DIE UNAUFLÖSBAREN DILEMMATA DER HISTORISCHEN FRAUENBEWEGUNG EN ROUTE CYBORG

SIEGFRIED GERLICH –  DAS FEMINISTISCHE WEIBLICHKEITSOPFER – Über den hohen Preis des Emanzipationsgelingens

„Da es »eine Mutter-Kind-Beziehung […] in jeder Gesellschaft in irgendeiner Form gegeben« hat, muß die Tyrannei der biologischen Familie« gestürzt werden, und angesichts der –„barbarischen« Schwangerschaft gilt es überhaupt eine neue Bevölkerungsbiologie  zu entwerfen und die Frauen auf „künstliche Fortpflanzung einzustimmen, bis endlich die »Mutterschaft, und mit ihr das Inzest-Tabu, verschwunden« sein wird: »Die bewußte Wahl des Geschlechts des Fötus und die Befruchtung im Reagenzglas sind […] nur eine Frage der Zeit. […] Sogar die Parthenogenese — die jungfräuliche Geburt — könnte ziemlich bald entwickelt werden.«17 – Sulamith Firestone

Die Tage, in denen noch von einer »Abtreibung der Frauenfrage« (1)  gesprochen werden konnte, sind in westlichen Ländern längst vorüber, denn die Abtreibung ist keine Frage mehr, seit ihr Bauch den Frauen gehört. Ihr Kopf hingegen gehört seither den Feministinnen, welche die weibliche Innenwelt ebenso gründlich zu kolonisieren suchten, wie es vormals miteinander verschworene Patriarchen getan haben sollen. Die Melancholie der Erfüllung aber, welche den Feminismus der zweiten Generation umfing, als die Frauen endlich »uneingeschränkt gleichberechtigt«2 waren, ist in der dritten feministischen Welle in eine Manie notorischer Unzufriedenheit umgeschlagen, die je nachdem puritanisch-mimosenhaft oder auch exhibitionistisch-schlampenhaft zutage tritt. Von wahrlich gewichtigerer Art waren die Empörungsgründe, die eine Bewegung der Frauen überhaupt erst ins Leben gerufen hatten.

Will man die vielfältigen Programme dieser ersten Frauenbewegung auf einen einvernehmlichen Punkt bringen, so wird man den Kampf um politische und wirtschaftliche Gleichberechtigung nennen müssen, der im Bewußtsein der moralischen und kulturellen Gleichwertigkeit der Geschlechter geführt wurde. In der Frage ihrer natürlichen Gleichheit oder Ungleichheit blieb indessen ein erheblicher Spielraum für unterschiedliche anthropologische Grundauffassungen erhalten, und bereits die Pioniere der historischen Frauenbewegung aus der Zeit der Französischen Revolution hatten hierauf abweichende Antworten gegeben: War die französische »Femme galante« Olympe de Gouges für eine rein formale Geschlechtergleichheit aufs Schafott gegangen, so stand der englischen Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft dagegen eine substantiellere Geschlechtergerechtigkeit vor Augen.

 

Ihr zufolge sollte die formalrechtliche Gleichstellung der Frauen nicht auf ihre habituelle Angleichung an die Eigenart der Männer hinauslaufen, sondern lediglich die Voraussetzungen dafür schaffen, das ihnen Eigene besser zur gesellschaftlichen Geltung zu bringen: »Die Frauen werden nie die ihrem Geschlecht eigentümlichen Pflichten erfüllen, solange sie nicht aufgeklärte Bürger sind, solange sie nicht frei sind, ihren Unterhalt selbständig zu verdienen.«3

 

In dieser klaren Antwort auf die Frauenfrage lauerte indessen eine unausgelotete, erst später hervortretende Ambivalenz, für welche Marie Stritt als Vorsitzende des Bundes der Frauenverbände auf der 1904 in Berlin abgehaltenen Weltfrauenkonferenz eine dialektische Auflösung präsentierte: »Nicht um dem Manne gleich zu werden, sondern um mehr und ganz sie selbst sein zu können, fordert die Frau das Recht der freien Selbstbestimmung auch für sich […), weil wir andersartig, der menschlichen Kultur, der Welt da draußen als Frauen ganz andere, neue, höchste Werte zu geben haben.«4

