Gezielte Massaker an Kurden in Syrien?
von Thomas von der Osten-Sacken
Ausgerechnet der russische Außenminister entwickelte in den letzten Tagen große Sympathien für die Kurden in Syrien:
Russlands Außenminister Sergei Lawrow fordert den UN-Sicherheitsrat auf, die berichteten Morde an Kurden zu verurteilen, die in Syrien durch radikale Kräfte begangen worden sein sollen, die für einen islamischen Staat kämpfen. Lawrow nahm Bezug auf Medienberichte, laut denen 450 kurdische Zivilisten von Rebellen der Al-Nusra-Front massakriert wurden, einschließlich mehr als 120 Kindern.
Schützenhilfe erhielt er dabei von der deutschen Gesellschaft für bedrohte Völker, die gleich die Bundesregierung aufrief, alle Unterstützung für die syrische Opposition einzustellen:
Dringend hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Bundesregierung am Montag dazu aufgefordert, die islamistische syrische Opposition nicht zu unterstützen. (…) Angriffe der Islamisten haben unter Kurden und anderen Minderheiten bereits viele Opfer gefordert. So stürmten am 31. Juli der syrische Al-Kaida-Zweig al Nusra-Front und andere islamistische Brigaden der so genannten freien syrischen Armee die beiden kurdischen Siedlungen Til Hasil und Til Aran etwa 30 Kilometer südöstlich von Aleppo. Bei dem Angriff sollen nach Angaben eines kurdischen Politikers aus der Region die Islamisten mindestens 70 Kurden, vor allem Frauen und Kinder, erschossen haben. Mindestens 700 Kurden sollen verschleppt worden sein oder gelten als vermisst, Tausende Menschen sind geflohen. Häuser der Kurden seien geplündert und das Vieh geraubt worden. Die beiden Orte liegen außerhalb des von Kurden kontrollierten Gebiets in Syrien.
In einer Pressemitteilung vom heutigen Tag bezweifelt das Europäische Zentrum für kurdische Studien, das über exzellente Kontakte in die Region verfügt, die Meldungen:
»Lawrow übernimmt hier die Propaganda der Partei der Demokratischen Union (PYD), des syrischkurdischen Ablegers der PKK. Die PYD behauptet seit Wochen, dass islamistische Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) gezielt kurdische Zivilisten angreifen. Unsere Informanten vor Ort bestätigen solche Angriffe nicht«.
Zwar finden Kämpfe zwischen der Miliz der PYD, den sogenannten Volksverteidigungseinheiten (YPG), und diversen islamistischen Einheiten statt, bei denen auch Zivilisten ums Leben kommen. Die Auseinandersetzungen werden aber in vielen Fällen von der YPG provoziert, nicht umgekehrt. Dies berichten unabhängige Aktivisten aus den Kampfgebieten bei al Qahtaniya (Tirbesipî), ?Ain al ?Arab (Kobanî) und Ra?s al ?Ain (Serê Kaniyê), die auch die hohe Zahl der (zivilen) Todesopfer nicht bestätigen, sondern für übertrieben halten.
Die PYD, so argumentiert das Zentrum, arbeite noch immer mit dem Regime Assads zusammen:
»Erst heute berichtete uns ein Aktivist aus ?Ain al ?Arab, dass die PYD mit ihrer Miliz dort Landeplätze schützt, die von syrischen Helikoptern genutzt werden. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele der Kooperation zwischen Regime und PYD. Angesichts dieser Zusammenarbeit können die Freie Syrische Armee und ihre islamistischen Unterstützer gar nicht anders, als die PYD und ihre Miliz als Gegner wahrzunehmen. Die islamistischen Gruppierungen, die mit der FSA gegen das Regime und teilweise gegen Einheiten der PYD kämpfen, sind brutale Schlächter, aber sie haben es nicht speziell auf die kurdische Bevölkerung abgesehen. Vielmehr läge es in ihrem Interesse, derzeit keine zweite Front aufzubauen, die sie in ihrem Kampf gegen das Regime schwächt.«
Zweifelsohne sind der Nusra Front und dem Islamischen Staat in Syrien und dem Irak, zwei der führenden jihadistischen Organisationen in Syrien, so ungefähr alle Schandtaten zuzutrauen, die vorstellbar sind. Zugelich aber, und das ist eine der vielen Tragödien in Syrien, hilft jeder Übergriff an Minderheiten, ob Kurden, Christen oder Drusen der Propagandamaschine des Regimes. Islamisten, die Kurden massakrieren. Besser könnte es gar nicht kommen, bald wird sich das Assad Regime dann nicht mehr nur als Beschützer der christlichen Minderheiten präsentieren, sondern auch noch sein Herz für die Kurden entdecken.
Die Islamisten helfen dem syrischen Regime, ob sie es wollen oder nicht. Ihren heiligen Krieg im Irak konnten sie nur führen, weil Damaskus sie damals tätig unterstützte. Da noch galt die irakische Regierung als Büttel des US-Imperialismus. Jihadisten wurde großzügig geholfen, auch aus der antiimperialistischen Szene in Deutschland, die damals “10 Euro für den Widerstand” sammelte. Während heute die irakische Regierung unter Nuri al-Maliki zu den Guten zählt, steht sie doch zusammen mit Hizbollah und den Iranern an der Seite Assads, sind die Jihadisten plötzlich die Helfershelfer der bösen Amis geworden. So schnell geht das.
Die PKK, das ist bekannt, hält sich alle Optionen offen, hat keineswegs mit dem Assad Regime gebrochen und kann sich nun noch als große Vorkämpferin gegen die Islamisten gerieren, während sie sukzessive die Kontrolle in den kurdischen Gebieten Syriens übernimmt.
Bleibt noch abzuwarten, bis sich Iran und die Hizbollah die Massaker an kurdischen Zivilisten in scharfen Tönen verurteilen.