„GENDER UND DIE ANDEREN ICHS“ / NEUE LEITLINIE BILDUNGSPLAN BADEN-WÜRTTEMBERG
„Das postmoderne, atomisierte Individuum trifft auf andere ICHS, die es akzeptieren soll (sic !).“
Leitlinie für alle Lehrer im neuesten Bildungsplan von Ba-Wü – „so soll unterrichtet werden, so sollen es die Schüler als atomisierte Individuuen begreifen, wenn sie den anderen ICHS begegnen.
Wie gut nur, daß die Verfasserin null Ahnung hat von den diesbezüglichen theoretischen Positionen der sogenannten „Kulturwissenschaften“ oder „Diskurstheorien“. So kann wenigstens jeder darunter verstehen, was er oder sie will. Beliebiges.
Im Übrigen aber bedeutet dieser Leitsatz neuester deutscher Pädagogik blühenden Blödsinn: ein atomisiert gespaltenes, vollends aufgelöst-fluides Individuum trifft auf festgefügte ICHs, die es – wie es anweisungsmäßig lautet: „akzeptieren soll“. Gemeint – in der obigen Theorie – ist aber nicht simpel der Neuankömmling an nächster Ecke, bei dessen Erscheinung ich nun routiniert sofort den Hut ziehe, sondern eben genau die Fragmentierung aller ICHs oder ICHe, die es früher einmal gab, transformiert in sogenannte „traits“, als eine Vielzahl durchaus unzusammenhängender Merkmale oder Eigenarten.
Also nicht inter – sondern intrapersonal. Erfasst praktischerweise zeitgemäß von Logarithmen, die das unvermittelte, zusammenhanglos Aufgelöste, eben vollständig atomisierte einer Existenz X dann doch auf ihre Art überlegen zu dirigieren verstehen. Jenseits alles dessen, was einmal unter ES – Ich – Über-Ich verstanden wurde.
Rimbaud, der gern von den Derridaisten als Kronzeuge benutzt wird, hat seinen berühmten Satz „Ich ist ein anderer“ allerdings gerade gegen die Diskurstheoretiker formuliert, indem er auf ein apartes sublimiertes ICH in einer artifizialisierten Kunst und Literatur abhob.
Daher auch dieser seiner Sätze: “Es ist falsch, zu sagen: Ich denke. Es müsste heißen: Man denkt mich.” – Brief an Georges Izambard, 13. Mai 1871 – (Original franz.: “C’est faux de dire: Je pense. On devrait dire: On me pense.”)
In der Romantik hieß es: “Es träumte mich”, in der Klassik dann “Ich träumte”, heute heißt es “Man denkt mich “. So recht hat Rimbaud – dies treue Kind.