Die österreichische Frauenrechtlerin Rosa Mayreder jedoch mißtraute solcher versöhnlerischen Dialektik, die womöglich über ein unauflösliches Dilemma betrog: »Wenn die Frau nur kraft ihrer absoluten Verschiedenheit vom Manne neue Richtungslinien für ihre Lebensstellung des weiblichen Geschlechtes zu finden vermag, aber gerade (dadurch) in ein anderes Lebensgebiet als das männliche verwiesen wird, wie kann sie sich dann in der politischen Welt des Mannes den genügenden Einfluß schaffen?«5

In der neueren feministischen Debatte hat sich für diese »Schwierigkeit, für die Gleichheit mit dem Mann zu streiten und doch nicht Mann sein zu wollen«,6 denn auch der Topos »Wollstonecraft-Dilemma« durchgesetzt.

 

Und daß sich dieses nach der egalitaristischen wie nach der differentialistischen Seite auflösen ließ, demonstrierte sowohl die kulturelle Entzweiung der Frauenbewegung an eine assimilatorisch-progressive und eine identitär-konservative Fraktion als auch ihre, jene transversal überlagernde, politische Entzweiung in ein reformistisches und ein revolutionäres Lager. Clara Zetkin sah diese politische Lagerbildung darin begründet, daß die kommunistischen Frauen »Schulter an Schulter« mit ihren männlichen Genossen gegen den Kapitalismus aufmarschierten, während die bürgerlichen Frauen »gegen die Männer ihrer eigenen Klasse« aufstanden. Zetkins bürgerliche Gegenspielerin Helene Lange freilich verstand ihren Kampf »für die Frauen« durchaus nicht als männerfeindlich, und Langes Mitstreiterin Gertrud Bäumer wiederum kämpfte auch an der nationalen Front gegen den »naturfremden und die Natur mißachtenden Rationalismus der modernen, kapitalistischen Welt«.7

 

Diese dilemmatischen Spaltungen der ersten Frauenbewegung sollten sich in der zweiten Generation mit charakteristischen Akzentverschiebungen wiederholen, die nicht zuletzt in der semantischen Ausdifferenzierung der ursprünglich gleichbedeutenden Begriffe »Frauen-bewegung« und »Feminismus« zutage traten. Letzteren hatte die französische Frauenrechtlerin Hubertine Auclert bereits in den 1880er Jahren als Gegenbegriff zum vorherrschenden »Maskulinismus« geprägt, ohne daß es ihrer Zeitschrift La Citoyenne um mehr als gleiche staatsbürgerliche Rechte gegangen wäre.

 

Erst im 20. Jahrhundert setzte sich allmählich ein neuer, zunehmend ideologisch aufgerüsteter Feminismus von der alten, noch durchweg pragmatisch ausgerichteten Frauenbewegung ab. Und vollends in dessen letzten Dekaden sorgte die in den liberalen Gesellschaften des Westens stetig fortgeschrittene Durchsetzung von Frauenrechten für den auch terminologischen Untergang der Frauenbewegung und den Aufstieg eines Feminismus, dessen egalitaristisches Lager noch weiterreichende assimilatorische Forderungen erhob, bevor dessen differentialistisches Gegenlager identitäre Versäumnisse anmahnte.

 

Nachdem die in den 1960er Jahren aufgebrochenen Egalitätsfeministinnen alles daran gesetzt hatten, den Frauen ihren »Weiblichkeitswahn«8 auszutreiben, machten sich im Gegenzug seit den 1970er Jahren Differenzfeministinnen auf die »Suche nach der verlorenen Frau«.9 Auf der exoterischen Ebene der Frauenpolitik wurde eine »neue Weiblichkeit«10 ausgerufen und in den esoterischeren Gefilden der Theoriebildung nicht selten ein gynozentrisches Weltbild wiederbelebt. Einen fundamentalistischen Essentialismus vertrat dabei die blut- und bodenständige Matriarchatsforschung, deren Wortführerin Heide Göttner-Abendroth alsbald in spiritualistisches Matriarchatstalmi abglitt und Mondtänze mit »Muttertöchtern« aufführte.”

