HEXENJAGD ODER SUCHE NACH GERECHTIGKEIT? – Die Causa Avital Ronell aus einer Innenperspektive – VON BERND HÜPPAUF
Wie der New York University genderkorrekt- herrschaftlich die Germanistik ausgetrieben wurde / Angewandte Derridaistik
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Gerechtigkeit ist selten. Aber gelegentlich ergibt sich eine unerwartete Situation, die die Hoffnung nährt, dass Gerechtigkeit nicht ganz aus der Welt verschwunden ist. Die Nachricht von einem drohenden juristischen Verfahren gegen Professor Avital Ronell (New York University) (*) hat mich an ein Jahre zurückliegendes Gespräch mit einem ihrer Studenten erinnert. Auch ihre Bäume, meinte er, wachsen nicht in den Himmel. Auf Dauer wird sie ihren Machtmissbrauch und den psychischen Terror gegen Studenten nicht ungestraft fortführen. Ich dachte an die geschlossene Welt der Universität und die einzigartigen Fähigkeiten der Professorin zu Manipulation und Intrige und war skeptisch. Nun, viele Jahre später, scheint der Student recht zu bekommen. Dagegen rührt sich allerdings heftiger Widerstand, der auch durch das Feuilleton deutscher Zeitungen verbreitet wird. Eine verworrene Obstruktion setzt Solidarität vor Gerechtigkeit und spricht den Opfern Hohn.
(*Belästigungsvorwürfe: Die Akte Avital Ronell – www.faz.net › Feuilleton – 07.07.2018 – Die Professorin Avital Ronell von der New York University steht unter Verdacht, Studierende sexuell belästigt zu haben. Akademische…)
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Kurze Rückblende. Als Chair of Department und Vorsitzender der Berufungskommission hatte ich einen nicht unerheblichen Anteil an der Entscheidung, Avital Ronell bei ihrem zweiten Anlauf eine Professur an der NYU anzubieten. Ich war drei Jahre zuvor an die NYU berufen worden, um ein sterbendes Deutsch-Department zu revitalisieren und Beine zu finden, auf denen es stehen konnte. In den Verhandlungen sagte mir der Dekan vier Professuren zu. Ich verfasste ein umfangreiches Positionspapier für ein Deutsch-Department in der Universitätslandschaft von New York und den USA. Diese Aufgabe zog mich nach New York.
Ich habe damals vor dem Angebot einige ausführliche Gespräche mit der Bewerberin Ronell geführt. Sie ging auf meine Fragen mit Verständnis ein. Am Aufbau eines integrierten Studien- und Forschungsprogramms werde sie sich mit aller Kraft beteiligen. An Forschung, Tagungen und Publikationen des Departments versprach sie, aktiv mitzuwirken. Nachdem sie die Stelle angetreten hatte, hat sie alle Zusagen gebrochen. Das Programm hat sie nach Kräften sabotiert. Sie verfolgte ein Ziel: Avital Ronell und Jacques Derrida mussten ins Zentrum von Forschung und Lehre treten. An die Stelle eines akademischen Programms trat ein maßloser Narzissmus. Nachdem sie die Leitung des Departments übernommen hatte, ließ sie in einer Department-Sitzung ihre Sekretärin verkünden, dass im Department keine studentische Arbeit mehr angenommen werde, in der nicht Derrida und Ronell zitiert werden.
Nun verstand ich die Frage des Dekans bei meiner Bewerbungsvorstellung: Wie hältst Du es mit der Dekonstruktion?
Da war ich noch naiv und antwortete, als hätte er mich gefragt, wie ich es mit Leibniz halte. Nach meiner Ankunft in New York dauerte es eine Weile, bis ich merkte, was den Dekan zu seiner besorgten Frage bewegt hatte: Wir befanden uns in einem Krieg. Wie im Krieg gab es nur ja oder nein, für mich oder gegen mich.
