Edward Snowden Putins bester Agent / Von Peter Carstens
Häppchenweise versorgt Edward Snowden die Welt mit neuen Enthüllungen. Das nutzt vor allem den Russen und den Chinesen. Im Zuge des NSA-Skandals hat man deren Geheimdienstaktivitäten aus den Augen verloren. (…)
Für Deutschland galten jahrelang chinesische und russische Spione als Hauptbedrohung. Sie attackieren deutsche Behörden, greifen nach dem Wissen aus Firmen und Universitäten. Im Juni 2010 machte Innenminister Thomas de Maizière das zum Hauptthema der jährlichen Pressekonferenz zum Verfassungsschutzbericht. Von dreisten Cyberangriffen war die Rede, überbesetzten Botschaften, die als Agentenstützpunkte dienten, Spionen, die sich als Journalisten tarnten, dubiosen Büros staatlicher Fluglinien. Der Verfassungsschutz, so de Maizière, werde in Zukunft diese Bedrohung von Staats- und Wirtschaftsinteressen zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit machen.
Von Amerika und Großbritannien sagte er nichts. Deren Geheimapparate galten als „befreundete Dienste“. Inzwischen ist es umgekehrt: Alle Welt redet vom amerikanischen Daten-Satan, aber kein Mensch mehr von China oder Russland. Selten genug wird auch auf den amüsanten Umstand hingewiesen, das die angeblich mächtigste Geheimbehörde des Universums von einem kleinen Computerschrauber ohne Bildungsabschluss ausgeplündert wurde und vielleicht allein deswegen nicht ganz so titanisch sein kann wie behauptet. Stattdessen gilt Amerika, wie schon seit dem Vietnam-Krieg, als Hauptbedrohung der Zivilisation.
Der BND hat sich von seiner Ost-Kompetenz verabschiedet
Der deutsche Verfassungsschutz hat das registriert. Aus einem traurigen Opportunismus heraus versichert sein Präsident: Von nun werde die Kölner Behörde einen 360-Grad-Rundumblick haben. Sein Versprechen, völlig ungleiche Staaten künftig gleich zu behandeln, entspricht den Grundsätzen westlicher Nachrichtendienste. Der britische Journalist Edward Lucas nennt das „demand-driven-business“: Wenn die politischen Kunden etwas wissen wollen, wird investiert. Wenn nicht, verwendet man die Ressourcen anderweitig. Ganz anders handeln die russischen Dienste. Sie investieren Zeit und Geld in langfristige Operationen und kümmern sich dabei kaum um kurzfristige Resultate.
In dieser Logik wundert es nicht, dass der Bundesnachrichtendienst seine Ost-Kompetenz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sausen ließ und zuletzt massiv in die Bekämpfung des islamistischen Terrors investierte. Wer beim BND in den letzten Jahren zugab, Russisch zu können, galt als alter, kalter Krieger. Arabisch und Farsi waren hip. Die mutmaßliche Zahl russischer Geheimdienstler in der ehemaligen Sowjetbotschaft in Berlin hat sich unterdessen aber kaum vermindert. Weiterhin existieren auf dem weitläufigen Gelände Gebäude, deren Nutzen außer den Russen niemand kennt. Auf dem Dach der Botschaft steht ein großer Holzverschlag, in dem der Verfassungsschutz seit je Abhörtechnik vermutet: mitten im Regierungsviertel. Wenig Illusionen gibt es auch über die Interessen der vielen, vielen Mitarbeiter der chinesischen Botschaft, die in einem großen Häuserblock samt Wohnanlage am Märkischen Ufer untergebracht sind.
http://www.faz.net/aktuell/politik/edward-snowden-putins-bester-agent-12881627.html