 

Gleichfalls essentialistisch, aber intellektuell ambitionierter waren dagegen Mary Jane Sherfeys biologische Forschungen zur patriarchalisch gebändigten Orgasmuspotenz der Frau sowie Camille Paglias kulturhistorische Recherchen zum ewigen Geschlechterkampf zwischen dem »dionysischen« Mutterweib und dem »apollinischen« Sohnesmann.12 Einen größeren Einfluß sollte indessen der differenzfeministische Konstruktivismus entfalten: Luce Irigaray etwa spürte der aus dem symbolischen Universum der Sprache ausgeschlossenen Weiblichkeit mystisch nach, und Christina von Braun führte die männliche Geistesproduktivität auf eine phantasmatische Aneignung der weiblichen Gebärpotenz zurück.13 Allemal wurde hier ein nicht Identisches oder ganz Anderes der Frau geltend gemacht, um deren subversive Dissoziations- oder vitale Regenerationskräfte gegen die phallozentrische Rationalität des Mannes und seine todbringende Zivilisation

 

1 Vgl. Marieluise Janssen-Jurreit: Sexismus. Über die Abtreibung der Frauenfrage. München 1976.

2 So Alice Schwarzer: Die Antwort. Köln 2007, S. 9.

3 Zit. n. Ute Gerhard: Frauenbewegung und Feminismus. München 2009, S. 77.

4 Zit. n. Gerhard, a.a.O. (Hervorh. i. 0.)

5 Rosa Mayreder: »Geschlecht und Kultur» (1923), in: Gisela Brinker-Gabler (Hg.): Zur Psychologie der Frau. Frankfurt/Main 1978, S. 66.

6 Gerhard: a.a.O., S. 26.

7 Zit. n. Gerhard, a.a.O., S. 64, 66, 63.

8 Vgl. Betty Friedan: Der Weiblichkeiswahn oder die Selbstbefreiung der Frau. Reinbek 1970.

9 Vgl. Marlis Gerhardt: Wohin geht Nora? Auf der Suche nach der verlorenen Frau•, in: Kursbuch, Nr. 47 (1977), S. 77-89.

10 Vgl. Susan Brownmiller: Weiblichkeit. Frankfurt/Main 1984.

11 Vgl. Heide GöttnerAbendroth: Das Matriarchat I. Geschichte seiner Erforschung. Stuttgart 1988. Hierzu Uwe Wesel: Der Mythos vom Matriarchat. Frankfurt/Main 1980.

12 Vgl. Mary Jane Sherfey: Die Potenz der Frau. Wesen und Evolution der weiblichen Sexualität. Köln 1974; Camille Paglia: Die Masken der Sexualität. Berlin 1992.

13 Vgl. Luce Irigaray: Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts. Frankfurt/ Main 1980; Christina von Braun: Nicht ich — Logik, Lüge, Libido. Frankfurt/Main 1985.

 

 

freizusetzen. Doch ihr verstiegener kulturrevolutionärer Anspruch, eine radikale Umwertung aller männlichen Werte zugunsten der Höherwertigkeit des Weiblichen vorzunehmen, verurteilte die spekulativ freischwebenden Differenzfeministinnen zum Scheitern.

So blieb es den realpolitisch gewappneten Egalitätsfeministinnen vorbehalten, in den 1980er Jahren den Marsch durch die Institutionen anzutreten und die Emanzipation der Frau als deren Integration in die Männergesellschaft voranzutreiben, nicht ohne auf diesem Wege den vormals normativen Egalitarismus zu naturalisieren und so die Geschlechterdifferenz in toto zu kassieren. Diesem kategorialen Fehlschluß von der Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz auf ihre Gleichheit von Natur aus entsprach die Weigerung der progressiven Frau, in dem für den konservativen Mann »anderen« Geschlecht noch ihr »eigenes« wiederzuerkennen.

 

Umso bitterer mußten freilich die unleugbar natürlichen Ungleichheiten und zumal die ehernen Gegebenheiten der conditio femina aufstoßen. Wurde der biologische Geschlechterunterschied auf der politisch-propagandistischen Ebene zu einem »kleinen Unterschied« heruntergespielt, um dessen »große Folgen« leichter auf seine kulturellen Ausgestaltungen abwälzen zu können, so rangen sich immerhin die bedeutendsten philosophisch-soziologischen Entwürfe des Egalitätsfeminismus zu einer freimütigen Erörterung dessen durch, was ihnen buchstäblich »von Natur aus» gegen den Strich ging.

