EIN PASS FÜR ALLE IN ALLER WELT – ODER KEIN PASS : ABER KEIN ZWEITPASS FÜR EINIGE

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Der Abschied von uns selbst

Die doppelte Staatsangehörigkeit ist für die Immigranten das Angebot, sich nicht entscheiden zu müssen. Deutschland definiert den Souverän um.Staatsangehörigkeitsrecht ist in der Demokratie Recht besonderen Ranges. Es definiert den Souverän. Wie immer man die Frage, wer denn das Recht habe, den Souverän zu definieren oder umzudefinieren, beantwortet — knappe Mehrheiten jedenfalls sollten es nicht sein.Wir sind gerade dabei, den Souverän umzudefinieren. Einer großen eingewanderten Minderheit soll das vererbliche Recht verliehen werden, Deutsche zu werden und zugleich ihre Herkunftsstaatsangehörigkeit beizubehalten. Zwar wird es an einer stattlichen parlamentarischen Mehrheit für die geplante Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts wohl nicht fehlen. Aber jedermann weiß, daß es wesentlich parteipolitische und koalitionstaktische Kalküle sind, denen sich diese Mehrheit verdankt.

Man modernisiere das Staatsangehörigkeitsrecht, heißt es. Wer „modern” sagt, meint in der Regel, das Wort allein sei schon ein unwiderlegliches Argument. Und ist denn nicht die Öffnung des Staatsangehörigkeitsrechtes hin zu Mehrfach-Staatsangehörigkeiten tatsächlich die dem globalen 21. Jahrhundert einzig gemäße Ausgestaltung dieses Rechtsinstituts? Die Antwort lautet: Vielleicht — wenn der Paß nur noch ein Berechtigungsschein ist, wie eine Gewerbeerlaubnis oder ein Rentenbescheid. Staatsbürgerschaft, ernst genommen, bedeutet aber nicht nur, Rechte gegen das Land und in dem Land zu haben, dessen Bürger man ist. Es bedeutet im Kern, Mitverantwortung für dieses Land zu übernehmen. Das Recht, in einem Gemeinwesen über öffentliche Angelegenheiten mitzubestimmen, das unbedingte Heimatrecht, dass das Gemeinwesen seinen Bürgern gewährt; die Schutzzusage, die es ihnen macht, können vernünftigerweise nicht ohne ein korrespondierendes Bewußtsein des Bürgers von eben dieser Mitverantwortlichkeit für das Geschick des Landes gedacht werden. Und dieses Bewußtsein setzt wiederum voraus, daß der Bürger sich dem Gemeinwesen zugehörig weiß; daß er in ihm „sein Land” sieht.

Daß sei ein altmodisches republikanisches Bürgerideal, das mit der Wirklichkeit der modernen Demokratie nichts mehr zu tun habe, mag man einwenden. Der Einwand trifft den Punkt nicht, auf den es ankommt. Natürlich sind die Staatsbürger moderner Demokratien in aller Regel keine republikanischen Musterbürger, die nur auf das Gemeinwohl bedacht sind. Aber wenn sie Bürger eines und nur eines Landes sind und in diesem Land leben,  wissen sie, ohne dass es ihnen bewusst sein müsste, daß ihr eigenes Leben um das Geschick ihres Landes unauflöslich miteinander verknüpft sind. Auch wem Demokratien nicht wirksam einfordern können, daß ihre Bürger ihre staatsbürgerlichen Rechte im republikanischen Geist verstehen, sollten sie doch wissen: Wenn sie dieses Ideal durch Gleichgültigkeit auf kündigen, es gar demonstrativ negieren, beschädigen sie sich selbst im Kern. Denn sie sind auf ein solches Leitbild elementar angewiesen.

