Deutschland Wahlkampf macht

DIE ZEIT  – 16-1-2014 – Die innertürkischen Konflikte werden auch in Deutschland ausgetragen. Premier Erdoğan will im Machtkampf mit Gülen mehr Einfluss auf die türkischstämmige Bevölkerung. von Volker Siefert.

In Hamm flogen die Fäuste, als der damalige türkische Europaminister Egemen Bağış von der AKP kurz vor Weihnachten zur Eröffnung des neuen Ablegers seiner Partei in die Ruhrgebietsstadt kam. AKP-Anhänger drängten AKP-Gegner gewaltsam aus dem Saal, als diese gegen den Islamisierungskurs von Premier Recep Tayyip Erdoğan protestierten. Der innertürkische Konflikt, der Streit zwischen Erdoğan-Fans und Erdoğan-Gegnern, findet längst auch in Deutschland statt. 

Zumal in der Türkei 2014 zwei wichtige Wahlen anstehen: Im März die Kommunalwahl, im Sommer die Präsidentschaftswahl. Letztere ist eine doppelte Premiere. Erstmals nämlich wird das Staatsoberhaupt direkt von der Bevölkerung gewählt und erstmals dürfen türkische Staatsbürger ihre Stimme außerhalb der Türkei abgeben, beispielsweise in den türkischen Konsulaten. In Deutschland leben die meisten der rund fünf Millionen Diaspora-Türken. Sie könnten bei den Wahlen eine entscheidende Rolle spielen. Wahlkampf in Deutschland könnte sich also lohnen.

Wohl auch deshalb baut die Regierungspartei AKP gerade die Präsenz ihres europäischen Ablegers UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten) in Deutschland deutlich auszubauen. Bislang beschränkte sich die UETD auf eine Zentrale in Köln, die im Wesentlichen durch das Zusammentrommeln von Anhängern bei Großveranstaltungen für Erdoğan in Europa in Erscheinung trat.

Ansonsten kümmerte man sich nicht groß um die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland. Das überließ man den Moscheegemeinden der Ditib, der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş und der Bewegung um den türkischen Imam Fethullah Gülen mit ihren zahlreichen Bildungsvereinen.

Neuer Diaspora-Kurs der AKP

Doch spätestens der offene Machtkampf zwischen Erdoğan und Gülen hat gezeigt, dass sich die AKP bei der Mobilisierung der eigenen Anhänger in Deutschland nicht mehr auf andere verlassen kann. Schon seit Sommer des vergangenen Jahres hat die AKP ihren Diaspora-Kurs geändert. Der Vorstand der UETD wurde ausgetauscht und hier lebende Sympathisanten Erdoğans aufgefordert, arbeitsfähige, lokale Strukturen zu schaffen. In Städten wie München, Berlin, Stuttgart, Siegen, Bremen oder Kassel sind Anhänger bereits dem Aufruf gefolgt und haben UETD-Vereine gegründet. Laut UETD-Zentrale sollen in den kommenden Monaten rund 80 weitere Vereine in Deutschland entstehen.

Im Hintergrund wirken Berater wie Ozan Ceyhun an der Ausweitung des AKP-Aktionsfeldes mit. Bei mehreren Eröffnungen von UETD-Neugründungen hat der ehemalige SPD-Europaabgeordnete als Berater Bağış fungiert. Zwar musste Bağış im Zuge der Korruptionsaffäre zurücktreten, aber auch mit dessen Nachfolger Mevlüt Çavuşoğlu verbindet das SPD-Mitglied Ceyhun nach eigenen Worten “eine Freundschaft”. Auch ihn berate er “ehrenamtlich”, sagt er. Die UETD bezeichnet er als eine “Nichtregierungsorganisation”, die mit dazu beitrage, die Verhältnisse im Herkunftsland der hier ansässigen türkischstämmigen Bevölkerung zu erklären.

Auch eine Reise von elf AKP-Abgeordneten der türkischen Nationalversammlung durch mehrere deutsche und europäische Städte am vergangenen Wochenende versteht Ceyhun als Teil einer Aufklärungskampagne. Organisiert von der UETD sprachen die Parlamentarier über die aktuelle türkische Politik. “In Deutschland haben die hier lebenden Türken nicht so viele Möglichkeiten, sich über die Türkei zu informieren”, sagt Ceyhun. Die Medien der Doğan Media Group (Hürriyet) seien genauso wenig objektiv wie die zur Gülen-Bewegung (Ceyhun: “eine Sekte”) gehörende, auflagenstärkste türkische Zeitung Zaman.