Bereits 1949 hatte Simone de Beauvoir ihr feministisches Jahrhundertwerk vorgelegt, das radikal mit einer patriarchalischen Mentalitätsgeschichte brach, welche die Frau zum »anderen Geschlecht« negativierte und mystifizierte. Gleichwohl erschienen Beauvoir die »biologischen Voraussetzungen« der Frauenfrage von »größter Wichtigkeit«, spielten sie doch »in der Geschichte der Frauen eine beherrschende Rolle«. Denn als aus der animalischen Naturgeschichte eine menschliche Kulturgeschichte hervorging, begann sich die Frau von dem vollständig artgebundenen Weibchen dadurch zu unterscheiden, daß ein »Konflikt zwischen Art und Individuum« in ihr aufbrach: »Von allen weiblichen Säugetieren ist die Frau dasjenige, das am meisten sich selber entfremdet wird und diese Entfremdung am leiden-schaftlichsten fühlt.« Bereits die Menstruation erlebe die Frau als etwas ihr »Fremdes«, und eine »noch tiefere Selbstentfremdung« erfahre sie in der Schwangerschaft. So verkehrt sich in der feministischen Selbsterfahrung – der Frau der romantische Topos der »Entfremdung von der Natur» in sein rationalistisches Gegenteil: In ihrer natürlichen Verfassung selbst scheint ihre schicksalhafte Entfremdung beschlossen zu liegen, und es hat den Anschein, »als würde ihr Geschick umso schwerer, je mehr sie sich […] dagegen auflehnt«.

 

Gerade der emanzipierten Frau, die auf ihre mühsam errungene Individualität pocht, drängt das Erleben der ihr fremd gewordenen eigenen Natur die Vorstellung auf, daß die Frauen alle-sann »ein feindliches Element in sich tragen: die Gattung, die an ihnen zehrt». In Anbetracht dieser biologisch unabänderlichen »Versklavung der Frau durch die Gattung« erklärt Beauvoir denn auch nicht das Patriarchat, sondern die Natur selbst zum »Feind«.14

Ausdrücklich benennt Beauvoir als Haupthindernis für die Emanzipation der Frau die »Unterjochung des Körpers durch die Fortpflanzungsfunktion« und keineswegs ihre Unterdrückung durch die Männergesellschaft. Vielmehr blickt sie mit Bewunderung auf die durch Eroberung und Ausbeutung der äußeren Natur geschaffene Zivilisation des Mannes, der seinen festgefügten und zielstrebigen »männlichen« Charakter freilich nur ausprägen konnte, indem er zugleich seine innere Natur als »weiblich« unterdrückte. Und darum bildete die Kehrseite der männlichen Freiheit seit je die Unterdrückung der Frau, zumal deren Welterleben stets ihrem natürlichen Lebensrhythmus verhaftet geblieben ist: »Ihre Erfassung der Welt ist also beschränkter; sie verfügt über weniger Festigkeit und Beharrlichkeit in ihren Projekten und ist zu ihrer Ausführung weniger befähigt.«

 

Allerdings war Beauvoir weit davon entfernt, einem regressiven Matriarchatsmythos zu verfallen und den dem Patriarchat geschuldeten Zivilisationsprogreß wieder revidieren zu wollen, schuf dieser doch erst die Bedingungen für eine aufholende Selbstermächtigung der Frau. Nachdem die Zurück-drängung der mythischen Übermacht des Weiblichen sich als Entstehungs- und Erhaltungsbedingung aller patriarchalischen Hochkulturen bewährt hatte, war es nun an der Frau selbst, ihre widerspenstige Natur zähmen zu lernen. Und durch eine von männlichem Machbarkeitsdenken angeleitete Geschlechtersoziologie schien sich die Macht der weiblichen Biologie durchaus brechen zu lassen: Weil man nicht als Frau geboren, sondern zu ihr gemacht wird, konnte man in Zukunft aus ihrem ganz Anderen auch etwas nahezu Gleiches machen.