Nach Professor Ronells Einschätzung war ich nicht genügend dafür. So begann sie nach kurzer Eingewöhnungszeit damit, meine Position als Departmentchef zu untergraben. In ihren Worten bemerkte ich Abweichungen von den Fakten und in ihren Taten die Zeichen von Illoyalität. Eine ungute Spannung entstand. Ich hatte keine Dankbarkeit erwartet. Aber ein solches Maß an Illoyalität hatte ich mir vorher nicht vorstellen können. Wenn Heidegger dafür gesorgt hatte, dass der Name seines Vorgängers ausradiert wurde und er aus den Räumen, die nun Heidegger besetzte, entfernt wurde, wie Ronell schreibt (The Telephone Book, S. 19), hatte sie ein Vorbild gehabt.
Die Universität gehört wie die Kirche und das Militär zu den gesellschaftlichen Institutionen, die sich der Demokratie entziehen und an vormodernen Machtstrukturen festhalten. Von denen wusste Professor Ronell auf selten geschickte Weise Gebrauch zu machen. Nichts ist in diesem Machtspiel so wichtig wie die vorbehaltlose Unterstützung durch den Dekan der Fakultät. Das Glück war auf ihrer Seite. Der Dekan hatte gewechselt, und der neue Dekan bewunderte sie als Person und ihre Publikationen — von denen er, vermute ich, nicht eine gelesen hatte. Er hätte sonst seine eigenen Publikationen wegwerfen müssen. Aber seine Vertraute im Department of Comparative Literature versorgte ihn mit Informationen über den Genius der Theoretikerin Ronell. Er ließ wenige Gelegenheiten aus, sich ihr zu Füßen zu werfen.
In Zusammenarbeit mit dem Dekan gelang ihr der Coup. Als ich von einem Freisemester, das ich in Berlin verbrachte hatte, zurückkam, fand ich auf dem Schreibtisch einen Brief des Dekans, der mich darüber informierte, dass ich nicht länger der Chair of Department sei. Die Position werde nun von Professor Ronell übernommen. Keine Absprache und keine Information waren vorangegangen. Kein Einspruch, kein Protest, kein Hinweis auf eine Vereinbarung mit dem Vorgänger dieses Dekans, der die Universität inzwischen verlassen hatte, zeigten Wirkung. Eine Begründung gab es nicht. Der Entwicklungsplan, den ich für das Department ausgearbeitet und umzusetzen begonnen hatte, war offensichtlich zu Makulatur geworden. Ich hatte Professor Ronell zum Acting Chair gemacht und vor meiner Abreise in den Job eingeführt. So konnte sie nahtlos weitermachen.
Es reichte ihr nicht, mich aus dem Amt gedrängt zu haben. Um meinen Ruf zu zerstören, waren ihr alle Mittel recht. Ein Freund aus Princeton hatte mich davor gewarnt, sie anzustellen, und gemeint, sie werde mich nach kurzer Zeit als Frauenfeind (male chauvinist) verunglimpfen. Den Vorwurf hat sie nicht erhoben. Er wäre unglaubwürdig gewesen. Von den fünf Stellen, die ich vergeben hatte, waren vier an Frauen gegangen. Sie hatte aber einen anderen Pfeil im Köcher. Auf einer öffentlichen Veranstaltung bezeichnete sie mich als Antisemiten. Nicht, dass sie an meine Verfehlung selbst geglaubt hätte. Aber der Vorwurf war weniger leicht zu widerlegen, und da er in ihr politisches Kalkül passte, hatte sie keine Skrupel, ihn zu erheben. Selbst wenn niemand diese Anschuldigung ernst nahm, würde sie doch Wirkung haben. Semper aliquid haeret, wie die Römer sagten.
Damit war ein erster Schritt auf dem Weg zum Ziel getan, mich zu diskreditieren und als Person zu vernichten. Das geschah hinter einer Wand aus Lächeln und verbalen Freundlichkeiten. Der Geist der Hypokrisie herrschte.
Da ich nur auf Umwegen von Verleumdungen erfuhr, hatte ich kein Mittel, mich zu wehren. Mehr als frustriertes Schweigen ließen die Verhältnisse nicht zu. Ein Kollege, Professor der Ökonomie, den ich schätzte und der in der Kommission gewesen war, die mich an die NYU berufen hatte, kannte mich eines Tages nicht mehr und wandte sich ab, als wir uns auf der Straße begegneten. Über die Gründe konnte ich nur Vermutungen anstellen.