Aber kündigt denn die Mehrfach-Staatsangehörigkeit die republikanische Idee der Staatsbürgerschaft wirklich auf? In der Tendenz durchaus. Eine zweite Staatsangehörigkeit dient in der Regel allein praktischen Interessen. Dass man sich zwei Ländern als Bürger verbunden fühlt, mit dem vollen Bewußtsein der Zugehörigkeit und der Mitverantwortlichkeit, ist eher unwahrscheinlich. Schon die äußeren Umstände stehen dem in der Regel entgegen. Das bedeutet freilich nicht, dass neben dem prinzipiellen Argument kein Raum für pragmatische Überlegungen bliebe; Raum auch für die Anerkennung vernünftiger praktischer Gründe für die doppelte Staatsangehörigkeit im Einzelfall. Aber die sind bei der Entscheidung, die hierzulande ansteht, gerade nicht gegeben. Die pragmatischen Argumente weisen vielmehr in die gleiche Richtung wie die prinzipiellen. Es geht der Sache nach um die Einbürgerung der Türken, einer aus einem nichteuropäischen Kulturraum eingewanderten Volksgruppe in Millionenzahl also, die durch eine starke Neigung gekennzeichnet ist, in ihrem Herkunftsmilieu zu verharren: ja ihr Herkunftsmilieu immer wieder familiär zu erneuern, einer Volksgruppe zudem, deren Herkunftsland beträchtliche Anstrengungen unternimmt, seine Emigranten dauerhaft an sich zu binden und sich dabei auch ihre politische Loyalität zu bewahren.

Was bedeutet die doppelte Staatsangehörigkeit für die Integrationsbereitschaft dieser Minderheit — das ist die entscheidende Frage. Niemand kann das mit Sicherheit vorhersagen. Aber es gibt Wahrscheinlichkeiten. Die doppelte Staatsangehörigkeit ist für die Immigranten das Angebot, sich nicht entscheiden zu müssen. Wir stellen ihnen die Frage nicht, ob sie Bürger dieses Landes werden wollen. Und erwarten erst recht keine Antwort. Das aber, und hier sind wir bei den Wahrscheinlichkeiten, wird angesichts der angedeuteten Gegebenheiten wohl zur Folge haben, dass die Immigranten in ihrer überwiegenden Mehrzahl mit ihrer vererblichen doppelten Staatsangehörigkeit bleiben werden, was sie sind — Türken, ausgestattet mit den zusätzlichen Rechten der deutschen Staatsangehörigkeit. Es handelt sich um ein perfektes Szenario für die Etablierung einer dauerhaft nur halb integrierten kompakten ethnischen Minderheit, mit allen denkbaren politischen Implikationen.

Ist die Entscheidung, die den Immigranten nicht abzuverlangen die Quintessenz der Mehrfach-Staatsangehörigkeit ist, unzumutbar? Der Gedanke, man solle sie der ersten Generation, den Einwanderern selbst ersparen, hat durchaus etwas für sich. Aber paradoxerweise sollen ja gerade die die Entscheidung nicht treffen müssen, die hier geboren sind; sie nicht, ihre Kinder nicht, ihre Kindeskinder nicht und so fort. Dafür gibt es keine vernünftigen Gründe. Man kann auch sagen: Es ist eine Absurdität. Vorgebracht wird gelegentlich, der Verzicht auf die Herkunftsstaatsangehörigkeit könne mit Nachteilen im Herkunftsland verbunden sein. Wenn es so wäre, wäre doch nur bestätigt, daß das Herkunftsland Auswanderer und ihre Nachkommen in unangemessener «Weise dauerhaft an sich zu binden versucht. Dem müsste durch internationale Vereinbarungen entgegengewirkt werden, nicht dadurch, dass die Einwanderungsländer ihr eigenes Verständnis von Staatsbürgerschaft den politischen Kalkülen der Herkunftsländer anpassen.

Die Dinge so zu sehen setzt offenbar mehr Selbstbewusstsein voraus, als es Deutschland hat. Aber man hilft der türkischen Minderheit hierzulande nicht, wenn man ihr die Entscheidung darüber erspart, wie sie sich selbst verstehen will. Vielmehr sind klare Erwartungen das, was sie braucht, um hierzulande heimisch zu werden. Wir neigen, jedenfalls in unserer politischen Klasse, dazu, die Bereitschaft, uns von uns selbst zu distanzieren, für unsere höchste politische Tugend zu halten. Man darf die Entscheidung, die doppelte Staatsangehörigkeit massenhaft und dauerhaft zu ermöglichen, als einen Akt eben dieser Distanzierung Deutschlands von sich selbst verstehen. Gerade ein Einwanderungsland wird mit einer solchen Einstellung nicht gut fahren.

Professor Dr. Peter Graf Kielmansegg lehrte Politische Wissenschaften an der Universität Mannheim.