So imponiert „Das andere Geschlecht“  nicht zuletzt als Dokument eines siegreichen Kampfes gegen den schier übermächtigen Feind »Natur«, dessen fortan nicht mehr gedacht werden sollte. Folgerichtig bewarb Beauvoir die Frauenemanzipation nicht als weibliche Subversion, .sondern als eine entweiblichende Assimilation, die selbst vor det, aggressivsten Bastion der Männergesellschaft nicht haltmachen dürfe: »Der schlimmste Fluch, der auf der Frau lastet, ist, daß sie von den kriegerischen Unternehmungen ausgeschlossen ist; nicht indem er sein Leben hergibt, sondern indem er es wagt, erhebt der Mensch sich über das Tier; deshalb genießt innerhalb der Menschheit das höchste Ansehen nicht das Geschlecht, das gebiert,’ sondern das tötende Geschlecht «15

Diese anthropologische Einsicht erhellt allerdings, warum die egalitätsfeministische Forderung »Frauen zum Militär!» sich gegen alle differenzfeministische Verfemung als Verrat an der friedfertigen Frau«16 am Ende durchsetzen konnte und als ultimative Selbstverwirklichung gefeiert werden mußte.

Unter den feministischen Theoretikerinnen der nachfolgenden Generation, die den von Beauvoir gewiesenen Weg fortsetzten, ragt neben Kate Millett vor allem Shulamith Firestone heraus, sofern auch sie die soziale Relevanz biologischer Dispositionen hoch in Rechnung stellte: »Männer und Frauen sind verschieden, nicht z:eich«, weil auch »die Ungleichheit der Machtverhältnisse :wischen den Geschlechtern biologische Ursachen« hat und

historische Unterdrückung der Frau »bis ins Tierreich« :zurückreicht. Entsprechend muß »die feministische Revolution, im Gegensatz zur ersten feministischen  Bewegung, nicht einfach auf die Beseitigung männlicher sondern der Geschlechtsunterschiede selbst zielen.“  Und so wird es die Aufgabe dieser »endgültigen Revolution« sein, im Zuge der »Befreiung von einem tyrannischen Herrschaftsgebilde, das die Natur errichtet und die Männer ausgebaut haben«, noch die anthropologischen Wurzeln aller menschlichen Gemeinschaft auszureißen. Da es »eine Mutter-Kind-Beziehung […] in jeder Gesellschaft in irgendeiner Form gegeben« hat, muß die Tyrannei der biologischen Familie« gestürzt werden, und angesichts der –„barbarischen« Schwangerschaft gilt es überhaupt eine neue Bevölkerungsbiologie  zu entwerfen und die Frauen auf „künstliche Fortpflanzung einzustimmen, bis endlich die »Mutterschaft, und mit ihr das Inzest-Tabu, verschwunden« sein wird: »Die bewußte Wahl des Geschlechts des Fötus und die Befruchtung im Reagenzglas sind […] nur eine Frage der Zeit. […] Sogar die Parthenogenese — die jungfräuliche Geburt — könnte ziemlich bald entwickelt werden.«17

Wo aber das, was man kaum mehr feministische Aufklärung nennen mag, in einen neuen Mythos der Parthenogenese umschlägt — welchen Donna Haraway noch mit »monströsen Versprechen« von menschlichen Cyborgs und einer maschinellen »Neuerfindung der Natur« fortgesponnen hat —,18 da vermag der alte Mythos bessere Aufklärung zu leisten. Schon beizeiten rief Heide Heinz die Göttin Athene als Archetyp der »mutterlos geborenen Tochter« in Erinnerung: Nachdem Zeus sie mit Metis gezeugt hatte, fraß er die Schwangere auf, bevor Athene schließlich in voller Rüstung seinem Haupte entsprang. Als »Vatertochter« erhielt sie sich ihre Jungfräulichkeit, um in den Dienst des apollinischen Orakels zu treten und alle dionysische Weiblichkeit, die sich nunmehr in den rächenden Erynnien verkörperte, peremptorisch zu befrieden. Diese der so kriegerischen wie weisen Gerechtigkeitsgöttin zu verdankende Pazifizierung der matriarchalischen Rachegöttinnen stand mithin im Dienste des sich herausbildenden Patriarchats, dessen siegreiche Zivilisation und Geisteskultur alle vorzeitlichen Fruchtbarkeitskulte dem Vergessen überantwortete. So profilierte sich Athene gerade durch ihre »Legitimation patriarchaler Herrschaft«19 als Feministin avant la lettre.