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Von ihrem zweiten Semester an regierte Professor Ronell mit autoritärer Hand, gedeckt von bewährter Heuchelei. Lehrende, die ich ans Department geholt hatte, unterwarfen sich ihrem Regime oder verloren ihre Stellen. Stets auf legale Weise und in Absprache mit dem Dekan, nie in Konsultation mit den Mitgliedern des Departments. Einmal verfasste sie ein heimliches Sondervotum an den Dekan gegen den einstimmigen Beschluss einer Kommission. Der Protest beim Dekan gegen diese Entlassung einer Junior Professorin stieß auf taube Ohren: Er werde keine Entscheidung gegen den Willen der Leiterin des Departments treffen. Professor Ronells Begründung war an Zynismus nicht zu überbieten. Die Entlassung erfolge im besten Interesse der Betroffenen. Denn sie hätte sich in unserem Department nicht wohl gefühlt. Tatsächlich war sie nicht zur Unterwerfung bereit. Jemand aus der Gemeinde stand bereit, die Stelle zu übernehmen. Sie hatte zwar keine Erfahrung, aber die richtige Einstellung.
Den Lektor für deutsche Sprache, der bereits von meinem Vorgänger eingestellt worden war und jahre-lang gute Arbeit geleistet hatte, entließ sie. Er hatte bei Gelegenheit eine milde Distanz gezeigt. Dafür musste er büßen. Als er in sein Büro kam, um zu packen, erschien Professor Ronell und versicherte ihn ihres Mitleids und ihrer Anteilnahme mit rührenden Worten, bis er in Tränen ausbrach und aus dein Zimmer floh.
Der Unterricht des Departments verkam. Das sorgfältig ausgearbeitete Programm wurde ignoriert. Viele Studenten kamen mit Minimalkenntnissen der deutschen Literatur und Geschichte in das Department. Die Kurse, in denen das Unwissen behoben werden sollte, wurden nicht mehr angeboten. Nun wurde Philosophie von Hegel bis Judith Butler gelehrt. Aber das Multidisziplinäre verkommt leicht zum Dilettantismus. Studenten wurden dazu ermuntert, Philosophie-Seminare an anderen Universitäten zu belegen. Bald waren Studenten, die über Dekonstruktion und Feminismus in Paris unterrichtet waren, aber die Namen Gottfried Benn. Joseph Roth und Alfred Döblin noch nie gehört hatten, keine Ausnahmen. Wir studieren, sagte ein Student, in einem Deutsch-Department, in dem französische Theorie auf Englisch unterrichtet wird.
Ich wundere mich bis heute, dass es gelang zu verhindern, in die Satzung des Departments die Klausel aufzunehmen, dass Studenten von der Pflicht, Deutsch zu beherrschen, befreit werden konnten. Diesen Vorschlag hatte Professor Ronell allen Ernstes gemacht. Tatsächlich gab es jedoch Studenten, die Englisch und Französisch sprachen, aber kein Wort Deutsch. Sie hatten in Paris studiert und sich in Seminararbeiten als Derrida-Kenner ausgewiesen.
Zu den Herrschaftsinstrumenten gehörte die absolute Kontrolle über Information. Deren Fluss wurde streng geregelt, und es wurde ein dichtes Netz zum Einholen und Weitergeben von Informationen gesponnen. In einer Versammlung des Departments ließ Professor Ronell ihre Sekretärin verkünden, dass kein Mitglied des Departments ohne ihre ausdrückliche Zustimmung Kontakt mit einem Dekan aufnehmen dürfe. Bald darauf gab es keine Department-Versammlungen mehr. Informationen wurden nur noch in Einzelgesprächen ausgegeben. Wer nicht zum inneren Zirkel gehörte, hatte keinen Zugang zu Informationen. Die Unsicherheit wuchs, und es entstand eine Gerüchteküche. Diese begünstigte alle Arten von Manipulation, die wiederum der Gemeindebildung diente. Wie in einem Konventikel glich nun der Zugang zu Informationen dem Lauschen auf Worte der Verkündigung. Nachfragen und Kritik waren unerwünscht.
