ERSTER DEUTSCHER SPIELFILM ÜBER DIE VERFOLGUNG DER KURDEN & UNTERDRÜCKUNG DURCH DIE TÜRKEI
MESOP MIDEAST WATCH: „Stille Post“ – Dieser Spielfilm fragt, ob man Nachrichtenbilder für den Kampf gegen Unrecht manipulieren darf
Eigentlich handelt der Spielfilm „Stille Post“ von der Unterdrückung der kurdischen Minderheit durch das türkische Militär. Doch weil es schwer fällt, dafür zu mobilisieren, überschreitet eine Fernsehredakteurin Grenzen. Was die Frage aufwirft: Wie weit darf man gehen, um Unrecht zu bekämpfen?
Khalil und Leyla sind ein modernes Paar im Berlin von heute, double income, no kids, zumindest bisher. Er ist Grundschullehrer, sie Journalistin bei einem Fernsehsender. Khalil (Hadi Khanjanpour) besucht Leyla (Kristin Suckow) und den Sender mit einer seiner Klassen. Bevor es losgeht, ermahnt er die Kinder auf – man könnte fast sagen – gute deutsche Art: „Was ich von euch will, ist, dass ihr Fragen stellt, wenn ihr irgendwas nicht versteht, okay? Und vor allem will ich, dass ihr euch benehmt!“
Verwackelte Filme aus Kurdistan
Florian Hoffmann hat bei „Stille Post“ Regie geführt.
Aber alles ändert sich für das Paar, als Leyla ein paar Videos aus einer vom Militär belagerten Stadt im türkischen Teil Kurdistans zugespielt bekommt. Auch Khalil sieht die verwackelten Filme. Und „Stille Post“ zeigt uns per Nahaufnahme, wie sich die Bilder von Schießereien, fliehenden Menschen und zerstörten Wohngebäuden auf seinen Pupillen spiegeln. Er wird erneut politisiert, sein Bewusstsein für die alte Heimat seiner Familie erwacht. Er gewinnt sogar den Eindruck, dass seine totgeglaubte Schwester hinter den Videos stecken könnte. Neu entflammt dafür, etwas gegen das Unrecht gegen die Kurden zu unternehmen, beschwört er Leyla, die Filme auf ihrem Sender zu zeigen und auf den Konflikt hinzuweisen. Aber Leyla kann das nicht allein entscheiden. Sie muss sich zunächst mal in der Chefredaktion dafür stark machen. Sie argumentiert: „Die Bürger sind ohne Strom, ohne Wasser. Alle Handy- und Internetverbindungen gekappt, damit wir davon nichts sehen. Außerdem gibt es deutliche Beweise für Artillerie- und Panzerbeschuss…“ Leyla wird unterbrochen: „Das kommt direkt von den Kurden, oder? So lange unser Korrespondent nicht reingelassen wird, um das selbst zu überprüfen, wäre es tendenziös, diese Bilder zu veröffentlichen!“
Die Grenzen zwischen Journalismus und Aktivismus
Es geht in „Stille Post“ also auch darum, inwieweit man als Reporter*in journalistische Standards einhalten muss, wenn man selbst aktiv wird und – in Leylas Fall – sogar persönlich involviert ist. Das ist ein Konflikt, in dem Journalist*innen immer wieder stecken. Leyla findet aber auch, dass Standards in diesem Fall obsolet sind. Denn das zugespielte Bild- und Tonmaterial hat aus ihrer Sicht das Potenzial, Aufmerksamkeit zu generieren. Also beginnt sie – gemeinsam mit Khalil – die immer wieder neu eintreffenden Videos zu manipulieren. Sie begeht vom heimischen Computer aus einen journalistischen Kardinalfehler, der sogar ihrem Mann zu weit geht. Sie sagt: „Das ist zu unspektakulär. Zieh den Ton von dem Einschlag, und dann nehmen wir noch Artillerieschüsse aus dem Archiv!“
Warum Wirklichkeit mit Interessenslage zu tun hat
Gleichzeitig erleben wir mit, wie sich Khalil einer von Berlin aus operierenden Kurden-Organisation anschließt, die versucht, mit allen Mitteln die Sache ihres Volkes und der Gerechtigkeit zu vertreten. Sowohl Leyla als auch ihr Mann überschreiten dabei Grenzen, wie man es ihnen am Anfang von „Stille Post“ nicht zugetraut hätte, als sie noch so ein ganz normales Berliner Paar waren.
Der 35-jährige Regisseur Florian Hoffman, der „Stille Post“ gedreht hat, kommt vom Dokumentarfilm. Dies ist sein erster Spielfilm. Er überlässt es den Zuschauern, zu entscheiden, wie weit man für seine Überzeugungen gehen sollte oder darf. Vor allem aber legt dieser Film nahe, dass man Nachrichtenbildern in Zeiten von Smartphone-Kameras und digitalen Fake-Möglichkeiten eigentlich gar nicht mehr trauen kann. Die Wirklichkeit ist oft eine – je nach Interessenlage – bearbeitete, und eben nicht immer authentisch.
„Stille Post“ von Florian Hoffmann (Deutschland 2022) mit Hadi Khanjanpou, Kristin Suckow u. a. ist ab dem 15. Dezember im Kino zu sehen. 95 Minuten, deutsch-türkisch-kurdische Originalfassung. Den Trailer gibt es hier.