In sozialpsychologischer Hinsicht besetzt nämlich auch die moderne Feministin den familialen Status der Vatertochter, die unter dem von Alfred Adler so genannten »männlichen Protest«20 die gesellschaftliche Minderwertigkeit

14 Simone de Beauvoir. Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Rcinbek bei Hamburg 1968. S. 44-46.

15 Ebenda, S. 48. 72.

16 Vgl. Margarete Mitscherlich: Die friedfertige Frau. Eine psychoanalytische Untersuchung zur Aggression der Geschlechter. Frankfurt. Main 1985.

17 Shulamith Firestone: Frauenbewegung und sexuelle Revolution. Frankfurt’ Main 1981 (1970). S. 14-21, 25. 184-186, 224.

18 Vgl. Donna Haraway: Die Neuerfindung der menschlichen Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. FrankfurtiMain 1995: dies.: Monströse Versprechen: Die Gender- und Technologie-Essays. Hamburg 2017.

19 Heide Heinz: Die Erscheinungen der Göttin Athene als Legitimation patriarchaler Herrschaft», in: Die Eule. Diskussionsforum für feministische Theorie. Nr. 2. hg. v. H. Heinz. Wuppertal 1979. S. 27-95.

2C Vgl. Alfred Adler: Praxis und Theorie der Individualpsychologie. Frankfurt/ Main

der Frauenrolle durch Einübung in traditionell männliche Verhaltensmuster zu kompensieren sucht, um ihre Gleichwertigkeit unter Beweis zu stellen. Eine tiefen-psychologische Schau stößt hier überdies auf den von C. G. Jung als weibliches Gegenstück zum männlichen Ödipus-komplex herausgestellten »Elektrakomplex«,21 bei dem die Liebe der Tochter zum Vater unauflöslich mit ihrem Haß auf die Mutter verbunden ist.

 

Und noch verstörender offenbart sich dem pathognostischen Blick auf diesen aufgeklärten »Tochterfeminismus« die mythische Logik, welche der Frau als Emanzipationstribut ein frevelhaftes Mutteropfer abverlangt. Dabei bildet der Feminismus, in dessen Unbewußtem die Individuation der symbiotisch muttergebundenen Tochter allererst durch ihre verhohlene Komplizität mit dem Vater gewährleistet wird, nur die geschlechterpolitische Avantgarde eines umfassenden kulturellen Syndroms, wie es auch in dem ästhetischen Ideal des Models und der pathologischen Realität der Anorexie zum Ausdruck kommt, welche ihrerseits auf den Hungertod des töchterlich internalisierten Mutterkörpers abzielen. Rudolf Heinz zufolge wird das fundamentale Weiblichkeitsopfer, in dem das Patriarchat gründet, durch die Autonomie der Frau zugleich sanktioniert und kaschiert, ist es doch gerade »der überleitende Tochterstatus, der die Vater-Mortalität zu ihrem Formzugriff auf die Muttermaterie ermächtigt«.22

Im Ergebnis scheint der moderne Feminismus nicht das Patriarchat, sondern allein dessen geschlechterdemokratisches Defizit beseitigt und sich mit dem pflichtschuldigen Mutteropfer gleichsam zu Tode gesiegt zu haben. Und der postmoderne Genderfeminismus sollte diesen tödlichen Siegeszug bis zur unfreiwilligen Selbstparodie fortsetzen, indem er sich noch die Beseitigung des randgruppendemokratischen Defizits jenes mittlerweile staatlich alimentierten Feminismus selbst zur Aufgabe machte und hierfür diskurspolizeiliche Eingreiftruppen zur Durchsetzung antidiskriminierungspolitischer Korrektheit in Stellung brachte.

Nicht von ungefähr hat die von Gender Studies und Queer-Theorie geprägte dritte Generation des Feminismus »die Frau» als emanzipatorisches Subjekt verabschiedet und damit Jacques Lacans als frauenfeindlich geschmähtes Diktum, daß »die Frau nicht existiert«23, auf unverhoffte Weise bestätigt. Eine solche Dekonstruktion von Weiblichkeit aber, die eo ipso nur die Eskamotierung des verräterischen Opferstoffs betreibt, zielt insgeheim darauf ab, das feministische Weiblichkeitsopfer selbst zum Verschwinden zu bringen.