Die Gemeindebildung wirkte nach innen wie nach außen. Nötig sind die Sicherung einiger strategisch günstigen Positionen, eine Zeitschrift, in der man sich gegenseitig rezensiert, und eine kleine Schar von Bewunderern. Diese Voraussetzungen waren vorhanden oder wurden geschaffen. Ein Verlagslektor wurde mir mit dem Satz vorgestellt: Er hat mich entdeckt! Ich bekam, vermutlich als Test, das Angebot, in einer Zeitschrift »von uns« ein Buch zu rezensieren. Das Buch hatte »eine von uns« geschrieben. Meine Besprechung fiel kritisch aus; ich sah keinen Anlass zu einem Lob. Ein weiteres Angebot habe ich nicht erhalten. Test nicht bestanden.
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Die Interessen der Studenten galten wenig. In einer Department-Versammlung wurden sie darauf hingewiesen, dass sie störten, wenn sie die Zeit, die ihre Professoren für die Forschung benötigten, in Anspruch nähmen.
Die Kritikfähigkeit der Studenten war kein Ausbildungsziel. Im Gegenteil. Bevor Studenten Kritik üben durften, mussten sie die Schule durchlaufen und die Unterwerfung unter Autorität gelernt haben Jeder Widerspruch, jeder Zweifel zog Bestrafung nach sich. Widerspruch war Häresie, und Häretiker wurden zurechtgewiesen oder ausgeschlossen — nicht immer mit einem Lächeln, oft ironisch, höhnisch, hämisch.
Zwei Studenten berichteten mir von einer Seminarsitzung über das »0« in Kleists Novelle Die Marquise von 0 … Pauline Reage geht in ihrem pornografischen Roman Die Geschichte der 0 dem Verhältnis von Sexualität und extremen Formen der Unterwerfung nach. Diese Frage kann auch in einem Universitätsseminar behandelt werden. Aber in einem Seminar über Kleist? Und die naheliegende Frage nach dem Verhältnis von Universitätslehre und Unterwerfung wurde nach Angabe der Studenten im Seminar nicht behandelt. Dafür gab es einen Grund.
Ich habe den Brief eines Studenten aufbewahrt, der Avital Ronells sadistischen Charakter unter die Lupe nahm. Es war ein älterer Student, ein Psycho-therapeut mit abgeschlossenem Studium, der unter ihrer Leitung eine Dissertation schreiben wollte. Nach einem Jahr gab er desillusioniert auf und verließ das Department. Ich zitiere aus einer E-Mail an Professor Ronell (deren Kopie mir vorliegt).
»From my interactions with you and observing you in various settings, you give the impression that you suffer from a well-known mental illness referred to as malignant narcissism in a borderline structure
There are clear clinical descriptions of sadistic object relations. You may get some sense of why your criticisms of students are so often felt to be destructive and disillusioning: you appear to be unable to control your sadism. Don’t you realize that the metaphor you expressed to me in front of other faculty, that you liken your role to that of a Procrustean bonsai master who prunes and places wires an her students, probably points to a destructive, violent and sadistic phantasy that is only worsened by the self-satisfied relish with which you related it? This disorder, were it found to
be present, would also account for why you sometimes seem to me slightly unkempt. These comments are meant to be helpful. I hope you will seek out a proper professional evaluation to identify whatever the problems are and have them addressed. I am concerned for you and I hope you will take this caution seriously […)«1
Der Student konnte es sich erlauben zu gehen. Andere Studenten waren in einer weniger günstigen Position. Sie waren von Professor Ronells Zustimmung abhängig, um ihr Stipendium nicht zu gefährden. Wie leicht diese Zustimmung verlorengehen konnte, machte sie unmissverständlich klar. Sobald sie die Bewunderung als unzureichend erachtete, zog sie ihre Zustimmung zurück.
