Erziehungsratgeber der Amadeu Antonio Stiftung – „Die Stiftung wollte mich mundtot machen“

MESOPOTAMIA NEWS : AMADEU ANTONIO STIFTUNGSLEITERIN – DIE EHEMALIGE STASI-MITARBEITERIN ANNETTA KAHANE

VON ANTJE HILDEBRANDT am 16. April 2019  – Falko Liecke (CDU), Jugendstadtrat von Berlin-Neukölln, darf weiterhin vor dem Erziehungsratgeber „Ene, mene, muh – und raus bist Du” warnen. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden. Der Herausgeber – die Amadeu Antonio Stiftung – spricht weiter von gezielter Diffamierung.  Bitte recht(s) freundlich: Familienministerin Franziska Giffey bringt das Verwaltungsgerichtsurteil über den Erziehungsratgeber in Erklärungsnot /

Er sagt, er habe die Korken knallen lassen, als er die Nachricht erfuhr. Falko Liecke (CDU), Jugendstadtrat von Berlin-Neukölln, darf auf der Homepage seines Bezirks weiterhin von der Nutzung eines Ratgebers der Amadeu Antonio Stiftung  („Ene, mene, muh – und raus bist Du“) abraten, der Erzieherinnen und Erziehern Strategien im Umgang mit Kindern aus  konservativen Elternhäusern gibt. Das hat jetzt das Verwaltungsgericht Berlin entschieden.

Dem Urteil war ein bizarrer Streit zwischen dem CDU-Politiker und der steuerfinanzierten Stiftung vorausgegangen. Diese hatte Liecke, der zugleich auch stellvertretender Bezirksbürgermeister von Neukölln ist, im Januar eine Unterlassungsaufforderung geschickt. Wenn er die Warnung vor der umstrittenen Broschüre nicht von der Homepage des Bezirksamts lösche, drohe ihm ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. Was die Sache besonders pikant machte: Das Bundesfamilienministerium hatte den Druck der Broschüre mit 4.600 Euro mitfinanziert. Das Vorwort hatte Familienministerin Franziska Giffey (SPD) geschrieben – und die Herausgeber der Broschüre gegen jede Kritik in Schutz genommen. „Kinder schnappen rassistische Bemerkungen oder antisemitische Einstellungen auf und geben sie weiter. Oder Eltern kommen damit auf die Erzieherinnen und Erzieher zu. Was tun? Wie reagieren, wie vorbeugen?“ Giffey war vor ihrem Wechsel in die Bundesregierung Bezirksbürgermeisterin von Neukölln.

„Das Mädchen trägt Kleider und Zöpfe“

Im Streit mit der Amadeo-Antonio-Stiftung hatte sich Liecke auf die Meinungsfreiheit berufen. Es sei nicht Aufgabe des Kita-Personals, die politische Gesinnung der Eltern zu prüfen. Die Herausgeber der 58-seitigen Broschüre wollten Vorurteile bekämpfen, vermittelten sie aber selbst, kritisierte er in Anspielung auf eine Passage aus der Broschüre,  die besonders bei der CDU und in der AfD für Empörung gesorgt hatte. Darin hieß es, Kinder rechtsextremer Eltern erkenne man daran, dass sie schon in jungen Jahren traditionelle Geschlechterrollen übernommen hätten. „Das Mädchen trägt Kleider und Zöpfe, es wird zu Hause zu Haus- und Handarbeiten angeleitet, der Junge wird stark körperlich gefordert und gedrillt. Beide kommen häufig am Morgen in die Einrichtung, nachdem sie bereits einen 1,5-km-Lauf absolviert haben.“ Völkische Klischees aus der Mottenkiste.

Das Gericht kam jetzt zu dem Schluss, dass die Amadeo Antonio Stiftung nicht glaubhaft dargelegt hätte, warum der Jugendstadtrat rechtswidrig gehandelt haben soll. Liecke habe sich mit seiner Äußerung sehr wohl „im Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs bewegt“ und „das Sachlichkeitsgebot gewahrt.“ Der Angeklagte registrierte das Urteil mit Genugtuung. „Die Stiftung wollte mich mundtot machen“, sagte er dem Cicero. Als oberster Dienstherr der Erzieherinnen und Erzieher trage er die Verantwortung für die pädagogischen Richtlinien in den 200 Kitas in seinem Bezirk. Und diese Broschüre sei ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre der Familien. In Neukölln gäbe es im übrigen mehr Probleme mit religiösem Extremismus, „wenn Kinder beispielweise zum Tragen des Kopftuches genötigt oder Zwangsehen schon im Kindesalter arrangiert werden.“ Verbieten werde er den Erziehern in Neukölln den Gebrauch der Broschüre nicht. Es hat aber auch noch keiner danach gefragt.“ Der Bundesfamilienministerin riet Liecke nach dem Urteil, künftig genauer hinzuschauen, was für Broschüren ihr Ministerium mit Steuergeldern fördere – auch solche, die Linksterrorismus oder Islamismus betreffen.

Opfer einer Diffamierungskampagne?

Und die Amadeu Antonio Stiftung? Ihr Geschäftsführer, Timo Reinfrank, hält an der Kritik der Kritik des Neuköllner Jugendstadrates fest. Er sieht die Stiftung als Opfer einer Diffamierungskampagne, der sich auch Liecke angeschlossen habe. Aus der über sechzigseitigen Publikation griff die Pressemitteilung zwei Fallbeispiele auf, die zuvor durch gezielte Auslassung, falsche Zitierung und offenbar bewussten Missinterpretation von rechtspopulistischen Medien in der Öffentlichkeit skandalisiert worden waren.“

In einer Pressemitteilung schreibt Reinfrank, er bedauere, dass das Wohl der Kinder und die realen Bedarfe der Kitas in der öffentlichen Debatte bisher in den Hintergrund gerückt sind.“ Nach einer Studie des Deutschen Kinderhilfswerks habe die Mehrheit der befragten Kita-Leiter Erfahrungen mit Rechtspopulismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gemacht.” Es sei gesetzlicher Auftrag der Kitas, sich auch mit Lebensverhältnissen von Familien auseinanderzusetzen. Und diesem Auftrag habe die Stiftung mit dem Ratgeber Rechnung getragen. Mit Blick auf Falko Liecke und die anderen Kritiker der Broschüre sagte Reinfrank, die Debatte um Rechtspopulismus müsse nun endlich sachlich geführt werden.