»Aber Alice, du willst doch nicht etwa den kleinen Unterschied abschaffen?« Mit dieser Frage war Herbert Marcuse bei Alice Schwarzer, die lediglich dessen große Folgen beanstandete, durchaus an der falschen Adresse.

Richtiger wäre jene an Judith Butler zu adressieren, der noch dieser kleine Unterschied zu groß war, um nicht an seiner Abschaffung zu laborieren und das »biologische Geschlecht« zu einer bloßen »Phantasie« oder »Fiktion« zu erklären, da es vom »sozialen Geschlecht« restlos »absorbiert« sei. Tatsächlich suchte Butler nicht nur die verschiedenen Geschlechterrollen und -identitäten, sondern sogar die unterschiedliche Materialität und Morphologie der Geschlechterkörper selbst — deren biologische Vorgegebenheit für Schwarzer und Beauvoir noch außer Zweifel stand — auf kulturelle Konditionierungen zurückzuführen und geradezu als diskursive Kreationen auszugeben: »Die Geschlechtsidentität (gender) darf nicht nur als kulturelle Zuschreibung von Bedeutungen an ein vorgegebenes anatomisches Geschlecht (sex) gedacht werden«, denn sie umfasse »auch jene diskursiven/kulturellen Mittel, durch die eine >geschlechtliche Natur< oder ein >natürliches Geschlecht< als >vor-diskursiv< […] hergestellt und etabliert wird«.24

Den diskursiven Mitteln und kulturalistischen Methoden aber, zu denen Butler selbst griff, um noch den biologisch evolvierten Sexualdimorphismus als einen »heterosexistisch« konstruierten und »phallozentrisch« normierten Genderdualismus zu dekonstruieren, liegt unausgesprochen das krude behavioristische Menschenbild einer Black Box zugrunde. Damit freilich entlarvt sich die von Butler als rein anthropogen behauptete »Herstellung« der Geschlechter als eine creatio ex nihilo und der Genderfeminismus insgesamt als ein säkularisierter »Kreationismus«25, welcher satanisch gerade die Kreatürlichkeit des Menschen liquidiert, dem »Patriarchat« aber eine gottähnliche Schöpferkraft attestiert.

Dabei ist der Glaube an das Patriarchat einstweilen selbst mythisch geworden. Bereits Karl Marx fand »alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört«26 vor, und später erkannte Max Weber in der »patriarchalischen Herrschaft« den »reinsten Typ« einer noch durch die Heiligkeit von jeher geltender Ordnungen legitimierten »traditionellen Herrschaft«, welche längst  von dem »legalen Herrschaftstyp« bürokratisch verwalteter Gesellschaften abgelöst worden sei.27 Und erst dieser nicht mehr »patriarchalische«, sondern in seiner habituellen und institutionellen Sachlichkeit lediglich »männlich« geprägte Industriekapitalismus ermöglichte schließlich die Entstehung des Feminismus, dessen assimilatorischer Variante er sogar  zum Erfolg verhalf.

Doch während Frauenbeauftragte ihrer Klientel die Unterwerfung unter ökonomische Imperative  als Emanzipation verkaufen, als welche jene auch von den in der Anpassung an die nüchternen Realitäten der Arbeitswelt geübteren Männern nur selten erfahren wird, sind die von allem feministischen Vorurteil freien Kapital- und Politfunktionäre in zynischem Realismus einzig an der Verwertung noch brachliegenden weiblichen Humankapitals interessiert.

Diesen epochalen Assimilationsprozeß, in dem Frauen sich nach den Maßgaben männlicher Zweckrationalität zurichteten, erlebte Gabriele Palm noch, ganz im Horizont weiblicher Wertrationalität: Ihre Eingliederung in die „ungeheure Staats- und Wirtschaftsmaschine«

habe den Frauen »ein ungeheuerliches Maß an Selbstabtötung und Selbstüberwindung« abgefordert, denn es bedeutete für sie, aus der Sphäre »persönlichsten Seins« in jene unpersönlichster Leistung« zu springen. So war es ein „Marterweg (und) ein Opfergang für Frauenrecht und Frauenfreiheit, den manche nicht zu Ende gehen konnte,  um nicht »ihr mütterliches Sein dem Geist der Maschine zu opfern.«28