Die Studenten des Departments wurden zu einer verlesenen Gruppe von Jüngern. Wer nicht hinein] verließ bald freiwillig das Department oder wurde gedrängt. Eine betroffene Studentin äußerte Abschied: »Avital hätte nie Department Chair werde dürfen.«
In einem Department, dessen Leitung beständig betont, dem Erfolg der Mitarbeiter. und Student dienen, aber in Wahrheit nur den eigenen Erfolg im hat, kann sich kein Vertrauen entwickeln. Es wird, wie die geschasste Junior-Kollegin bemerkte, kalt. Heuchelei, Argwohn und Intrige blühen.
Unter der Decke der Heuchelei war der Missbrauch ihrer Machtposition an der Tagesordnung.
Wenn eine Beziehung sexuellen Charakter hatte, wurde ihr Ende für den Studenten oder die Studentin zu einer persönlichen Katastrophe. Die Anbahnung einer sexuellen Beziehung verstößt ja nicht nur gegen eine ethische Grundregel; sie stellt auch einen schweren professionellen Verstoß dar, da sie unvermeidlich die fachliche Ausbildung beeinflusst. Von einer Studentin weiß ich, daß ihr Stipendium nach einem persönlichen Konflikt nicht verlängert wurde, so dass sie ihr Studium nicht fortsetzen konnte, ihr Visum verlor und in ihre Heimat zurückkehren musste.
Ich traf sie später zufällig auf einer Veranstaltung in Berlin. Sie lebte von Gelegenheitsaufträgen in Drittmittelprojekten. Aber ihr Urteil hatte sich nicht geändert. Sie hielt Avital Ronell für ein Genie, die größte lebende Literaturwissenschaftlerin. Einmal Mitglied einer Gemeinde, immer Mitglied der Gemeinde, Tunnelblick eingeschlossen.
Als ich einige Wochen abwesend war, benutzt eine Studentin mein Büro und den Computer. Nach meiner Rückkehr fand ich einen Brief auf dem Desktop, den sie an Professor Ronell geschrieben hatte. Nie habe ich einen Brief von solcher Unterwürfigkeit und heulend schlechtem Gewissen gelesen. Sie bat um Entschuldigung, weil sie zu einer Verabredung nicht erschienen war. Ja, sie müsse es zugeben: entgegen ihrer Behauptung sei sie nicht krank gewesen. Aber sie habe nicht die innere Kraft gehabt, zu dem Treffen in Avitals Apartment zu gehen. Könne sie ihr wohl noch einmal verzeihen?
Andere Studenten waren zu Treffen gegangen. Ich erinnere mich an einen iranischen Studenten. Den Professor Ronell unter Druck gesetzt, seine Arbeit über Goethes West-östlicher Diwan unter ihrer Aufsicht zu schreiben. Er hatte, der Not gehorchend, zugestimmt.
Nach einem Gespräch mit seiner neuen Betreuerin schlich er in mein Büro. Hinter geschlossener Tür und mit gesenkter Stimme — die Wände hatten Ohren — sagte er: »Ich bin krank in Eingeweide. Ich brauche zwei Tage, um Gleichgewicht zu finden.«
Die meisten reagierten anders: zerknirscht und mit selbstverleugnender Unterwerfung. Schuldbewusstsein und Identifikation mit dem Aggressor war das Prinzip. Die Schuldfrage spielte für Professor Ronell eine große Rolle. Die Anklage: Du bist schuld und hast meine Strafe verdient, wurde von den willigen Studenten übersetzt zu: Ja, ich bin schuldig und habe Strafe verdient. Die strenge Mutter hat recht.
Gegen das Verbot der unautorisierten Kontaktaufnahme verstoßend, vereinbarte ich einen Termin mit einer neuen Dekanin. Ich wollte nicht länger schweigend zusehen und berichtete über die desolate Lage der Lehre und den psychischen Druck, unter dem die Studierenden standen. Die Antwort: die Fakultät habe keine Polizei, um die Einhaltung von Regeln durchzusetzen. Probleme, sollte es sie geben, müssten innerhalb des Departments gelöst werden. Das war ein Freibrief für Missbrauch. Wenige Tage später fragte mich Professor Ronell, ob ich es für nötig hielte, »noch immer» Kontakt zu Dekanen zu pflegen. Noch am selben Tag ließ sie sich eine neue Demütigung einfallen. Im fortgesetzten Mobbing — Nadelstiche und größere Schikanen — gab es keine Unterbrechung.
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Auch wenn man mit der geschlossenen Welt der Universität tiefvertraut ist, fällt es schwer zu glauben, wie viele Jahre vergehen mussten, bevor ein Fall von Machtmissbrauch an die Öffentlichkeit dringen konnte und die Sexualisierung der Lehre überhaupt erwähnt wurde.
Nun wollen uns einige Kommentatoren weismachen, die Causa Ronell sei ein neues Beispiel für die Unterdrückung einer linken Feministin durch die konservativen weißen Männer. Diese politische Polarisierung ist plump, die Absicht durchsichtig. Es herrscht Krieg, und die Reihen werden geschlossen.
»Links«? – Avital Ronells Überväter sind Heidegger und, häufiger zitiert und paraphrasiert, Jacques Derrida und Jacques Lacan. Wer würde sie als linke Theoretiker bezeichnen? Wenn Professor Ronell eine politische Agenda haben sollte, dann lautet die: Liquidierung von ’68.
In der Zeit und der Süddeutschen Zeitung wurde die Professorin zu einer »Lichtgestalt« der feministischen Wissenschaft verklärt. Ich musste zweimal lesen, bevor ich meinen Augen glaubte. Wer einen Beitrag zum Feminismus in ihren Arbeiten sucht, wird nicht leicht fündig.
Und »Licht«? Wenn nicht pure Ignoranz dieses Wort eingegeben hat, dann ist es der realitätsverleugnende Kampfgeist der Ideologie. Wenn mit »Licht« auf das Licht der Aufklärung angespielt werden soll, zeigt sich auch hier die Verkehrung der Verhältnisse. Der Gegenaufklärung dürften wenige Bücher der vergangenen Jahre so intensiv gedient haben wie die von Avital Ronell. Dem Missverständnis dient die Heuchelei. Sie gibt sich gern diabolisch und liebt Schwarz — aber nur im Schutz des Seminars. Sobald die Gruppe der Zuschauer sich erweitert, steht ihr stets eine andere Rolle zur Verfügung: die der verletzlichen und schutzbedürftigen Frau.
Die Qualität ihrer Publikationen wird als Argument angeführt, um sie von dem Vorwurf zu entlasten. Kann ein brillantes Buch ein Argument gegen den Vorwurf des Machtmissbrauchs oder der sexuellen Belästigung liefern?
Nicht jeder stimmt dem Urteil zu, Avital Ronells Bücher hätten wichtige Beiträge zur Theoriedebatte geliefert. Nicht jeder, der ihre Auslassungen über Heidegger im Telefonat mit der SA in Berlin oder über Flaubert und Crack Wars für intellektuelle Scharlatanerie hält, gehört
1 „Aus meinen persönlichen Begegnungen mit Ihnen und aus der Beobach-tung Ihrer Persönlichkeit in verschiedenen Situationen gewinne ich den Eindruck, dass Sie an einer wohlbekannten psychischen Störung leiden, die man gemeinhin als malignen Narzissmus im Rahmen eines Borderline-Syndroms bezeichnet […]
Ihr Verhalten zeigt eindeutig die in klinischen Untersuchungen nachgewiesenen Fälle sadistischer Objektbeziehungen. Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum Ihre Kritik an Studenten so oft als destruktiv und desillusionierend empfunden wird: Offensichtlich scheinen Sie nicht in der Lage zu sein, Ihren Sadismus zu kontrollieren. Ist Ihnen nicht klar, dass Ihre in anderem Zusammenhang vorgetragene Metapher, in der Sie sich als eine Art Bonsai-Meister der Prokrustes-Anpassung bezeichnen, der seine Studenten beschneidet und bindet, höchstwahrscheinlich auf eine destruktiv-sadistische Phantasie hinweist, die noch durch eine egozentrische Selbstzufriedenheit verstärkt wird? Diese Störung, sollte sie so vorhanden sein, würde auch erklären, warum Sie mir manchmal etwas desolat in Ihrem Erscheinungsbild vorgekommen sind. Diese meine Anmerkungen sollten Sie als einen hilfreichen Hinweis verstehen. Ich kann nur hoffen, dass Sie sich um eine angemessene professionelle Klärung und Lösung Ihrer Probleme bemühen. Seien Sie versichert, dass ich dies aus Sorge um Sie schreibe, und ich hoffe sehr, dass Sie diese ernst nehmen.«
zur Gruppe der frauenfeindlichen alten Männer, die nach einer Hexenjagd auf emanzipierte Frauen dürsten.