Selbst die große Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, die jedes biologische Frauenbild bekämpfte, wehrte sich erbittert gegen die von kapitalistischer wie feministischer Seite ausgehende Bedrohung der mütterlichen Lebenswelt: »Welches aber auch der Grund und Urgrund der Mutterliebe sein mag: sie ist da, sie wird immer da sein, selbst wenn Titaniden der Emanzipation den Himmel dieser Gemütswelt zu stürmen sich unterfangen wollten“. 29

Zum Sturm auf die Bastionen der Mütterlichkeit blies seinerzeit auch Otto Weininger. Mit moralischer Emphase erhob der ob seiner abgrundtiefen  Misogynie bemächtigte Philosoph die Forderung , die „Erziehung der ganzen Menschheit müsse der Mutter entzogen werden-.

Weil die Muttrliebe das Kind in dem Bannkreis animalischer Instinkte gefangen halte.

Umso mehr schätzte er die kinderlose intellektuelle und ermahnte den Mann  »seine Abneigung gegen das männliche Weib […) in sich zu überwinden«, zumal es nichts als »gemeiner Egoismus« sei, »der Frau irgend etwas als „unweiblich“ verwehren und verbieten« zu wollen.

In diesem Sinne kämpfte Weininger »nicht für die Emanzipation des Weibes vom Manne, sondern für die Emanzipation des Weibes vom Weibe«, da »das Weib als Mensch behandelt, geachtet werden (muß), und nicht erniedrigt, wie es durch alle Sexualität geschieht«, welche es auf einen »Apparat zum Onanieren oder eine Kindergebärerin« reduziere. Gerade weil ihm »der Haß gegen das Weib« als bloßer »Haß des Mannes gegen die eigene, noch nicht überwundene Sexualität« aufging, verdammte er »jede Barbarei des männlichen wider das weibliche Geschlecht« und verfocht zum Schutze der menschlichen Würde der Frau eine äußerst puritanische Sexualmoral. Nur konsequent trat Weininger bereits 1903 für die »völlige Berechtigung des Anspruches auf Gleichheit vor dem Gesetze« ein, denn »das Recht ist eines und das gleiche für Mann und Frau«.30

Es gehört zu den unbequemen Wahrheiten des Feminismus, daß dessen Erfolgsgeschichte weitgehend auf dem von Weininger vorgezeichneten Weg verlaufen ist. Indem er der traditionellen Frau mit heiligem Ernst ein erlösendes Weiblichkeitsopfer auferlegte, gab er unwillkürlich zugleich das profane Betriebsgeheimnis des modernen Feminismus preis. Man möchte argwöhnen, nicht als Frauenverächter, sondern als Geheimnisverräter habe Weininger den geballten Haß der feministischen Welt auf sich gezogen.

 

21 Vgl. C. G. Jung: Versuch einer Darstellung der Analytischen Psychologie

(1913), in: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 4. Ostfildern 2011. bes. S. 180.

22 Rudolf Heinz: Pathognostische Studien. Essen 1986, S. 167.

23 Jacques Lacan: Radiophonie,Television. Weinheim Berlin 1988, S. 88. (Hervorh. i. 0.)

24 Judith Butler: Körper von Gewicht. Frankfurt/Main 1997, S. 26 f.: dies.: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt, Main 1991, S. 24.

25 Vgl. Ulrich Kutschera: Das Gcnder-Paradoxon. Berlin 2016, S. 79-83.

26 Karl Marx/Friedrich Engels: Manifest der kommunistischen Partei. in: dies.: Ausgewählte Schriften. Berlin 1985. Bd. 1, S. 28.

27 Max Weber: Die drei reinen Typen der.legitimen Herrschaft, in: ders.: Schriften 1894-1922. Stuttgart 2002, S. 720.

28 Gabriele Palm: »Die Wiedereinsetzung weiblicher Werte• (1927;28), in: Zur Psychologie der Frau (s. Fußnote 5), S. 332.

29 Hedwig Dohm: •Der Muttertrieb« (1903), in: Zur Psychologie der Frau (s. Fußnote 5), S. 194.

3C Otto Weininger: Geschlecht und Charakter. München 1980 (1903). S. 332. 451-460.

 

AUS : TUMULT FRÜHJAHR  2018

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