Wie konnte diese Polarisierung entstehen? Ich erinnere mich an ein Gespräch nach einem Vortrag. Unter vier Augen und mit dem Weinglas in der Hand waren wir uns schnell einig: verworren und streckenweise unverständlich. Als eine dritte Person hinzukam, änderte sich das Gespräch, und hohes Lob erklang. Das Beziehungsnetz wirkt zuverlässig.
Es übersetzt Unverständlichkeit in Pseudo-Tiefsinn. Die Absicht der folgenden inkonsistenten Sätze war Avital Ronells Versuch, die inkonsistente Struktur des Crack Wars-Buches zu klären.
Ihre Absicht sei es nicht, eine »complicity with the metaphysics of continuity« zu zeigen, sondern »to move with a disruptive flow chracteristic of the types of experience which we can still have which are discontinuous, rhythmed according to different moments and impulses, urges. I was trying to play precisely with the question of speeding and slowing down, and the relation of artificial injections to the way we can think about temporality. So the book is an different types of drugs, too: there’s the more psychedelic moments, there’s the narcotized moments where it slows down into a heroin experience, and there’s the speed freak moments. Different articulations.
There’s different angles and approaches (or reproaches) to the problem. Since it’s also trying to argue for the relationship of drugs to technology, I do try to sequence it according to this discontinuous flow, in the sense that the electronic media >makes sense< only by discontinuous flows. So it would be an instance of non-technological resistance to try to produce an uninterrupted linear argumentation.«2 (1994, Interview mit Alexander Laurence)
Verkrampfte Suche nach Originalität überzeugt aber nicht jeden Leser. Begriffe wie Ontik, Identität, Dasein, a priori, Totalität sind großzügig über die Seiten ihrer Bücher verteilt und erwecken den Eindruck philosophischer Tiefe. In dieser Umgebung klingen Banalitäten wie »As for Hölderlin, he did not watch television« oder sinnlose Sätze wie »A woman’s voice is perfectly suited to perform a phallic penetration«.3 (The Telephone Book, S. 200 f.) bedeutungsvoll.
»So möchte ich schreiben können!» – seufzte ein Student, dem sie den Sprung von Bielefeld nach New York ermöglicht hatte. Er war nicht der einzige, der an die Tiefgründigkeit der raunenden Unverständlichkeit glaubte. Die Frage, ob diese Schreibe eine Bedeutung habe, die über den suggestiven Reiz des Unverständlichen oder über spielerische Assoziationen hinausgeht, wird selten gestellt. Das Urteil steht fest, die Bewunderung ist programmiert. Die Pflege der Kommunikationsnetze dafür unentbehrlich. Auf einem der letzten Fakultätsempfänge, die ich in dem Jahr besuchte, als ich das Handtuch warf, sagte einer der inzwischen zahlreichen Dekane, Vice-Dekane und Sub-Dekane: »But her research!« — nachdem er hinter vorgehaltener Hand die Unzulänglichkeitihrer Verwaltungstätigkeit eingeräumt hatte.
Wer die Kunst beherrscht, das Urteil der Dekane und der Peers zu lenken, hat das Spiel gewonnen. Ich musste mir eingestehen, selbst einmal unwillentlich zu diesem Spiel beigetragen zu haben. Als ich bei einer ähnlichen Gelegenheit die Bemerkung machte, ich hätte als Chair Departments gravierende Fehlentscheidungen getroffen, erfasste Avital, die in der Nähe stand, blitzschnell den Hintersinn des Satzes und sagte: »Das kann nur ich gewesen sein.» An Geistesgegenwart und intellektueller Schärfe, dem, was im 18. Jahrhundert als »Witz« bezeichnet wurde, hat hat es ihr nie gefehlt.
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Die Unterstützer warnen vor einem Verlust, sollte es Sanktionen gegen Professor Ronell geben. Was könnte verlorengehen? In einem offenen Brief im Internet benennt Slavoj Zizek einen Verlust, den er sehr beklagen würde und zwar Sprache und Ton, die er im Umgang mit ihr kennengelernt habe: bissig, scharf, ironisch, höhnisch, hämisch.
Diese Sprache, bedauern die Unterstützer, werde von Studenten leider missverstanden. Diese Selbstgerechtigkeit ist ein Skandal. Für wen ist die Lehre da? Für die Unterhaltung und Selbstbestätigung der Lehrenden? Ihr Student hatte vor über zehn Jahren dieselbe Beobachtung gemacht und bot im Brief eine Erklärung an. Studenten empfänden diese Sprache als destruktiv und verletzend. Aber Professor Ronell sei offensichtlich unfähig, den in ihr wirkenden Sadismus zu bemerken. Wenn sie diese Sprahe als das Äquivalent zum Tun eines Bonsai-Masters begreife, der mit Beschneiden und Einengen arbeite, werde die destruktive und sadistische Phantasie durch den selbstgerechten Genuss, den sie offensichtlich beim Beschneiden empfinde, noch verstärkt.
Kann es etwas anderes als falsch verstandene Solidarität sein, die nun als Ferndiagnose oder, im Fall von Ziziek, nach 14 Tagen Gasttätigkeit an der NYU, einen verständnisvollen und fürsorglichen Umgang mit Studenten erkennt? Wer sich am Ausstellen eines Persilscheins beteiligt, handelt entweder aus Unwissenheit oder will einen Beitrag zum unerklärten Krieg leisten. Die Wahrheit ist, wie in jedem Krieg, das erste Opfer, und der Sache der Frauen wird ein Bärendienst erwiesen. Die Kritik der universitären Verhältnisse, die einen solchen Fall ermöglichen, wird durch das Schließen der Reihen verhindert. Das schafft die beste Voraussetzung dafür, dass diese Verhältnisse bestehen bleiben.
2 Ihre Absicht sei es nicht, einer »Metaphysik der Kontinuität die Hand zu reichen, sondern »sich einer disruptiven Bewegung zu überlassen, die wir typischerweise bei jenen Arten von Erfahrungen haben, die, diskontinuierlich und triebgesteuert, in verschiedenen Momenten und Impulsen rhythmisiert sind. Ich habe versucht, das Problem der Beschleunigung und Dehnung von Zeit sowie das Verhältnis von künstlichen Zugaben und der Art und Weise, wie Zeitlichkeit gedacht werden kann, spielerisch zu beschreiben. Somit tauchen im Buch auch verschiedene Arten von Drogen auf: Einmal die eher psychedelischen Momente, zum anderen die narkotisierenden Momente, in denen es wie beim Heroin zur Verlangsamung kommt, schließlich die Momente der Speed-Freaks. Verschiedene Momente – verschiedene Artikulationsweisen. Es gibt für das Problem verschiedene Blickwinkel und Herangehensweisen (oder auch Rückzugsweisen). Da das Buch auch versucht, das Verhältnis von Drogen und Technologie zu thematisieren, versuche ich es nach Maßgabe dieser diskontinuierlichen Bewegung zu sequenzieren, in dem Sinne, dass die elektronischen Medien nur in diskontinuierliche Bewegungen Sinn ergeben,. Eine ungebrochene lineare Argumentationsweise wäre demnach ein Fall von nichttechnologischem Widerstand.«
3 »Was Hölderlin betrifft, so hat er nie ferngesehen« oder sinnlose Sätze wie
»Die Frauenstimme eignet sich perfekt für die phallische Penetration.«
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